Euthanasie – muss man zuweilen das tun, was man nicht darf?

Bettina Schöne-Seifert über Frage zur Sterbehilfe

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage, was Ärzte dürfen, und zwar jenseits allgemeiner ethischer Fragestellungen, ist so alt wie der hippokratische Eid als Bemühung, unter anderem zu definieren, 1.inwiefern die Heilkunst 2. wem 3. wozu verpflichtet sei. Insbesondere die Frage der Sterbehilfe wirft hierbei Fragen auf, die bis in die Gegenwart diskutiert werden. Zeitgleich mit Ferdinand von Schirachs Theaterstück Gott, inwischen bereits verfilmt und von der ARD ausgestrahlt, ist der schmale, aber differenzierte Band Beim Sterben helfen – dürfen wir das? von Bettina Schöne-Seifert erschienen.

Während Schirach im Rahmen seines Stücks die verschiedenen Positionen durch diverse Personen vertreten und das Publikum darüber abstimmen lässt, wobei es mitunter zu plakativen Darstellungen kommen muss und vor allem dem Stück die Frage, wer hier überhaupt mit welchem Recht zu Wort kommt, vielleicht nicht wichtig genug ist, steht bei Schöne-Seifert die Antwort fest: Es geht um eine „Verteidigung von Suizidhilfe“. Die Positionen werden hier genau durchleuchtet, samt der Frage, wer hier zu antworten oder auf Antworten Einfluss zu nehmen aufgefordert sein kann. Die Verfasserin steuerte zu dem Thema bereits einen das Stück Schirachs flankierenden, elfseitigen Text in der Buchausgabe von Gott bei. Der vorliegende Band ist nun der umfassenderen Fundierung möglicher Antworten gewidmet.

Die Grundfrage des Textes ist nicht, ob man sich töten darf. Zumindest juristisch wäre die Beantwortung dieser Frage zweifellos nicht zielführend. Vielmehr ist die Frage, ob dieses Recht, das besteht, insofern es einen freien Willen gibt, das aber eben auch aus offensichtlichen Gründen nicht verhandelt werden kann, beinhaltet, „angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen“, was wiederum bedeutet, dass die Helfenden sich nicht strafbar machen.

Die erste Frage dabei ist, wann die Entscheidung tatsächlich Ausdruck einer Souveränität ist. Das bedeutet unter Umständen auch, dass das, was Hilfe sein soll, auch Hilfe sein muss. Andere Überlegungen dürfen der Tötung oder der Assistenz dabei offensichtlich nicht zugrunde liegen. Manchmal müsste offenbar der Entschluss in der Vergangenheit liegen, etwa im Falle von fortschreitenden Demenzerkrankungen. Ist aber der Wille, der sich einst ausdrückte, der dessen, der seinen Willen nun nicht mehr auszudrücken vermag? Immerhin bedeutet dieses Unvermögen nicht, dass kein Wille, der von der einstigen Verfügung abweichen kann, mehr bestünde. Die Frage ist unbeantwortbar. Aus diesem Grund muss, wer sich assistiert suizidieren will, dies in die Wege leiten, bevor ihm das widerfährt, was er fürchtet.

Zweitens geht es in den Bändchen um begriffliche Klärungen. Dabei ist auch Historisches zu berücksichtigen, etwa das Problem, dass „Euthanasie“ ein in der BRD seit dem Missbrauch des Wortes während der NS-Zeit schon als Begriff „diskreditiert“ ist. Vor allem aber geht es hier darum, dass das Problem bei der „aktiven Sterbehilfe“ besteht, nicht beim „Behandlungsabbruch“ und dergleichen. Dieser ist fast alltäglich geworden, seit die Möglichkeiten der Medizin es zulassen, den Sterbeprozess so hinauszuzögern, dass von einem Leben ebensowenig wie von einem Tod die Rede sein könnte. Ebenso ist hier „Suizidassistenz“ von „Töten auf Verlangen“ zu unterscheiden – auch wenn der Unterschied marginal erscheint, ob ein Arzt nur die letale Infusion vorbereitet oder das von ihm Ermöglichte dann auch von ihm (oder einem Dritten) realisiert wird.

