Zweite Missionsreise des Paulus

Zweite Missionsreise des Paulus

(Apg XV 36) Darauf sagte Paulus zu Barnabas: „Laß uns hingehn und sehen, wie es den Brüdern geht in all den Städten, wo wir das Wort des Herrn verkündet haben!“ (37) Barnabas wollte dazu Johannes Markus mitnehmen; (38) Paulus aber wollte davon nichts wissen, weil er sie damals in Pamfylien verlassen und nicht an ihrer Arbeit teilgenommen hatte. (39) Darüber kam es zum Streit, und sie trennten sich; Barnabas fuhr mit Markus nach Cypern; (40) Paulus aber zog mit Silas als Begleiter, der Gnade des Herrn von den Brüdern befohlen, (41) durch Syrien und Cilicien und stärkte die Gemeinden.

(XVI 1) Dann kam er nach Derbe und Lystra. Hier war ein Jünger namens Timotheus, Sohn einer gläubigen Jüdin und eines Heiden, (2) der bei den Brüdern in Lystra und Ikonium in gutem Rufe stand. (3) Da Paulus ihn mitnehmen wollte, so beschnitt er ihn wegen der dort wohnenden Juden.[1]

(6) Von da zogen sie durch Frygien und Galatien, weil der heilige Geist sie hinderte, das Wort in Asien zu verkünden. (7) Als sie nach Mysien gekommen waren, versuchten sie, nach Bithynien zu gelangen, aber der Geist Jesu ließ es nicht zu. (8) So zogen sie an Mysien vorbei und hinab nach Troas. (9) Hier erschien dem Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein Macedonier stand vor ihm und forderte ihn auf: „Komm herüber nach Macedonien und hilf uns!“ (10) Als er das Gesicht gesehen hatte, suchten wir[2] sofort nach einer Gelegenheit nach Macedonien zu fahren, überzeugt daß uns Gott gerufen hätte ihnen die frohe Botschaft zu bringen.

(11) So fuhren wir von Troas geradeaus nach Samothrace und am folgenden Tage nach Neapolis[3] (12) und kamen von da nach Filippi in Macedonien, einer römischen Kolonie[4]. Hier blieben wir einige Tage. (13) Am Sabbat gingen wir zum Tor hinaus und den Fluß entlang, wo wir eine Betstätte vermuteten. Wir setzten uns und sprachen zu den Frauen die sich da eingefunden hatten. (14) Eine gottgläubige Frau namens Lydia, Purpurhändlerin aus Thyatira[5] hörte zu; und der Herr öffnete ihr das Herz. (15) Als sie sich samt ihrem Hause hatte taufen lasen, bat sie: „Wenn ihr mich als Gläubige anerkennt, so kommt in mein Haus und bleibt da!“ Und sie nötigte uns.

(16) Wenn wir zur Betstätte gingen, kam uns immer eine Magd entgegen, die einen Wahrsagegeist hatte und ihren Herren durch ihr Wahrsagen viel Gewinn brachte. (17) Sie lief dann immer hinter Paulus und uns her und rief: „diese Männer sind Diener des höchsten Gottes; sie verkünden uns den Weg des Heils.“ (18) Dies tat sie viele Tage. Schließlich wurde Paulus der Sache überdrüssig; er wandte sich um und sprach zu dem Geiste: „Ich befehle dir im Namen Jesu des Messias, von ihr auszufahren.“ Da fuhr er sofort aus. (19) Als ihre Herren sahen daß sie nun keine Aussicht mehr auf weiteren Gewinn hatten, griffen sie Paulus und Silas, schleppten sie auf den Markt, (20) stellten sie vor die Prätoren und sagten: „Diese Menschen bringen Unruhe in unsre Stadt. Sie sind Juden (21) und wollen Bräuche einführen, die wir als Römer nicht annehmen dürfen.“[6] (22) Als sich gleichzeitig die Menge gegen sie erhob, ließen die Prätoren ihnen die Kleider vom Leibe reißen und sie mit Ruten schlagen. (23) Dann warfen sie sie ins Gefängnis und schärften dem Wärter ein, sie sicher zu verwahren. (24) Der legte sie in den innersten Kerker und schloß ihre Füße in den Block. (35) Am nächsten Morgen aber schickten die Prätoren die Liktoren mit dem Befehl die Gefangenen zu entlassen. (36) Als der Wärter dies Paulus mitteilte, (37) erwiderte dieser: „Ohne Urteil haben sie uns, obwohl wir römische Bürger[7] sind, öffentlich schlagen und ins Gefängnis werfen lassen; und jetzt wollen sie uns heimlich wegschicken? Nein, sie sollen selbst kommen und uns hinausführen!“ (38) Als die Prätoren hörten daß sie Römer wären, erschraken sie, (39) kamen und entschuldigten sich, führten sie aus dem Gefängnis und baten sie, die Stadt zu verlassen. (40) Da gingen sie zu Lydia, ermutigten die Brüder und verließen die Stadt.

