Gefangenschaft des Paulus in Cäsarea

Gefangenschaft des Paulus in Cäsarea

(Apg XXIII 12.13) Am nächsten Morgen verschworen sich mehr als vierzig Juden, weder zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus getötet hätten. (14) Sie teilten dies den Hohenpriestern und Ältesten mit (15) und baten sie, beim Tribunen zu erwirken, daß er Paulus noch einmal hinabführen ließe, damit der Hohe Rat seine Sache genauer untersuchen könnte; auf dem Wege zu ihnen wollten sie ihn dann umbringen. (16) Von diesem Anschlag erfuhr aber der Schwestersohn des Paulus; sofort ging er in die Burg und erzählte es Paulus. (17) Da bat dieser einen der Centurionen: „Führ den jungen Mann zum Tribunen! er hat ihm etwas zu melden.“ (18) Der tat es. (19) Der Tribun nahm ihn beiseite und fragte: „Was hast du mir zu melden?“ (20.21) Da erzählte er ihm den ganzen Anschlag. (22) Der Tribun schärfte ihm ein, niemand etwas davon zu sagen, (23) ließ zwei Centurionen kommen und befahl ihnen: „Haltet von der dritten Stunde der Nacht an zweihundert Fußsoldaten, siebzig Reiter und zweihundert Schleuderer zum Marsch nach Cäsarea bereit!“ (24) Auch Reittiere sollten sie bereitstellen, um Paulus darauf zu setzen und ihn sicher zum Prokurator Felix zu bringen (25) mit einem Brief folgenden Inhalts: (26) „Klaudius Lysias entbietet dem hochzuverehrenden Prokurator Felix seinen Gruß. (27) Diesen Mann hatten die Juden ergriffen und wollten ihn töten. Da griff ich mit der Truppe ein und entriß ihn ihren Händen, weil ich hörte daß er ein Römer sei. (28) Um zu erfahren was sie ihm zur Last legten, ließ ich ihn vor ihren Hohen Rat führen, (29) fand aber daß er nur wegen Streitfragen über ihr Gesetz angeklagt wurde, doch keines Verbrechens auf das Tod oder Gefängnis steht. (30) Als mir dann gemeldet wurde daß ein Anschlag gegen ihn geplant sei, hab ich ihn sofort zu dir geschickt und seine Ankläger aufgefordert, ihn vor dir zu verklagen.“ (31) Die Soldaten führten Paulus befehlsgemäß während der Nacht nach Antipatris. (32) Am folgenden Tage ließen sie die Reiter mit ihm weiterziehn, während sie selbst in die Burg zurückkehrten. (33) Nach ihrer Ankunft in Cäsarea übergaben jene Paulus samt dem Brief dem Prokurator. (34) Als der den Brief gelesen, fragte er, aus welcher Provinz er sei; und als er erfuhr: aus Cilicien, (35) sagte er: „Ich will dich verhören, wenn deine Ankläger kommen.“ Einstweilen aber ließ er ihn im Palast des Herodes verwahren.

