Über falsche Einheiten

Fritz Heiders Aufsatz "Ding und Medium" von 1926 in Neuausgabe

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wann begann die moderne Medientheorie? - Viele meinen mit Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz oder Bertolt Brechts Radiotheorie. Doch diese waren vor allem Theorie der technischen Apparate in politischen Kontexten. Erstmals über Medien als solche reflektiert hat ein anderer: Fritz Heider. 1926 in seinem Aufsatz "Ding und Medium", der rückwirkend von Niklas Luhmann zum Gründungsdokument der systemtheoretischen Medienkonzeption promoviert wurde. Zumindest ist es Luhmann zu verdanken, dass der Text heute noch bekannt ist. Er nämlich las, wie Dirk Baecker in seinem Vorwort zur vorliegenden Ausgabe schildert, ein Buch des Organisationspsychologen Karl Weick, der kurz auf Heiders Aufsatz aus dem kurzlebigen Philosophiemagazin "Symposion" in ihrer englischen Übersetzung von 1959 verwies. Bereits in der fünften Auflage seit 1999 ist der Text in gekürzter Fassung in dem Reader "Kursbuch Medienkultur" der Bauhaus Universität Weimar zugänglich und hat eine beachtliche Verbreitung auch über die Grenzen der Systemtheorie hinaus erfahren.

In Baeckers Edition wird der Text nun erstmals in voller Länge wiederabgedruckt. Heider, von Hause aus Psychologe, stand der Gestaltpsychologie nahe und war ab 1927 Assistent von William Stern in Hamburg. Mit einer heute teils hölzern anmutenden Sprache und schier unendlicher Geduld versucht er sich in seinem Aufsatz an einer Explikation der Trennung von "Dingen" und "Medien". Die Umständlichkeit, in der die Trennung begründet wird, dient einzig und allein dem Zweck, zu betonen, das Dinge nicht per se Dinge und Medien nicht per se Medien sind. Jedes Ding könne für ein anderes auch Medium sein, lautet Heiders Grundaussage. Expliziert wird dies von Heider allerdings nicht an traditionellen Medien wie Buch oder Bild, sondern an elementareren 'Medien' wie beispielsweise Licht oder Luft. Die antiken Elemente sind für Heider nämlich insofern Medien, als darin die Dinge erscheinen. Die Dinge aber sind keine Substanzen, sondern 'falsche Einheiten', insofern das "Wellengeschehen" in der Wahrnehmung als Gegenstände konfiguriert. (Glas etwa kann als Ding 'gesehen' werden oder als Medium andere Dinge 'sehen lassen'.) Dies ist Konstruktivismus in seiner radikalsten und zugleich anthropologischsten Variante. Vor allem aber ist es ein atemberaubendes Lektüreerlebnis, das nun in einer wunderschönen Hardcover-Aufmachung und im Großdruck mit Originalpaginierung erhältlich ist.

Kein Bild

Fritz Heider: Ding und Medium.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2005.
128 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3931659712

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch