Lauf, Junge, lauf

David Fincher bringt mit „Gone Girl“ einen perfekten Thriller und eine katastrophale Romanze zugleich auf die Leinwand

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Immer diese Blondinen. Schon Kinogroßmeister Alfred Hitchcock hatte das besonders kalte Charisma hellhaariger Schönheiten für sich entdeckt. In „Marnie“ etwa spielt Tippi Hedren eine Kleptomanin, der man nicht über den Weg trauen kann, und auch in „Die Vögel“ bleibt die ebenfalls von Hedren verkörperte Protagonistin stets entrückt, unnahbar und unterkühlt.

Rosamund Pike tritt mit ihrer Performance in David Finchers jüngstem Thriller „Gone Girl“, basierend auf dem inzwischen zum „Megaseller“ avancierten Roman von Gillian Flynn, in die Fußstapfen dieser anziehenden Frauenfiguren mit Hang zum Pathologischen und man mag, ja man darf vermuten, dass Hitchcock selbst große Freude an ihrem facettenreichen Spiel gehabt hätte. Denn Pike, die trotz „Bond-Girl“-Auftritt bislang eher zu den unscheinbaren Schauspielerinnen Hollywoods zählte, hat mit ihrer Rolle als Amy Elliot Dunne endgültig den Durchbruch als Charakterdarstellerin geschafft.

Diese Amy ist zunächst durch und durch „amazing“: Sie ist ein bildhübsches New Yorker Upper Class Girl, jene Sorte Frau also, in die sich Männer verlieben und die Frauen stets beneiden. Doch Amys Reichtum verdankt sich dem Ausverkauf ihrer Kindheit. Die Eltern, ein Psychologenpaar, nehmen ihre Tochter zum Vorbild für die erfolgreiche Kinderbuchreihe „Amazing Amy“. Was die leibliche Tochter nicht kann, kann die Bilderbuch-Amy umso besser. Und jeder, der das Einmaleins der Psychologie kennt, der weiß: Der Hund liegt stets in der Kindheit begraben.

So kann es letztlich kaum verwundern, dass Amy, deren gesamtes Leben von Anfang an einem radikalen Perfektionszwang unterliegt, die Vollkommenheit überall und auf ihre ganz eigene, krankhafte Weise sucht – auch in der Liebe. Verheiratet ist sie mit Nick Dunne (Ben Affleck), einem paradigmatischen Jungen von nebenan, bei dem man stets das Gefühl hat, er sei seiner Frau nicht ganz gewachsen. Er reißt sie aus ihrem New Yorker Leben heraus, weil er zurück zu seiner im Sterben liegenden Mutter ziehen möchte. Zurück, das heißt zurück in seine Heimat, zurück nach Missouri, zurück zu seiner burschikosen Zwillingsschwester, back to the roots also in eine Region, die nichts vom glamourösen Flair des Big Apple hat, sondern nach verrauchten Bars und Whiskey schmeckt.

Der Film beginnt folglich mit einem Fall der Helden, für den der Ortswechsel symptomatisch steht: Krank ist nicht nur Nicks Mutter, auch die Beziehung der beiden Hauptfiguren steckt schwer in der Krise. Beide sind arbeitslos und von Amys Vermögen ist nichts mehr übrig, denn sie hat ihren verschuldeten Eltern (die Kinderbuchreihe wurde eingestellt) ihr Geld gegeben. Was also tun, um die Dinge wieder ins Rollen zu bringen? „Gone Girl“ gibt eine klare Antwort: Das Leben einfach umschreiben.

Der Film ist also eine Geschichte über das Erzählen von Geschichten und spielt somit, und das verleiht ihm einen medientheoretischen Mehrwert, mit dem Topos, dass der Mensch ein „storytelling animal“ (Jonathan Gottschall) ist, ein erzählendes Wesen, das seine Identität erst durch die Narrativierung des eigenen Lebens konstruiert. Amy, die ihre gesamte Kindheit über im Schatten der fiktiven Überhöhung gestandet hat, weiß wie keine Zweite über die Macht brillanter Erzählungen Bescheid. Denn wenn das eigene Leben gerade nichts hergibt, warum dann nicht einfach in Eigenregie eine teuflisch gute Geschichte daraus machen, ja die fade Alltagsdramaturgie ordentlich aufpeppen? Und sind die besten Geschichten nicht immer Liebesgeschichten? Und sind die besten Liebegeschichten nicht immer Geschichten einer Amour fou?

Weil Amy das alles weiß, weil sie klug, brillant und psychopathisch ist, weil ihr Ehemann fremdgeht und ihr nicht mehr in Perfektion huldigt, lässt sie sich an ihrem fünften Hochzeitstag verschwinden und beginnt damit ein Machtspiel zwischen ihr und Nick, das genauso grausam wie reizvoll ist. Die Beziehung der beiden oszilliert zwischen purer Verachtung, zwischen Gewalt- und Mordfantasien und bizarrer Erotik. Wer sich vorstellt, seinem Partner den Schädel einzuschlagen und zugleich erkennt, dass ihm jeder andere Mensch nicht genug wäre, der ist nicht nur hoffnungslos verloren, sondern seinem Gegenüber auch hoffnungsvoll verfallen. „Gone Girl“ ist letztlich eine grandiose, katastrophale Romanze: Nick und Amy ergeben ein Paar, das im gegenseitigen Hass auf perverse Art vereint ist.

Klug eingefädelt und durch zahlreiche von ihr gestreuten Hinweise steht Nick schnell im Fokus der Ermittlungen. Die Medien schießen sich auf ihn ein, und erst als er wie ein reuiger Sünder zu Kreuze kriecht, hat Amy Erbarmen mit ihm und beschließt, zu ihm zurückzukehren. Ihr Plan scheint in dem Moment aufzugehen, in dem ihr Mann wieder zum perfekten Ehemann wird und vor aller Welt seine vollkommene Liebe beschwört. Dass alles nur Pose ist, stört Amy dabei wenig. Sie selbst ist ja nichts als eine Kunstfigur, die eine Rolle spielt.

Und so kehrt das entlaufene Mädchen schließlich zu ihrem Mann zurück, dem man wiederum just in dem Moment, da sie theatralisch in seine Arme sinkt, ein „Lauf Junge, lauf“ als dringenden Rat mitgeben möchte. Allein, er kann es nicht. Aus Angst davor, seine bessere Hälfte könnte ihn sonst umbringen. Oder vielleicht doch aus wahrer Liebe.

Gone Girl – Das perfekte Opfer (USA 2014)
Regie: David Fincher
Drehbuch: Gillian Flynn
Darsteller: Rosamund Pike, Ben Affleck, Neil Patrick Harris
Laufzeit: 149 Minuten

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