Die Geschichte einer zunehmenden Verfinsterung

Aus Anlaß einiger Bücher von und über Günter Kunert (1979)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Es läßt sich nicht verschweigen: der Dichter Günter Kunert ist ein Vielschreiber. Und enorm sind die Dimensionen seines Werks. Keine literarische Form gibt es, in der sich der jetzt Fünfzigjährige nicht versucht hätte. Er verfaßte Gedichte und Epigramme, Parabeln und Geschichten, Satiren und Grotesken, Reportagen, Tagebücher und Reiseberichte, Skizzen und Momentaufnahmen, Glossen und Monologe, Märchen und Kinderbücher, Aufsätze, Essays und Kritiken. Er publizierte einen Roman und eine größere Erzählung, von ihm stammen ebenfalls zahlreiche dramatische Arbeiten: Hörspiele und Drehbücher, Fernsehspiele und ein Opernlibretto. Die Filmografie Kunerts verzeichnet nicht weniger als vierzehn zwischen 1959 und 1976 entstandene Filme.

Doch so vielseitig und reichhaltig dieses Werk auch ist, so fällt andererseits dessen erstaunliche Einheitlichkeit auf: Seit dreißig Jahren – sein erstes Buch, der Gedichtband „Wegschilder und Mauerinschriften“, erschien 1950 – kehrt Kunert mit nicht nachlassender Hartnäckigkeit zu denselben Motiven und Themen zurück. Denn er ist, um es gleich zu sagen, ein Dichter mit einer Obsession. Diese aber hat, wie fast immer in solchen Fällen, unmittelbar mit seiner Biographie zu tun.

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Aus Marcel Reich-Ranicki: Über Günter Kunert. Hg. von Thomas Anz. Marburg 2019 (weitere Informationen auf der Verlagsseite).