Farisäer, Sadducäer, Essener

Farisäer, Sadducäer, Essener[1]

Außer der Lehre des Judas und seiner Anhänger, die sich Zeloten, d. i. Eiferer, nannten, gab es bei den Juden noch drei andere: die der Farisäer, der Sadducäer und der Essener.

Die Farisäer leben enthaltsam und folgen dem, was die Vernunft als gut erscheinen läßt. Sie ehren die Alten und maßen sich nicht an, deren Empfehlungen zu widersprechen. Wenn sie behaupten, alles geschehe nach einem bestimmten Schicksal, so wollen sie doch damit dem menschlichen Willen nicht das Vermögen absprechen, sich selbst zu bestimmen, sondern lehren, es habe Gott gefallen, die Macht des Schicksals und den menschlichen Willen im Guten wie im Bösen zusammenwirken zu lassen. Sie glauben auch, daß die Seelen unsterblich sind und daß die Menschen, je nachdem sie tugendhaft oder lasterhaft gewesen, unter der Erde Lohn oder Strafe erhalten, sodaß die einen in ewiger Kerkerhaft schmachten müssen, während die anderen die Vergünstigung bekommen, wieder ins Leben zurückzukehren. Durch diese Lehren haben sie beim Volke solchen Einfluß, daß alle gottesdienstlichen Verrichtungen, Gebete wie Opfer, nur nach ihrer Anleitung ausgeführt werden.

Die Sadducäer dagegen lassen die Seelen zugleich mit den Körpern untergehen, verwerfen die Überlieferung der Väter und erkennen nur das Gesetz an; sie halten es sogar für rühmlich, gegen die Lehrer ihrer eigenen Weisheit im Wortstreit anzugehn. Das Schicksal leugnen sie völlig und behaupten, gute wie böse Handlungen seien gänzlich dem freien Willen anheimgestellt. Sie haben nur weniger Anhänger, doch gehören sie den obersten Ständen an. Wenn sie Ämter bekleiden, so richten sie sich gegen ihren Willen nach dem, was die Farisäer sagen, weil das Volk sie sonst nicht dulden würde.

