Die Juden unter Nero (54-68 n. Chr.)

Die Juden unter Nero (54-68 n. Chr.)

(8) Als Klaudius nach einer Regierung von 13 Jahren, 8 Monaten und 20 Tagen gestorben und sein Stief- und Adoptivsohn Nero vom Heer als Kaiser ausgerufen war, erhielt Agrippa von diesem einen Teil Galiläas mit Tiberias und Taricheä sowie Julias in Peräa mit vierzehn umliegenden Dörfern.

Die Verhältnisse Judäas aber wurden von Tag zu Tag zerrütteter; denn das Land war wieder voll von Räubern und Betrügern, die das Volk irreleiteten. Felix ließ eine große Zahl von ihnen ergreifen und hinrichten. Den Eleazar, der eine ganze Räuberbande um sich gesammelt hatte, lockte er unter Zusicherung voller Straffreiheit an seinen Hof und schickte ihn dann gefesselt nach Rom. Ganz besonders aber erregte seinen Unwillen der Hohepriester Jonatan, weil dieser ihn oft ermahnte, Judäa besser zu verwalten, damit ihm das Volk keinen Vorwurf darüber machen könnte, daß er den Kaiser um seine Ernennung zum Prokurator gebeten hätte. Felix sann daher auf Mittel, den unbequemen Tadler aus dem Wege zu räumen, und bestach einen von Jonatans Vertrauten, ihn durch gedungene Mörder töten zu lassen. Da man den Mord ungeahndet ließ, so kamen in der Folge die Räuber an Festtagen mit großer Dreistigkeit, den Dolch im Gewande, in die Stadt und stachen bald ihre Feinde, bald andere nieder, gegen die sie sich hatten dingen lassen. Selbst die Heiligkeit des Tempels vermochte ihrem Blutdurst keine Schranke zu setzen. Darum hat auch Gott, wie ich glaube, im Zorn über solche Greuel seine Hand von Jerusalem gezogen und, weil er den Tempel nicht mehr als seine Wohnstätte anerkannte, die Römer gegen uns geführt, über die Stadt das läuternde Feuer gesandt und uns mit Weib und Kind der Sklaverei preisgegeben, um uns durch Unglück zur Erkenntnis unsrer Schuld zu bringen.

Es traten auch Gaukler und Betrüger auf, die das Volk beredeten, ihnen in die Wüste zu folgen, wo sie mit Gottes Hilfe offenbare Zeichen und Wunder tun würden. Viele glaubten ihnen, mußten aber für ihren Unverstand schwer büßen, da Felix sie zurückholen und hinrichten ließ. So kam um diese Zeit auch ein Ägypter nach Jerusalem, der sich für einen Profeten ausgab und das gemeine Volk zu verleiten suchte, mit ihm auf den Ölberg zu steigen, um von da zu sehen, wie auf sein Geheiß die Mauern Jerusalems zusammenstürzten, durch die er ihnen dann den Eingang in die Stadt bahnen werde. Als Felix dies erfuhr, griff er mit vielen Reitern und Fußsoldaten den Ägypter und seine Anhänger an. Viertausend von diesen fielen, zweihundert wurden gefangen; der Ägypter selbst aber entkam und ließ sich nicht mehr sehen. So reizten immer wieder Räuber das Volk zum Krieg gegen die Römer; sie erklärten, man dürfe diesen keinen Gehorsam leisten, und verheerten, wo man auf ihre Hetzereien nicht einging, die Dörfer mit Brandstiftung und Plünderung.

Damals kam es in Cäsarea zu Streitigkeiten zwischen Juden und Syrern wegen des Bürgerrechts. Die Juden beanspruchten nämlich ein Vorrecht für sich, weil ihr König Herodes, der Gründer von Cäsarea, jüdischer Abstammung gewesen sei. Die Syrer aber erklärten, die Stadt habe schon lange, bevor ein einziger Jude dort gewohnt habe, unter dem Namen Stratonsturm bestanden. Als das den römischen Beamten zu Ohren kam, ließen sie die Hauptschreier auf beiden Seiten festnehmen und geißeln, wodurch die Unruhen für kurze Zeit unterdrückt wurden. Bald aber kam es durch herausforderndes Verhalten der Juden, die wegen ihres Reichtums die armen Syrer verachteten, zu neuen Streitigkeiten, ja zu Steinwürfen von beiden Seiten. Felix beschwor die Juden, sich ruhig zu verhalten. Da diese sich aber an seine Vorstellungen nicht kehrten, ließ er eine Abteilung Soldaten gegen sie ausrücken, viele von ihnen niedermachen, mehr noch gefangen nehmen und einige ihrer Häuser, die mit Schätzen aller Art gefüllt waren, ausplündern. Jetzt richteten die gemäßigten Juden an Felix die Bitte, er möge den Soldaten Einhalt gebieten, um ihnen Gelegenheit zur Sühne zu geben. Diesem Verlangen willfahrte Felix sogleich.

In Jerusalem aber gerieten die Hohenpriester mit den Priestern und Vornehmen so in Streit, daß jeder eine Schar verwegener Gesellen um sich sammelte, die, wo sie sich trafen, einander mit Beschimpfungen und Steinwürfen überschütteten, als sei keine Obrigkeit mehr vorhanden. Schließlich gingen die Hohenpriester in ihrer Dreistigkeit so weit, daß sie ihre Diener auf die Tennen schickten und die den Priestern zustehenden Zehnten wegnehmen ließen, was zur Folge hatte, daß die ärmeren Priester verhungerten. So war an die Stelle des Rechts die zügellose Gewalt getreten.

Inzwischen folgte auf Felix im Prokurator der von Nero ernannte Porcius Festus. Kaum war er eingetroffen, so begaben sich die Häupter der in Cäsarea wohnenden Juden nach Rom, um Felix anzuklagen. Es fehlte nicht viel, so hätte dieser die Kränkungen, die er den Juden zugefügt, schwer gebüßt; doch gelang es seinem Bruder Pallas, der bei Nero damals in hohem Ansehen stand, den Kaiser gnädig zu stimmen.

Die in Cäsarea wohnenden Syrer aber bestachen Beryllus, der Neros Erzieher gewesen war und jetzt seine griechische Korrespondenz besorgte, ihnen einen Erlass Neros zu erwirken, durch den den Juden die Gleichberechtigung mit ihnen aberkannt werde. Beryllus setzte beim Kaiser wirklich die Ausfertigung eines solchen Erlasses durch. Und so nahm das Leid, das später über unser Volk hereinbrach, seinen Anfang. Als nämlich die Juden den Inhalt dieses Erlasses erfuhren, verharrten sie im Aufruhr, bis zuletzt der wirkliche Krieg sich daraus entwickelte.

Bei seiner Ankunft in Judäa fand Festus das Land in stetem Schrecken vor den Räubern, die allenthalben die Dörfer einäscherten und plünderten. Diese waren allmählich zu einer gewaltigen Menge angewachsen. Sie führten kleine gekrümmte Dolche, ähnlich den römischen "sicae", woher sie auch den Namen Sikarier erhielten. Um diese Zeit trat auch wieder ein Schwindler auf, der der Menge Glückseligkeit und Befreiung von allem Elend verhieß, wenn sie ihm in die Wüste folge. Festus sandte sofort gegen den Betrüger und seinen Anhang Reiter und Fußsoldaten aus, die den ganzen Haufen niedermetzelten.

Damals ließ König Agrippa auf dem ehemaligen Hasmonäerpalast einen großen Saal bauen. Da dieser sehr hoch lag, so genoß man ihm aus einen herrlichen Blick auf die Stadt; auch konnte Agrippa, auf einem Polster liegend, alles übersehen was im Tempel vor sich ging. Darüber wurden die Obersten von Jerusalem sehr wütend; denn es war ganz ungehörig, die Vorgänge im Tempel, besonders während der heiligen Handlungen, zu beobachten. Deshalb ließen sie eine hohe Mauer aufführen, die dem Könige und auch der Stelle, von wo aus die Römer an Festtagen die Vorgänge im Tempel überwachten, jeden Einblick versperrte. Dies ärgerte wiederum nicht nur Agrippa, sondern noch mehr der Prokurator Festus; und dieser gab Befehl, die Mauer niederzureißen. Die Juden baten jedoch um die Erlaubnis, wegen dieser Sache bei Nero anzufragen. und Nero verzieh ihnen nicht nur das Geschehene, sondern gestattete auch, daß die Mauer stehn blieb. Das tat er seiner Gemahling Poppäa zu Gefallen, die eine gottgläubige[1] Frau war und sich deshalb für die Juden ins Mittel legte.

(9) Als bald darauf traf die Nachricht vom Tode des Festus in Rom eintraf, sandte der Kaiser Albinus als Prokurator nach Judäa. König Agrippa aber entsetzte den bisherigen Hohpriester seines Amtes und übertrug es an Anan Ananssohn. Der ältere Anan[2] soll einer der glücklichsten Menschen gewesen sein; er hatte nämlich fünf Söhne, die alle dem Herrn als Hohepriester dienten, nachdem er selbst lange Zeit diese Würde bekleidet hatte. Der jüngere Anan aber war von heftiger Gemütsart und gehörte zur Partei der Sadducäer, die, härter und liebloser sind als alle andern Juden. Zur Befriedigung seiner Grausamkeit glaubte er jetzt, wo Festus gestorben, Albinus aber noch nicht angekommen war, freie Hand zu haben. Er berief daher den Hohen Rat und klagte vor diesem Jakobus[3], den Bruder des Jesus der Christus genannt wird, und einige andre wegen Gesetzesübertretung an und ließ sie zur Steinigung führen. Das aber erbitterte auch eifrige Beobachter des Gesetzes, die aber milder dachten; und diese baten insgeheim den König, Anan aufzufordern, daß er sich in Zukunft Ahnliches nicht mehr beifallen lasse. Andere gingen sogar Albinus entgegen und stellten ihm vor, Anan habe garnicht ohne seine Genehmigung den Hohen Rat einberufen dürfen. Darauf drohte Albinus dem Anan Strafe an, und setzte Agrippa ihn schon nach dreimonatiger Amtsführung ab.

