Fake News und das Schicksal Guatemalas

Mario Vargas Llosa möchte mit der guatemaltekischen Geschichte aufräumen und vergisst dabei das Erzählen

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mario Vargas Llosa ist zweifellos einer der großen Erzähler des 20. und 21. Jahrhunderts. Dass er diverse Genres meisterhaft beherrscht, beweist ein Blick auf sein umfangreiches Œuvre, an dem der mittlerweile 84-Jährige immer noch eifrig feilt. Zuletzt hatte er sich an eine „intellektuelle Autobiografie“ (Der Ruf der Horde, orig. La llamada de la tribu) gewagt, die seinen politischen Werdegang, seine Entscheidung und sein Plädoyer für den Liberalismus, die ihm zufolge „am weitesten entwickelte Form der demokratischen Kultur“, skizziert. Um einen Demokraten, allerdings einen verkannten, geht es auch in seinem neuen Roman Harte Jahre (Tiempos recios), der um die guatemaltekische Geschichte Mitte des 20. Jahrhunderts kreist. Dabei zeigt sich der peruanische Nobelpreisträger offensichtlich überwältigt von historischen Details und mysteriösen Begebenheiten und scheint das Erzählen zwischendurch immer wieder zu Gunsten historischer und politischer Aufklärung zu vergessen.

Harte Jahre widmet sich den Machtinteressen der United Fruit Company, die zu Beginn der Fünfzigerjahre ihren Durchbruch hatte und ihr Netz über Mittelamerika und mehrere karibische Inseln spannte. Es geht aber auch um den von den USA unter Eisenhower gestürzten guatemaltekischen Präsidenten Jacobo Árbenz Guzmán und das Attentat auf seinen Nachfolger, Oberst Carlos Castillo Armas, der an seinem Putsch maßgeblich beteiligt war.

Nach der Oktoberrevolution 1944 und dem Sturz des Diktators Jorge Ubico (1931-1944) begann in Guatemala unter Juan José Arévalo (1945-1951) ein demokratisches Jahrzehnt. Arévalo erließ ein Gesetz, das Arbeitern und Bauern erlaubte, Gewerkschaften zu gründen und wollte eine Demokratie nach US-amerikanischem Vorbild gründen. Ihm und seinem Nachfolger Jacobo Árbenz Guzmán (1951-1954) ging es um einen Bruch mit dem Feudalismus. Eine Agrarreform sollte die indigene Bevölkerung zu Eigentümern machen, zielte aber nicht auf eine Verstaatlichung. Der United Fruit, die stark von der Reform betroffen war, wurde das zu heikel: Mit der Unterstützung namhafter US-amerikanischer Zeitungen starteten sie in Zeiten des Kalten Kriegs eine PR-Kampagne und setzten das Gerücht in die Welt, Árbenz unterstütze die Ausbreitung des sowjetischen Kommunismus. Ein früher Fall von fake news wie Vargas Llosa erklärt, denn Árbenz sei nicht – wie häufig angenommen – Kommunist gewesen, sondern Demokrat. Es ging also darum, mit Hilfe dieser fake news zu verhindern, dass Guatemala bzw. sogar der ganze Kontinent sich in eine moderne Demokratie entwickelt.

Vargas Llosa scheint es vor allem um diese politische und historische Klarstellung zu gehen. Aber vielleicht hätte er sie in eine andere literarische Gattung verpacken sollen? Harte Zeiten ist nur stellenweise ein Roman, immer wieder rutscht er in in die Form des historischen Berichts und das von Anfang an. In einer Art Prolog („Vorher“) schildert Vargas Llosa die Begegnung des US-amerikanischen Bananenunternehmers Sam Zemurray und dem Werbefachmann Edward Bernays, der ihn bei der Vermarktung der Bananen – man denke an die Señorita Chiquita Banana – unterstützte. Bernays, der sogenannte „Vater der Public Relations“ und Autor von Propaganda (1928), führte Zemurray in die Macht und Manipulation der öffentlichen Meinung durch Werbung ein. Eine durchaus bemerkenswerte Episode, doch viel zu lange muss man sich hier durch trocken aufbereitete historische Fakten mit viel zu vielen Doppelnamen quälen bis der Erzähler Vargas Llosa endlich auftaucht und die eigentliche Protagonistin des Romans mit vertrauter erzählerischer Leichtigkeit auf die Welt bringt: In Guatemala-Stadt wird Martita 1934 geboren, die spätere Geliebte des Präsidenten Carlos Castillo Armas.

Tatsächlich geht es in Harte Jahre eigentlich um Marta (Martita) Borrero Parra, auch Miss Guatemala genannt, die sich von Johnny Abbés García – dem Sicherheitschef des dominikanischen Präsidenten Rafael Leónidas Trujillo Molina,dem Vargas Llosa in seinem Roman Das Fest des Ziegenbocks (La Fiesta del chivo) bereits ein Denkmal setzte –, und der CIA aushorchen lässt. Nach dem Attentat auf ihren Geliebten, den Präsidenten Castillo Armas, flieht sie in die Dominikanische Republik, um dort als Journalistin für den Sender La Voz Dominicana zu arbeiten. Warum Vargas Llosa gerade sie zur Protagonistin macht, ist schleierhaft. Martita ist mehr Opfer lüsterner mächtiger Männer als Heldin und wenn man im Epilog schließlich von Vargas Llosas Begegnung mit der angeblich realen Marta erfährt, nämlich einer grotesk-skurrilen, mittlerweile in den USA lebenden Anti-Kommunistin (vermutlich Gloria Bolaños Pons), stellt sich diese Frage erst recht.

Vargas Llosa hat sich in diesem Roman nicht nur im Hinblick auf seine Romanhaftigkeit vergaloppiert: Das Thema ist zu breit, der Erzählung fehlt der Zusammenhalt, sie zerfleddert vor allem gegen Ende, zu viele Protagonisten tauchen auf, die eigentlich keine sind und viele Fragen bleiben unbeantwortet, obwohl Romane – so wenigstens nach Vargas Llosa – Geschichte doch ergänzen sollen. Auf diese Probleme verweist eigentlich schon die Wahl des nichtssagenden Titels Tiempos recios, harte oder zähe Jahre, der auf Teresa von Ávilas Korrespondenz zurückgeht. Doch zum Glück schimmert manchmal der vertraute Vargas Llosa durch, der große Erzähler. So zum Beispiel in einer kleinen Szene in einem Bordell – beliebter Vargas Llosa’scher Schauplatz – in Guatemala Stadt, wenn bei Rum und den Boleros von Leo Marini und einem Sägespäne kehrenden Indio im zerrissenen Baumwollhemd Pläne geschmiedet werden.   

„I’d never heard of this bloody place Guatemala until I was in my seventy-ninth year.“ Dieses Zitat von Winston Churchill hat Vargas Llosa seinem Roman vorangestellt und es mag seine Mission erklären: Wichtig scheinen hier politische Botschaft und historische Aufklärung zu sein. Dass diesen Zielen die Ästhetik zum Opfer fällt, ist bedauernswert und passt so gar nicht zu dem, was Vargas Llosa in jüngeren Jahren mal formulierte: „[S]er un buen poeta no consiste en ser un buen militante.“ Doch wer sich für die spannende Geschichte Guatemalas interessiert, sollte es mit diesem Roman dennoch versuchen.  

Titelbild

Mario Vargas Llosa: Harte Jahre.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
350 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783518429303

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