Ohne schreiben todunglücklich

Die Bachmann-Böll-Korrespondenz gewährt Einblicke in Leben und Persönlichkeit zweier Schriftsteller

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zunächst einmal sollte unbedingt festgestellt werden, dass es inzwischen dreier renommierter Verlag bedarf, Kiepenheuer und Witsch, Piper und Suhrkamp, um ein solches Unternehmen wie die Edition eines Briefwechsels überhaupt auf dem Markt zu präsentieren, eines Editionsprojekts, das zudem (finanziell) unterstützt worden ist vom Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. M. a. W.: Obwohl hochsubventioniert, gehen die Verlage nur noch ein Mindestmaß an Risiken ein, um Unternehmen wie die vorliegende Edition zu publizieren.

Die erhaltene Korrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll, zwei zentralen, wiewohl in ihren ästhetisch-poetologischen Ansichten divergierenden Repräsentanten der ‚Gruppe 47‘, besteht aus 122 (erhaltenen) Briefen und Postkarten. Hans Höller, österreichischer Literaturwissenschaftler und (Haupt-)Herausgeber der Salzburger Bachmann Edition, innerhalb derer die Korrespondenz erschienen ist, bemerkt in seinem kurzen Vorwort zur Ausgabe, dass es „in Bachmanns Briefwechsel mit Heinrich Böll […] um die Vermeidung von persönlichen Konflikten“ gegangen sei. Das ist insofern völlig zutreffend, als beide Briefpartner sich seit ihrem Kennenlernen und dem Beginn ihrer Korrespondenz im Dezember 1952 gegenseitiger Hochschätzung und – allmählich wachsender – Freundschaft versichern. Ob es allerdings kurzfristig, wie Höller abschließend diskret andeutet, eine Liebesaffäre während der Gruppentagung im Mai 1954 gegeben hat, mögen die Leserin und der Leser des Briefwechsels und der vorzüglichen Kommentare dazu von Renate Langer selbst beurteilen. So oder so aber bleiben eine Wertschätzung, gegenseitiger Zuspruch und die Unterstützung (u. a. Bölls letzten Endes gescheiterter Einsatz für die Publikation von Bachmanns Texten bei seinem Verleger Witsch) erhalten, unter Einschluss der Familie Bölls, nach der sich Bachmann immer wieder, wie der verschiedenen Beziehungen Bachmanns (etwa zu Celan, Henze oder Frisch), nach denen sich Böll angelegentlich erkundigt.

Schon beim Auftakt ihres Briefwechsels am 12. Dezember 1952 notiert Bachmann, dass es nötig sei, sich „an etwas festhalten [zu] können.“ „Wir ja auch, aber es ist eben wenig da, nur das bisschen Freundschaft zwischen Köln und Wien […].“ Schließlich noch: „Es ist gut zu wissen, dass es Sie gibt.“ Böll respondiert am 28. Dezember überaus freundlich und ruft Ingeborg Bachmann zu, dass es gut sei, eine für Februar 1953 nach Deutschland von ihr geplante Reise durchzuführen: „[I]ch freue mich sehr darüber. Dann werden wir uns auch öfter sehen und miteinander reden können. Und Sie kommen einmal nach Köln!“

Im Lauf der folgenden Jahre haben sich Böll und Bachmann verschiedentlich nicht nur bei Treffen der ‚Gruppe 47‘, sondern auch in Köln sowie bei Bachmann während ihrer Zeit in Italien gesehen und ausgetauscht.

