Der Prediger

Der Prediger

(Prediger I)

Sinnlose Nichtigkeit! sagt der Prediger,
sinnlose Nichtigkeit! alles ist nichtig!

Was nützt dem Menschen all die Müh,
mit der er sich abmüht unter der Sonne?

Ein Geschlecht geht dahin, ein andres kommt auf,
die Erde aber bleibt ewig bestehn.

Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter;
eilt zurück an den Ort, wo sie wiederum aufgeht.

Der Wind weht nach Süden, dreht sich nach Norden;
ständig sich drehend weht der Wind.

Alle Flüsse fließen zum Meere,
und doch wird das Meer nicht voll.

Was geschehen ist kehrt wieder,
und die Sonne bringt nichts Neues.

(12) Ich der Prediger bin König gewesen über Israel zu Jerusalem.[1] (13) Ich wollte alles was unter der Sonne geschah durch Weisheit erforschen und ergründen: ein leidiges Geschäft, das Gott den Menschen auferlegt hat, sich damit zu plagen. (16) Ich dachte: Ich habe größere Weisheit erlangt als alle, die vor mir über Jerusalem herrschten! (17) bis ich erkannte, daß auch dies nur windiges Streben ist. (18) Denn wo viel Weisheit, da ist viel Verdruß; und je mehr Erkenntnis, desto mehr Kummer.

(II 1) Da dachte ich: Versuch es einmal mit Genießen und Wohlleben! Aber auch das war nichtig. (2) Ich erkannte, daß Lachen sinnlos, Genießen zwecklos war. (4) Da unternahm ich große Arbeiten: baute Paläste, pflanzte Weinberge, (5) legte Gärten und Lusthaine an, pflanzte darin Bäume mit mancherlei Frucht, (6) schuf auch Teiche, die Bäume zu wässern, (7) kaufte Knechte und Mägde zu den im Hause gebornen, auch Herden von Schafen und Rindern, (8) hortete Silber und Gold, verschaffte mir Sänger und Sängerinnen und die Wonne der Menschensöhne, Frauen in Menge. (10) Was irgend meine Augen begehrten versagte ich ihnen nicht. (11) Doch als ich all meine Werke betrachtete und die Mühn, die ich drauf verwandt, ach, da war alles nichtig und windiges Streben.

(12) Und ich ging daran, die Weisheit mit der Torheit zu vergleichen, (13) und sah daß die Weisheit der Torheit vorzuziehn ist wie das Licht der Finsternis: (14) der Weise hat Augen im Kopf, der Tor aber wandelt im Dunkel. Doch ich erkannte auch, daß ein Geschick die beiden trifft. (15) Was nützt mich da meine Weisheit?

(18) Auch wurde mir alle meine Müh verleidet, mit der ich mich abgemüht unter der Sonne, weil ichs lassen muß dem der nach mir sein wird; (19) und wer weiß, ob der weise sein wird oder ein Tor?

(III 16) Weiter sah ich unter der Sonne: statt Recht herrschte Unrecht, statt Gerechtigkeit Frevel. (18) Da dachte ich: der Menschen wegen, sie zu prüfen, hats Gott so gefügt, damit sie sehn daß sie nicht mehr sind als das Vieh. (19) Ja, das Geschick der Menschen gleicht dem Geschick des Viehs: ein Geschick haben sie beide. Wie dieses stirbt, so sterben auch jene; (20) beide sind aus Staub geworden, und beide werden wieder zu Staub. (21) Wer weiß denn, ob der Odem des Menschen auffährt nach oben, der Odem des Viehs aber hinab zur Erde?

(IV 1) Ich sah die Tränen der Unterdrückten, die niemand tröstete. (2) Da pries ich die Toten, die schon Gestorbnen; glücklicher sind sie als die noch Lebenden, (3) und glücklicher als beide Ungeborne, der noch nicht geschaut hat das böse Treiben das auf Erden herrscht.

(IX 2) Alle trifft dasselbe Geschick: den Gerechten und den Frevler, den Reinen und den Unreinen, den Opfernden und den der nicht opfert, den der schwört und den der den Schwur scheut. (3) Das ist das Schlimmst unter der Sonne, daß alle ein Geschick trifft.

