Hiob

Hiob[1]

(Hiob I 1) Es war ein Mann im Lande Zu namens Hiob; der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und dem Bösen feind. (2) Er hatte sieben Söhne und drei Töchter (3) und besaß 7000 Schafe, 3000 Kamele, 500 Joch Rinder, 500 Eselinnen und sehr viel Gesinde; er war reicher als alle die gegen Osten wohnen. (4) Seine Söhne pflegten der Reihe nach beieinander ein Festmahl zu halten und dazu ihre drei Schwestern einzuladen. (5) Wenn aber die Festtage um waren, ließ Hiob sie holen, entsühnte sie und brachte des Morgens früh Brandopfer dar nach ihrer aller Zahl; denn er dachte: „Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und Gott geflucht in ihrem Herzen.“ So tat Hiob allezeit.

(6) Es begab sich aber eines Tages, als die Gottessöhne[2] kamen, um vor den Herrn zu treten, daß auch der Satan[3] mit ihnen kam. (7) Und der Herr sprach zum Satan: „Wo kommst du her?“ Der Satan erwiderte: „Ich habe die Erde ringsumher durchstreift.“ (8) Da sprach der Herr: „Hast du wohl achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Seinesgleichen gibt es nicht auf Erden, so fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und dem Bösen feind.“ (9) Der Satan erwiderte: „Meinst du, daß Hiob Gott umsonst fürchtet? (10) Hast du nicht ihn selbst, sein Haus und all seine Habe ringsum beschirmt? Seiner Hände Arbeit hast du gesegnet, und seine Herden bedecken das Land. (11) Aber reck nur deine Hand aus und taste an was ihm gehört, so wird er dir sicher ins Angesicht fluchen!“ (12) Da sprach der Herr zum Satan: „Gut, alles was ihm gehört sei in deiner Gewalt; nur an ihn selbst leg deine Hand nicht!“ Da ging der Satan von dem Herrn hinweg.

(13) Eines Tages nun, als Hiobs Söhne und Töchter im Hause ihres ältesten Bruders schmausten und Wein tranken, (14) kam plötzlich ein Bote zu Hiob mit der Meldung: „Die Rinder pflügten und die Eselinnen waren neben ihnen auf der Weide; (15) da sind die Sabäer über sie hergefallen, haben sie geraubt und die Knechte mit dem Schwert erschlagen; ich allein bin entronnen, dirs zu melden.“ (16) Während der noch redete, kam schon ein andrer und rief: „Feuer Gottes ist vom Himmel gefallen und hat die Schafe samt den Knechten verzehrt; ich allein bin entronnen, dirs zu melden.“ (17) Während der noch redete, kam schon ein dritter und sagte: „Chaldäer sind in drei Haufen über die Kamele hergefallen, haben sie geraubt und die Knechte getötet; ich allein bin entronnen, dirs zu melden.“ (18) Während der noch redete, kam schon ein vierter mit der Botschaft: „Deine Söhne und Töchter schmausten und tranken Wein im Hause ihres ältesten Bruders, (19) da ist plötzlich ein gewaltiger Sturmwind über die Wüste her gekommen und hat an die vier Ecken des Hauses gestoßen, daß es auf die jungen Leute stürzte und sie starben; ich allein bin entronnen, dirs zu melden.“ (20) Da stand Hiob auf, zerriß sein Gewand und schor sein Haupt; dann fiel er nieder, betete an (21) und sprach: „Nackt kam ich aus meiner Mutter Leib und nackt werde ich dahin fahren. Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen; der Name des Herrn sei gelobt!“

(II 1) Wieder begab es sich eines Tages, als die Gottessöhne kamen, um vor den Herrn zu treten, daß auch der Satan mit ihnen kam. (2) Und der Herr sprach zum Satan: „Wo kommst du her?“ Der Satan erwiderte: „Ich habe die Erde ringsum durchstreift.“ (3) Da sprach der Herr: „Hast du wohl achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Seinesgleichen gibt es nicht auf Erden, so fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und dem Bösen feind. Er hält noch fest an seiner Frömmigkeit, ob du mich gleich gegen ihn gereizt hast, ihn ohne Ursache zu verderben.“ Der Satan erwiderte: (4) „Alles was der Mensch hat gibt er um sein Leben. (5) Aber reck nur deine Hand aus und taste an sein Fleisch und Bein, so wird er dir sicher ins Angesicht fluchen.“ (6) Da sprach der Herr zum Satan: „Gut, er ist in deiner Gewalt, nur schone sein Leben!“

(7) Nun ging der Satan von dem Herrn weg und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle bis zum Scheitel. (8) Und Hiob nahm eine Scherbe, sich damit zu kratzen, und saß in der Asche. (9) Da sagte seine Frau zu ihm: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“ (10) Doch er erwiderte: „Du redest wie die törichten Weiber. Das Gute sollten wir von Gott annehmen, das Böse aber nicht?“ Bei alldem versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.

(11) Auch die drei Freunde Hiobs hörten von all dem Umglück, das ihn getroffen hatte; da kamen sie, ein jeder aus seiner Heimat: Elifas aus Teman, Bildad aus Suah und Zofar aus Naama, um ihr Beileid zu bezeigen und ihn zu trösten. (12) Als sie ihn von ferne sahen, kannten sie ihn nicht wieder; da weinten sie laut, zerrissen ihre Kleider und warfen Staub auf ihre Häupter. (13) So saßen sie bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte, ohne ein Wort mit ihm zu reden; denn sie sahen, daß seine Schmerzen groß waren.

(III 1) Da tat Hiob seinen Mund auf, verfluchte den Tag seiner Geburt (2) und sprach:

„Fluch sei dem Tag, da ich geboren wurden;
der Nacht, die sprach: Ein Knabe ist empfangen!
O daß doch Dunkel ihrer Dämmrung Sterne
bedeckt, daß sie umsonst auf Licht geharrt
und nie geschaut der Morgenröte Wimpern,

weil sie mir nicht verschloß des Lebens Pforte,
des Lebens Mühsal nicht vor mir verbarg!

Und warum bin ich nicht sofort gestorben,
als ich dem Mutterschoße mich entwand?

so läge ich nun still und hätte Ruh.

Warum doch fand ich Kniee, mich zu wiegen,
und eine Brust, aus der ich Labung sog?

Warum gibt dem Mühselgen er das Licht
und Leben denen, die der Kummer drückt,

die nach dem Tod sich sehnen, der nicht kommt?

Ja, Seufzer sind mein täglich Brot geworden,
es strömen gleich dem Wasser meine Klagen.“

(IV) Da nahm Elifas aus Teman das Wort und sprach:

„Wirds dich verdrießen, wenn ich dir erwidre?
doch wer kann hier der Worte sich enthalten?

Sieh, andre viel hast du zurecht gewiesen,
hast manche Hand gestärkt, die mutlos sank,

hast Strauchelnde mit Worten aufgerichtet
und Knieen, die schon wankten, Kraft gegeben.

Jetzt aber, wo die Reih an dich kommt, zagst du?
wo es dich selbst trifft, zeigst du dich bestürzt?

Gibt deine Frömmigkeit dir keine Hoffnung,
nicht Zuversicht dir deine Redlichkeit?

Bedenke doch, wo wäre der Unschuldge,
wo der Gerechte je zugrund gegangen?

Soviel ich sah: wer Frevelsinn einpflügte,
wer Unheil säte, der nur mußt es ernten;

der Odem Gottes brachte ihm Verderben,
von seines Zornes Hauch ward er vertilgt.

Ein heimlich Wort hat sich zu mir gestohlen,
sein Murmeln leis vernahm mein lauschend Ohr

im Grübeln und im Traumgesicht der Nacht,
wenn tiefer Schlummer auf die Menschen fällt.

Da faßte mich ein plötzliches Erbeben,
ein Schauer schüttelte mir das Gebein,

an meinem Antlitz ging ein Hauch vorüber,
es sträubte sich am Leibe mir das Haar.

Da stand vor meinen Augen ein Gebild;
nicht unterscheiden konnt ich die Gestalt,
das Flüstern einer Stimme hört ich nur:

Ist wohl ein Sterblicher gerecht vor Gott,
und rein ein Mensch in seines Schöpfers Augen?

Selbst seinen nächsten Dienern traut er nicht,
an seinen Engeln findet Fehler er.