Über die privaten Dinge hinaus ist der Briefwechsel natürlich auch insgesamt ein bemerkenswertes Dokument zweier (konträrer) Schriftstellerpersönlichkeiten, die beide – nach erheblichen Startschwierigkeiten unterschiedlichster Art – auf dem literarischen Feld der noch jungen Bundesrepublik reüssieren. Die Leserin und der Leser erhalten dabei einen Einblick in die Genese und Entstehung verschiedener Werke, von Bölls Romanen der 50er Jahre, dem Irischen Tagebuch und Hörspielarbeiten, von Bachmanns lyrischem Zyklus oder auch ihren Hörstücken; zudem vermitteln die Briefe auch jeweilige Zweifel am eigenen Schreiben, Furcht und Existenzängste wie finanzielle Nöte, über die vor allem der dreifache Familienvater Böll immer wieder schreibt, um am 21. Dezember 1957 der „lieben Inge“ rund um seinen 40. Geburtstag zu gestehen: „schuldenfrei bin ich, vorschussfrei und hab sogar noch bares Geld in der Tasche und noch welches zu kriegen […].“

Aber auch in poetologischer bzw. ästhetischer Hinsicht ist der Briefwechsel überaus aufschlussreich, denn Böll wandelt sich in seiner Selbstwahrnehmung und -beschreibung vom Realisten, der er bis 1954 gewesen sei (Brief v. 4. Juni 1954), zu einem (anspruchsvollen) Schriftsteller, der – in Billard um halbzehn (1959) – nichts weniger als die ganze „Zeit“ („darum geht es“) darzustellen beabsichtige (Brief v. 9. Juni 1959). Auf der anderen Seite bekundet Bachmann gegenüber Böll während ihrer Arbeit an einem geplanten Roman (der fragmentarisch nach Auskunft Höllers wie der Herausgeberin Langer allerdings erst postum 1995 publiziert wurde), dass sie keine Ahnung habe, „ob es ein unglaublicher Kitsch […] oder das Gegenteil [sei]; nur in der Mitte kanns nicht liegen – also Kitsch, da es von ganz ordinairen Dingen handelt und ihnen nicht ausweichen soll.“ (Brief v. 27. Mai 1954) Dann wieder gibt es vereinzelte Augenblicke, in denen Bachmann von Glücksgefühlen und der „Freude“ redet, wenn sie den Eindruck hat, „etwas zu Ende“ geschrieben zu haben (Brief v. 3. Dezember 1955). Ein Gefühl, das von Böll geteilt wird, der sogar einmal mitteilt: „[D]as einzig Wichtige ist: schreiben, schreiben, und wenn ich einmal drei Wochen nicht wenigstens einige Sätze, die mir gefallen, geschrieben habe, bin ich todunglücklich […].“ (Brief v. 5. 5. 1958)

In ihrem ausführlichen Nachwort zu dem von ihr herausgegebenen und eindrucksvoll kommentierten (an einzelnen Stellen vielleicht sogar ein wenig überbordend kommentierten) Band konstatiert Langer, dass sich diese „Korrespondenz zwischen Böll und Bachmann zu einem Zwiegespräch [entwickelt], bei dem einer des anderen Worte und Wendungen sorgsam aufnimmt, variiert und zurückgibt.“ Auch und gerade heute noch (oder wieder), da uns diese Zeit des Briefwechsels geradezu ‚antediluvianisch‘ vorzukommen scheint, vermittelt uns die Lektüre spannende Einblicke in das Entstehen von Literatur und die Entwicklung des Literaturmarktes während der 50er und 60er Jahre in der Bundesrepublik, einer Zeit des Neubeginns und Aufbruchs auf der einen, aber auch der schließlichen Stagnation (Anfang, Mitte der 60er Jahre), ja, des Rollbacks. In den Worten Heinrich Bölls, der sich wesentlich offener und plakativer als die zurückhaltendere Ingeborg Bachmann ausgedrückt hat: Er sei „immer immer weiter nach links geraten, nach links gekommen, soviel weiter als Du“, schreibt er aus Riga, wohin Böll gemeinsam mit seiner Frau Annemarie im August 1962 gereist war. Dann schiebt er in einem Brief vom Herbst 1965 noch hinterher, dass für ihn Deutschland im Unterschied zum geliebten Irland aber auch zu Italien „ein krankes, perverses und ich denke manchmal: endgültig verlorenes Land!“ sei.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Ingeborg Bachmann / Heinrich Böll: »Was machen wir aus unserem Leben?«. Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll. Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Renate Langer. Mit einem Vorwort von Hans Höller.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2025.
487 Seiten , 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783518426067

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch