Donnerstag, 9.4.

Die weißen Tulpen von Edeka lassen ihre Köpfe hängen. Heute bin ich mit Wut aufgewacht, mit einem Gefühl innerer Zerrissenheit. Nachwehen von Söders neuesten Verkündigungen: Die Maskenpflicht wird kommen. Weiterhin Shutdown in der Gastronomie, in Clubs und Hotels, keine Veranstaltungen. Corona 2.0 macht mich wütend, doch Wut ist eine Produktivkraft. Sie verleiht mir Power, macht ein Kraftpaket aus mir. Die Angst tritt in den Hintergrund.

Die Corona-Sentimentalität (oh Gott, schon wieder mehr Infizierte!) hat etwas Demoralisierendes. Ebenso die neue Solidarität, die jetzt überall propagiert wird. Heile, heile Gänschen, ist bald wieder gut… „Bangemachen gilt nicht!“ hat Theodor W. Adorno in seinen „Minima Moralia“ geschrieben. Seine „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“ von 1951 sind Aphorismen und Essays gegen Entfremdung, gesellschaftliche Zwänge, Kommerz und Konsum. Dem „falschen“ Leben wird nachgespürt. Die Verzweiflung als Weg der Erkenntnis, gerade heute ist sie vielen vertraut. Ich nehme Adornos Buch zur Hand und schlage es wahllos auf. Seite 91: „Der Gedanke, dass nach diesem Krieg das Leben normal weitergehen oder gar die Kultur wiederaufgebaut werden könnte, ist idiotisch.“ Adorno sprach von der Vernichtung der Juden im Holocaust. Aber ist die Pandemie nicht auch eine Art Krieg, der Gedanke an eine Rückkehr in die Normalität idiotisch?

Die Verzweiflung machte Sören Kierkegaard als die Grundstimmung des Menschen aus. Der dänische Philosoph, Theologe und Schriftsteller, 1813 in Kopenhagen geboren, gilt als Wegbereiter der Existenzphilosophie. Die Verzweiflung resultiere aus dem Urzustand des Menschen, dem Leben aus der sinnlichen Empfindung heraus. Erst wenn der Mensch diesem Zustand entkomme, indem er das Verhältnis zwischen Körper und Geist reflektiere, kann er diesem verzweifelten Zustand entkommen. Aber der Theologe geht noch einen Schritt weiter: Wirkliche Erlösung gibt es erst im Augenblick des Glaubens.

Vom Verstand her bin ich Atheistin. Doch tief drinnen eine sentimentale Katholikin, die gerade an Karfreitag von Mitgefühl für den gekreuzigten Jesus überschwemmt wird. Wieder werde ich mir auf RTL 2 das Historiendrama „Ben Hur“ anschauen und mit den Tränen kämpfen, wenn der Held seine Mutter und Schwester im Tal der Aussätzigen findet. Wenn die beiden bei einem heftigen Unwetter von der Lepra geheilt werden… Doch Corona ist nicht Lepra, und Wunder sind nicht zu erwarten.

Aus Eva Strasser: Splitter aus der Quarantäne. Ein Corona-Tagebuch. Sonderausgabe literaturkritik.de. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2020