(XXIV 1) Fünf Tage später erschien der Hohepriester Ananias mit einigen Ältesten und dem Anwalt Tertullus, um Paulus vor dem Prokurator zu verklagen. (2) Nachdem Paulus geholt war, begann Tertullus seine Anklagerede: „Daß wir durch dich in tiefem Frieden leben und daß unser Volk deiner Fürsorge viele Verbesserungen verdankt, (3) das erkennen wir, hochzuverehrender Felix, stets und überall mit großer Dankbarkeit an.[1] (4) Um dich aber nicht unnötig aufzuhalten, bitte ich dich für einen Augenblick um geneigtes Gehör. (5) Wir haben diesen Mann als Schädling und Aufruhrstifter unter allen Juden in der ganzen Welt und als Führer der Nazoräersekte[2] kennen gelernt (6) und ihn festgenommen, als er versuchte den Tempel zu entweihen. (8) Wenn du ihn verhörst, kannst du selbst Näheres über all dies erfahren.“ (9) Dieser Anklage schlossen sich die andern Juden an und bestätigten daß es sich so verhielte. (10) Auf einen Wink des Prokurators ergriff dann Paulus das Wort und sagte: „Da ich weiß daß du seit vielen Jahren Richter bist über unser Volk, so führe ich meine Verteidigung mit Zuversicht. (11) Wie du feststellen kannst, bin ich erst vor zwölf Tagen nach Jerusalem gekommen, und zwar um anzubeten. (12) Weder im Tempel noch in den Synagogen noch in der Stadt haben sie mich als Redner oder Aufruhrstifter getroffen (13) und können keinen Beweis vorbringen für die Anklagen die sie jetzt gegen mich erheben. (14) Ich gebe zu daß ich nach der Lehre die sie eine Sekte nennen dem Gott unsrer Väter diene; doch glaube ich an alles, was i Gesetz und in den Profeten geschrieben steht (15) und habe dieselbe Hoffnung zu Gott die auch diese hegen, nämlich daß es eine Auferstehung der Gerechten und Ungerechten geben wird. (16) Deshalb bemühe ich mich auch, stets ein reines Gewissen vor Gott und den Menschen zu haben. (17) Nach mehrjähriger Abwesenheit bin ich wieder hierher gekommen, um Liebesgaben für mein Volk zu bringen und zu opfern. (18) Als ich mich dabei im Tempel einer Weihe unterzogen hatte ohne Auflauf und Getümmel, sahen mich (19) einige Juden aus Asien. Die sollten hier vor dir erscheinen und mich verklagen, wenn sie etwas gegen mich haben. (20) Oder es mögen diese hier sagen, welches Unrecht sie an mir gefunden, als ich vor dem Hohen Rat stand, (21) wenn es nicht dies eine Wort war das ich in ihre Versammlung rief: Wegen der Totenauferstehung steh ich heute bei euch vor Gericht.“ (22) Felix, der schon genauere Kenntnis von der Lehre hatte, vertagte nun die Sache und sagte: „Wenn der Tribun Lysias kommt, will ich eure Sache entscheiden.“ (23) Zugleich befahl er dem Centurio, Paulus in Gewahrsam zu halten, aber in milder Haft und ohne einen seiner Freunde zu hindern ihm zu dienen.

(24) Einige Tage danach kam Felix mit seiner Frau Drusilla, einer Jüdin,[3] und ließ Paulus holen, um von ihm Näheres über den Glauben an Christus Jesus zu hören. (25) Als Paulus aber auf Gerechtigkeit Keuschheit und künftiges Gericht zu sprechen kam, erschrak Felix und sagte: „Für diesmal geh! zu gegebener Zeit will ich dich wieder rufen lassen.“ (26) Zugleich hoffte er von Paulus Geld zu erhalten; deshalb ließ er ihn öfter zu sich kommen und unterhielt sich mit ihm. (27) Als Felix Nach dann nach zwei Jahren einen Nachfolger in Porcius Festus[4] erhielt, ließ er, um sich die Juden zu Dank zu verpflichten, Paulus gefangen zurück.

(XXV 1) Drei Tage nachdem er seine Provinz betreten, begab sich Festus von Cäsarea nach Jerusalem. (2) Alsbald erschienen vor ihm die Hohenpriester und vornehmsten Juden, um Paulus zu verklagen. Zugleich baten sie ihn (3) um die Vergünstigung, daß er ihn nach Jerusalem kommen ließe; sie wollten ihn nämlich unterwegs überfallen und umbringen. (4) Festus erwiderte, Paulus befinde sich in Cäsarea und er selbst werde bald wieder abreisen. (5) „Eure Bevollmächtigten mögen dann mitkommen und den Mann verklagen, wenn er etwas Ungehöriges begangen hat!“ (6) Nachdem er nicht mehr als acht bis zehn Tage bei ihnen verweilt hatte, kehrte er nach Cäsarea zurück.