Nach seiner Ankunft in Jerusalem gab sich Albinus alle erdenkliche Mühe, das Land zu beruhigen und geordnete Zustände zu schaffen, indem er eine große Menge Sikarier hinrichten ließ. Bei Gelegenheit eines Festes aber kamen die Sikarier zur Nachtzeit wieder in die Stadt, ergriffen den Schreiber des Tempelhauptmanns Eleazar, der des Hohenpriesters Ananias Sohn war, und führten ihn gefesselt fort. Alsdann schickten sie einen Boten an Ananias und versprachen, den Schreiber zurückzuschicken, wenn Ananias den Prokurator veranlasse, zehn ihrer Genossen, die dieser gefangen hielt, freizugeben. Auf Ananias´ Bitte tat dies Albinus. Das war aber nur der Anfang von noch größerem Übel; denn die Räuber suchten jetzt auf alle mögliche Weise Angehörige und Freunde des Ananias in ihre Gewalt zu bekommen und hielten ihre Opfer jedesmal so lange gefangen, bis einige ihrer Genossen freigegeben wurden.

Als Agrippa einmal einen Hohenpriester absetzte und sein Amt einem anderen übertrug, sammelte jeder der beiden eine Schar verwegener Männer um sich, die sich gegenseitig aufs gröbste beschimpften und schließlich mit Steinen warfen. Von dieser Zeit an kam unsere Stadt aus den Drangsalen nicht mehr heraus, und alle Verhältnisse trieben dem Untergang zu.

Auf die Nachricht, Gessius Florus sei zu seinem Nachfolger ernannt, ließ Albinus alle Gefangenen, die den Tod verdient hatten, hinrichten, während er die, die wegen leichterer Vergehen im Kerker saßen, gegen Zahlung einer Geldsumme freigab. So leerten sich zwar die Gefängnisse, das Land aber füllte sich um so mehr mit Räubern.

Damals begaben sich sämtliche Psalmensänger des Stammes Lewi zum König und baten ihn, er möge den Hohen Rat einberufen und ihnen bei diesem das Recht erwirken, daß sie ebenso wie die Priester leinene Gewänder tragen dürften. Ihr Verlangen wurde erfüllt. Einem anderen Teil des Stammes, dem die niederen Verrichtungen im Tempel oblagen, wurde auf Antrag gestattet, die heiligen Gesänge zu erlernen. Das alles aber geschah unsern väterlichen Gesetzen zuwider; und so konnte es nicht ausbleiben, daß ihrer Übertretung die verdiente Strafe folgte.

Um diese Zeit wurde der Tempel vollendet. Da hierdurch 18.000 Handwerker arbeitslos wurden und man auch aus Furcht vor den Römern keine Tempelgelder ansammeln wollte, so bat man den König, die östliche Säulenhalle des äußeren Vorhofs zu erneuern. Diese zog sich an einem tiefen Tal entlang und ruhte auf Mauern von vierhundert Ellen Höhe aus blendend weißen Quadersteinen von je zwanzig Ellen Länge und sechs Ellen Höhe; sie war ein Werk des Königs Salomo. Agrippa aber bedachte, wie leicht es sei, ein Bauwerk zu zerstören, wie schwer dagegen, es wieder aufzubauen; er gab daher dem Verlangen der Juden nicht nach, erlaubte ihnen aber, die Stadt mit weißem Marmor zu pflastern.

(11) Gessius Florus, den Nero als Nachfolger des Albinus geschickt hatte, verhängte unsägliches Leid über die Juden. Mit der ihm verliehenen Gewalt trieb er nämlich so schmählichen Mißbrauch, daß die Juden angesichts seiner Verruchtheit Albinus noch als ihren Wohltäter priesen. Denn dieser hatte wenigstens seine Bosheit zu verbergen gesucht; Gessius Florus dagegen prahlte geradezu mit der Mißhandlung unsers Volkes. Und es läßt sich keine Art von Erpressung oder sonstiger Ungerechtigkeit denken, deren er nicht fähig gewesen wäre. Denn er war hartherzig und so unersättlich in seiner Habgier, daß er selbst mit Räubern zu teilen sich nicht scheute. Diese gingen daher immer dreister dem Raube nach, weil sie sicher sein konnten, daß ihnen gegen Abgabe eines Teiles der Beute nicht das mindeste zuleide geschehen würde. Kurz, Florus war es, der uns so weit brachte, daß wir den Krieg mit den Römern aufnahmen, weil wir lieber auf einmal als in langsamem Todeskampf untergehn wollten. Dieser Krieg nahm seinen Anfang im zweiten Jahre der Amtsführung des Florus und im zwölften der Regierung Neros.

Erklärungen

[1] Danach wäre Poppäa jüdische Proselytin gewesen.

[2] Der ältere Ananus, aus dem Neuen Testament unter dem Namen Hanns bekannt, hatte 6-15 n. Chr. das hohepriesterliche Amt bekleidet.

[3] Er war nach der Flucht des Petrus aus Jerusalem (Apostelgeschichte XII) Leiter der dortigen christlichen Gemeinde.