Mann an Bord

Darren Aronofsky hat eine unerschrocken eigenwillige Interpretation von biblischer Geschichte gewagt: „Noah“

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Bible goes cinema! Nachdem der Bibelfilm in den letzten Jahrzehnten größtenteils verschwunden gewesen ist, scheint sich momentan ein Revival anzubahnen. Im Zuge dessen hat es eine der berühmtesten (und wohl wasserreichsten) Geschichten des Alten Testaments auf die Leinwand geschafft.

Wie Mythen sind biblische AT-Erzählungen ein Echo aus frühzivilisatorischen Zeiten. Ihre Faktentreue – wenn es denn überhaupt um Faktizität geht – ist gering, ihre Aussagekraft hingegen enorm. In ihnen sind mentalitätsgeschichtliche Kultur, sozial-psychologische Denkmuster, gesellschaftliche Lebensweisen vermittelt, also der Kern menschlichen Daseins wie Miteinanders. Es geht primär um das Weltverständnis, weniger um Weltdarstellung. Somit wäre ein reines Abfilmen jener Stories nicht nur überflüssig, sondern geradezu sinnentstellend. Unter dieser Voraussetzung ist dem amerikanischen Regisseur Darren Aronofsky mit seinem zu weiten Teilen auf der Vulkaninsel Island gedrehten Werk „Noah“ etwas Außergewöhnliches gelungen. Er hat eine Bibeladaption kreiert, die sich eher beiläufig am bekannten Geschehen abarbeitet, dafür einen aktuellen, extrem zivilisationskritischen und kulturpessimistischen Kommentar zur ’Lage der Menschheit’ abgibt.

Noah (Russell Crowe) schlägt sich mit Gattin Naameh (Jennifer Connelly) und drei Söhnen als friedfertiger Pflanzensammler durch. Während er von Adam und Evas Sohn Set abstammt, hat dessen Bruder Kain eine andere Linie begründet, die das Land längst mit Sünde und Verfall überzogen hat. Das Missfallen Gottes wurde so erregt, und eine reinigende Sintflut ist geplant. Nur der fromme, gerechte Noah soll verschont bleiben. In göttlichen Visionen wird ihm die Aufgabe gestellt, eine riesige Arche zu bauen, um von jedem Tier ein Paar vor dem Untergang der Erde zu retten. Noah stellt sich dieser Herausforderung seines Schöpfers, glaubt aber bald, auch für das endgültige Verlöschen der verderbten Menschheit verantwortlich zu sein. Das stürzt ihn in schwere Gewissenskonflikte. Und ’Überleben’ bekommt plötzlich eine ganz neue Bedeutung.

Asche zu Asche

Hat der Mensch sich überhaupt ein ’Überleben’ verdient, oder hat sich seine Art längst ’überlebt’? Was heute angesichts von Umweltzerstörung wohl schnell und klar beantwortet werden könnte, war zu biblischen Zeiten noch eine religiöse Frage. Nicht so bei Darren Aronofsky. Schon die einleitenden Kurztexte und Bildcollagen von „Noah“, die einen Aufriss seit Adams und Evas Vertreibung aus dem Garten Eden geben, dokumentieren einen einzigen Weg ins Verderben. Kains Nachkommen haben pausenlos Kriege geführt, schmutzige, inzwischen langsam zerfallende Städte gebaut und Fleisch gegessen (!), darüber die Welt ökologisch wie moralisch verpestet. Mittlerweile regiert das Chaos. Kein Wunder, dass die Erde zu Beginn der Ereignisse aussieht, als hätte sie die Katastrophe längst hinter sich. Kahle, wüstenartige Landschaften legen Zeugnis von gewissenlosem Raubbau ab, vernichtete Siedlungen von gewalttätigen Aggressoren. Auge um Auge – der Anfang ist bereits das Ende.

Diese entschiedene Aussage wirkt für das Kommende stilbildend. Ungeheuer wuchtig kommt „Noah“ in gehaltvoller Bildsprache wie primitivistischer Botschaft daher, überformt von einer intensiv aufbrausenden Soundästhetik und untermalt von Clint Mansells kosmisch-opulenter Filmmusik. Das epische Historien-Drama wandelt aber nicht auf den Spuren von Monumentalverfilmungen, sondern bietet archaisches Kino ohne Kompromisse. Das ist groß, und das hat Größe, allerdings keinen Humor. Damit scheint der alttestamentarisch schwere Tonfall des Pentateuch getroffen. Weder wird sich an den Geschmack eines Massenpublikums angebiedert, noch gibt es Konzessionen an ein ’Ethos light’. Stattdessen findet eine prinzipielle Abarbeitung an bzw. teils gar eine Abrechnung mit grundlegenden, drängenden Problemen unserer Menschenrasse statt, etwa stete Gewaltbereitschaft, maßlose Gier oder blinde Naturvernichtung, wie man sie im Hollywood-Mainstream ansonsten nicht findet.

