Die Dichterzimmer in Weimar sind ein Besuchermagnet für Literaturfreunde
Eine Neuerscheinung macht mit ihrer Geschichte und Ausstattung bekannt
Von Manfred Orlick
Die ersten Denkmäler der Weimarer Klassik waren keine Standbilder oder Büsten in den Parkanlagen, sondern die vier Dichterzimmer, die von 1835 bis 1848 im Westflügel des Weimarer Residenzschlosses eingerichtet wurden. Das bekannte Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Nationaltheater auf dem Weimarer Theaterplatz wurde erst 1857 eingeweiht.
Nach Goethes Tod im Jahr 1832 wurde der Wunsch laut, sich an die Dichter der Weimarer Klassik zu erinnern und das literarische Phänomen erfahrbar zu machen. Außerdem wollte die Weimarer Fürstenfamilie, die die Klassiker noch persönlich gekannt hatte, der eigenen kulturellen Bedeutung Ausdruck verleihen. So stellte die Großherzogin Maria Pawlowna (1786-1859) in der Nähe ihres Wohnbereiches Räume zur Verfügung, in denen dann Memorialräume zu Ehren von Christoph Martin Wieland, Johann Gottfried Herder, Friedrich von Schiller und Goethe eingerichtet wurden. Die russische Zarentochter und Ehefrau von Großherzog Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach (1783-1853) galt als Förderin der Künste und finanzierte das anspruchsvolle Projekt.
Die Ausgestaltung der vier Dichterzimmer begann bereits im Jahr 1836. Dort sollten auch kurz zuvor erworbene Büsten, Skulpturen, Reliefs und Kandelaber aus den venezianischen Antikensammlungen Campana und Grimani öffentlich ausgestellt werden. Bei den Dichterzimmern handelt es sich um ein einzigartiges Raumensemble, das durch das Zusammenwirken von Künstlern, Handwerkern und Innenarchitekten entstand.
Die Neuerscheinung Dichterzimmer aus dem Deutschen Kunstverlag gibt einen detaillierten Überblick über die einzelnen Räume, von der fensterlosen Schillertreppe, die als Zugang zu den Dichterzimmern fungierte, über die vier Klassiker-Zimmer, die dem Andenken Goethes, Schillers, Herders und Wielands gewidmet sind, bis zur Schlosskapelle, die für eine Großherzogliche Familie von 1844 bis 1847 errichtet wurde. Die ersten grundlegenden Entwürfe stammten von dem Berliner Architekten Karl Friedrich Schinkel, die dann von Malern umgesetzt werden mussten. Die Wände waren meist in klare Raster aufgeteilt. Die Bildflächen mit farbintensiven Wandmalereien in spät-nazarenischem Stil, u. a. von Bernhard von Neher, Friedrich Preller und Gustav Jäger, zeigten Darstellungen aus den Werken der Klassiker. Sie waren eine Versammlung illustrierter Dramen und Gedichte, die aber nur noch teilweise mit dem übereinstimmen, was wir heute als bekannte Klassikerwerke bezeichnen.
Außerdem wird die wechselvolle Geschichte der Dichterzimmer beleuchtet, die bereits unmittelbar nach Fertigstellung im Jahr 1848 für Besucherinnen und Besucher zugänglich waren. Reiseführer bewarben die Attraktion schon unmittelbar nach ihrer Vollendung. Der zunehmende Besucherstrom führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Ausgabe von nummerierten Eintrittskarten. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Thronverzicht des letzten Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach wurde die Schlossanlage durch die Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar in ein Museum umgewandelt. Im Nationalsozialismus wurden die Dichterzimmer zeitweise von einer Propagandaausstellung in Beschlag genommen. Von Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg blieb die Schlossanlage weitgehend verschont. Während der DDR-Zeit war der Besuch der Dichterzimmer wegen Ressourcenmangels und oft fehlender Aufsicht nur eingeschränkt möglich. Die Situation änderte sich erst nach der deutschen Wiedervereinigung. Seit Beginn der 2000er Jahre ließ die Klassik Stiftung Weimar die Zimmer dann über Jahre in Etappen restaurieren, sodass die Besucher die künstlerisch hochwertig ausgestalteten Räume in authentischer Gestaltung erleben können.
Die Neuerscheinung ist ein weiterer Band der Publikationsreihe Im Fokus, die Häuser und Orte der Klassik Stiftung Weimar in den Blick nimmt. Die Bände (zuletzt Goethes Gartenhaus (2024)) wenden sich mit ihrer kompakten und reich illustrierten Gestaltung an ein breites Publikum und vermitteln zugleich mit den wissenschaftlichen Beiträgen von namhaften Kunsthistoriker*innen Wissenswertes zu den Weimarer Klassik-Anlagen. Mit den erklärenden Abbildungen aller Bildflächen der Klassiker-Zimmer eignet sich der Band auch als Museumsführer, den neben Literaturhinweisen auch eine Chronologie in Kurzform abrundet.
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