Gleich am nächsten Tage setzte er sich auf den Richterstuhl und ließ Paulus vorführen. (7) Sofort umringten diesen die aus Jerusalem gekommenen Juden und brachten viele schwere Anklagen gegen ihn vor, die sie aber nicht beweisen konnten, (8) während Paulus erklärte, er habe sich weder gegen das jüdische Gesetz noch gegen den Tempel noch gegen den Kaiser vergangen. (9) Da Festus sich aber die Juden zu Dank verpflichten wollte, so fragte er Paulus: „Möchtest du dich wohl in Jerusalem vor mir richten lassen?“ (10) Doch Paulus lehnte ab: „Ich steh vor des Kaisers Richterstuhl; da muß ich gerichtet werden. Den Juden hab ich kein Unrecht getan, wie auch du sehr wohl weißt. (11) Wenn ich im Unrecht bin und etwas Todeswürdiges begangen habe, so weigere ich mich nicht zu sterben. Ist aber nichts Wahres an den Anklagen die diese gegen mich erheben, so kann mich niemand ihnen preisgeben. Ich appelliere an den Kaiser.“[5] (12) Da beriet sich Festus mit seinem Beirat und entschied: „An den Kaiser hast du appelliert, vor den Kaiser sollst du kommen.“

(13) Einige Tage später trafen König Agrippa und Bernice[6] in Cäsarea ein, um Festus zu begrüßen. (14) Als sie sich einige Zeit dort aufgehalten hatten, trug Festus dem Könige die Sache des Paulus vor. (22) Agrippa antwortete: „Ich würde den Mann gern selber hören.“ „Gleich morgen“, sagte Festus, „sollst du ihn hören.“ (23) Am nächsten Tage erschienen Agrippa und Bernice mit großem Gepränge und begaben sich mit den Tribunen und den vornehmsten Männern der Stadt in den Gerichtssaal. Festus ließ Paulus vorführen (24) und sprach: „König Agrippa und alle die ihr hier anwesend seid, hier seht ihr den Mann, um dessentwillen mich alle Juden in Jerusalem und hier mit lautem Geschrei bestürmten, ihn nicht länger leben zu lassen. (25) Da ich aber merkte, daß er nichts Todeswürdiges begangen hatte, so entschied ich, als er selbst an den Kaiser appellierte, ihn dorthin zu schicken. (26) Doch weil ich unserm Herrn nichts Genaues über ihn zu berichten weiß, so habe ich ihn euch, vor allem dir, König Agrippa, vorgeführt, um durch ein Verhör zu erfahren was ich schreiben soll. (27) Denn es scheint mir sinnlos, einen Gefangenen zu schicken, ohne anzugeben was gegen ihn vorliegt.“ (XXVI 1) Da sagte Agrippa zu Paulus: „Du darfst für dich sprechen.“ Nun streckte Paulus seine Hand aus und sprach: (2) „Ich schätze mich glücklich, König Agrippa, daß ich mich heute gegen alle Anklagen der Juden vor dir verteidigen darf; (3) bist du doch ein guter Kenner der jüdischen Bräuche und Streitfragen. Darum bitte ich dich, mich geduldige anzuhören. (4) Wie mein Leben von meiner Jugend an unter meinem Volke und in Jerusalem verlaufen ist, wissen alle Juden (5) die mich von früher her kennen. Sie könnten bezeugen, wenn sie wollten, daß ich nach der strengsten Richtung unsrer Religion gelebt habe, nämlich als Farisäer. (6) Und jetzt steh ich vor Gericht wegen der Verheißung die Gott unsern Vätern gegeben hat (7) und deren Erfüllung unser Zwölfstämmevolk zu erlangen hofft durch unablässigen Gottesdienst Tag und Nacht. Wegen dieser Hoffnung, König, werde ich von den Juden verklagt. (8) Gilt das denn bei euch für unglaublich, wenn Gott Tote auferweckt? (9) Freilich glaubte ich selbst einst, den Namen des Nazoräers Jesus mit aller Kraft bekämpfen zu müssen, (10) und tat das in Jerusalem, ließ, von den Hohenpriestern bevollmächtigt, viele Heilige ins Gefängnis werfen und stimmte für ihre Hinrichtung, (11) zwang sie in den Synagogen oftmals durch Strafen zur Lästerung und verfolgte sie in meiner maßlosen Wut sogar bis in die Städte außerhalb des jüdischen Landes. (12) Als ich aber eines Tages mit Vollmacht der Hohenpriester nach Damaskus zog, (13) sah ich am Mittag auf dem Wege dahin, König, ein Licht heller als die Sonne vom Himmel her mich und meine Gefährten umstrahlen (14) und vernahm – wir waren alle zu Boden gefallen – eine Stimme, die mir auf hebräisch sagte: ‚Saul Saul, was verfolgst Du mich? es wird dir schwer fallen, gegen den Stachel auszuschlagen[7].‘ (15) Ich fragte: ‚Wer bist du, Herr?‘ Der Herr antwortete: ‚Ich bin Jesus, den du verfolgst. (16) Aber steh auf! denn ich bin dir erschienen, um dich zum Diener und Zeugen dessen zu machen was du von mir gesehen hast und noch sehen wirst. (17) Ich werde dich schützen gegen dies Volk und die Heiden, zu denen ich dich sende; (18) du sollst ihnen die Augen öffnen, damit sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott und so Vergebung ihrer Sünden erlangen und ihren Anteil unter den durch den Glauben an mich Geheiligten.‘ (19) Ich war nun, König Agrippa, gegen die himmlische Erscheinung nicht ungehorsam, (20) sondern forderte zuerst die Bewohner von Damaskus und Jerusalem und dann das ganze jüdische Land und die Heiden auf, Buße zu tun und sich zu Gott zu bekehren mit Werken die wahrer Buße entsprechen. (21) Deshalb ergriffen mich die Juden im Tempel und wollten mich umbringen. (22) Aber mit Gottes Hilfe, die mir bis heute zuteil wurde, steh ich hier und lege Zeugnis ab vor jedermann, ganz entsprechend dem was die Profeten und Mose geweissagt haben, (23) daß nämlich der Messias leiden müsse und als erster der von den Toten Auferstehenden seinem Volke und den Heiden Licht verkünden werde.“ (24) Als Paulus sich so verteidigte, rief Festus laut: „Du bist von Sinnen, Paulus; das viele Studieren hat dir den Kopf verdreht.“ (25) Doch Paulus erwiderte: „Ich bin nicht von Sinnen, hochzuverehrender Festus, sondern rede wahre und vernünftige Worte. (26) Der König, zu dem ich mit aller Offenheit spreche, weiß von diesen Dingen; ich kann mir nicht denken daß ihm etwas davon verborgen geblieben ist, es ist ja nicht im Winkel geschehen. (27) Glaubst du, König Agrippa, den Profeten? Ich weiß, du glaubst ihnen.“ (28) Agrippa antwortete: „Es fehlt nicht viel, so machst du mich noch zum Christen!“ (29) Da sagte Paulus: „Wollte Gott daß über kurz oder lang nicht nur du sondern alle, die mich heute hören, würden was ich bin, abgesehen von diesen Fesseln!“ (30) Nun erhoben sich der König, der Prokurator, Bernice und die Beisitzer, (31) zogen sich zurück und sagten zu einander: „Dieser Mann hat nichts begangen worauf Tod oder Gefängnis steht.“ (32) Agrippa aber sagte zu Festus: „Man hätte den Mann freilassen können, wenn er nicht an den Kaiser appelliert hätte.“