Und nun erst die Bewohner dieser Hütten,
aus Lehm gebauet und auf Staub gegründet,
sie, die wie eine Motte man zerdrückt! –

(XXII) Meinst du, daß wegen deiner Frömmigkeit
er dich gezogen hat vor sein Gericht?

Ist deine Missetat nicht groß genug
und nicht zu zählen deiner Sünden Menge?

du pfändetest wohl grundlos deine Brüder
und raubtest dem Halbnackten sein Gewand;

du botest keinen Trunk dem Lechzenden,
dem Hungernden versagtest du das Brot;

die Witwen ließest du mit leeren Händen,
der Waise raubtest du den letzten Halt.

Darum bist nun von Schlingen du umgeben,
und jäher Schrecken hat dich ganz verstört.

(V) Ich würde, statt zu murren, an den Himmel
mich wenden, meine Sache Gott vortragen,

der große Wunder wirket ohne Zahl.

O wohl dem Menschen, welchen Gott zurechtweist!
Verschmähe du nicht des Allmächtigen Zucht!

Wohl tut er weh, doch er verbindet auch;
und schlägt er, nun, so heilt auch seine Hand.

Aus sechs Drangsalen wird er dich erretten,
in sieben selbst wird dich kein Unheil treffen;

in Hungersnot bewahrt er dich vorm Tode
und in den Kriegen vor des Schwertes Streich.

Dein Haus, es steht in seinem sichren Schutz;
du musterst deine Triften, und nichts fehlt.

Du siehest deine Sprößlinge sich mehren
und deinen Nachwuchs gleich dem Gras der Flur.

Du steigst ins Grab, wenn deine Zeit erfüllt,
wie Garben, eingebracht zur Erntezeit. –

Sieh, solches haben wir erforscht; so ists;
vernimm es wohl und denke drüber nach!“

(VI) Da antwortete Hiob und sprach:

„Die Pfeile des Allmächtgen trafen mich,
mein Innres brennt von ihrem glühenden Gift.

Gefiel’ es ihm doch nur, mich zu zermalmen
und meinen Lebensfaden abzuscheniden!

Es wäre dies ein süßer Trost für mich,
aufzujubeln würde ich trotz wildem Schmerz.

Doch mir ist alle Hoffnung je entschwunden. –

Dem Leidenden gebührt des Freundes Mitleid,
und hätt er selbst der Gottesfurcht vergessen.

All meine Freunde aber sind mir untreu
gleichwie der Bach der Talschlucht, der versiegt.

Wohl rauscht er wild daher zur Winterszeit;

jedoch, sobald die Hitze kommt, zerrint er,
in Sommersgluten schwindet er dahin. –

(VII) Ein Kriegsdienst ist des Menschen Los auf Erden,
und seine Tage sind wie die des Landsknechts.

Dem Knechte gleich ich, der nach Schatten lechzt,
dem Tagelöhner, der des Lohnes harrt.

Bedeckt ist mit Gewürm und erdger Kruste
mein Fleisch; die Haut ist schorfig mir und eitert.

Ja, ich verschmäh es, länger noch zu leben.
Laß ab von mir! mein Dasein ist ein Hauch.

Was ist der Mensch, daß du so groß ihn achtest,
auf ihn beständig richtest deinen Sinn

und jeden Augenblick aufs neu ihn prüfst?

Wann endlich wirst dein Aug du von mir wenden,
in Ruh mich lassen einen Augenblick?

Warum machst du zum Ziel mich deiner Schläge,

statt gnädig meine Sünden zu verzeihn?“

(VIII) Da nahm Bildad aus Suah das Wort und sprach:

„Wie lange willst du solche Reden führen,
die Worte deines Mundes stürmen lassen?

Glaubst du vielleicht, daß Gott das Recht verdreht,
daß der Allmächtige dir Unrecht tut?

Weil deine Kinder gegen ihn gesündigt,
nur darum gab er ihrer Schuld sie preis.

(XXV) Wie kann ein Mensch vor Gott sich schuldlos fühlen
und rein sich dünken der vom Weib geborne?

