Keine Kompromisse, nur Gerechtigkeit

In seinem Roman „Der Krieg der Armen“ erzählt Éric Vuillard von Thomas Müntzer

Von Erkan OsmanovićRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erkan Osmanović

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann man die Welt allein mit Worten gerechter machen? Muss ein Priester im Kampf für die Gerechtigkeit Gottes auch gegen die Machthaber aufbegehren? Darf man im Streit für die Armen und Unterdrückten zum Schwert greifen? Der Theologe, Drucker, Reformator und Revolutionär Thomas Müntzer stellte nicht nur Fragen, sondern griff zum Schwert und kämpfte gegen die Leibeigenschaft und für die Benachteiligten. Seine Lösung für das Problem der sozialen Ungleichheit: die Obrigkeit stürzen.

„Alle wollen Geschichten, erhellend sei das; und je wahrer die Geschichte, desto mehr gefällt sie uns“, heißt es in Éric Vuillards neuem Roman Der Krieg der Armen. Und man muss sagen: Recht hat er. Der französische Regisseur, Drehbuchautor und Schriftsteller schildert auf knapp 60 Seiten das Leben des Utopisten Müntzer, seine geistigen Väter und die Gemengegelage, die zum Deutschen Bauernkrieg führte.

Schon der englische Reformator und Theologe John Wyclif kämpfte im 14. Jahrhundert für Gott, aber gegen die Macht der Kirche. Die Beziehung zu Gott braucht in Wyclifs Augen keinen Vermittler, keinen Übersetzer – nur die Heilige Schrift. Weg mit den Vorbetern, her mit dem Gebet; weg mit den Erwählten, her mit allen; weg mit den Versprechen, her mit den Taten. Dass das Vuillard oder besser gesagt dem namenlosen Erzähler gefällt, zeigt die Ironie, die den Roman durchzieht:

Die Bibel muss ins Englische übersetzt werden. Wyclif – dem es sichtlich nicht an Ideen mangelte – hatte noch zwei, drei andere schreckliche Einfälle: Er schlug zum Beispiel vor, die Ernennung der Päpste auszulosen. Was für ein Irrsinn! In seinem Eifer kam es auf einen Irrsinn mehr oder weniger nicht an, er erklärte die Sklaverei zur Sünde. Dann betonte er, der Klerus solle künftig in evangelischer Armut leben. Schließlich, um endgültig alle vor den Kopf zu stoßen, verwarf er die Transsubstantiation als geistige Verirrung. Und zu guter Letzt hatte er seinen allerschrecklichsten Einfall und predigte die Gleichheit aller Menschen.

Wir folgen auch den Spuren und Predigten des böhmischen Theologen und Kirchenkritikers Jan Hus. Von der Kanzel ruft er auf zu Ungehorsam, Liebe und Gebet. Anstatt die Leidenschaft und den Kampf von Jan Hus in historischen Fakten und Details zu ertränken, packt sie Vuillard in kurze, treibende Sätze. All das, was uns auch das letzte Faktum nicht über Hus’ Ende erzählen könnte, schafft Vuillard mit wenigen Worten: „Mit einer Mitra aus Pappe auf dem Kopf fesselt man ihn an den Pfosten. Und dann brennt Jan Hus, er brennt wie Holz, wie Stroh! Er brennt wie das Herz!“ 

Vom Mittelalter bis in die Neuzeit werden knapp zweihundert Jahre und drei Schauplätze im Roman skizziert, komprimiert und erzählt. Den Fokus immer gerichtet auf die Tat, das Vitale, die Revolution. So erklärt sich auch, weshalb sich Vuillard kaum für die Jugend- und Studienjahre Müntzers interessiert. Erst der Zwickauer Prediger, der ab dem Jahr 1520 zu den an den Rand Gedrängten spricht und gegen die weltliche und geistliche Macht aufbegehrt, ist Vuillards Thomas Müntzer. Der Mann, der die Unterdrückten und Armen zusammenbringt. Der Mann, der nach der Niederlage der deutschen Bauern bei Frankenhausen in Thüringen im Kerker landet und am 27. Mai 1525 enthauptet wird: „Ein Blick. Ein Gesicht. Eine Haut. Abrupt fällt das Beil und durch trennt den Hals. Oh! Wie schwer so ein Kopf ist, zwei oder drei Kilo Knochen und Marmelade. Und wie das Blut spritzt! Man wird seinen Kopf aufspießen.“

Der Krieg der Armen gleicht einem Heldenfilm. Schritt für Schritt, Schnitt auf Schnitt, Bild an Bild – alles ist auf den finalen Kampf ausgerichtet: Der Held gegen das Böse der Welt.

Die Schilderungen von Erhebungen, Schlachten und Brandreden kommen mit viel Tempo und im historischen Präsens daher. Alles ist so nah, so plastisch, so real. Vuillard will uns in die Geschichte hineinziehen, will uns eine wahre Geschichte zeigen. Es funktioniert. Man blättert ungeduldig von Seite zu Seite, lässt sich vom Rhythmus der Sätze mitreißen und überwindet einen Cliffhanger nach dem anderen.   

Schnell, brutal und mit viel Kontrast arbeitet Vuillard das Leben von Thomas Müntzer heraus. Schattierungen, Graustufen oder Weichzeichnungen sind nicht vorgesehen. Das macht die Spannung aus, sorgt aber auch für eine Distanz zu den Figuren. Obwohl wir Müntzers Lebensweg begleiten und seine ureigensten Worte – der Roman ist gespickt mit direkten Zitaten aus seinen Schriften – lesen, bleibt er uns fremd.

Wir identifizieren uns mit seinen Forderungen und Idealen, aber nicht mit der Figur. Denn dafür müssten wir auch von Müntzers Schwächen und Ängsten hören. Doch da bleibt der Roman stumm. Er wechselt nicht zwischen Moll und Dur. Nein, er hadert nicht, sondern handelt. Die knappe, flotte, plastische Sprache erschafft nicht den Menschen Thomas Müntzer, sondern die Blaupause eines Revolutionärs:

Ich dränge mich nicht weiter in seine Gedanken; ich lasse sie ihm. Hier steht er nun vor uns, auf dem Podest, meilenweit von dem schäbigen Vergnügen entfernt. Ich sehe ihn, Thomas Müntzer! Und es ist nicht mehr der kleine Thomas von vorhin, nicht mehr der Gassenjunge aus dem Harz, der Sohn des Toten, nein, nicht mal mehr ein Forschungsgegenstand, sondern ein beliebiger Mann, ein beliebiges ungreifbares Leben.

Der Krieg der Armen ist spannend, packend und aufwühlend. Atempausen gibt es keine. Éric Vuillard schreibt in einer knappen und peitschenden Sprache über Müntzers Kampf für die Armen und Unterdrückten. Wir erleben seine Predigten, seine Schlachten und seinen Zorn. Dem Revolutionär und Utopisten Müntzer sind wir so ganz nahe – genauso wie der Wiedergeburt der politischen Literatur.

Titelbild

Éric Vuillard: Der Krieg der Armen.
Aus dem Französischen von Nicola Denis.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020.
64 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783957578372

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