Mich reizt das Abenteuer, nicht die SED

Cordt Schnibbens Roman „Lila Eule“: eine deutsch-deutsche Liebes- und Zeitgeschichte

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vollmundig preist die rückseitige Klappe den Roman des (früheren) Spiegel-Ressortleiters Cordt Schnibben (Jg. 1952) als den „Ostwest-LSD-Beat-Club-Roman“ an und zählt dann drei Blicke auf, wegen derer die Lektüre lohnenswert sei: Schnibbens Text sei „eine verzwickte deutsch-deutsche Liebesgeschichte“, zudem „ein skurriler Agententhriller“ und schließlich „die berauschende Geschichte vom Aufstand im Spießbürger-Deutschland.“

Tatsächlich ist die Geschichte (vor weitausholendem autofiktionalem Hintergrund), die Schnibben breit auf mehr als 500 Seiten erzählt, mehr als abenteuerlich: Im Jahr 1972, nach seinem Abitur, beschließt der Ich-Erzähler, dessen Mutter früh gestorben und eine Nazisse gewesen ist, wie der Vater, der’s gleich geblieben ist, im Westen der Republik, nämlich in Bremen, das ihm zu piefig ist – mit Ausnahme der Kneipe „Blaue Eule“ und des legendär gewordenen Beatclubs –, in die DDR zu gehen und dort den ‚real existierenden Sozialismus‘ kennenzulernen und studieren zu wollen. Ein Unterfangen, das bereits nach kurzer Zeit notwendiger- wie konsequenterweise schon darum scheitern muss, weil das Ich nicht auf Drogen verzichten und insbesondere den LSD-Konsum nicht aufgeben möchte, was den zuständigen Genossinnen und Genossen, nicht zu vergessen der allgegenwärtigen Stasi, natürlich nicht behagt, weshalb Carl (= Cordt) nach diversen Verhörstunden und einigen Tagen im Knast wieder in die alte Heimat abgeschoben wird. Was ihm allerdings nicht unbedingt leichtfällt, weil er seine Geliebte, Mara, Tochter eines ranghohen Stasi-Offiziers, verlassen muss. 1989 dann – Carl ist längst angekommen und arriviert als Journalist beim Hamburger Journal – das Jahr der Wende, des Zusammen- wie unbestimmten Aufbruchs, und er erhält den Auftrag, für sein Magazin zu berichten, dabei immer noch und immer wieder im Hinterkopf die irgendwie abgebrochene, nie durchlebte Liebesgeschichte. Carl macht sich auf die Suche nach Mara, die sich ihm endlich in einem ausführlichen Rechtfertigungsbrief versucht zu erklären – aus ihrer DDR-Perspektive. Das Ende bleibt offen – nein, Achtung, klassische Reminiszenzen! –, der Erzähler beginnt mit der Niederschrift dieses Romans. 

Dazwischen gibt es noch jede Menge Zeit-, Lokal- und Kulturkolorit, insbesondere im Blick auf die frühen 70er-Jahre, was einige Rezensenten überaus positiv vermerkt haben – wie etwa die Rezensentin der Süddeutschen Zeitung, die von geradezu „rauschhaften Seiten“ geschwärmt hat. In der Tat ist der Gedächtnisspeicher des Journalisten Schnibben gewaltig: Kaum ein Hit jener Jahre wird ausgelassen (eine Playlist am Ende des Buches zählt sie noch einmal auf, was allerdings nicht neu ist), auch die zuständigen Gerätschaften – vom Grundig TK 42-Tonband bis zum Mister-Hit-Plattenspieler von Telefunken – sind vorhanden. Selbstverständlich sind die Film- und Fernsehwelten präsent, wobei Schnibben seine Geschichte in einem Tonfall zum Besten gibt, der vor (durchaus zündenden) Kalauern nicht zurückschreckt – „Leider war ich klüger, als ich aussah; was dazu führte, dass ich immer schlauer wirken wollte, als ich war“ –, der Komik mit Lakonie verbindet und überall da schnoddrig ist, wo’s der Sache dient. 

Nur, die andere Seite ist, dass man Vieles, viel zu Vieles, schon einmal woanders gelesen hat – insbesondere, was die Zeit um 1968 ff. angeht, was diese in Maßen verquast-verkorkste BRD-Sozialisation betrifft und auch die merkwürdige psychische Gemengelage des Protagonisten aus pubertär-trotziger Auflehnung gegen das System und naiver Abenteuerlust. Weshalb ihm an einer Stelle die entlarvende Selbstauskunft entfährt: „Mich reizt das Abenteuer, nicht die SED.“ Und möglicherweise ist dies auch das Manko des erzählenden Journalisten Schnibben, der stets um Faktentreue, Genauigkeit und Wahrheit bemüht ist, sodass er seine Erzählung schlicht überstrapaziert, weil er – wozu auch die über weite Strecken des Textes ausgebreiteten und geradezu ermüdenden Dialogsituationen zählen – immer wieder die private Geschichte mit der ‚großen‘ politischen und (Kultur-)Geschichte synchronisieren möchte.

Man kann den Roman also so oder so empfinden und lesen, wie es auch die SZ-Rezensentin vorgeschlagen hat: entweder als langatmig oder als „Fundgrube, die gerade durch ihre Abschweifungen stark wird.“

Der Rezensent selbst fühlt sich ebenso zwiegespalten!

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Cordt Schnibben: Lila Eule. Roman.
CORRECTIV Verlag, Essen 2025.
528 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783948013301

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