(V 17) Drum was ich als gut befunden ist dies: Essen Trinken und Genießen bei all der Müh, mit der der Mensch sich abmüht unter der Sonne die kurze Zeit seines Lebens, die Gott ihm gewährt hat. (18) Ists aber einem vergönnt, Reichtum zu genießen, so ist das ein Geschenk Gottes. (IX 7) Iß mit Freuden dein Brot, trink Wein mit Behagen, (8) trag stets weiße Kleider, laß dem Haupt das Öl nicht mangeln, (9) genieß mit der geliebten Frau dein Leben, das flüchtige, das Gott dir gab unter der Sonne!

(VII) Besser guter Ruf als Wohlgeruch,
besser der Todestag als der Geburtstag,

besser zum Trauerhaus gehn als zum Gelage,
denn jenes zeigt wie der Mensch endet
und der Lebende nimmts zu Herzen;

besser Traurigkeit als Lachen,
ernstes Gesicht hält das Herz froh;

besser das Schelten des Weisen als der Gesang des Toren. -

(V) Wer das Geld liebt hat nie genug,
wer Reichtum liebt hat keinen Gewinn;

mehrt sich das Gut, so mehren sich die Esser,
und sein Besitzer hat nichts als das Zusehn.

Süß ist der Schlaf des Arbeiters,
mag er viel oder wenig zu essen haben;
den Reichen aber lässt Übersättigung nicht schlafen.

Wie er hervorkam aus Mutterschoß,
nackt, geht der Reiche einst wieder davon;
nichts behält er für seine Müh, das er mitnehmen könnte.-

(IX) Besser ein lebender Hund als ein toter Löwe. –

Was du tun kannst tu nach Kräften!
in der Unterwelt, wohin du gehst,
gibt’s weder Schaffen noch Planen,
weder Erkennen noch Weisheit mehr. –

Wie die Fische im Netz und die Vögel in der Schlinge
so werden die Menschen verstrickt zur Zeit des Unheils,
wenn es plötzlich hereinbricht. –

(X) Weh dir, Land, des König ein Kind ist,
des Fürsten am Morgen schon tafeln! –

Wo Trägheit wohnt, senkt sich das Gebälk;
sind lässig die Hände, tropft es durchs Dach. –

Selbst in deinem Bette schimpf nicht auf den König!
selbst in deiner Kammer schimpf nicht auf die Reichen!
Die Vögel könnten den Laut forttragen,
die Flügelträger deine Worte verraten. –

(VII) Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise!

Keiner ist so gerecht auf Erden,
daß er nur Gutes täte und nie sündigte. –

Mancher Gerechte kommt um trotz seiner Gerechtigkeit,
und mancher Gottlose treibts lange trotz seiner Bosheit. –

Die Weisheit gibt dem Weisen mehr Stärke
als zehn Machthaber in der Stadt. –

(IV) Zwei sind besser daran als einer;

falln sie, hilft einer dem andern auf.
Doch weh dem Einzelnen, wenn er fällt
und keiner da ist, ihm aufzuhelfen.

Mag einer den Einzelnen überwältigen,
so halten ihm doch die Zweie stand;
und gar die dreifache Schnur reißt nicht leicht. –

(III) Alles hat seine bestimmte Stunde,
jedes Ding unterm Himmel seine Zeit:

Gebären und Sterben, Pflanzen und Ausreißen,

Töten und Heilen, Einreißen und Bauen,

Weinen und Lachen, Klagen und Tanzen,

Umarmen und Meiden, Wegwerfen und Sammeln,

Suchen und Verlieren, Schweigen und Reden,

Liebe und Haß, Krieg und Frieden -
dies alles hat seine Zeit.

(XI) Freu dich, Jüngling, deiner Jugend,
sei frohgemut in deines Lebens Mai!
Leb wie es dein Herz gelüstet,
genieß was deine Augen schaun!
Doch bedenk, daß Gott für alles
Rechenschaft von dir wird fordern!

Bann den Kummer aus dem Herzen,
halte Schädliches dir fern!

(XII) Gedenke in der Jugend deines Schöpfers,
eh die bösen Tage kommen, die Jahre die dir nicht gefallen,

eh die silberne Schnur zerreißt und die goldene Ampel springt[2],

eh der Staub wieder wird zu Erde.

Sinnlose Nichtigkeit! sagt der Prediger, alles ist nichtig!

Erklärungen

[1] Hiermit soll Salomo als Verfasser bezeichnet werden (vgl. auch 16 und II 8!). Die stark aramäisch gefärbte Sprache des Buches aber zeigt daß es kaum vor dem 3. Jh. V. Chr. Entstanden sein kann.

[2] = Eh das Lebenslicht erlischt. Ampel = Ölbehälter.