Sieh, selbst der Mond, der glänzt nicht hell genug,
die Sterne sind nicht klar vor seinen Augen;

und nun der Mensch gar, dieser Wurm, die Made!

(VIII) Doch wendest du an ihn dich, Hilfe suchend,
und flehtest des Allmächtgen Gnade an,

dann, wenn du wirklich rein und redlich bist,
wird er gewiß zu deinem Schutz erwachen
und deines Hauses Wohlstand dir erneun.“

(IX) Darauf erwiderte Hiob also:

„Wie könnte einer Recht vor Gott behalten?

In seinem Grimm stürzt er die Berge um

und schreckt die Erde auf von ihrem Grund,

gebeut dem Sonnenlicht, daß es nicht leuchte.

Er lässt von seinem Zorne nicht; ihm beugen
sich selbst der alten Hahab[4] Bundsgenossen.

Und ich, ich, meinst du, könnt ihm Rede stehn?

Ja, rief ich auch, würd er mir Antwort geben?
Ich glaube nicht, daß er sein Ohr mir liehe;

vielmehr im Sturme dräng er auf mich ein,
vermehrte ohne Grund nur meine Wunden

und ließe nimmer mich zu Atem kommen.

Gilts Kraft des Starken, sagt er: Sieh, da bin ich!
Gilts Recht, so heißts: Wer wagts, mich vorzufordern?

Er ist kein Mensch, dem ich könnt widersprechen,
mit dem ich vor den Richter könnte gehn.

Schuldlos bin ich. Ich sag es frei heraus:
Er bringt den Frommen wie den Frevler um.

(XIX) Wie lang, ihr Freunde, wollt ihr mich denn quälen,
wie lang mit euren Reden mich zermartern?

Ich ruf um Hilf und finde nirgends Recht.

Gott hat vom Haupt die Krone mir genommen;

sein ganzer Zorn ist wider mich entbrannt;

von allen Seiten drängen seine Scharen
und lagern ringsherum sich um mein Zelt.

All meine Brüder haben mich verlassen,
und meine Freunde sind mir ganz entfremdet.

Ruf ich dem Knechte, gibt er keine Antwort,
ich muß erst flehn und gute Worte geben.

Mein Atem ist zuwider meinem Weibe;

ich bin dem Spott der Kinder ausgesetzt.

Erbarmt euch mein, erbarmt euch mein, ihr Freunde!
denn mich hat Gottes Hand gar schwer getroffen.

Warum wollt ihr mich gleich wie er verfolgen
und werdet nimmer satt, mich zu zerfleischen?

Allein ich weiß, mein Anwalt lebt! Zuletzt
wird er auf diesem Staube sich erheben.

Wenn diese meine Haut von mir gefallen
und meines Fleisches bar, wird ich Gott schauen;

ja, schauen werd ich ihn zu meinem Heil,
mit eignen Augen ihn und nicht als Feind.[5]

(XXVII) Fern seis von mir, euch jemals Recht zu geben;
nein, bis zum Tod behaupt ich meine Unschuld! –

(X) Dies Leben ekelt meine Seele an,
so will ich freien Lauf der Klage lassen;

zu Gott will sagen ich: Verdamm mich nicht!
laß wissen mich, warum du mich bekriegst!

Kunstvoll geschaffen hat mich deine Hand;

bedenke doch, wie du aus Ton mich formtest!

Nur wenig noch sind meines Lebens Tage;
laß ab von mir, daß ich aufatmen möge,

bevor ich scheide ohne Wiederkehr
ins Land des Dunkels und des Todesschattens!“

(XI) Da nahm Zofar aus Naame das Wort und sprach:

„Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben
und so der eitle Schwätzer Recht behalten?

Du sprichst: Schuldlos bin ich vor Gott.

Ich möchte nur, daß er jetzt redete;

erkennen würdest du alsbald, daß er
von deiner Schuld ein gut Teil hat vergessen.

Bereite du dein Herz in rechter Weise!
so kannst du deine Hand zu ihm erheben.

Klebt eine Schuld dran, so entferne sie,
laß Sünde nicht in deinem Zelte wohnen!

Dann darfst du frei dein Angesicht erheben,
stehst felsenfest und brauchst dich nicht zu fürchten;

aus deiner Ruhe schreckt dich niemand auf,
und selbst an Schmeichlern wird es dir nicht fehlen.