Das wurde weder als Sub- noch als Metatext feinsinnig den keinesfalls bibelgetreu nachgezeichneten, vielmehr höchst spekulativen Ereignissen eingearbeitet, sondern ist bereits die Handlung selbst. Darüber lässt Darren Aronofsky, der zusammen mit Ari Handel auch das Drehbuch verfasst hat, die im Prinzip dramatisch und optisch umwerfende Geschichte von Arche und Apokalypse tatsächlich etwas in den Hintergrund treten. Natürlich ist der Bau der Arche, die einem gewaltigen Containerschiff aus Baumstämmen ähnelt, spektakulär. Und natürlich ist der Auftakt der Sintflut mit Wolkenbruch und aus dem Boden schießenden Wasserfontänen noch spektakulärer. Aber Aronofsky macht hieraus keinen selbstzweckhaften, überlangen CGI-Actionexzess. Die Katastrophe ist das visuelle Highlight, jedoch nicht der dramaturgische Kern von „Noah“.

Ehre, wem Ehre gebührt

Die konzeptionelle Radikalität des Films spiegelt sich in der Hauptfigur und geht von ihr aus. Als zwiespältiger Held mit Hang zu fanatischem Furor passt Noah perfekt in Aronofskys Panoptikum der besessenen Neurotiker. Er kann liebender Familienpatriarch sein, aber auch rabiater Despot, er ist willensstark und kämpferisch, aber ebenfalls unbelehrbar, er will sich Gottes Auftrag beugen, aber scheitert an persönlichen unmäßigen Ansprüchen. Nachdem er, dessen Vater vor seinen Augen einst von Kains Nachfahren ermordet wurde, in einem Lager die Masse Mensch als bestialische Rotte erlebt hat, gibt er der eigenen Art keine Zukunft mehr. Die Sintflut ist für ihn sowohl gerechte göttliche Strafe als auch finales Gericht. Während der biblische Noah noch seine ganze Sippschaft mit in die Arche nahm, lässt der filmische Noah allein Gattin, die Söhne Ham (Logan Lerman), Sem (Douglas Booth) und Japheth (Leo McHugh Carroll) sowie Ziehtochter Ila (Emma Watson) an Bord. Diese auch nur, weil sie unfruchtbar ist. Kurzum, Noah trägt die doppelte Bürde, der letzte Mensch zu sein und außerdem anzunehmen, dafür sorgen zu müssen, dass es auch so bleibt.

Solch ein Charakter, überlebensgroß und unmenschlich zugleich, kann nur von einem Ausnahmedarsteller in ein atmendes, fühlendes Individuum umgedeutet werden. Von einem wie Russell Crowe. Sein faszinierend kraftvolles Spiel, subtil im Ausdruck seiner Augen zu emotionaler Reflektion transformiert, macht aus einem mythischen Urvater einen geerdeten Mann. Und ist trotzdem schiere Naturgewalt. Mit purer grimmiger Physis stemmt er sich gegen eine lebensfeindliche Umwelt und nimmt gleichzeitig eine gigantische Bestimmung an, die niemandem zugemutet werden sollte. Gott hat nicht gefragt, Noah sich trotzdem voller Vertrauen der Mission ausgeliefert – eine in den heutigen post-biblischen Zeiten unglaubliche Opferbereitschaft. In der authentischen, schillernden Interpretation von Russell Crowe, der sich an seiner Figur, nicht seiner Rolle abquält, wird das keineswegs zur Schwäche, vielmehr zur Schicksalsfrage. Dass er seine Pflicht gegenüber dem Schöpfer unverhältnismäßig streng ausdeutet, darüber immer engstirniger, unbarmherziger und zuletzt sogar fast zum Mörder seiner Enkel wird – Ila erwartet durch ein Wunder doch noch Nachwuchs von Sem –, verdichtet das (Über-)Lebensdilemma der Menschheit zum privaten Drama.

