Theresas Schicksal

Dominik Barta erzählt in „Vom Land“ von traurigen Begebenheiten

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dominik Barta, selbst aus Oberösterreich stammend, war bislang vornehmlich als Essayist bekannt, und erzählt eine düstere, schmerzhafte Heimatgeschichte, mit durchaus farbig kolorierten Persönlichkeiten, aber auch holzschnittartig porträtierten Dörflern. 

Die Bäuerin Theresa scheint eine lebenstüchtige Frau gewesen zu sein, ehe sie erkrankt. Sie kümmerte sich um den Hof und die Kinder, sorgte für ihren durchaus gutwilligen, schlichten und spröden Gatten Erwin Weichselbaum. Theresa war ein sehr schönes Mädchen: „Das sagen alle, die sie früher gekannt haben. … Es mangelte sicher nicht an Burschen, die sich für sie interessierten.“ Erwin gefällt besonders Theresas Vater, „ein guter Mann, weil zu ihm etliche Joch Grund gehörten, hektarweit Wald und überdies ein großer, schöner Obstgarten“. Der Vater ist also sehr angetan: „Theresa hatte still neben den beiden Herren zu sitzen und sie zu bedienen.“ Zeitlebens scheinen die Verhältnisse geklärt zu sein, bis die Krankheit ausbricht, die zunächst als virale Infektion gedeutet wird. Was sollte es sonst sein? „Theresa rang nach Luft. Es ging nicht mehr. Sie richtete sich auf und zog das Tuch vom Kopf. Die Stirn glänzte. … Theresa überquerte den matschigen Rasen.“

So geht es eine Weile, aber für Theresa geht nichts mehr – und sie „gab sich der Erschöpfung hin“. Der Hausarzt ist ratlos. Sie erbricht sich oft. An einem Magen-Darm-Virus könnte sie leiden. Homöopathische Mittel werden verordnet. Sie zeigt keine Gefühlsregungen, spricht nicht mehr. Die Tochter ist ratlos, aber mit sich selbst beschäftigt. Theresa hat keine Kraft mehr: „Theresa wurde von Ängsten überfallen. Sie spürte ein metastasierendes Gefühl in ihrem Bauch. Auf ihrer Brust lastete mit einem Mal ein Druck, und ein Stechen erschwerte ihr das Atmen. Grauenvolle Phantasien ließen sie die Innerlichkeit ihres Körpers imaginieren. Dabei erschien ihr nichts in seiner gesunden oder rosigen Gestalt. Ein grauer Film lebte sich über den Magen und den Darm. Sie begann zu schwitzen und strampelte sich aus der Decke.“ Das Leben geht weiter, irgendwie. Theresa ist erkrankt, inmitten einer stumpfen Gesellschaft, umgeben von Ressentiments, bornierten Gestalten und einer Familie, die ratlos, überfordert und auch desinteressiert zu sein scheint. Barta erzählt verschachtelt davon, zuweilen verliert der Leser auch in den Erzählsträngen ein wenig die Orientierung.

Theresas Leidensgeschichte spiegelt das Milieu, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht, Kinder geboren und aufgezogen, sich um den Hof gekümmert und ihren zeitweilig bemühten, aber stumpfen Ehemann ausgehalten und ertragen hat. So wie Erwin porträtiert wird, mag dieser im Vergleich zu den anderen Gestalten in der alles andere als idyllischen Welt von Pielitz in Oberösterreich nahezu erträglich gewesen sein. Er hatte aber seine Frau nie im Blick, nie wirklich gesehen und wahrgenommen. Sie führten eine Ehe, deren Leere und Tristesse er nicht bemerkte.

Ihr Weg war vorgezeichnet: „Theresa durfte keine höhere Schule besuchen. Das war ausgeschlossen. Mit fünfzehn steckte sie der Vater in Eferding in die Gerberei. Theresa sollte so lange lernen, bis sie jemand heiratete. Darüber wurde nicht verhandelt.“ Barta schildert eine enge, strenge Welt, in der ein empfindsamer Mensch nur vereinsamen und verzweifeln kann. Ehepaare leben miteinander, ohne Zuneigung, ohne Zärtlichkeit, ohne Freundlichkeit und Güte. Die Paare arrangieren sich: „Nur am Sonntag sah man sie nebeneinander.“ In der Kirche wartet dann ein hilfloser Dorfpfarrer. Der Geistliche wird in der Gegenwart entweder als seltsame Person, als homosexuell oder als Freund der Migranten bezeichnet, die anders misstrauisch beäugt werden als unverheiratete Männer. Barta entwickelt Geschichten dazu, nur der Leser weiß nicht genau – warum eigentlich. Ob „die Araber“, wie die meisten Dörfler die Migranten – so summarisch wie abschätzig – nennen, als Figuren in diesen Roman wirklich hätten integriert werden müssen? Wenn der Autor nicht bei Theresa und ihrem Lebensweg bleibt, den er sorgfältig und feinfühlig, auch berührend schildert, verliert er sich. Lesend begegnen wir vielen Personen, doch dadurch wird die Erzählung zeitweilig undurchsichtig.

Barta schildert Momente im Alltag, etwa den Sonntagsgottesdienst: „In der Kirche achtete niemand auf den lieben Gott. Einzig die Gläubigen wurden eindringlich gemustert. Wer hatte einen neuen Haarschnitt? Wer eine neue Jacke? Wie seltsam roch der alte Hanslbauer! Wie lächerlich war der Lidschatten jener Maier-Tochter! Der alte Kluger war wieder nicht in der Kirche. Unser Vater ließ sich die Hostie auf die Zunge legen, was bei uns für Erheiterung sorgte.“ Holzschnittartig wirkt diese Darstellung trotzdem, denn der Autor schreibt undifferenziert. Er vergisst nicht, dass natürlich auch neugierige Augen durch das Kirchenschiff schweifen. Er versäumt aber zu schreiben, dass sicherlich da und dort – eine nicht auszuschließende Möglichkeit – einige Gottesdienstbesucher nicht einer Sonntagspflicht oder der dörflichen Sozialkontrolle genügen, sondern auf Gott hoffen. Dafür fehlt Dominik Barta der Blick, so sorgfältig er die rustikale Sprache in der Dorfkneipe, den galligen Spott und auch das rüde Benehmen der Oberösterreicher schildert.

Theresa und Erwin sprechen nach einer Weile wieder miteinander, aber nicht über die Krankheit. Der Arzt sagt, sie sei wirklich eine „kerngesunde Frau“. Erwin meint zu ihr, mitfühlend, besorgt und hilflos: „Ich bin kein Dummkopf. … Es ist dir in der Seele nicht gut gegangen.“ Theresa weicht dem Gespräch nicht aus. Erwin vermutet, sie sei depressiv, psychisch krank, weil sie gesteht, dass sie es in Pielitz nicht mehr aushalten würde. Der Ehemann referiert, was er weiß, über Depression und Burnout. So viel er weiß, so unbeholfen und ratlos ist er, wenn er meint, das Leiden der Frau an seiner Seite erklären zu können. So spricht er von möglichen Therapien. Theresa antwortet mit leiser und fester Stimme: „Ich habe keine psychische Krankheit. Ich habe ein viel schlimmeres Problem. Ich liebe dich nicht. Wir haben uns nie geliebt. Damit kann ich mich nicht mehr abfinden.“ Theresa war schön, heiratete, so wie es von ihrem Vater vorgesehen und verfügt war. Sie wurde Bäuerin, arbeitete ausdauernd, erkennt ihre Traurigkeit, und am Ende bringt sie sich um.

Dominik Barta zeigt facettenreich Land und Leute, verdeutlicht – manchmal ein wenig zu drastisch und eindringlich – warum ein Mensch, der sich nicht dem ruppigen Alltag dieser Gesellschaft fügen möchte, nur unglücklich dahinleben kann. Theresa konnte sich nicht wehren. In ihrem Lebensplan war die souveräne Trennung von einem unverständigen Mann nicht vorgesehen. Warum aber, und diese Frage bleibt, verlässt sie nicht die Welt, in der sie ihr ganzes Leben zugebracht hat? Dominik Barta erzählt von einer unglücklichen Frau, die in den Tod geht, oft zurückgenommen. Sensibel porträtiert er Theresa Weichselbaum, auch ihren Ehemann Erich. Diese Beziehung wird anschaulich dargestellt. Aber viel zu viele Erzählstränge, etwa über Dörfler und Flüchtlinge, verbreitern einen kurzen Roman, der noch sehr viel kürzer hätte sein können, doch sehr.  

Titelbild

Dominik Barta: Vom Land. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783552059870

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