Die Frevler aber spähn vergeblich aus,
denn jede Zuflucht ist für sie versperrt;
für sie gibt’s keine Hoffnung als den Tod.“

(XII) Darauf erwiderte Hiob also:

(XIII) „So will ich denn zu dem Allmächtgen reden,
denn ihr seid Lügentüncher insgesamt.

Mag über mich ergehn auch was da will,

mein Leben setz ich gern dafür aufs Spiel.

Was sind denn meine Sünden und Vergehn?
all meine Schuld und Sünde laß mich wissen!

Warum verbirgst dein Antlitz du vor mir
und achtest mich für deinen schlimmsten Feind?

Willst du aufwirbeln ein verwelktes Blatt,
nachjagen hinter einem dürren Halm?

(XIV) Ach, arm an Tagen ist der Weibgeborne,
geht auf wie eine Blume und verwelkt.

Du hast die Zahl der Monde ihm bestimmt,
sein Ziel gesetzt, das er nicht überschreite.

Dem Baum bleibt wenigstens noch eine Hoffnung:
haut man ihn um, so kann er wieder treiben.

Doch stirbt der Mensch, so ists mit ihm zu Ende;

wenn er entschläft, wacht er nicht wieder auf. –

(XXI) Warum behalten Frevler denn das Leben
und werden alt und nehmen zu an Kraft?

In Frieden steht ihr Haus und ungefährdet;
und Gottes Rute kommt nicht über sie.

Es paaren, fruchtbar stets, sich ihre Kinder;
und kalbt die Kuh, gibt’s keine Fehlgeburt.

Wie Lämmerherden hüpfen ihre Kinder.

Laut singen sie zu Paukenschlag und Zither
und freuen sich am Klange der Schalmei;

verbringen ihre Tag in Glück und Freude,

und sagten doch zu Gott: „Ach, bleib uns ferne!
von deinen Wegen wollen wir nichts wissen.“ –

„Allein, die Strafe trifft doch ihre Kinder!“
Warum denn nicht sie selbst, daß sie es fühlen?

Denn wenig kümmern sie sich um ihr Haus,
wird ihrer eignen Monde Zahl nur voll.

Der eine stirbt im Vollgenuß des Glücks,
in heitrer Ruh und völlig sorgenlos;

der andre aber stirbt in bittrem Gram
und hat im Leben Gutes nie genossen.

Am Tag des Unglücks wird verschont der Böse,
am Tag des Zorns in Sicherheit gebracht.

Wer wagt es, ihn ins Angesicht zu schelten?
Was er verbrochen, wer vergilt es ihm?

Und trägt man ihn zuletzt in seine Gruft,
so hält man Wache noch an seinem Hügel,

ein langer Zug geleitet ihn zum Grabe. –

(XXIX) Ach, wär ich noch wie in der alten Zeit,
wie in den Tagen, da mich Gott beschirmte,

da seine Leuchte über mir erglänzte,
in seinem Lichte ich durchs Dunkel schritt

und mich umgab der lieben Kinder Schar!

Da quollen Bäche Öls mir aus dem Felsen
und meine Füße badeten in Milch.

Ging ich hinaus zum Torplatz an der Stadt,
und nahm ich meinen Sitz am Marktplatz ein,

gleich zogen sich die Jüngern scheu zurück,
und Greise standen auf und blieben stehn;

die Ratsherrn hielten an mit ihren Reden
und legten ihre Hand sich auf den Mund.

Wo nur ein Ohr mich hörte, pries an mich;
wo nur ein Aug mich sah, gab es mir Beifall.

Ich rettete den, der um Hilfe anrief,
den Elenden, die Waise, den Verlaßnen.

Der Segen des Verlornen kam auf mich,
ins Herz der Witwe goß ich Trost und Freude.

Sie warteten auf mich wie auf den Regen,
wie nach Spätregen sperrten sie den Mund auf.

Ich war des Blinden Aug, des Lahmen Fuß,

des Armen Vater und des Fremdlings Anwalt,

zerschmetterte dem Frevler das Gebiß
und riß ihm aus den Zähnen seinen Raub.