Drittens werden Beweggründe für den Sterbewunsch diskutiert. Muss etwa „ein terminales Stadium erreicht“ sein, ein Tod, der in jedem Falle binnen sechs Monaten eintritt? Und welche Motivlagen sind akzeptabel? Kann ein Motiv, das sich auch als Folge einer unterfinanzierten Medizin und Palliativmedizin verstehen lässt, anerkannt werden? Können aber Motive überhaupt Gegenstand der Diskussion sein können, wenn der Todeswunsch an sich legitim sein kann? Ist es dann noch zu rechtfertigen, dass sich die Ärzteschaft dem Wunsch verweigert? „Für die deutsche Ärzteschaft ist Tötung von Patienten […] tabu“, so der deutsche Ärztekammerpräsident – eine Ansicht, die zwar bei weitem nicht alle Ärzte teilen, in Westeuropa 2017 aber doch zwischen 70 und 53%. Sollte man Mediziner aber dazu zwingen können, wovon fraglich ist, ob es zulässig ist? Und am Rande besteht auch noch die Frage: Was genau wäre im Gegensatz zur Tötung „ein natürlicher Tod“?

Man kann die auf knapp über 100 Seiten kompakt vorlegte Argumentation der Verfasserin hier kaum im Detail würdigen. Diskutiert wird jedenfalls, was sonst oft als Implikat der Auseinandersetzungen mit den Fragen problematisch bleibt, etwa Urteile, die durch „Kirchenautorität und -beziehungen“ gefällt werden, ungeachtet der Konfession der Betroffenen. Erwähnt wird in diesem Zusammenhang die „stark katholisch geprägte Stiftung Patientenschutz“, durchdekliniert werden eher säkulare Definitionen des Glücks oder auch der Würde. Durch den Bezug auf konkrete Fälle bleibt das Buch dabei in der Nähe derer, um die es in letzter Konsequenz gehen müsse, wie der Duktus nahelegt. Deren „Freiverantwortlichkeit“ steht im Zentrum: Sie müsse garantiert sein und dürfe, auch wenn sie sich vielleicht zuweilen schwer rechtfertigen lässt, nicht grundsätzlich folgenlos bleiben. Sie verlangt „Urteilsfähigkeit“, „Informiertheit“, „Freiheit“ sowie „Stabilität“, ist also an Begriffe gebunden, die ohne Frage stets neue Aporien zeitigen. Und da ist noch gar nicht berücksichtigt, dass eine Gesellschaft, deren Praktiken „Nutzungsdruck“ nahelegen, vielleicht zu wenig von Freiheit weiß. Wann, so greift die Verfasserin die Diskussion der Motive nochmals auf, ist ein Urteil intersubjektiv so gut getroffen, dass die vorausgesetzte Urteilsfähigkeit der Person, die sterben will, sich bestätigt? Wann ist zumindest „eine moderate intersubjektive Metabewertung“ ratsam angesichts von Wünschen, die „dogmatisch oder gänzlich frivol erscheinen“? Und in welchem Umfang, mit welchen Folgen?

Vielleicht ist die ganz große Qualität des Buchs, dass es Unsicherheiten bei der Beantwortung solcher Fragen nie unterschlägt, aber eine Parteinahme bleibt. Der Entschluss steht fest, dass auch angesichts schwieriger Fragen diese nicht der Bequemlichkeit derer dienen dürfen, die zuletzt nicht helfen. Denn das wäre „nicht nur ethisch falsch, sondern geradezu skandalös“. Moral fungierte so als Deckmantel von Unmoral. Dagegen riskiert die Verfasserin, zuweilen nachgerade Unerhörtes zu sagen. Das verdient Gehör.

Titelbild

Bettina Schöne-Seifert: Beim Sterben helfen – dürfen wir das?
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2020.
123 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783476056535

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