Einleitung

2. Gruppenbildung in Kunst und Politik

Wie in keiner Phase der Literaturgeschichte sonst wurden Künstlervereinigungen und Schriftstellerkreise, subpolitische Zirkel und programmatische Gruppierungen in der Zeit des Expressionismus zu kommunikativen Zentren des literarischen Lebens. Der »Neue Club«[1], die Künstler um Herwarth Waldens Sturm und Sturmbühne[2], Franz Pfemferts Aktions­-Kreis, Alfred Richard Meyers Literaturzirkel, Paul Cassirers Pan-Mitarbeiter und die »Patheti­ker« um Ludwig Meidner, die Gruppe der Zeitschrift Neue Jugend, Wolf Przygode und die Dichtung, nicht zuletzt auch die Künstler des Blauen Reiters waren neben vielen anderen Ge­meinschaften (vgl. Dok. 2, 23, 145) um Zeitschriften oder Verlage die organisatorische Basis der Bewegung und Movens ihrer Entwicklung.[3] Überzeugt von der »Macht der Minoritä­ten« in der Literaturgeschichte[4], sammelte man sich in künstlerischen Arbeitsgemeinschaf­ten, die im Gegensatz zu den älteren Arkan-Kreisen wie der um Stefan George[5] oder Otto zur Lindes Charon an die Öffentlichkeit drängten. Rudolf Leonhards Kritik des zeittypischen Phä­nomens »Gruppenbildung« (Dok. 102) setzt sich mit der Eigenart literarischer Fraktionen im frühen Expressionismus auseinander. Den Sezessionen der Maler vergleichbar propagierte man die »Dichter-Sezession«[6], den »Abmarsch des Volkes auf den heiligen Berg«, von dem aus »die Welt des Ausruhens und Genießens, die Welt der Tradition, Dekoration und Imitation er­schüttert« werden sollte.[7] Im Kampf um die Moderne bedingungslos auf seiten der künstle­rischen Innovation, trat mit dem »Sturmkreis« eine relativ homogene Gruppe auf, die ihren ei­genen Expressionismus und die Theorie der »Wortkunst« (s. den Abschnitt »Spracherneuerung und Wortkunsttheorie«) kreierte. Rudolf Blümners Propagandaschrift (Dok. 103) vergegen­wärtigt nicht allein die Fülle der Aktivitäten dieser Gruppe, sondern konfrontiert auch mit der für sie typischen Tendenz zur kunsttheoretischen Orthodoxie und avantgardistischen Esoterik. Ähnliche Strukturen ließen sich für den im September 1917 initiierten Dresdner Arbeitskreis »Gruppe 1917« (vgl. Dok. 131) nachweisen, der mit Veranstaltungen, Manifesten, den Zeit­schriften Menschen, Komet und Neue Schaubühne, Schriftenreihen und einem eigenen Verlag den »Selbstzweck Gemeinschaftsbildung für neue Kunst« verfolgte.[8]