Die Essener sind Menschen mit vortrefflichen Sitten. Mehr als die andern Juden sind sie durch Liebe miteinander verbunden. Die sinnlichen Freuden meiden sie wie die Sünde, und die Tugend erblicken sie in Enthaltsamkeit und Beherrschung der Leidenschaften. Von der Ehe denken die meisten gering, weil sie die Frauen für ausschweifend und treulos halten, und nehmen lieber fremde Kinder an, denen sie ihre Grundsätze einprägen. Ein Teil von ihnen dagegen glaubt, daß die, die nicht in die Ehe treten, den wichtigsten Lebenszweck, die Erzeugung von Nachkommenschaft, außer acht lassen und daß, wenn alle so dächten, das Menschengeschlecht in kürzester Zeit aussterben müßte. Doch erproben sie zuvor die Bräut; und erst wenn sie deren Fähigkeit Kinder zu gebären erkannt haben, nehmen sie sie zur Ehe. Während der Schwangerschaft enthalten sie sich des Beischlafs zum Beweis, daß sie sich nicht aus Wollust sondern um Kinder zu erzeugen geheiratet haben. Ihre Frauen baden bekleidet. Sie beschäftigen sich nur mit Ackerbau; halten aber keine Knechte, weil sie das für Sünde halten. Reichtum verachten sie, und bewundernswert ist ihr Gemeinsinn. Es besteht nämlich die Vorschrift, daß jeder, der ihrem Orden beitritt, sein Vermögen an die Gemeinschaft abtreten muß; und so bemerkt man durchweg weder drückende Armut noch übermäßigen Reichtum, sondern alle verfügen wie Brüder über das gemeinsame Vermögen. Zur Erhebung der Einkünfte und Ackererträge wählen sie zuverlässige Männer und zur Bereitung von Brot und Speisen Priester. Sie haben keine eigene Stadt, sondern in jeder Stadt wohnen viele von ihnen als Beisassen. Ordensbrüdern, die von auswärts kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen finden, wie ihr eigener Besitz zur Verfügung; und bei Leuten, die sie nie gesehen, kehren sie ein, als wären es vertraute Freunde. In jeder Stadt ist eigens jemand für die Versorgung der Fremden angestellt. Deshalb nehmen sie auch auf die Reise nichts anderes mit als Waffen zum Schutz gegen die Räuber. Kleider und Schuhe wechseln sie nicht eher, als bis sie gänzlich zerfetzt oder verschlissen sind. Sie lehren, man müsse alles dem Willen Gottes anheimgeben und nichts treffe die Menschen, was er nicht beschlossen. Auf eigentümliche Art verehren sie die Gottheit. Bevor nämlich die Sonne aufgeht, sprechen sie kein profanes Wort, sondern richten an das Gestirn gewisse altherkömmliche Gebete, als wollten sie seinen Aufgang erflehen. Hierauf werden sie von den Vorstehern, jeder zu der Arbeit, die er versteht, entlassen. Wenn sie  bis zur fünften Stunde fleißig gearbeitet haben, kommen sie wieder zusammen, waschen sich, mit einem leinenen Schurz bekleidet, in kaltem Wasser und begeben sie sich dann in ein besonderes Gebäude, das kein Andersgläubiger betreten darf. Hier setzen sie sich still nieder; und es legt ihnen der Bäcker der Reihe nach die Brote vor, während der Koch jedem eine Schüssel mit einem einzigen Gericht aufträgt. Eh das Mahl beginnt, spricht der Priester ein Gebet; vorher darf niemand etwas verzehren. Nach dem Mahle betet er wieder, sodaß vor und nach diesem Gott als der Spender der Nahrung geehrt wird. Darauf legen sie ihre gleichsam heiligen Kleider ab und begeben sich wieder an ihre Arbeit bis zum Abend. Nach ihrer Rückkehr speisen sie auf dieselbe Weise. Weder Geschrei noch Getümmel entweiht je das Haus. Auf die Außenstehenden macht die darin herrschende Stille den Eindruck eines schauerlichen Geheimnisses. Nichts tun die Essener ohne ausdrücklichen Befehl ihrer Vorsteher; nur in zwei Dingen besitzen sie völlige Freiheit: in Hilfeleistung und in Ausübung der Barmherzigkeit. Jedem ist gestattet, Unterstützungsbedürftigen beizuspringen und Darbenden Nahrung zu reichen; an Verwandte jedoch dürfen sie nur mit Erlaubnis der Vorsteher etwas verschenken. Zorn äußern sie Essener nur, wo er berechtigt ist; hingegen pflegen sie eifrig den Frieden. Treu und Glauben halten sie hoch, und das gegebene Wort gilt bei ihnen mehr als der Eid; ja, sie unterlassen das Schwören, weil sie es für schlimmer als den Meineid halten: wer ohne Anrufung der Gottheit keinen Glauben finde, der sei, sagen sie, schon im voraus gerichtet. Mit Vorliebe widmen sie sich dem Studium alter Schriften, wobei sie besonders das heraussuchen, was Seele und Leib dienlich ist; aus ihnen erforschen sie zur Behandlung von Krankheiten heilkräftige Wurzeln und Eigenarten von Steinen. Wer in ihren Orden aufgenommen werden will, muß zunächst draußen ein Jahr lang derselben Lebensweise wie die Mitglieder sich unterziehen, nachdem man ihm vorher eine kleine Hacke, den erwähnten Lendenschurz und ein weißes Gewand gegeben hat. Hat er die Enthaltsamkeitsprobe bestanden, so wird er zu dem reineren Heiligungswasser zugelassen, aber noch nicht zu der Lebensgemeinschaft. Erst wenn in zwei weiteren Jahren sein Charakter geprüft ist, wird er förmlich in die Menge der Brüder aufgenommen. Bevor er aber bei dem gemeinsamen Mahl teilnehmen darf, muß er ihnen furchtbare Eide schwören: daß er die Gottheit ehren, seine Pflichten gegen die Menschen erfüllen, niemand aus eigenem Entschluß oder auf Befehl Schaden zufügen, stets die Ungerechten hassen, den Gerechten aber beistehn, sowie Treue gegen jedermann und besonders gegen die Obrigkeit üben wolle, weil niemand Gewalt habe, ohne daß sie ihm von Gott verliehen sei; ferner daß, falls er selbst einmal zu befehlen habe, niemals seine Macht mißbrauchen oder in Kleidung oder Schmuck es seinen Untergebenen zuvortun, dagegen stets die Wahrheit lieben und die Lügner zur Rede stellen, seine Hände von Diebstahl und seine Seele von ungerechtem Gewinn reinhalten, Straßenraub verabscheuen, den Ordensbrüdern nichts verheimlichen und nichts von ihnen kundtun wolle, und sollte man ihn auch zu Tode martern. Außerdem muß er schwören, die Satzungen niemandem anders als er sie selbst empfangen hat mitzuteilen und die Bücher ihres Ordens sowie die Namen der Engel geheimzuhalten. Durch solche Eide versichern sich die Essener der neu Aufzunehmenden. Wer schwerer Verfehlungen überführt wird, den schließen sie aus dem Orden aus; und der Ausgestoßene kommt oft auf die elendeste Weise um, denn durch Eid gebunden, darf er auch keine Nahrung von Nichtmitgliedern annehmen und muß sich deshalb von Kräutern nähren, sodaß sein Körper schließlich durch Auszehrung zu Grunde geht. Sehr gewissenhaft und gerecht verfahren sie bei gerichtlichen Entscheidungen. Recht sprechen sie nur, wenn mindestens hundert Mitglieder versammelt sind; die Entscheidung dieses Gerichts aber ist unabänderlich. Nächst Gott zollen sie die höchste Verehrung dem Namen des Gesetzgebers Mose; wer ihn lästert wird mit dem Tode bestraft. Dem Alter und der Mehrheit zu gehorchen halten sie für ehrenvoll. Peinlicher als alle übrigen Juden vermeiden sie es, am Sabbat Arbeit zu verrichten; deshalb bereiten sie die Speisen schon tags zuvor und wagen am Sabbat nicht einmal ein Gerät von der Stelle zu rücken oder ihre Notdurft zu verrichten. An den übrigen Tagen aber heben sie mit der kleinen Hacke, die man ihnen schon als Novizen gegeben, eine einen Fuß tiefe Grube aus, umhüllen diese mit ihrem Mantel, um nicht Gottes Augen zu beleidigen, setzen sich darüber und scharren dann die ausgehobene Erde wieder in das Loch. Darauf waschen sie sich, als ob sie sich verunreinigt hätten. Nach der Dauer ihrer Askese sind sie in vier Klassen geteilt; und es stehn die jüngeren Mitglieder den älteren so sehr nach, daß diese, wenn sie jene berührt haben, sich waschen, wie wenn sie sich mit einem Heiden verunreinigt hätten. Sie leben sehr lange: viele von ihnen werden – wie mir scheint, infolge ihrer einfachen und geregelten Lebensweise – über hundert Jahre alt. Gefahren verachten sie, überwinden Schmerzen durch Seelenstärke und ziehen einen ruhmvollen Tod dem längsten Leben vor. Diese Gesinnung trat so recht im Kriege gegen die Römer zu Tage: Sie wurden auf die Folter gespannt, ihre Glieder gereckt verbrannt zerbrochen, mit allen erdenklichen Marterwerkzeugen quälte man sie, um sie zur Lästerung des Gesetzgebers oder zum Essen einer ihnen verbotenen Speise zu zwingen; aber weder das eine noch das andere vermochte man zu erreichen. Kein bittendes Wort an ihre Peiniger kam über ihre Lippen, und ihre Augen blieben tränenleer; lächelnd unter Qualen spotteten sie ihrer Henker, und gaben freudig ihr Leben dahin in der sicheren Hoffnung, es wiederzuerhalten. Sie hegen nämlich den festen Glauben, daß die Leiber zwar vergänglich seien, die Seelen aber unsterblich. Aus dem feinsten Äther stammend würden sie durch einen natürlichen Zauber herabgezogen und in den Leib wie in ein Gefängnis eingeschlossen; sobald sie aber von den Banden des Fleisches befreit seien, schwebten sie, wie aus langer Knechtschaft erlöst, freudig empor. Übereinstimmend mit den Griechen lehren sie, den guten sei ein Leben jenseits des Ozeans beschieden und ein Ort, den weder Regen noch Schnee heimsuche, sondern ein beständiger, vom Ozean her sanft wehender Zefyr kühle; den bösen dagegen weisen sie eine finstere, winterlich kalte Höhle voll ewiger Qualen an. Damit wollen sie zunächst die Unsterblichkeit der Seelen feststellen, dann aber auch zur Tugend antreiben und vom Laster abschrecken. Diese Lehre der Essener ist das Zauberband, durch das sie die, die einmal ihre Weisheit gekostet haben, dauernd an sich fesseln. Es finden sich übrigens auch solche unter ihnen, die, mit heiligen Büchern, Profetensprüchen und mancherlei Reinigungen von Jugend auf vertraut, die Zukunft vorherzuwissen behaupten. Und in der Tat ist es ein seltener Fall, wenn einmal ihre Weissagungen nicht in Erfüllung gehn. Nach der Lehre der Essener leben über viertausend Menschen.