(XVII 1) Über Amfipolis und Apollonia erreichten sie Theassalonich, wo eine jüdische Synagoge war. (2) Nach seiner Gewohnheit ging Paulus dorthin und wies ihnen an drei Sabbaten aus der Schrift nach (3) daß der Messias leiden und von den Toten auferstehn müßte und daß der von ihm verkündete Jesus der Messias sei. (4) Einige Juden ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an, dazu eine große Zahl gottgläubiger Heiden und nicht wenige der vornehmsten Frau. (5) Doch nun holten sich die Juden aus Neid Gesindel von der Straße, rotteten sich zusammen und brachten die Stadt in Aufruhr. Dann zogen sie vor Jasons Haus, um sie herauszuholen und der Volksversammlung vorzuführen. (6) Als sie sie nicht fanden, schleppten sie Jason und einige Brüder vor die Bürgermeister und schrien: „Leute, die die ganze Welt in Aufruhr bringen, sind jetzt hierher gekommen, (7) und Jason hat sie bei sich aufgenommen. Sie alle handeln den Erlassen des Kaisers zuwider und sagen, ein andrer sei König: Jesus.“ (8) Mit diesen Worten hetzten sie die Menge und die Bürgermeister auf: (9) doch als diese von Jason und den übrigen Bürgschaft erhalten hatten, ließen sie sie frei.

(10) Die Brüder aber schickten Paulus und Silas gleich in der Nacht nach Beröa. Dort gingen sie alsbald in die jüdische Synagoge. (11) Die Juden waren hier freundlicher als in Thessalonich. Sie nahmen das Wort willig auf und forschten täglich in der Schrift, ob es sich so verhielte. (12) Viele von ihnen wurden gläubig, dazu von den vornehmen heidnischen Frauen und Männern nicht wenige. (13) Als aber die Juden in Thessalonich erfuhren daß Paulus Gottes Wort in Beröa verkündete, kamen sie und hetzten auch hier die Massen auf. (14) Da schickten die Brüder Paulus sofort zum Meere; (15) seine Begleiter aber brachten ihn nach Athen und kehrten dann mit dem Auftrage an Silas und Timotheus zurück, so schnell wie möglich nachzukommen.

(16) Während Paulus in Athen auf sie wartete, ergrimmt er, weil er die Stadt voll Götzenbilder sah. (17) Er sprach denn in der Synagoge zu den Juden und auf dem Markte täglich zu denen, die sich einfanden. (18) Auch unterhielten sich mit ihm einige epikureische und stoische Filosofen. Einige sagten: „Was will dieser Schwätzer?“, andere: „Es scheint daß er fremde Götter einführen will.“ Er hatte nämlich von Jesus und der Auferstehung gesprochen. (19) So führten sie ihn zum Areopag[8] und sagten: „Könnten wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist die du verkündest? (20) Du trägst uns ja seltsame Dinge vor; und wir möchten wissen was sie bedeuten.“ (21) Alle Athener nämlich und auch die Fremden, die sich dort aufhalten, haben zu nichts anderem Zeit als etwas Neues zu sagen oder zu hören. (22) So trat denn Paulus mitten auf den Areopag und sprach: „Ihr Männer von Athen, ich sehe daß ihr in jeder Hinsicht sehr gottesfürchtig seid. (23) Denn als ich umherging und eure Heiligtümer betrachtete, fand ich auch einen Altar mit der Inschrift: ‚Dem unbekannten Gotte‘[9]. Ihn, den ihr verehrt, ohne ihn zu kennen, verkünde ich euch. (24) Der Gott der die Welt gemacht hat und alles was darin ist, der, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln die von Händen gemacht sind, (25) läßt sich auch nicht von Menschenhänden bedienen, als ob er jemandes bedürfte, wo er doch selber allen Leben Odem und alles andre gibt. (26) Er hat von einem Menschen alle Völker abstammen, sie auf der ganzen Erde wohnen lassen und ihnen allen dafür Zeit und Grenzen gesetzt, (27) mit der Aufgabe, Gott zu suchen, ob sie ihn tasten und finden könnten. Ist er doch niemand von uns fern; (28) denn in ihm leben weben und sind wir, wie ja auch einige eurer Dichter gesagt haben: ‚Wir sind seines Geschlechts.‘ (29) Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, so dürfen wir nicht glauben, die Gottheit gleiche einem goldenen silbernen oder steinernen Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung. (30) Über die Zeiten der Unwissenheit hat Gott zwar hinweggesehen; aber jetzt fordert er alle Menschen auf, Buße zu tun, (31) und hat einen Tag festgesetzt wo er die Welt mit Gerechtigkeit richten will durch einen Mann den er bestimmt und durch die Auferweckung von den Toten für alle beglaubigt hat.“ (32) Als sie von der Totenauferstehung hörten, spotteten die einen, die andern aber sagten: „Wir wollen dich ein andermal darüber hören.“ (33) So ging Paulus von ihnen fort. (34) Einige aber wurden gläubig und schlossen sich ihm an, darunter der Areopagit[10] Dionysius, eine Frau namens Damaris und noch einige andere.[11]

