Kulturjournal

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Betreff Re: Playgiarism - Hegemann, die postmoderne Literaturtheorie und die Rückkehr des Autors in der Literaturwissensc
Autor Eckart Löhr
Datum 16.02.2010 21:51
Nachricht

Es ist wahr, dass die poststrukturalistische Literaturtheorie ca. vierzig Jahre alt ist. Dabei ist sie aber noch ca. hundertfünfzig Jahre aktueller als die romantische Theorie, was naturgemäß erst einmal nichts über ihren Wahrheitsgehalt aussagt. Dennoch glaube ich, dass ihre Implikationen bei der Betrachtung und Beurteilung moderner Literatur im Speziellen und auch der  Literatur im Allgemeinen wichtig und unverzichtbar sind.

Dass die Textstellen von Roland Barthes in Anführungszeichen gesetzt sind, stimmt nur zum Teil, denn an einer Stelle heißt es „sobald etwas erzählt wird um des Erzählens willen, also fiktional ist, löst sich der Autor vom Text. Der Text verliert seinen Ursprung, beginnt ein Eigenleben und fängt an sich selbst fortzuschreiben, wobei die Sprache zwar ein Subjekt kennt, aber keine Person.“

Im Original klingt das so: “Sobald ein Ereignis ohne weitere Absichten erzählt wird – also lediglich zur Ausübung des Symbols, anstatt um direkt auf die Wirklichkeit einzuwirken – vollzieht sich diese Ablösung, verliert die Stimme ihren Ursprung, stirbt der Autor, beginnt die Schrift.“ Und an anderer Stelle: „Die Sprache kennt ein ,Subjekt‘, aber keine ,Person‘.“ Ich habe also zwei Textstellen verwendet und - mehr schlecht als recht - paraphrasiert wiedergegeben. Habe ich abgeschrieben?

Soweit sich das überblicken lässt hat auch die Autorin Hegemann Textstellen übernommen, verändert und in neue Zusammenhänge gestellt.

Wenn Thomas Anz schreibt, dass die „Rückkehr des Autors“ sich mittlerweile nicht mehr ignorieren lässt, hat er damit sicher Recht. Die Frage ist nur, ob das ein Fort- oder Rückschritt innerhalb der Literaturkritik darstellt? (Wohlgemerkt innerhalb der Literaturkritik, nicht innerhalb der Literaturwissenschaft!)

Sehen wir uns einmal einen Autor an, dessen Biographie moralisch fragwürdig ist, den norwegischen Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun (es könnte auch Louis-Ferdinand Céline, Gottfried Benn oder Ezra Pound sein). Knut Hamsun hat mit den Nationalsozialisten sympathisiert und sich durch einige unverzeihliche Äußerungen zu Recht politisch unmöglich gemacht. Wenn ich nun um die politische Gesinnung dieses Autors weiß und sie in Verbindung mit seinem Werk bringe, um dieses zu beurteilen, tue ich dem Werk Unrecht, da ich es in seiner Bedeutung festlege. Mit diesem Wissen ließe sich Hamsuns Roman „Segen der Erde“ mühelos als Blut-und-Boden-Literatur lesen. Nein, er ließe sich nicht nur als Blut-und-Boden-Literatur lesen, sondern möglicherweise müsste man ihn so lesen. Natürlich ist „Der Segen der Erde“ kein Blut-und-Boden-Roman, sondern ein Werk, das man - wie auch andere Werke Hamsuns - ohne Zweifel in einem Atemzug mit den Romanen Dostojewskis oder Thomas Manns nennen kann – ohne die Autoren sonst in irgendeiner Weise vergleichen zu wollen. Ich wage zu behaupten, dass gerade die Übertragung der Biographie Hamsuns auf seine Romane ihm sozusagen literarhistorisch das „Genick gebrochen“ hat.

Ähnlich steht es wohl auch mit Céline, obwohl er mit seinem Roman „Reise ans Ende der Nacht“ wohl eines der größten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts geschaffen hat. (Charles Bukowski nannte es das beste Buch, das in den letzten zweitausend Jahren geschrieben wurde.)

Gottfried Benn hat seinen Irrtum – wenn auch viel zu spät – bemerkt und dies in dem berühmten Briefwechsel mit Klaus Mann auch dargelegt und so sein großartiges Werk vor dem Vergessen gerettet.

Die späten Schriften Nietzsches wären das Werk eines Wahnsinnigen und somit keiner weiteren Beachtung Wert und Thomas Manns Romane ließen sich nur vor dem Hintergrund seiner unterdrückten Homosexualität lesen.

Diese wenigen Beispiele zeigen bereits die Unmöglichkeit einer Gleichsetzung von Autor und Werk. Das Werk steht in der Regel höher als derjenige, der es verfasst hat (so schrieb Jean-Paul Sartre über Martin Heidegger) und aus diesem Grund sollte dem Autor auch in der „Post-Post-Moderne“ nicht zu viel Beachtung geschenkt werden. Vielleicht liegt es gerade an unserer völligen Unkenntnis der Biographien von Shakespeare oder Homer - um nur zwei bekannte Beispiele zu nennen - dass wir noch immer, über die Jahrhunderte hinweg, ihre Texte vorurteilsfrei lesen und genießen können.

Das alles hat uns jetzt ein wenig von der eigentlichen „Plagiatsdebatte“ entfernt, ist aber auch Teil der Diskussion.

Antworten

Betreff Re: Re: Playgiarism - Hegemann und die textfixierte Literaturwisenschaft
Autor Thomas Anz
Datum 18.02.2010 23:56
Nachricht

Das Alter einer Theorie oder einer Lektürepraxis sollte in der Tat kein Argument für oder gegen sie sein. Und zugegeben: Manches literarische Werk ist weit besser (manchmal auch schlechter) oder anders geartet als das, was ein Autor sonst von sich gibt. Aber um solche oft aufschlussreiche Differenzen überhaupt zu erkennen, muss ich Informationen über den Autor haben. Kann es Literaturkritikern, Literaturwissenschaftlern oder anderen Lesern bei der Lektüre von "Axolotl Roadkill" wirklich egal sein, ob Helene Hegemann 17 oder 70 Jahre alt ist, eine Frau oder ein Mann ist, ob sie in Berlin oder Bochum lebt? Wie wir bei der Wahrnehmung von sprachlichen Äußerungen in der alltäglichen Kommunikation deren Bedeutung auch im Zusammenhang mit unserem Wissen über die Sprechsituation und über den Sprecher erschließen, so verhalten wir uns intuitiv auch beim Lesen von Literatur. Wenn das glänzend formulierte Plädoyer eines Politikers für Freiheit und Frieden für viele keine Glaubwürdigkeit hat, weil sie wissen, dass er eine massenmörderische Politik betreibt, sollen sie das Erkennen solcher Widersprüche im Fall von Literatur besser aufgeben?

Zugegeben aber wiederum: Einen literarischen Text auf die Person eines Autors zu beziehen, führt oft zu haarsträubenden Schlussfolgerungen. Um sie zu vermeiden, ist die Literaturwissenschaft jedoch lange Zeit in ihrer Fixierung auf Texte und ihrer Ignoranz gegenüber realen Autoren und Lesern viel zu dogmatisch gewesen. Das Bedürfnis, etwas über die Person des Autors zu erfahren, das noch in jüngster Zeit mehr oder weniger spekulative Bücher über Homer oder Shakespeare hervorgebracht hat, wollte sie uns mit aller Macht systematisch austreiben. Die theologischen Traditionen der Literaturwissenschaft setzten sich erneut durch. Die heilige Schrift soll vor Verunreinigungen durch irdische Spuren ihrer Entstehung bewahrt, der Autor exorziert werden. Bei der Lektüre von "Axolotl Roadkill" wäre die größte Sünde, die ein Student im literaturwissenschaftlichen Proseminar begehen kann, das erzählende „Ich“ in diesem Roman mit Helene Hegemann gleichzusetzen. Das wäre in der Tat fragwürdig, aber die Frage nach der Nähe dieser Ich-Erzählerin zur Person der Autorin sollte sich der Student der Literaturwissenschaft wirklich nicht verbieten lassen. Vielleicht erklärt ihm der theoretisch avancierte Dozent dann, dass zu einem literarischen Text ja auch die „Paratexte“ gehören, der Name der Autorin, die Informationen über sie und das Foto im Klappentext. Und schon scheint die philologische Reinheit gerettet, so wie die gesamte Kultur ist auch die Autorin zu einem Textphänomen geworden, ist die Grenze zwischen Text- und Humanwissenschaft befestigt.

Aber da steht am Ende des Romans noch eine „Danksagung“, inzwischen auch an „Airen“, den unter diesem Pseudonym publizierenden Autor. Und schließlich: „Besonderen Dank an Kathy Acker.“ An jene amerikanische Autorin, die seit 13 Jahren in ganz wörtlichem Sinn tot ist, die Hegemann persönlich nicht gekannt haben dürfte, die den „Plagiarismus“ propagierte und deren Übernahme fremder Texte zu Urheberrechtskonflikten führte. Der textfixierten Literaturwissenschaft scheint das alles entgegenzukommen. Auch Danksagungen sind Paratexte. Und Autorennamen wie Airen oder Acker stehen nicht für Personen, sondern für Texte und literarische Konzepte. Die Beziehungen zwischen Autoren, lebenden oder toten, analysiert die textfixierte Literaturwissenschaft als Beziehungen zwischen Texten, als Phänomene der Intertextualität. Auf die Idee, dass sich Texte über Dankbarkeit freuen, ist die textfixierte Literaturwissenschaft aber noch nicht gekommen. Dank an Eckart Löhr, dass er zu diesem Widerspruch provoziert hat. Dank an Helene Hegemann, dass sie zu der ganzen Debatte herausgefordert hat.