Trump kakutanisiert

Michiko Kakutanis „Der Tod der Wahrheit“, ein Plädoyer gegen die Abschaffung der Vernunft

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Michiko Kakutani, von 1983 bis zum Sommer 2017 Literaturkritikerin der New York Times, einem Autor gnadenlos Schwächen nachwies, bezeichnete man diese für den Betroffenen oft äußerst schmerzhafte Prozedur als „kakutanisieren“. Mit ihrem Rückzug vom Geschäft des Verrisses in der Tagespresse wollte sie sich größeren Problemen zuwenden. Was liegt für die grand dame sans merci nun näher, als den Präsidenten ihres Landes, Donald Trump, und sein Umfeld einer Kritik zu unterziehen.

Vernunftverleugnung und neue Kulturkämpfe

Kakutanis erste Buchveröffentlichung, die im amerikanischen Original den Titel The Death of Truth. Notes on Falsehood in the Age of Trump trägt, übersetzt in der deutschen Ausgabe bei Klett-Cotta als Der Tod der Wahrheit. Gedanken zur Kultur der Lüge, beabsichtigt, wie es zumindest das Motto des Bandes eingangs nahelegt, einen ethischen Appell an die Zunft der Journalisten. Diese sollten sich vergegenwärtigen, unter welch unguter Konstellation der geistige Kosmos des 21. Jahrhunderts steht. Alles deute darauf hin, so Kakutani, dass sich heute – mit den gebotenen Vorbehalten gegen einen direkten Vergleich – bereits überwunden geglaubte totalitaristische Tendenzen wieder entfalteten. Es existierten einige „Bedingungen und Einstellungen“, die die Menschen anfällig machten für die politische Manipulation.

Zuerst genannt wird die Verdrängung der Vernunft durch das Gefühl, erreicht durch die „Aushöhlung der Sprache“ und die nicht zuletzt dadurch möglich gewordene „Missachtung von Tatsachen“, die schließlich zur Preisgabe der „Wahrheit“ führt. Das heißt, sowohl einzelne Länder wie auch die gedachte Weltgemeinschaft gingen des Prinzips als gemeinsamem Orientierungshorizont verlustig – Wahrheit versteht die Verfasserin als wissenschaftlich belegbare Fakten und eben als ethischen Anspruch mit sozialen Folgen: Wird sie verleugnet, zerfallen demokratische Strukturen.

Tod der Wahrheit ist zudem eine Streitschrift gegen ideologische Tendenzen in Wissenschaft und Kunst. Kakutani erstellt eine kleine Zeit- und Mentalitätsgeschichte des sich in den 1960er Jahren ausprägenden Kulturkampfes zwischen dem konservativen Block und den sich als antihegemoniale Kraft verstehenden Akteuren der Gegenbewegung mit ihren Axiomen – diese würden nun ihrerseits als Argumente angeführt, um die bislang zumeist gültige Grundlage einer gesellschaftlichen Verständigung auf das Prinzip der Ratio zu torpedieren. Die Vernunft wurde entmachtet, die Fakten relativiert, Erkenntnis und Wissenschaft konnten mit der Denkfigur, alles sei – angefangen mit dem unzuverlässigen menschlichen Wahrnehmungsapparat – eine Sache der Interpretation, das heißt der persönlichen Meinung, beiseitegeschoben werden. Diese, nach Kakutani derzeit in den USA und auch anderenorts lautstark kolportierte Weltsicht leiste mit ihrer irrationalen, zersetzenden Strategie Vorschub für eine Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts und eben letztlich der demokratischen Strukturen, die sie als Basis für Freiheit nach wie vor für unabdingbar hält. Ihr Band beinhaltet also nicht nur den Anspruch, die perfiden Mechanismen des Systems Trump zu demaskieren, sondern mehr noch, auf die Gefahren totalitärer Ideologie zu verweisen, die sich in den aktuellen Tendenzen und Terminologien abzeichneten.

Kakutanis Position

Es ist natürlich nicht unerheblich, dass mit Michiko Kakutani eine Stimme spricht, der – in den Parametern der neuen Ordnungsambition – nur schlecht widersprochen werden kann. Die 1955 in Connecticut als Tochter des ursprünglich aus Ôsaka stammenden japanischen Mathematikers Shizuo Kakutani geborene Autorin nimmt selbst nie eine identitätspolitische Position im Hinblick auf die Migrationsgeschichte ihrer Familie in Anspruch, obwohl es ihr als Japanamerikanerin der zweiten Generation, als sogenannter nisei, sicher möglich gewesen wäre. Ihr Vater hatte zunächst an der Universität Tôhoku studiert, lehrte anschließend in Ôsaka, kam kurz zu einem Forschungsaufenthalt nach Yale, ein weiteres Mal nach dem Krieg und war von 1949 bis 1982 dort Professor für Mathematik; 1959 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Die Mutter der Literaturkritikerin war Keiko Uchida, Schwester von Yoshiko Uchida, einer japanamerikanischen Autorin aus Kalifornien, die in Berkeley studiert hatte und als „Japanerin“ in den USA die Erfahrung der Internierung machen musste.

Michiko Kakutani ist Yale-Absolventin und versteht sich als Intellektuelle, die die Vorzüge des freien Denkens schätzt, wie es eine kreative Wissenschaftlichkeit hervorbringt, und auch nicht davon abschwören mag, wenn der erste Mann im Staat Wissenschaft und Intellektualität diskreditiert. Sie, die durch ihren Hintergrund in der glücklichen Lage ist, über ein Quantum Unabhängigkeit zu verfügen, kann es sich leisten, nicht gatekeeper für die Kulturvermittlung zu sein, nicht die Rolle des global players in der Kreativindustrie oder die des Medienstars zu spielen. Die Pulitzer-Preisträgerin von 1988 „kakutanisiert“ deshalb in fröhlicher Anarchie den Präsidenten, das gegenwärtige Parteigängertum sowie die aktuelle Manipulation der Narrative und überrascht vielleicht auch manchen deutschen Rezipienten mit ihrer erfrischenden Polemik.

Titelbild

Michiko Kakutani: Der Tod der Wahrheit. Gedanken zur Kultur der Lüge.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019.
197 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783608964035

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