Auf den Spuren von Heinrich von Kleist in Berlin
Milena Rolka widmet sich in dem neuen Heft 74 der „Frankfurter Buntbücher“ den Berlin-Aufenthalten des Dichters
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAm 14. August 1800 verließ Heinrich von Kleist (1777-1811) seine Geburtsstadt Frankfurt an der Oder und reiste in die königliche Haupt- und Residenzstadt Berlin. Dieser ersten Reise „ohne angegebnen Zweck“ sollten in den nächsten Jahren noch weitere Berlin-Aufenthalte folgen. Insgesamt rund dreieinhalb seines Lebens verbrachte Kleist in der wachsenden Metropole Berlin, die damals knapp 200.000 Einwohner hatte.
Im Sommer des Jahres 1800 war Kleist jedoch noch kein Dichter. Als Sohn einer preußischen Offiziersfamilie trat er der Tradition entsprechend im Alter von 15 Jahren in den Militärdienst ein. Im April 1799 verließ er die preußische Armee und begann ein Studium der Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität seiner Heimatstadt, später der Philologie und Philosophie. Anfang 1800 verlobte er sich (inoffiziell) mit Wilhelmine von Zenge (1780-1852), löste jedoch im Mai 1802 die Verlobung wieder auf.
Die Literaturwissenschaftlerin Milena Rolka widmet sich in dem neuen Heft 74 der Frankfurter Buntbücher den Aufenthalten Kleists in Berlin. Zu seinen ersten Monaten in Berlin 1800/01 gibt es nur vage Hinweise und wenige Quellen. Im April 1801 verlässt er Berlin bereits wieder, geht nach Paris und von dort in die Schweiz. Hier verfasst er sein erstes Drama Die Familie Schroffenstein, das Ende 1802 anonym veröffentlicht wird. Ab Oktober 1802 hält sich Kleist dann in Weimar bei Christoph Martin Wieland auf, bricht dann aber im Frühjahr 1803 nach Leipzig und Dresden auf, gefolgt von Aufenthalten in der Schweiz und in Frankreich.
Wann genau Kleist wieder nach Berlin kommt, ist unsicher. Der erste erhaltene Brief ist auf den 24. Juni 1804 datiert. Er will sich zum preußischen Staatsbeamten ausbilden. Im Mai 1805 findet er eine Anstellung als Beamter in Königsberg und nutzt die finanzielle Sicherheit zur Arbeit an seinen Erzählungen und Dramen. 1806 scheidet er aus dem Staatsdienst wieder aus. In den Kriegswirren wird Kleist 1807 von den französischen Behörden als Spion verhaftet und in Besançon inhaftiert. Nach seiner Freilassung Ende Juli begibt sich Kleist nach Dresden, wo er mit dem Philosophen und Staatstheoretiker Adam Heinrich Müller (1779-1829) die Monatsschrift Phöbus (Jan.-Dez. 1808) herausgab. 1809 hält er sich in Österreich und Prag auf.
Erst ab Februar 1810 ist Kleist wieder ständig in Berlin, wo er eine eigene Wohnung in der Friedrichstadt bezieht. Er ist jetzt in das kulturelle Leben Berlins integriert, besucht Abendgesellschaften, Theateraufführungen und macht neue Bekanntschaften. Außerdem hat er freundschaftlichen Umgang mit dem Berliner Romantikerkreis (Arnim, Brentano, Fouqué, Rahel Levin).
Ab 1. Oktober gibt Kleist die erste Tageszeitung Berlins, die Berliner Abendblätter heraus. Er ist alleiniger Herausgeber und Redakteur des Hauptstadtjournals. In ihren Beiträgen setzen sich die Abendblätter kritisch mit den Berliner Ereignissen und Institutionen auseinander. In der Zeitung erscheinen außerdem einige Texte von ihm selbst, die heute zur Weltliteratur zählen. Neben dem ständigen Ärger mit der Zensur lässt auch noch das Interesse des Publikums schnell nach, sodass am 30. März 1811 die letzte Ausgabe der Berliner Abendblätter erscheint. Kleist steht abermals vor den Trümmern seiner beruflichen Existenz und er unternimmt verzweifelte Versuche zum Wiedereintritt in die preußische Armee. Geldsorgen und mangelnder Zuspruch für seine Werke lassen Kleist schließlich an der Welt verzweifeln. Am 21. November 1811 begeht er gemeinsam mit seiner krebskranken Freundin Henriette Vogel (geb. 1780) am Ufer des Kleinen Wannsees Selbstmord. Kleists Werke sollten erst zehn Jahre später durch Ludwig Tieck (1773-1853) vollständig herausgegeben werden: Hinterlassene Schriften (1821) und Gesammelte Schriften (3 Bände, 1826).
Anhand der Kleist-Briefe und anderer Quellen versucht Rolka, die Spuren des Dichters in Berlin nachzuverfolgen. Neben historischen Ansichten, die das Berliner Stadtbild um 1800 dokumentieren, hat der Schriftsteller und Herausgeber Günter Karl Bose (selbst Autor der Frankfurter Buntbücher) einige aktuelle Fotoaufnahmen von Kleist-Erinnerungsstätten in Berlin beigesteuert.
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