(XVIII 1) Von Athen begab sich Paulus nach Korinth[12]. (2) Hier traf er einen Juden aus Pontus namens Aquila mit seiner Frau Priscilla, der neulich aus Italien gekommen war, weil Klaudius alle Juden aus Rom ausgewiesen hatte.[13] Paulus besuchte sie; (3) und weil er dasselbe Handwerk betrieb wie sie – sie waren nämlich Zeltmacher –, so blieb und arbeitete bei ihnen. (4) Jeden Sabbat aber sprach er in der Synagoge und gewann Juden und Heiden. (5) Als dann Silas und Timotheus aus Macedonien kamen[14], widmete sich Paulus ganz der Predigt und bezeugte den Juden daß Jesus der Messias sei. (6) Da sie aber widerstrebten und lästerten, so schüttelte er seine Kleider aus und sagte zu ihnen: „Euer Blut komme auf euer Haupt! Frei von Schuld geh ich von jetzt an zu den Heiden.“ (7) Damit ging er weg und begab sich in das Haus eines Gottgläubigen namens Titius Justus, das neben der Synagoge lag. (8) Der Synagogenvorsteher Krispus aber wurde gläubig an den Herrn mit seinem ganzen Hause. Auch viele Korinther, die ihn hörten, wurden gläubig und ließen sich taufen. (9) Der Herr aber sprach eines Nachts im Gesicht zu Paulus: „Fürchte dich nicht, sondern rede frei heraus! (10) denn ich bin mit dir, und niemand wird sich an dir vergreifen. Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.“ (11) So blieb denn Paulus ein Jahr und sechs Monate und lehrte bei ihnen das Wort Gottes.

(12) Als aber Gallio Prokonsul von Achaia war,[15] erhoben sich die Juden einmütig gegen Paulus, schleppten ihn vor den Richterstuhl (13) und sagten: „Dieser Mann verführt die Leute zu einer Gottesverehrung die dem Gesetz zuwider ist.“ (14) Als Paulus das Wort ergreifen wollte, sagte Gallio zu den Juden: „Wenn es sich um ein Vergehn oder Verbrechen handelte, ihr Juden, so hätte ich eure Klage wie üblich angenommen. (15) Da es sich aber um Streitigkeiten über euer Gesetz handelt, so seht selbst zu! ich will darüber nicht Richter sein.“ (16) Und er wies sie von seinem Richterstuhl. (17) Da fielen alle über den Synagogenvorsteher Sosthenes[16] her und schlugen ihn vor dem Richterstuhl, ohne daß Gallion sich darum kümmerte.

Erklärungen

[1] So scharf Paulus, wenn es um das Grundsätzliche ging, die Beschneidung ablehnte (vgl. Galater I 3-5 Filipper III 2 ff.!), so bereit war er Rücksichten zu nehmen, wenn es zum Vorteil der Sache war die er vertrat (vgl. 1. Korinther IX 20 und Apg XXI 17-26!). Hier war die Rücksichtnahme besonders geboten, weil es sich um den Sohn einer Jüdin handelte.