Erklärungen

[1] Nichts als eine der in antiken Gerichtsreden üblichen Umschmeichelungen des Richters. Ein ganz anderes Bild dieses Emporkömmlings geben Josefus Altertümer XX 7.8 und Tacitus Historien V 9 (in Kapitel „Die Juden unter Klaudius“, Fußnote 9).

[2] Nazoräer ist die aramäische Bezeichnung Jesu und seiner Anhänger. Ob die Ableitung dieses Wortes von Nazaret (so Mt II 23) richtig ist, ist ungewiß.

[3] Nach Josefus Altertümer XX7 war Drusilla die Schwester Agrippas II. und hatte Felix sie ihrem ersten Manne abspenstig gemacht.

[4] Vgl. über diesen Josefus Altertümer XX 8!

[5] D. h.: „Ich verlange, vor das kaiserliche Gericht in Rom gestellt zu werden.“ Dazu hatte er als römischer Bürger das Recht.

[6] Lateinisch: Veronika. Seiner Schwester.

[7] Sprichwörtliche Redensart. Das Bild ist genommen von dem Lasttier, das versucht sich seinem Treiber zu widersetzen. Schlägt es gegen den mit einem Stachel versehenen Stab seines Treibers aus, mit dem dieser es zu schnellerer Gangart anspornt, so verwundet es nur um so mehr sich selbst, ohne etwas zu erreichen.