Himmel und Hölle in Bewegung

Der Autorität Noahs hat dessen Familie nur wenig entgegenzusetzen. Sein eigentlicher Gegenspieler ist der barbarisch-brachiale Tubal-Kain (Ray Winstone), Mörder von Noahs Vater und Anführer einer üblen Kriegerschar. Zu ihm hat Gott nie gesprochen, weshalb er sich selbst zum Herrscher aufschwingt, auf den Status als ’Abbild Gottes’ pochend. Anders als Noah scheint er, bei dem Fleischkonsum wie ein Sündenfall wirkt, weder Ängste noch Zweifel zu kennen. Er fürchtet den Abgrund nicht, er ist der Abgrund. Noah und Tubal-Kain sind zwei Seiten der Zivilisation: Einer sieht sich von Gott gehalten, achtet als Pazifist und Vegetarier die Natur, glaubt an den Sinn alles Seienden; ein Paradies nach der Sintflut kann er sich aber nur ohne Menschen vorstellen. Dem Anderen fehlt spiritueller Beistand, er beutet die Umwelt aus, vergreift sich an jedem Lebewesen; dafür ist er sein eigener Herr. Noah ist rau, Tubal-Kain roh, beide sind Eiferer.

Ihre Figuren mit den für Aronofsky typisch drastisch-demonstrativen, kolportagehaften Einfärbungen sind die charakterliche Ausformung einer wilden Welt. Urwüchsig und scheinbar endlos erstreckt sich das biblische Land bis zum Horizont, von Kameramann Matthew Libatique in feinstem, düster-mächtigem 3-D abgelichtet. Wie die Story reizen auch die Bilder die Extreme aus, stürzen sich in strapaziöse Close-Ups und verlieren sich in eindrucksvollen Totalen. Amphibien gleich kriechen sie über den Boden, schweben mit beim Flug der Vögel und wandern auf majestätische Höhen, wenn die Säugetiere sich vor der Arche versammeln. Das schafft eine elementare Intensität, die nichts mit religiöser Glorifizierung gemein hat und deshalb überzeugt. Selbst das spontane Wachsen eines riesigen Waldes, dem Rohstoff für die Arche, haftet der Urhauch von ungezügelter, erhabener Natur an. Schöpfung hat etwas Göttliches, aber einen personifizierten Gott braucht es dafür nicht.

Alles hat seine Stunde

Kein Zweifel, das Alte Testament, dessen zahllose Überlieferungen wahrscheinlich schon ab 1000 v. Chr. zu literarischen Komplexen gefügt wurden, ist als Ur- bzw. Heilsgeschichte wenig zeitgemäß. Als Beleg früheren Denkens, als Quelle von Weisheit und als Folie für menschheitsrelevante Überlegungen bietet es hingegen bemerkenswerte Substanz. Sämtliche Aspekte, sowohl die legendenhaften als auch die überzeitlichen, versucht Darren Aronofsky in seiner Verfilmung zu berücksichtigen. Er lässt nicht nur Noahs Großvater Methusalem (Anthony Hopkins) auftreten, sondern in Anlehnung an die mythologischen Nephilim sogenannte ’Wächter’, gefallene Engel, die von Gott zur Strafe in exorbitante Lava-Monster verwandelt wurden. Sie helfen beim Bau der Arche, machen aus „Noah“ aber noch lange kein Fantasy-Movie. Vielmehr sind sie Ausdruck einer archaischen Weltwahrnehmung.

Auf der anderen Seite wird in die Zukunft gegriffen. Einmal erzählt Noah die Schöpfungsgeschichte und thematisiert den moralischen Fall des Menschen. Elegante Zeitraffer/Morphing-Sequenzen illustrieren das Geschehen, bis nur noch zwei sich bekämpfende menschliche Silhouetten zu sehen sind in immer neuen, moderneren Uniformen. Der Weg der Zivilisation war und ist ein ewiger Krieg. In dieser Hinsicht hat Noah definitiv recht behalten. Freilich ist dem Menschen die Gabe der Wahl beschieden, weshalb er Gewalt nicht als sein unabwendbares Fatum zu akzeptieren braucht. So viel Hoffnung muss Aronofsky schließlich auch dem skeptischen Noah gestatten. Wie in der Genesis beschrieben wird am Ende ein Regenbogen als Zeichen der erlösenden Versöhnung zwischen Himmel und Erde aufscheinen. Der letzte Saurier hat das Arche-Abenteuer zwar nicht überlebt. Aber der Mensch ist immer noch gut für eine zweite Chance. Wenigstens in der Bibel. Und im Kino.

„Noah“ (USA 2014)
Regie:
Darren Aronofsky
Darsteller: Russell Crowe, Jennifer Connelly, Ray Winstone, Anthony Hopkins
Laufzeit: 138 Min.
Verleih: Paramount
Format: DVD / Blu-ray

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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