III.3.5 Schriftstellerberuf

Leseprobe

Von Stephan PorombkaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Porombka

3.5 Schriftstellerberuf

Berufung, Beruf, Projektmanagement

Wo es um die Professionalisierung des literarischen Schreibens geht, werden ›Beruf‹ und ›Berufung‹ gern gegeneinander ausgespielt. Wer zum Schriftsteller oder zum Dichter ›berufen‹ ist (oder sich ›berufen‹ fühlt), empfängt zum Schreiben einen höheren Auftrag, dem er sich nicht entziehen kann und nicht entziehen will. Der ›Berufene‹ muss dichten, weil er – nach einem in der Antike erstmals fixierten Verständnis, dessen Wurzeln aber bis in die Kultordnungen primitiver Kulturen zurückreichen – von den Göttern, dem Gott oder den Genien als Medium bestimmt worden ist und nun ihre Botschaft in die Sprache der Menschen zu übersetzen hat. Dem modernen Selbstverständnis nach schreibt der ›Berufene‹, weil er einem psychischen Druck nachgeben muss, der ihm als Alternative nur das Leiden lässt. Oder er schreibt, weil er einem – ebenfalls aus sich selbst heraus, aber in Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelten – politischen, sozialen oder moralischen Auftrag zur Verbesserung des Menschen im Besonderen oder der Menschheit bzw. Gesellschaft im Allgemeinen folgt (vgl. Holm-Hadulla 2004).

Dient der Hinweis auf die ›Berufung‹ der Konstruktion eines idealen Modells des literarischen Schreibens, so zielt der Hinweis auf den ›Beruf‹ des Schriftstellers tendenziell auf Desillusionierung. ›Beruf‹ meint dann immer: die Anstrengungen der Selbstdisziplinierung, die Ausrichtung des Schreibens an Regeln, die Orientierung an den Ansprüchen der Auftraggeber oder des Publikums, die Anbindung der eigenen Produktion an Trends und Moden, die der Literaturmarkt vorgibt.

Aus dieser Gegenüberstellung haben sich drei Schablonen ergeben, die das Berufsbild (und Berufungsbild) des Schriftstellers zum Teil bis heute prägen: Da ist der Autor als Bohémien, der sich den Reglementierungen eines bürgerlichen Lebens verweigert, stattdessen der inneren Berufung folgt und damit Armut, Krankheit oder sogar das Irrewerden billigend in Kauf nimmt. Da ist der Schriftsteller als Pegasus im Joche, der notdürftig versucht, einen ihm grundsätzlich widerwärtigen Beruf auszuüben, der ihn so weit ernährt, dass er ›nebenbei‹ noch seiner Berufung folgen kann. Und da ist der Erfolgsschriftsteller, der es schafft, die Berufung zum Beruf zu machen, und sich mit den Accessoires schmücken kann, mit denen sich im Kulturbetrieb die finanzielle Unabhängigkeit des Selfmademan und der Selfmadewoman demonstrieren lässt.

Mit diesen Berufsbildern wird das Literatenleben als beständiger Zweikampf zwischen Ideal und Wirklichkeit inszeniert, Freiheit und Bindung, Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, innerem Ich und äußerer Welt, an dem man zugrunde gehen muss und aus dem man nur in seltenen Fällen als Gewinner hervorgeht. In Absetzung davon hat sich seit Mitte des 20. Jh.s ein Berufsverständnis durchgesetzt, das seinerseits zwar selbst eine diskursive Konstruktion ist, dafür aber der Komplexität der Schriftstellerarbeit gerechter wird: Es ist der Schriftsteller als freiberuflicher Medien- und Projektmanager, der das literarische Schreiben nur als Teil einer umfassenderen Tätigkeit versteht. In diesem Rahmen werden das nichtliterarische Schreiben und das professionelle Agieren im Literaturbetrieb nicht als etwas Fremdes abgespalten, sondern funktional integriert. [...]

Leseprobe aus  dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.