Zweierlei Kriegsbemalung

Paul Cassirers Kunstzeitschriften „Kriegszeit“ und „Der Bildermann“ – Vorbemerkung

Von Michael StarkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Stark

In seinem 1898 gegründeten Verlag hat Paul Cassirer, einer der bedeutenden Verleger und Galeristen der ‚Klassischen Moderne‘, u.a. zwei Zeitschriften veröffentlicht, die vor allem bildkünstlerische Reaktionen auf den Ersten Weltkrieg dokumentieren: zum einen die gut verkäufliche Lithographie-Serie Kriegszeit. Künstlerflugblätter (Nr. 1 vom 31. August 1914 bis Nr. 65 Ende März 1916), eine Hurra-patriotische Publikation mit entsprechenden Literaturzitaten, zum anderen die gemäßigt friedensbewegte, ebenso durch literarische Texte begleitete Folgezeitschrift mit Steinzeichnungen, betitelt Der Bildermann, deren 18 Hefte vom 5. April bis 20. Dezember 1916 erschienen, bevor sie wegen massiver Absatzprobleme eingestellt wurde. Abgesehen vom antiquarischen Verkehrswert, der ihnen wegen der teils namhaften Beiträger heutzutage beigemessen wird, scheinen beide Periodika als zeithistorische Dokumente besonders interessant. In ihrer Abfolge spiegelt sich nicht nur die Abkehr von vorbehaltloser Kriegsbegeisterung und chauvinistischer Hetze als schrittweiser Vorgang wider, sondern auch deren vom zunehmend skeptisch beurteilten Verlauf des Krieges und von der Entwicklung des propagandistischen Medienmarkts bestimmten Motive.

Schon Ende September 1914 begann die Westfront auf ganzer Länge zum Stellungskrieg zu erstarren und die vielfach gehegte Hoffnung auf einen raschen Sieg sich zu zerstreuen. Nach und nach trat auch der künstlerische und fiktionale ‚Kriegsdienst‘ durch Wort und Bild in Konkurrenz mit amtlicher Kriegsberichterstattung und denjenigen Medien, die Kriegserfahrungen und Schlachtgeschehen authentischer wiederzugeben versprachen. So verloren trivialste wie exklusivere Formen der zunächst populären Kriegslyrik bald an Interesse. Noch vor Foto und Film wurde zumal der Feldpostbrief als Dokument der Augenzeugenschaft bevorzugtes Massenmedium. Zugleich schien die Ideologie des Krieges als regenerierendes und der Kunst und Kultur förderliches Bildungserlebnis immer fragwürdiger. Neben dem sich erst allmählich vollziehenden Themenwechsel im bildkünstlerischen Programm, das nach heroisierender Apotheose und beschönigender Normalisierung auch die ‚Schattenseiten‘ und die (deutschen) Opfer des Krieges einbezieht, sind die Redaktions-Beiträge der Kriegszeit besonders aufschlussreich dafür, wie schwer der Abschied von der Illusion fiel, der Kunst und Literatur die Funktion von Leitmedien zurückzugewinnen, indem man sie kriegsaffirmativ einsetzt.

Die Kriegszeit. Künstlerflugblätter (1914-1916) ist im Internet unter http: //digi.ub.uni-heidelberg.de/digit/feldztgkrzeit1914bis1916  einzusehen. Der Bildermann. Steinzeichnungen fürs deutsche Volk, 1916, wurde fotomechanisch faksimiliert (Nendeln Liechtenstein: Kraus Reprint 1979). Bibliographisch detailliert erfasst sind die Einzelhefte der beiden Veröffentlichungen in: Rahel E. Feilchenfeldt / Markus Brandis: Paul Cassirer Verlag Berlin 1898-1933. Eine kommentierte Bibliographie. München: K.G. Saur Verlag 2002, 2. Aufl. 2005.

Paul Cassirer (1871 – 1926) hatte sich 43jährig als Kriegsfreiwilliger gemeldet und war als Autooffizier an der Westfront eingesetzt. Nach Lazarettaufenthalten wurde er 1916 „kriegsuntauglich“ gestellt und wegen seines pazifistischen Engagements kurzfristig interniert, bevor er sich mit der Hilfe von Harry Graf Kessler (1868 – 1937), der über die deutsche Botschaft in Bern für die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes tätig war, in die Schweiz absetzen konnte. Zu Person und Bedeutung Cassirers vgl. bes.: Christian Kennert: Paul Cassirer und sein Kreis. Ein Berliner Wegbereiter der Moderne. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 1996 (= Gesellschaften und Staaten im Epochenwandel, Band 4) und Rahel E. Feilchenfeldt / Thomas Raff (Hg.): Ein Fest der Künste. Paul Cassirer: Der Kunsthändler als Verleger. München: C.H. Beck 2006. Bis zur wohl nicht nur ideologisch begründeten Einstellung der Zeitschrift Ende März 1916 war Alfred Gold (1874 – 1958), ein österreichischer Theaterkritiker, Feuilletonist, später Kunsthistoriker, Kunsthändler und -sammler, verantwortlicher Redakteur der Kriegszeit. Redakteur des Bildermann wurde Leo Kestenberg (1882 – 1962), ein erklärter Pazifist, der später als Pianist, Musikpädagoge und Kulturpolitiker bekannt geworden ist.