Hatt ich geredet, widersprach mir keiner. –

(XXX) Und jetzt, ein Spottlied bin ich ihnen worden,
ein Gegenstand für höhnisches Geschwätz;

mit Abscheu weichen sie vor mir zurück
und scheuen sich nicht, vor mir auszuspeien.

Er hat mich nieder in den Kot geworfen,
der Asche bin ich gleich, dem Staube jetzt. –

(XXXI) Wenn ich die Lüge zur Gefährtin wählte,
mein Fuß des Truges Pfade jemals schlich,

wenn meine Schritte seinen Weg verließen,
mein Herz vom Auge sich verführen ließ,

so mög ein andrer ernten was ich säte,
und ausgerissen sei was ich gepflanzt!

Wenn für des Nachbarn Ehefrau entbrannt,
an seiner Tür ich lauernd je gestanden,

so sei die meinige des andern Magd
und Fremden soll sie preisgegeben sein!

Wenn meiner Magd und meines Knechtes Recht
bei einem Streit mit mir ich je verletzte,

wenn ich des Armen Bitte mich verschloß,
der Witwe Auge jemals schmachten ließ,

wenn meine Speisen ich allein verzehrte,
der Waise keinen Anteil daran gab,

wenn einen Armen jemals bloß ich sah

und meiner Schafe Wolle ihn nicht wärmte,

wenn gegen Fromme ich die Hand je hob,
weil vor Gericht mir Beistand sicher war,

so werde meine Schulter aus der Achsel,
der Arm aus den Gelenken mir gerissen!

Hab je auf Gold ich mein Vertraun gesetzt,
zum Mammon sprechend: Meine Zuversicht?

Hab über meines Feindes Unglück ich gejubelt,
frohlocket, wenn ein Mißgeschick ihn traf?

Nie ließ den Fremden draußen ich zur Nacht,
stets war dem Wandrer meine Tür geöffnet.

Hab ich nach Menschenart verheimlicht meine Fehle,
im Busen sorglich meine Sünde bergend?

Ach, wenn doch einer nur mich höre wollte!
Hier meine Unterschrift! Nun rede Gott!“

(XXXVIII) Da antwortete der Herr dem Hiob aus der Sturmwolke und sprach:

„Wer ist es, der hier meinen Plan verkennt
und redet ohne Einsicht und Verstand?

Auf, gürte deine Lenden wie ein Mann,
daß ich dich frag: und du belehre mich!

Wo warst du, als die Erd ich gründete?
das sage mir, wenn du so weise bist!

Wer hat die Maße ihr bestimmt? sag an!
und wer die Meßschnur über sie gespannt?

Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt?
und ihren Eckstein, wer hat ihn gelegt

beim lauten Jubelruf der Morgensterne,
beim frohen Jauchzen aller Gottessöhne?

Wer hat das Meer mit Toren fest verschlossen,
als es hervorbrach aus der Erde Schoß,

als ich Gewölk zu seinem Kleide machte,

ihm Schranken zog und Tor und Riegel setzte

und zu ihm sprach: „Bis hierher und nicht weiter!
hier soll sich brechen deiner Wogen Trotz!“

Stiegst du hinab je zu des Meeres Quellen?
Hast du gewandelt auf der Urflut Grund?

Hat sich des Todes Pforte dir geöffnet?
hast dus gesehn, das Tor der Unterwelt?

Bist dus, der der Plejaden Bande knüpfte?
kannst du die Fesseln des Orion lösen?

Führst du den Tierkreis auf zu seiner Zeit
und leitest du die Bärin mit den Jungen?

Erhebst du zu der Wolke deine Stimme,
daß dir antwortet ihrer Wasser Flut?

Entsendest du die Blitze, daß sie sausen,
zu dir gehorsam sagen: Sieh, da sind wir?

Erjagst du für die Löwin ihre Beute
und stillest du der jungen Löwen Gier,

wenn in den Lagerstätten sie sich kauern
und in dem Dickicht auf der Lauer liegen?

(XXXIX) Wer ließ dem wilden Esel[6] seine Freiheit,
und seine Bande, war hat sie gelöst?

Wer gab die weite Wüste ihm zur Wohnung,
die salzge Steppe als geräumges Haus?

Er lacht des lauten Lärmes in der Stadt
und hört nicht eines Treibers Drohgeschrei.

Wird wohl der Wildstier je dir willig dienen

und dir gehorsam deinen Acker pflügen?

Gabst du dem Rosse seinen Heldenmut
und schmücktest mit der Mähne seinen Hals?

Hast dus gelehrt, Heuschrecken gleich, behend
zu springen? Furchtbar tönt sein prächtig Schnauben,

es scharrt den Boden, freut sich seiner Kraft
und ziehet aus, dem Kampfe keck entgegen.

Es lacht der feigen Furcht und zittert nicht
und nimmt auch vor dem Schwerte nicht Reißaus.“

(XL) Da antwortete Hiob und sprach:

„Armselger ich, was kann ich dir erwidern?
Ich lege meine Hand auf meinen Mund.

Einmal hab ich geredet, doch nun schweig ich.

(XLII) Daß du allmächtig bist, erkenn ich wohl,
und daß bei dir kein Ding unmöglich ist.

Im Unverstand hab ich geschwatzt von dem,
was mir zu wunderbar und unbegreiflich.

Bisher kannt ich dich nur vom Hörensagen,
jetzt aber haben meine Augen dich geschaut.

Drum nehme reuig ich mein Wort zurück
und will in Staub und Asche Buße tun.“

(7) Nachdem der Herr diese Worte zu Hiob geredet hatte, sprach er zu Elifas aus Teman: „Ich zürne dir und deinen beiden Freunden; denn ihr habt nicht wahr von mir geredet wie mein Knecht Hiob. (8) So holt nun sieben Stiere und sieben Widder und bringt sie das als Brandopfer für euch! Mein Knecht Hiob aber mag für euch beten; denn nur um seinetwillen werde ich euch vergeben.“ (9) Da gingen sie hin und taten, wie der Herr sie geheißen; der aber erhörte Hiobs Fürbitte.

(10) Auch wandte der Herr das Geschick Hiobs und gab ihm alles, was er besessen hatte, doppelt wieder (12) und segnete das Lebensende Hiobs mehr als seinen Anfang, sodaß er es auf 14000 Schafe, 6000 Kamele, 1000 Joch Rinder und 1000 Eselinnen brachte. (13) Auch wurden ihm sieben Söhne und drei Töchter geboren; (14) und er nannte die eine Täubchen, die andre Zimmetdüftchen und die dritte Schminkdöschen; (15) im ganzen Lande fand man keine so schönen Mädchen wie die Töchter Hiobs; und ihr Vater gab ihnen ein Erbteil unter ihren Brüdern.[7]

(16) Danach lebte Hiob noch hundert und vierzig Jahre und sah Kinder und Kindeskinder bis ins vierte Glied. (17) Dann starb er alt und lebenssatt.

