Den Schalk im Nacken
Sebastian Sterns „Der Hund begraben“ spielt mit Sehgewohnheiten und Handlungsmustern des Mainstreamkinos
Von Marcel Menne
Es gibt einige Regeln, wenn es darum geht, ein Drehbuch zu schreiben. Das weiß auch der Autor Marty (gespielt von Colin Farrell) in Martin McDonaghs 7 Psychos. Die für ihn wichtigste Regel lautet: Niedliche Tiere darf man nicht töten. Menschen schon. Konsequenterweise schießt jeder Tropfen Kunstblut innerhalb dieser Meditation über das Filmemachen auch aus menschlichen Körpern. Die Tiere hingegen bleiben allesamt verschont, sogar der stets in Lebensgefahr schwebende knuffige Hund des von Woody Harrelson verkörperten Gangsterbosses.
In Sebastian Sterns zweitem Spielfilm, der Groteske Der Hund begraben, fährt ein Mann namens Hans eine Landstraße entlang, zur Linken ist ein kleines Waldstück erkennbar, zur Rechten nichts als flaches Land. Den Wagen hat er sich von seiner Abfindung gekauft, Ärger von seiner Frau befürchtet er diesbezüglich nicht, interessiert diese sich doch ohnehin nicht mehr für ihren Gatten, seit der Familie ein Hund zugelaufen ist. Kurt, wie die Tochter ihn nennt, ist nicht nur unheimlich süß, er kann sogar zwinkern. Zur gleichen Zeit steht die Ehefrau gemeinsam mit anderen Hundebesitzern auf einem Feld, das Stöckchenwerfen nimmt orgastische Züge an, welche Kameramann Peter von Haller in eine großartige Zeitlupensequenz bannt. Plötzlich prescht Kurt los in Richtung eines kleinen Waldstückes. Er habe wohl ein Reh gesehen. Hans fährt weiter auf der Landstraße, fühlt sich frei, hebt die Arme in die Luft und schließt die Augen.
Was nun folgt, kann man sich eigentlich schon denken. Die lange Parallelmontage ist so geschnitten, dass der Titel Der Hund begraben sich wenig später bewahrheiten muss. Symptomatisch für den restlichen Film liegt die Komik allerdings genau darin, zwar schon lange im Voraus ahnen zu können, was passieren wird, dies jedoch angesichts der eigenen Sehgewohnheiten für unmöglich zu halten. Bis die skurrile Wendung schließlich doch eintritt. Manchen mag das sauer aufstoßen, tatsächlich ist es aber eine Qualität, die recht festgefahrenen Regeln des Filmemachens wieder neu abzustecken und währenddessen zahlreiche gelungene Gags zu bieten.
Dabei erzählt Sebastian Stern im Grunde die tieftraurige Geschichte des von Justus von Dohnányi gespielten Hans. Dieser befindet sich in einer handfesten Lebenskrise, wird von seiner Familie weder gebraucht noch wahrgenommen und muss obendrein noch versuchen, die Geschehnisse auf der Landstraße zu vertuschen. In dieser Angelegenheit gewinnt er Mike, dargestellt von Georg Friedrich, als Mitstreiter. Wie sie gemeinsam in einer entlegenen Kaschemme ein recht dämliches doppeltes Spiel planen, erinnert nicht zuletzt an Fargo von Joel und Ethan Coen. Daher verwundert es kaum, dass der Plan nicht nur fehlschlägt, sondern eine äußerst unterhaltsame Kette von verrückt-absurden Wendungen auslöst, vor der die meisten Produktionen zurückschrecken würden.
Doch weiß Stern nicht nur mit seinem mutigen Drehbuch zu punkten. Auch die Darsteller überzeugen, wobei Justus von Dohnányi die Tragik seiner Rolle selbst bei jeder noch so unwahrscheinlichen Entwicklung nie aus den Augen verliert und Georg Friedrich dem eigentlich sympathischen Mike eine erfrischend irre Facette abgewinnt. Als echter Szenendieb entpuppt sich Walter Hess als esoterischer Lebenscoach mit dem Hang zu herrlich bescheuerten Monologen. Dementsprechend hebt sich Der Hund begraben nicht nur inhaltlich, sondern auch darstellerisch sehr wohltuend von dem ab, was gerade im deutschen Mainstream-Kino herumdümpelt.
Dennoch ist Sebastian Stern kein perfekter, Maßstäbe setzender Film gelungen, sondern nur eine sehr vergnügliche schwarzhumorige Komödie. Gerade im Vergleich zu den Coen-Brüdern kommen die Wendungen aus Der Hund begraben wesentlich weniger bissig und originell daher. Man braucht am Ende also nicht wie bei Fargo Angst davor haben, einer Hauptfigur dabei zuzusehen, wie sie in einem Gartenschredder „entsorgt“ wird. Da lässt es Sebastian Stern wesentlich gesitteter zugehen. Auch die andere große Stärke des Films, eigentlich Dramatisches überraschend leichtfüßig und witzig zu erzählen, hat Martin McDonagh im erwähnten 7 Psychos oder noch in Brügge sehen…und sterben bereits einen Tick besser hinbekommen. Unter den exzellent geschriebenen Wortgefechten zwischen Ralph Fiennes, Brendan Gleeson und Colin Farrell lauert philosophischer Tiefsinn, den Sebastian Sterns Dialoge nie ganz erreichen. Trotzdem bietet Der Hund begraben einige gelungene Pointen, von denen manche erst nach mehrmaliger Sichtung zutage treten. Der Film ist clever geschrieben und durchdacht inszeniert. Damit ist er zwar kein Meilenstein der jüngeren Filmgeschichte, aber doch eine sehr gelungene Komödie weit über dem durchschnittlichen Niveau. Wer also etwas Erfrischendes sucht, ist mit Der Hund begraben bestens beraten. Wenn Sebastian Stern bei seinem nächsten Film noch etwas weiter aus dem Schatten seiner Vorbilder heraustritt, sollte man allerdings mit größter Erwartung ins Kino stürmen.
Der Hund begraben. Oder die Geschichte von einem Mann, der überflüssig wurde
Deutschland 2017
Regie & Drehbuch: Sebastian Stern
Darsteller: Justus von Dohnányi, Georg Friedrich, Juliane Köhler
86 Minuten
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen