Metadebatte Revisited

Eine Sammlung von Texten zur Debatte um Christian Krachts Roman „Imperium“ zeigt, wie unreflektiert mancherorts der feuilletonistische Umgang mit Literatur erfolgt

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum eine Literaturdebatte der letzten Jahre hat ein so großes mediales Echo hervorgerufen wie jene um Christian Krachts vierten Roman „Imperium“; eine Debatte jedoch, die sich fast ausnahmslos auf einer Metaebene abgespielt hat, auf der sich Befürworter und Gegner des umstrittenen Werks unentwegt und teilweise recht unelegant bewegten. Über „Imperium“ an sich vermochte kaum jemand ein negatives, allzu kritisches Wort verlieren; in seltener Einigkeit vereinigten sich die Feuilletons zu einem Chor, der Krachts historischen Roman nahezu einhellig als Meisterwerk feierte. Was allerdings dem einen oder anderen unangenehm aufstieß, war der Metatext, der dem Roman mitgeliefert wurde. Ein Metatext, in dem sich angeblich Spuren rechten, tendenziell faschistoiden Gedankenguts finden ließen, das den Roman unterminiert und in einen völlig neuen Zusammenhang rückt.

Stein des Anstoßes war ein Text, den der Journalist und Schriftsteller Georg Diez am 13. Februar 2012 im Spiegel veröffentlichte und der den fortan inflationär zitierten Satz vom „Türsteher der rechten Gedanken“ enthielt. Der Aufruhr war enorm, was nicht erst aus heutiger Sicht völlig unverständlich ist. Man mag Diez vorwerfen, wie es zahlreiche seiner viel zu harsch argumentierenden Kritiker auch gerne und unentwegt getan haben, die goldene Regel von der Trennung zwischen Autor und Erzähler nicht ganz so ernst genommen zu haben und zum unheiligen Zweck, die eigene Argumentation zu untermauern, Zitate des letzteren als Ideologie des ersteren deklarierte. Was man jedoch nicht nur den Kritikern von Diez‘ Artikel sondern auch den Schriftstellerkollegen, die einen offenen Brief an den damaligen „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo unterzeichneten, vorwerfen muss, ist, dass sie sich nicht die Mühe gemacht haben, Diez‘ Quellen mit ähnlicher Sorgfalt zu lesen wie der so arg gescholtene „Spiegel“-Autor. Nach der Lektüre zahlreicher Polemiken, die im vorliegenden Band abgedruckt sind, muss man sogar leider konstatieren, dass sich die meisten nicht mal die Mühe gemacht haben, diese Quellen überhaupt wahrzunehmen.

Der eigentliche Stein des Anstoßes war nämlich Krachts E-Mail-Verkehr mit dem amerikanischen Künstler David Woodard, dessen erster Teil unter dem Titel „Five Years“ nicht bei Krachts Stammhaus Kiepenheuer & Witsch, sondern beim kleinen Wehrhahn-Verlag publiziert wurde, wissenschaftlich legitimiert durch die Herausgeberschaft von Johannes Birgfeld und Claude D. Conter, die nicht nur angesehene Germanisten sind, sondern auch in der Kracht-Forschung eine zentrale Rolle einnehmen. Es ist müßig, an dieser Stelle über Sinn und Unsinn, über das Spiel mit Wahrheit und Fiktion, über das dünne Eis, das Kracht in seinem angeblichen Briefwechsel mit dem verqueren Woodard betritt, zu diskutieren. Eigentlich hat Diez in seinem Artikel bereits alles gesagt. Nachgedacht werden sollte jedoch über ein deutsches Feuilleton, dass sich auf unangemessen scharfe Weise einen Kritiker vorknöpft, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen außer das „Spiel“ (nennen wir es mal so) Krachts mitzuspielen und die Quellen zu „Imperium“ ernst zu nehmen. Warum publiziert Kracht den komischen, politisch fragwürdigen Briefwechsel bei einem kleinen Verlag? Warum zelebriert er regelrecht seine (angebliche) Freundschaft zu einem Menschen, der eine ungesunde Vorliebe für Serienmörder, Antisemiten, Terroristen und diktatorische Staatsoberhäupter hat? Und wenn der Briefwechsel, wie mittlerweile vermutet wird (und wie so vieles in Krachts Œuvre) ein Fake ist, ist das noch witzig? Natürlich nicht, genauso wenig wie ein Journalist, der einen anderen angreift, nur weil dieser seine Hausaufgaben etwas besser gemacht hat als er selbst.

All dies lässt sich endlos fortführen, weshalb die vorliegende Dokumentation eine genüssliche, interessante und kurzweilige Lektüre darstellt. Abgerundet werden die Artikel, die tatsächlich nur eine Auswahl der feuilletonistischen Debatte darstellen, von einem Essay des Germanisten und Popkulturforschers Eckhart Schumacher, der zwar in Bezug auf Krachts Werk hervorragend und aufschlussreich ist, jedoch leider zur Debatte nicht allzuviel beiträgt, sowie der etwas redundanten Laudatio, die der Schriftsellerkollege Clemens J. Setz auf Kracht bei der Verleihung des Wilhelm-Raabe-Preises für „Imperium“ hielt. Kracht hat, natürlich, eine Publikation seiner eigenen Dankesrede untersagt. So wie er auch jegliche Statements zur Debatte von vorne herein abgelehnt hat. Auch hierüber wundert man sich. Hätte man Krachts Werdegang aufmerksam verfolgt, so wäre klar gewesen, dass alles andere als ein mysteriös daherkommendes Schweigen eine große Überraschung gewesen wäre.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Hubert Winkels (Hg.): Christian Kracht trifft Wilhelm Raabe. Die Diskussion um Imperium und der Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2012.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
157 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783518071199

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