Erklärungen

[1] Der Name „Farisäer“ bedeutet „die Abgesonderten“: gemeint ist die Absonderung von der Masse des Volkes, dem „Volk des Landes“. Sie selbst nannten sich „Genossen“. Sie sind aus den Chassidia (frommen; vgl. 264 a !) hervorgegangen, als die Makkabäernaus Vorkämpfern für die bedrohte Religion immer mehr zu weltlichen Fürsten wurden und in ihrem Streben nach Macht sogar das Hohepriestertum an sich brachten (XIII 8-10). Die Farisäer streben nach peinlichster Erfüllung des Gesetzes und sind aufs engste mit den Schriftgelehrten verbunden. Die Partei der Sadducäer vertritt in erster Linie die Interessen der priesterlichen Aristokratie. Ihr Name wird von Zadok (Septuaginta: Sadok oder Sadduk) stammen, dem ersten Hohenpriester am Salomonischen Tempelkönige II 35). Der Name „Essener“ oder „Essäer“ wird „die Frommen“ bedeuten. Sie bildeten einen Mönchsorden. Wenn sie nach Josefus noch keine eigene Stadt hatten, sondern überall als Beisassen wohnten, so scheint bis zum Jüdisch-römischen Kriege doch ihr Hauptsitz das seit 1952 wieder ausgegrabene Kloster Quaran (etwas westlich vom nördlichsten Teil des Toten Meeres) gewesen zu sein, in dessen Nähe man seit 1947 in Höhlen versteckte Handschriften  (offenbar aus der Bibliothek des wohl i. J. 68 n. Chr. von den Römern zerstörten Klosters) gefunden hat. Die Angaben über die Essener habe ich hauptsächlich Josefus’ Krieg II 8 entnommen.