Das Deboralied

Das Deboralied

(Richter V 1)

Damals sangen Debora und Barak Abinoamssohn folgendes Lied:
Hört, ihr Könige, merkt auf, ihr Fürsten!
Jahwe will ich singen, spielen Jahwe, dem Gott Israels.
Jahwe, als du auszogst aus Seit, herschrittst von Edoms Gefilde, da bebte die Erde,
wankte der Himmel, troffen die Wolken von Wasser;
die Berge zitterten vor Jahwe, vor Jahwe, dem Gott Israels.
In Samgars Tagen ruhten die Karawanen,
schlichen die Wandrer Seitenpfade.
Schild ward nicht gesehn noch Speer bei vierzigtausend in Israel,
bis du aufstandst Debora, aufstandst eine Mutter in Israel.[1]
Da zog hinab zu den Toren das Volk Jahwes:
„Wach auf, wach auf Debora, wach auf, wach auf, sing ein Lied!“
„Erheb dich Barak, fang deine Fänger Abinoamssohn!“
Da stieg Israel hinab wie Fürsten, das Volk Jahwes wie Helden:
Aus Efraim stieg man zu Tal, dahinter Benjamin mit seinen Scharen;
Aus Machir stiegen Führer hinab, aus Sebulon die Szepterträger;
die Fürsten Issachars kamen mit Debora, Naftali mit Barak;
in Rubens Gauen gabs lange Beratungen;
was saßest du müßig zwischen den Hürden?
Auch Gilead blieb ruhig jenseits des Jordans;
Und warum weilte Dan bei den Schiffen?
Asser saß still am Gestade des Meeres,
blieb ruhig sitzen an seinen Buchten;
doch Sebulon setzte sein Leben ein,
er und Naftali auf den Höhen des Landes.
Könige kamen und kämpften, damals kämmpften die Könige Kanaans
Zu Taanach am Wasser Megiddos[2]; Silberbeute machten sie nicht.
Vom Himmel kämpften die Sterne,
kämpften aus ihrer Bahn mit Sisera.
Es stampften die Hufe der Rosse; der Kisonbach riß sie fort,
„Flucht Meros!“ sprach der Engel Jahwes,
„ja, flucht seinen Bewohnern,
weil sie Jahwe nicht zu Hilfe kamen,
Gepriesen vor allen Frauen sei Jael[3],
gepriesen vor allen Frauen im Zelt!
Um Wasser bat er, Milch gab sie,
in kostbarer Schale reichte sie Dickmilch;
ihre Hand streckte sie aus nach dem Pflock,
ihre Rechte nach dem Schmiedehammer,
behämmerte Sisera, zermalmte sein Haupt,
zerschlug durchbohrte seine Schläfe.
Zu ihren Füßen brach er zusammen,
wo er zusammenbrach lag er erschlagen.
Durchs Fenster spähte und schaute aus
Siseras Mutter[4], durch das Gitter:
„Warum säumt sein Wagen heimzukommen
und hört man kein Traben seiner Gespanne?“
Die klügste ihrer Frauen erwidert ihr,
auch sie selber gibt sich die Antwort:
„Sicher fanden und teilten sie Beute,
ein Weib, zwei Weiber für jeden Mann,
bunte Gewänder als Beute für Sisera,
ein Tuch, zwei Tücher, bunt gewirkt, für der Königin[5] Hals!“
So mögen umkommen all deine Feinde, Jahwe!
Aber die dich lieben sind wie der Aufgang der Sonne in ihrer Kraft.

Erklärungen

[1] Nach V 1 hätten Debora und Barak nach errungenem Siege das „Deboralied“ gesungen. Auf diese Angabe ist aber kein Wert zu legen, da sie doch wohl erst vom Deuteronomisten (siehe Namen- und Sacherklärungen!) hinzugefügt ist. Doch ist es nicht unmöglich, daß Debora die Dichterin war; denn in Vers 7 kann statt „bis du aufstandst“ ebenso gut „bis ich aufstand“ übersetzt werden. Für Debora würde sogar sprechen die bescheidene Rolle, die sie im Liede spielt, während die Prosaerzählung ihre Bedeutung stark hervorhebt, und vielleicht auch das einer Frau besonders naheliegende Sichversenken in die Gedanken der Königinmutter.

[2] Taanach und Megiddo lagen am SW-Rande der vom Kison durchflossenen Ebene Jesreel.

[3] Nach IV 17 die Frau des Keniten Heber; die Keniten waren ein mit Israel befreundeter Nomadenstamm.

[4] In Abwesenheit des Königs ist seine Mutter, nicht seine Gemahlin die höchste im Rang. Vgl. I.Könige II 19!

[5] In der jüngeren Prosaerzählung (IV) ist Sisera nur Feldherr, u. zw. des aus Josua XI bekannten Königs Jabin von Hazor.