Über ein andauerndes Problem

Der Band „Der ewige Faschismus“ versammelt Reden Umberto Ecos, die nichts an Aktualität eingebüßt haben

Von Jonas HeßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Heß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Allerspätestens seit dem Anschlag von Hanau sollte auch den Letzten geworden klar sein, dass Deutschland ein Problem mit faschistoidem Gedankengut hat und hatte, das meistenteils unsichtbar unter der gesellschaftlichen Oberfläche schwelt. Wurden die rechtsradikalen Morde der 90er Jahre noch als Einzelfälle abgetan, ist seit der Aufdeckung des NSU klar, dass rechtsextreme Strukturen und Vernetzungen schon lange den Boden solcher gewaltsamen Auswüchse bilden. Dass dies so lange übersehen wurde, mag auch mit einem Verständnis von Faschismus und faschistoidem Gedankengut zu tun haben, welches diesen fälschlicherweise als historisch begreift. Wie fatal das sein kann, hat die jüngere Vergangenheit gezeigt. Und wie falsch dieses Verständnis ist, ist nun in einem kleinen Band nachzulesen, der einige Reden Umberto Ecos zu diesem und verwandten Themen neu präsentiert.

Das Beeindruckendste insbesondere an der ersten, titelgebenden Rede Der ewige Faschismus, die Eco bereits 1995 auf einem Symposion in New York hielt, ist zweifelsohne ihre schlagende Aktualität. Ecos analytisch präzise Charakterisierung des – eben nicht auf eine historische Epoche beschränkten – faschistischen Gedankenguts liest sich stellenweise wie eine dunkle Prophezeiung:

In unserer Zukunft bietet sich ein TV- oder Internet-Populismus an, bei dem die emotionale Antwort einer Gruppe ausgewählter Bürger als „Stimme des Volkes“ präsentiert und akzeptiert werden kann.

Von dem Einfluss, den Algorithmen und Filter-Blasen auf die Formierung jener Gruppe ausgewählter Bürger haben sollten, konnte er noch nichts ahnen. Nichtsdestoweniger deckte er schon damals die grundlegenden Mechanismen und Selbstbilder treffend auf.

Eco räumt aber nicht nur mit der fälschlichen Historisierung des Faschismus, seiner irrtümlichen Verbannung in längst verblasste Zeiten auf, sondern warnt auch vor seiner Maskierung:

Der Ur-Faschismus ist immer noch um uns, manchmal in gutbürgerlich-ziviler Kleidung. Es wäre so bequem für uns, wenn jemand auf die Bühne der Welt träte und erklärte: „Ich will ein zweites Ausschwitz, ich will, dass die Schwarzhemden wieder über Italiens Plätze marschieren!“ Das Leben ist nicht so einfach. Der Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen.

Doch auch die Gedanken, die Eco in den anderen vier in den Band aufgenommenen Reden – unter anderem zu den Themen Migration und Intoleranz – äußert, sind weit davon entfernt, überholt zu sein. So warnt er in einer Rede von 2012 davor, „die neuen Fälle von Antisemitismus als eine marginale Krankheit zu betrachten, die nur einen verirrten Rand der Gesellschaft betrifft“ und betont – auch noch mit Blick auf unsere Gegenwart – zu Recht, dass „das Gespenst dieser tausendjährigen Obsession noch immer unter uns umgeht.“

Auch seinem Vorschlag, Intoleranz flächendeckend mit Bildung zu begegnen, den er 1997 äußerte, kann man nur zustimmen. Denn:

Erwachsene Menschen, die aus ethnischen und/oder religiösen Gründen aufeinander schießen, zur Toleranz erziehen zu wollen, ist Zeitvergeudung. Zu spät. Die rohe Intoleranz muss an der Wurzel bekämpft werden, durch eine permanente Erziehung, die im zartesten Alter beginnt, bevor sie [die Intoleranz] zu einer Doktrin gerinnt und eine zu dicke und harte Verhaltenskruste wird.

Dieses Plädoyer darf man heute noch um die Forderung nach frühzeitiger Bildung im Bereich Medienkompetenz ergänzen. Nur das Erkennen von Fake-News und das kritische Reflektieren solch vermeintlich wahrer „Nachrichten“ können deren Erfolg – und damit nicht selten auch die Verbreitung rechter Ideologien und Verschwörungstheorien – eindämmen.

Diese Aktualität der Reden dürfte nun auch der Grund ihrer Neuauflegung in Italien in zwei Bänden (2018 und 2019) gewesen sein. Man darf sich freuen, dass die Übersetzung – zudem mit einem interessanten Vorwort von Roberto Saviano – auch den Weg auf den deutschsprachigen Markt gefunden hat. Vielleicht wird man das Bändchen noch in zehn oder zwanzig Jahren mit Gewinn zur Hand nehmen. Man will es nicht hoffen.

Titelbild

Umberto Eco: Der ewige Faschismus.
Mit einem Vorwort von Roberto Saviano.
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber.
Carl Hanser Verlag, München 2020.
80 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783446265769

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