Die Jutta heiraten, um die Jetta zu kriegen

Der produktive Humorist Dietmar Wischmeyer lässt in seinem Romanerstling „Begrabt meinen rechten Fuß auf der linken Spur“ einen Ich-Erzähler schnoddrig zu Wort kommen

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den eigenwilligen Begräbniswunsch des Romantitels hat sich ein Jetta-Fahrer namens Kalle auf den linken Unterarm tätowieren lassen. „Irgendwann hat ihm dann aber jemand erklärt, dass den dann nur welche lesen, die ihn überholen. Seitdem trug Jetta-Kalle nur noch langärmelige Hemden.“

Fernsehzuschauern ist Dietmar Wischmeyer unter anderem durch sein Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten in der heute-show des ZDF bekannt. Zu diesem Menschenschlag gehört offenbar jener Kalle, nicht aber der Ich-Erzähler Wolfgang Schrage. Jetta-Fan ist der aber auch, sogar stolzer Besitzer eines VW Jetta GT 16-Ventiler, Sondermodell „Court“. Um diese „seine Jetta“ kaufen zu können, muss er nach fast zehnjährigem Zusammensein endlich Jutta heiraten, die als Angestellte der Sparkasse einen günstigen Kredit bekommt. Als er die Jetta später verkauft, verliert er nach eigenem Bekunden die Frau seines Lebens.

Im ersten Roman des überaus produktiven Humoristen und Satirikers Dietmar Wischmeyer tummeln sich allerhand Bekloppte, und auch bei der Bundeswehr scheint es genug davon zu geben. Das jedenfalls stellt Wolfgang Schrage fest, der vom Dienst als Panzergrenadier nicht nur fünf lange Unterhosen mitnimmt, sondern auch die Erinnerung an einen Vorgesetzten, den er unter anderem so tituliert: „Arschgesicht“, „nicht der Hellsten einer“, „Idiot“ und „Blödmann“. Er selbst hingegen ist ein heller Kopf, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Da hält er mit Billigsuppe und Schnapsresten die Kosten für die Hochzeit mit Jutta weit unter dem Gesamtwert der Geschenke. Ein Baugrundstück erwirbt er trickreich für hundert Mark „und ’ne Schüssel Quark“. Mit seinen goldenen Händen verrichtet er dort Dinge, die nicht zu seinem Beruf als „Teerspritzer“ und später Kraftfahrer bei der „Straßen- und Wegebau AG“ („StruWAG“) gehören. Er zerschlägt Fachwerk mit dem Vorschlaghammer, mauert Ytong-Steine hinein, gießt eine Betonplatte und nagelt Rigipsplatten vor die Innenwände.

In einer Buchbesprechung im Hörfunk hieß es, Schrage sei „ein ganz normaler Jugendlicher der späten Siebziger“ in der Bundesrepublik. Dies möchte der im anderen Teil Deutschlands aufgewachsene Rezensent lieber nicht glauben. Denn Wolfgang Schrage ist charakterlich total verbogen: ein Egoist, der stets den eigenen Vorteil sucht, ein hemmungsloser Lügner und Betrüger und so gefühlsarm, dass er in psychiatrische Behandlung gehört. Nein, normal ist dieser Mensch nicht und sympathisch schon gar nicht. Ein Antiheld, vom Autor mit der Fähigkeit ausgestattet, zu Ende zu denken und die Resultate so schnoddrig darzulegen, dass der Leser oft lächelt oder lacht. 

War es ein Fehler des Autors, einen Fiesling zum Romanhelden zu machen? Eher nicht. Denn ein „normaler Jugendlicher“ würde kaum durchschauen, was hinter der Fassade eines gutgeführten Straßenbaubetriebs abläuft. Gerade der Leser im Osten Deutschlands erfährt hier, wie das große Geld gemacht wird. Das tut vor allem der Chef der „StruWAG“ weidlich. Da wird jede Maschine auf der Baustelle abgerechnet, egal ob verwendet oder nicht. Braucht man eine Verzögerung, weil man anderswo noch nicht fertig ist, dann werden Gelbbauchunken ausgesetzt, die erst mal umzusiedeln sind. Oder man verwirrt den Denkmalschutz eine Weile mit kaputten Vasen und zwischengestreuten römischen Münzen.

Die „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ bringen für solche Geldmacher die fetten Jahre. Mit Hilfe von Scheinfirmen und gefälschten Gutachten wird angeblich kontaminiertes Kopfsteinpflaster als Sondermüll entsorgt und anderswo als „historisches Pflaster“ verkauft. Noch mehr verdient man an den zum Himmel stinkenden Hinterlassenschaften der sowjetischen bzw. russischen Truppen. Das Giftzeug wird in die Trasse eingebracht und mit Spritzbeton überdeckt. Mit Wasser gefüllte Schnapsflaschen mutieren unter Schwerverkehr zu unterirdischen Wasserbomben, und nach zehn Jahren kann man die Straße dem Staat noch einmal verkaufen. Solche Beispiele demonstrieren die Wirkmacht jener Führungskräfte der unsozialen Marktwirtschaft, für die die deutsche Einheit das Geschäft ihres Lebens war.

Auch die Bundeswehr bekommt ihr Fett weg. Das reicht von schreiender Dummheit im Alltag bis zu einem grotesken versehentlichen Flugzeugabschuss und einer durch Westagenten der Stasi ausgelösten dilettantischen Provokation an der innerdeutschen Grenze, dem Unternehmen „Hammer und Sichel“, das in letzter Minute die Wiedervereinigung verhindern soll.

Der große Vorzug der ersten rund einhundert Seiten ist es, dass Schrages gieriges Handeln und der schnoddrige Erzählton ebenso authentisch wirken wie die vielen Szenen in der Stammkneipe. Dann aber geht es auf die „Königsebene“, was dem Buch nicht so recht bekommt. Ausgiebiges Fabulieren über Gerhard Schröder, die Ex-Bischöfin Margot Käßmann, einen Stasi-General mit dem nicht eben originellen Namen Mischka Wulff und einen „Verkehrtrum-Maler“ sprengt den Rahmen dessen, was man dem Ich-Erzähler an Bekanntschaften und Einsichten zutraut. Schrage wird zum wenig überzeugenden Sprachrohr seines Autors.

Lang und breit geht es um Stasi-Dokumente, die unter vergammeltem Hühnerfleisch verborgen sind. Über deren Herkunft und Nutzung werden immer neue Versionen aufgetischt, was mit der Zeit ermüdet. Möglicherweise fällt die Resonanz positiver aus, wenn das Hörbuch die aus den Medien vertraute Stimme des Autors zum Klingen bringt.

Aktuell ist der Begräbniswunsch des Titels am Ende nicht mehr. Man erfährt vielmehr, dass sich Jutta einst mit einem Trick an Wolfgang herangemacht hat, der abschließend meint, er habe in seinem Leben unheimlich viel Glück gehabt. Diese Sicht auf die Dinge sei ihm gegönnt.

Titelbild

Dietmar Wischmeyer: Begrabt meinen rechten Fuß auf der linken Spur.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021.
304 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783737101295

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