[2] Von XVI 10-17 wird zum erstenmal mit „wir“ berichtet. Vgl. Kapitel „Erscheinungen des Gekreuzigten Anfänge der Urgemeinde Jerusalem“, Fußnote 1!

[3] Heute Kawalla.

[4] Von König Filipp von Macedonien als Festung angelegt und von Kaiser Augustus mit römischen Veteranen besiedelt.

[5] Östlich von Pergamon in Kleinasien.

[6] Es war den Juden verboten, Römer zu Proselyten zu machen. Die Austreibung eines Geistes wäre kein Grund zu einem Einschreiten der Behörde gewesen.

[7] Vgl. XXII 24-29 !

[8] Aus dem Gewühl des Marktes auf den nahen und stillen, nach dem Kriegsgott Ares benannten Hügel.

[9] Ein Altar mit dieser Inschrift ist weder aus den Inschriftenfunden noch aus der antiken Literatur bekannt. Der Kirchenvater Hieronymus sagt sogar: „Die Inschrift des Altars war nicht so wie Paulus angibt, sondern: ‚Den unbekannten und fremden Göttern Asiens Europas und Afrikas‘.“ Aber selbst wenn es einen Altar mit der von Paulus zitierten Inschrift gegeben haben sollte, so hätte diese nicht den ihr von Paulus beigelegten monotheistischen Sinn gehabt, sondern nur den Zorn eines etwa übersehenen Gottes besänftigen sollen.

[10] Beisitzer des auf dem Areopag tagenden Gerichts.

[11] Zur Gründung einer christlichen Gemeinde aber am Mittelpunkt der griechischen Kultur kam es offenbar nicht.

[12] Korinth, nach der Zerstörung durch die Römer i. J. 146 von Cäsar i. J. 44 v. Chr. Wieder aufgebaut und mit Veteranen und Freigelassenen bevölkert, Hauptstadt der römischen Provinz Achia, hatte sich dank seiner Lage an zwei Meeren bald wieder zu einer der blühendsten Handelsstädte entwickelt. In der rassisch sehr gemischten Bevölkerung waren auch die Juden stark vertreten. Die Stadt war berüchtigt wegen ihrer Unsittlichkeit und Schwelgerei.

[13] Über die Vertreibung der Juden aus Rom (wohl 49/50) durch Kaiser Klaudius berichtet Sueton : „Die Juden, die auf Anstiften eines gewissen Chrestus dauernd in Unruhe waren, vertrieb er aus Rom.“ Man nimmt gewöhnlich an, daß unter Chrestus, einem häufig vorkommenden Namen, Christus zu verstehn ist und daß die Unruhe der Juden mit dem Eindringen des Christentums in Rom zusammenhing, worüber die Apg leider nichts berichtet. Aquila und Priscilla scheinen schon Christen gewesen zu sein, als sie nach Korinth kamen. Nach 18.19  verlassen sie zusammen mit Paulus Korinth und begeben sich nach Efesus, wo sie nach 26 den Alexandrier Apollos für das Christentum gewinnen, der dann bald in der von Paulus gegründeten korinthinischen Gemeide eine große Rolle spielte.  Nach 1. Kor. XVI 19 trifft Paulus auf seiner 3. Missionsreise in Efesus wieder mit  Aquila und Priscilla zusammen und bestellt von ihnen und ihrer Hausgemeinde den  Korinthern Grüße. Bald danach sind sie, wenn Römer XVI wirklich zum Römerbrief gehört und nicht, wie manche annehmen, ein besonderes Schreiben an die Gemeinde zu Efesus ist, nach Rom zurückgekehrt. Sie werden in Römer XVI 3.4 von Paulus als seine Mitarbeiter bezeichnet, die für sein Leben ihren Kopf gewagt  haben.

[14] Vgl. XVII 15 ! Nach 2. Kor. XI 8.9 brachten sie (oder andere?) eine Geldspende aus Macedonien mit: nun brauchte Paulus nicht mehr bei Aquila zu arbeiten.

[15] Nach einer in Delfi gefundenen Inschrift ist Gallio vom 1.V.51 bis 1.V.52 (oder ein Jahr später?) Prokonsul von Achaia gewesen. Dadurch haben wir einen festen Punkt für die Chronologie der Apg gewonnen. Gallio war der ältere Bruder des Filosofen Seneka.

[16] Offenbar der Vertreter der Anklage gegen Paulus.