Befreite und stereotypisierte Körper

Heft 66 des Periodikums „Frauen und Film“ widmet sich der „Sexualität im Film“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der ersten Ausgabe der damals neuen Zeitschrift „Frauen und Film“ begründete Helke Sander 1975 das frisch aus der Taufe gehobene Projekt damit, „weibliche Sexualität“ werde in Filmen „ignoriert, oberflächlich oder bewusst verfälschend behandelt“. Im jüngsten Heft mit der Nummer 66  zitiert Annette Brauerhoch die Mitbegründerin des feministischen Periodikums. Auch in dieser Ausgabe geht es einmal mehr um „Sexualität im Film“, wie denn auch der Themen-Titel des Heftes lautet.

Dass sich in den vergangenen 38 Jahren auf und vor der Leinwand allerdings so einiges geändert hat, spricht aus jedem einzelnen der Beiträge. Dies liegt, wie die Herausgehberinnen im Editorial notieren, nicht zuletzt daran, dass Sexualität schon längst den Impetus der Befreiung verloren hat, der ihr ausgehend von der studentischen ‚sexuellen Revolution‘ der späten 1960er-Jahre bis weit in die 1970er-Jahre zugesprochen worden war.

Annette Brauerhoch konstatiert denn auch in einem der ersten Texte, sie habe sich in ihrer Studienzeit noch mit den Theorien von Wilhelm Reich, Erica Jong und Herbert Marcuse sowie mit Günther Arendts Bestseller „Sexfront“ befasst, für die heutige Generation der Studierenden habe Sexualität hingegen längst „ihren Status als eine Form des Widerstands gegen die Anforderungen der Gesellschaft“ eingebüßt und werde „vorwiegend als reine Privatsache definiert, über die eher nicht gesprochen wird“. So stieß ein Seminar der in Paderborn lehrenden Film- und Fernsehwissenschaftlerin über Filme, in denen Sex oder Sexualität „eine besondere Rolle“ zukommt, jüngst auf ein für die Dozentin erstaunlich geringes Interesse.

Annette Seitz hat in einem der letzten Beiträge des vorliegenden Bandes eine plausible Erklärung dafür parat, dass sich selbst die wenigen TeilnehmerInnen von Brauerhochs Seminar die Filme kaum ansehen, geschweige denn über sie diskutieren mochten, sondern auf dieses Ansinnen „regelrecht wütend und angewidert“ reagierten. Seit geraumer Zeit, so Seitz, finden „beängstigende Rückschritte in Bezug auf den befreiten Körper, die befreite Körperlichkeit statt“, in deren Zuge „der Körper an sich – und ich meine damit durchaus nicht nur den weiblichen Körper –zweifellos der medialen Inszenierung des Jugendwahns zum Opfer gefallen ist.“

Wurden in den Sex-Filmen der 1970er-Jahre noch Körper vorgeführt, die denen der Zuschauenden glichen, habe sich seither eine „Stereotypisierung des Körper“ vollzogen. So sind zumindest im „Mainstream-Kino“ nur noch „stereotype Körper“ sexuell aktiv, die den Sexualakt „als eine Art von Workout, als eine Art privater Fitnessübung darstellen“, wohingegen „untrainierte Körper mit Haaren, oder gar Dellen und Falten quasi als nicht sexberechtigt“ erscheinen. Dies, so Seitz weiter, habe bei „Brauerhochs möglicherweise untrainierten, behaarten Studierenden“ zu einem „Unbehagen“ und dieses wiederum zu ihren Reaktionen geführt.

Im Anschluss an Seitz’ Beitrag äußern sich zwei dieser Studierenden selbst. Elena Fingerhut und Simone Rudolph haben im Rahmen von Brauerhochs Seminar die Filme „Schulmädchen-Report 5“ und „Emmanuelle“ angeschaut. Nach dem Doppel-Feature empfanden sie „die Zeit, in der wir leben, auf einmal als prüde und stilisiert, da uns nur noch perfekt modellierte Körperschablonen umgeben“. Zwar erkennen und kritisieren sie beide Filme, insbesondere aber letzteren als „zutiefst frauenverachtend“, doch waren sie „von der Körperlichkeit, die uns heute fremd erscheint“, „positiv angetan“. Denn die Körper in den Filmen erschienen „echt, keine Fotoretusche oder steril gewordene Haut“. Auch folgten die Bewegungen beim Akt „keiner Choreographie, um vermeintlich unansehnliche Körperteile zu kaschieren“, sondern waren „natürlich und losgelöst“. Von der „Präsenz dieser Körper“ zeigen sich die beiden studentischen Autorinnen tief beeindruckt, sie sei ihnen „förmlich ins Gesicht“ gesprungen und  „aus heutiger Sicht sehr befreiend“.

Doch nicht alle Beiträge behandeln Brauerhochs Seminar und die Erfahrungen ihrer Studierenden. Alexander Zahlten etwa stellt Überlegungen zur „Ungleichzeitigkeit des Pink Film“ an und interviewt den Regisseur Rei Sakamoto. Heike Klippel deutet die „Zeichen der Liebe“ in Seifenopern des deutschen Fernsehens. Heide Schlüpmann beobachtet „Hausfrauen im Spiel“ und macht eine „Allianz zwischen Filmgeschichte und Filmtheorie“ aus. Michaela Wünsch wiederum geht anhand von „Miami Vice“ und „James Bond“ dem „melodramatischem im Action-Kino“ nach, während Eva Hohenberger die amerikanische Serie „The L-World“ kritisch begutachtet.

Das Schlusswort aber soll – in dieser Rezension zumindest – Brauerhoch erhalten, der zufolge die von ihr beleuchteten Filme „In the Cut“ (2003), „Lady Chatterley“ (2006) und „Verfolgt“ (2006) „nicht nur das Spektrum dessen erweitern, was der Mainstream als attraktive Männlichkeit anbietet, sondern ganz entscheidende Merkmale dafür differenzieren“. Dies führt sie zu der hoffnungsvollen Schlussfolgerung, dass „gerade eine bestimmte Inadäquanz oder Diskfunktionalität in klassisch angestammten Gebieten männlicher Vorherrschaft offenbar eine besonders vorteilhafte Grundlage für die Entfaltung ‚weiblicher‘ Qualitäten in männlichen Protagonisten, die mit weiblicher Sexualität kommunizieren, bildet.“

Titelbild

Frauen und Film. Heft 66. Sexualität im Film.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
188 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783878778660

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch