Die Welt am Scheideweg – wertvolles Sachbuch oder Ökokrimi?

Germanwatch präsentiert mit „Die Welt am Scheideweg“ von Christoph Bals, Horst Hamm, Ilona Jerger und Klaus Milke eine Einführung in grundlegende Probleme des anthropogenen Klimawandels

Von Tobias TemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Temming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Entscheiden die nächsten Monate über die Zukunft unseres Planeten? Im Dezember dieses Jahres treffen sich in Kopenhagen internationale Vertreter aus allen Ländern der Erde, um ein Kyoto-Folgeabkommen, ein neues Regelwerk zum Klimaschutz, aus der Taufe zu heben. Ziel von Umweltlobbyisten und allen Vertretern der Politik, denen das Weltklima mehr am Herzen liegt als pures politisches Kalkül, ist die Verabschiedung eines neuen, völkerrechtlich bindenden Abkommens, um die Folgen des nicht mehr aufhaltbaren Klimawandels in beherrschbaren Grenzen zu halten.

Je näher Kopenhagen rückt, desto größer wird das öffentliche Interesse an der klimapolitischen Auseinandersetzung. Damit erhält auch das von Germanwatch bereits vor einem Jahr herausgegebene Buch über den Zustand des globalen Klimasystems neue Aufmerksamkeit. „Welt am Scheideweg“ lautet der keineswegs populistische Titel, den die Herausgeber Christoph Bals, Horst Hamm, Ilona Jerger und Klaus Milke gewählt haben. Eindringlich beschreiben die Autoren die Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels, der bereits jetzt in vielen Gebieten irreversible Ausmaße erreicht hat. Schon in den nächsten Dekaden wird er Millionen von Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Wie werden die kommenden tiefgreifenden sozialen und ökologischen Umbrüche aussehen, die in den folgenden Jahrzehnten erwartet werden? Welche Möglichkeiten der Anpassung gibt es bezüglich der nicht mehr aufhaltbaren Veränderungen? Wie kann der künftige Bedarf von rund neun Milliarden Menschen nach Nahrung, Energie und Infrastruktur auf einer auf einer nicht mehr erweiterbaren Nutzfläche gedeckt werden?

Wer noch immer meint, die Klimadebatte ginge ihn nichts an oder wäre Produkt einer Medienhysterie im Sommerloch, ist mit diesem Buch zur Aufklärung gut beraten. Spätestens nach der Vorlage des 4. UN-Klimaberichts kann die Beweisaufnahme des ökologischen Sündenfalls „Mensch“ als abgeschlossen gelten. Scheitert Kopenhagen und überschreiten wir jenen „tipping point“, den Wissenschaftler auf der ganzen Welt bei einer Zunahme der weltweiten Durchschnittstemperatur von +2 Grad Celsius verorten, sieht es düster aus. Der „tipping point“ bezeichnet den Punkt ohne Wiederkehr jenen Moment, in dem das globale Klima irreparabel aus dem Gleichgewicht gerät. Gut verständlich vermitteln die Autoren, warum der Weltgemeinschaft ernste Konsequenzen drohen, falls die Erwärmung der Atmosphäre nicht vor diesem Punkt gestoppt wird: Der großflächigen Auslöschung von Lebensräumen, dem fatalen Anstieg des Meeresspiegels, der weiteren Vernichtung tausender Arten und der rapiden Zunahme katastrophaler Wetterphänomene könnte kaum noch wirksam begegnet werden. Das Wort „Klimaflüchtlinge“ erhielte so die besten Chancen, zum „Unwort“ des nächsten Jahrhunderts gekürt zu werden.

Der Vorwurf des Unkenrufs, mit der solcherlei warnende Sachliteratur noch bis vor kurzem ritualistisch konfrontiert wurde, könnte hier verfehlter nicht sein. Der Ton wissenschaftlicher Kühle und Distanziertheit bestimmt den Text, ohne die notwenige sprachliche Hingabe vermissen zu lassen, die die Dringlichkeit des Themas verlangt. Neben neuesten aufrüttelnden Ergebnissen der Klimaforschung liefert Germanwatch Einblicke in den Verhandlungspoker internationaler Klimakonferenzen von Rio bis Bali – Erdpolitik zum Anfassen. Das Dogma für das Verhandlungsziel lautet: Das Unbeherrschbare vermeiden und das Unvermeidbare beherrschen. Eine große Aufgabe, die in Kopenhagen zwischen der Angst der Schwellenländer, klimapolitische Verpflichtungen könnten ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung einschränken, und dem Egoismus westlicher Staaten, keine finanzielle Verantwortung übernehmen zu wollen, zerrieben zu werden droht.

Eine Alternative zu einer radikalen Reduzierung von Treibhausgasen in unserer Atmosphäre und einem energiepolitischen Umdenken weltweit gibt es nicht, wenn wir eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen ermöglichen wollen. Die Wege dorthin sind jedoch vielfältig. „Die Welt am Scheideweg“ skizziert hier nicht nur ein breites Angebot gangbarer politischer Lösungen für das politische Parkett, sondern gibt auch wertvolle Hinweise für ein Umdenken im privaten Raum.

„Die Welt am Scheideweg“ ist ein Öko-Krimi erster Güte: Ein populärwissenschaftliches Buch und eines der herausragensten Sachbücher des letzten Jahres zugleich. Zwar sind ein paar Informationen zum Stand der Klimaverhandlungen bereits überholt, doch liegt der große Wert des vorliegenden Buches in der Darstellung der Zusammenhänge des ‚Ökosystems Erde‘ für den Laien. Dessen Komplexität und Verwundbarkeit werden jedem Leser verständlich vor Augen geführt und an schockierenden Fakten belegt. Dabei geht es den Autoren in erster Linie nicht nur um eine ökonomische und politische Wende hin zu einem nachhaltigen globalen Wohlstandsmodell. Es geht zu allererst um eine notwendige ‚mentale Wende‘ in den Köpfen der Menschen, die von der Alternativlosigkeit eines Umdenkens überzeugt sein müssen. Hierzu liefert dieses Buch einen wertvollen Beitrag.

Titelbild

Horst Hamm / Klaus Milke / Christoph Bals / Ilona Jerger (Hg.): Die Welt am Scheideweg. Wie retten wir das Klima?
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.
317 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783498006532

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch