Sandelholz aus Java und arabischer Weihrauch in China

Valerie Hansen erzählt lebendig und anschaulich vom „Jahr 1000. Als die Globalisierung begann“

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel und Valerie Hansens Eingangsthese führen ein wenig in die Irre: Das Jahr 1000 war tatsächlich nicht der Beginn der Globalisierung. Was an dem Datum (bzw. den Jahren um dieses Datum herum) stimmt, sagt die in Yale lehrende Historikerin und China-Expertin einmal eher vorsichtig: Dass ab jetzt ein Objekt tatsächlich einmal um die Welt hätte reisen können. Eine sehr vage Begründung und wahrscheinlich am ehesten dem Marketing geschuldet.

Nein, die Globalisierung war um 1000 schon lange in vollem Gang: Die beiden „Seidenstraßen“ zu Land und auf dem Meer bestanden schon ein paar Jahrhunderte, der Buddhismus hatte sich in Ostasien ausgebreitet (und mit ihm der Austausch von Kultur, Wissen und Waren), zwischen Griechenland und Indien gab es seit Alexander dem Großen wohlbekannte Wege, und die Ausbreitung des Islam ab etwa 630 von der iberischen Halbinsel bis Kirgisistan, wo man auf eine Armee der chinesischen Tang-Dynastie traf, gab der Globalisierung einen enormen Schub.

Hansens gedankliche und theoretische Ausgangspunkte sind die Besiedelung des Pazifik durch die Polynesier und Leif Eriksons Fahrten nach Neufundland und Labrador – sie spekuliert zudem darüber, dass die Wikinger bis nach Yukatan gekommen seien, eine gewagte Behauptung. Einige Male fuhren sie gen Westen, aber eine langfristige Verbindung ist dadurch nicht zustande gekommen, um 1400 wurden die Siedlungen auf Grönland überhaupt ganz aufgegeben. Was auch auf China zutrifft, das in der Song-Dynastie (960–1279) zwar einen regen Handel mit sehr entfernten Ländern betrieb, aber an den Expansionen im 15. und 16. Jahrhundert nicht teilnahm.

Dennoch ist Hansens faktenreiches und locker geschriebenes Buch eine schöne Fundgrube für die weltweiten Beziehungen im „dunklen“ Mittelalter. Das ja höchstens in Deutschland dunkel war, während es in China mit den Hafenstädten Guangzhou und Quanzhou schon Millionenstädte gab. Vor allem per Schiff gelangten Alltags- und Luxusgüter wie afrikanischer Elfenbeinschmuck, malaysische Rattan-Matten und aromatisches Sandelholz aus Timor, Edelmetalle, Seide, Porzellan und Gewürze übers Meer ebenso nach China wie Mönche und heilige Texte: 

All diese Erzeugnisse waren damals übliche Handelswaren. Schon seit Jahrhunderten führten die Chinesen Dufthölzer wie Sandelholz aus dem heutigen Java und Indien sowie aromatisches Baumharz wie Myrrhe und Weihrauch von der Arabischen Halbinsel ein. Sie verbrannten importiertes Räucherwerk, um die Luft mit Wohlgerüchen zu erfüllen, bedampften ihre Kleidung mit importierten Aromen und schmeckten Medikamente, Getränke, Suppen und Gebäck mit fremdländischen Gewürzen ab.

Auf dem Landweg transportierten Pferde nicht nur Krieger wie die Seldschuken, sondern auch Güter quer durch Asien, von der Mongolei bis nach Mitteleuropa.

Die Wikinger wiederum waren in Skandinavien Sklaven- und Pelzhändler und wirkten auch an der Gründung des ältesten russischen Reiches mit, der Kiewer Rus. Vor allem in Afrika und der islamischen Welt blühte der Sklavenhandel. Bagdad, damals auch eine Millionenstadt, war eines der Zentren des Handels, das jedes Jahr Tausende von Afrikanern verkaufte, die dann über wechselnde Routen quer durch die Sahara geschleppt wurden.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ihres Buchs ist wohl, dass „wir Europäer“ dabei eigentlich keine Rolle spielten: 

Im Unterschied zu diesen Menschen aus dem Norden (den Wikingern, d.V.) waren alle anderen Hauptakteure im Jahr 1000 – Chinesen, Inder, Araber – keine Europäer. Der längste regelmäßig befahrene Seeweg verband China mit Oman und Basra, dem Hafen am Persischen Golf, der Bagdad am nächsten lag. Diese Route vom Persischen Golf verknüpfte zwei Pilgerwege: Der eine führte von China nach Mekka, der andere diente Pilgern aus Ostafrika, die sich ebenfalls zum Hadsch aufmachten. Der Verkehr spielte sich überwiegend zwischen der Arabischen Halbinsel und den Häfen an Chinas Südküste ab, doch manche Waren wurden bis zu den Häfen entlang der ostafrikanischen Küste vertrieben.

Das ist umso wichtiger, als der Eurozentrismus in unserer Kultur immer noch vorherrscht: In der Schule behandelt der Geschichtsunterricht fast nur die deutsche und europäische Geschichte, in der Philosophiegeschichte geht es von Sokrates bis Heidegger nur um die europäische Philosophie (dabei entstanden in Indien und China schon vor tausenden Jahren philosophische Schriften und die erste Psychologie der Welt, der buddhistische Abhidhamma), Kunstgeschichte hört an der Ostgrenze Griechenlands auf. Mit vielen Fakten untermauert Hansen diesen neuen Blick, zudem schreibt sie so leicht fasslich und lebendig, dass ihr Buch auch für Nicht-Historiker gut zu lesen ist und so manchem die Augen öffnen kann.

Titelbild

Valerie Hansen: Das Jahr 1000. Als die Globalisierung begann.
Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube.
Verlag C.H.Beck, München 2020.
416 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783406755309

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