Erklärungen

[1] Das Buch besteht aus zwei sehr ungleichen Teilen: der volkstümlichen Prosaerzählung vom frommen Dulder Hiob, der sich auch durch die härtesten Schläge nicht von seiner Ergebung in Jahwes Willen abbringen lässt (I. II. XLII 9-17) und der deshalb von Jahwe doppelt wiedererhält was er verloren hat und einer Versdichtung, die in Kapitel III damit beginnt, daß Hiob den Tag seiner Geburt verflucht, die sich dann in acht Reden seiner drei Freunde und ebenso vielen Erwiderungen Hiobs bis Kapitel XXXI zu heftiger Anklage Gottes durch Hiob steigert und die abgeschlossen wird einmal durch eine Rede Elihus (XXXII-XXXVII), sodann durch eine Erwiderung Jahwes (XXXVIII-XLI) und Hiobs Ergebung in Jahwes unerforschlichen Ratschluß (XLII 1-6). Die drei Freunde Hiobs vertreten, teils maßvoll (Elifas), teils heftig (Bildad und besonders Zofar), den starren jüdischen Vergeltungsglauben: Gott ist gerecht, und so kann sich Hiobs Unglück nur daraus erklären daß er gesündigt hat. Gegen diese Beschuldigung lehnt sich Hiob leidenschaftlich auf; er ist sich keiner Schuld bewußt, glaubt im Gegenteil alle Gebote der Religion bestens erfüllt zu haben (XXIX.XXXI); aber Gott ist eben ungerecht (XXI). Jahwe geht in seiner Erwiderung garnicht auf Hiobs Anklage ein, sondern führt ihm nur seine Allmacht und Majestät vor Augen durch den Hinweis auf die gewaltigen Werke seiner Schöpfung und bringt ihn dadurch zu der Erkenntnis, daß der Mensch sich einfach dem unerforschlichen Ratschluß Jahwes beugen muß. Ganz anders die Rede Elihus, der an dem jüdischen Vergeltungsglauben festhält und (gegen I.II!) behauptet, Hiob habe sich durch sein früheres Glück zur Hoffahrt verleiten lassen und nicht erkannt, daß Gott durch seine Schläge ihn habe warnen wollen; so habe Hiob unberechtigte Anklagen gegen Gott erhoben und dadurch aufs neue Züchtigung verdient. Fast allgemein wird angenommen, daß die Elihurede ein späterer Einschub ist, verfaßt von einem Manne, dem die Rede Jahwes keine befriedigende Antwort zu geben schien auf die Frage, wie sich die Leiden eines Mannes wie Hiob mit der göttlichen Gerechtigkeit vertrügen. Ich habe sie fortgelassen, zumal sie kaum einen neuen Gedanken bringt. Die acht Reden der drei Freunde Hiobs und Hiobs ebensoviele Erwiderungen habe ich in je drei zusammengezogen, da die einzelnen Redner sich oft in ihren Gedanken wiederholen, vom Thema abschweifen und einen klaren Gedankenfortschritt vermissen lassen. Als Entstehungszeit des Buches Hiob wird im allgemeinen das 4. oder 3. Jh. v. Chr. angesehen.

[2] Engel; vgl. 1. Mose VI 1-4!

[3] Hier noch nicht der Teufel, sondern einer der Gottessöhne der im himmlischen Rat die Aufgabe des Anklägers hat. Vgl. Sacharja III 1 und den Lügengeist, dessen sich Jahwe 1. Könige XXII 20-22 bedient!

[4] Mythisches Seeungeheuer; vgl. Jesaja LI 9!

[5] Anders Luther (der Vulgata folgend): „(25) Aber ich weiß daß mein Erlöser lebet, und er wird mich hernach aus der Erden aufwecken; (26) und werde danach mit dieser meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen; (27) denselben werde ich mir sehen, und meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.“ Da aber XIV 14 Hiob den Gedanken an ein Wiederaufleben nach dem Tode abweist mit den Worten: „Wenn der Mensch stirbt, kann er wieder aufleben?“, so werden die Verse XIX 25-27 wohl nur bedeuten daß Gott, nachdem er Hiob durch die Krankheit bis an den Rand des Grabes gebracht hat, zuletzt doch noch für ihn eintreten wird. Vgl. auch Daniel XII 2!

[6] Der I. Hagenbeck’schen Persien-Expedition ist es i. J. 1954/55 geglückt, einen größeren Zuchtstamm dieser schon ausgerottet geglaubten Tiere nach Stellingen zu bringen. Über ihren Fang berichtet Carl Hagenbeck: „Bei Temperaturen bis zu 58 Grad im Schatten durchstreiften die Fangautos die fast vegetationslosen Salzwüsten. In dieser Gluthölle leben die Onager (=Wildesel) vom Steppenwermut und den kargen Pflanzen, die zwischen dem Geröll sprießen. Dennoch verfügen die Tiere über eine unwahrscheinliche Widerstandskraft. 45 Minuten lang liefen sie mit Leichtigkeit vor den Fangautos her, die mit 50 Stunden-km Geschwindigkeit die einzelnen Trupps über die steinige Wüste verfolgten, bevor der Tierfänger ihnen den Fangstock mit der Schlinge überstreifen konnte. War der Fang der Fohlen verhältnismäßig einfach, so wehrten sich die ausgewachsenen Stuten und besonders die Hengste mit allen Kräften gegen den Abtransport in das Sammellager. Einem Hengst gelang es dabei – aus dem Stand! – eine 2,40 m hohe Mauer zu überspringen.“

[7] Gewöhnlich erbten nur diese.