Freispruch für die Musik?!

In „Wagner & Me“ begibt sich Stephen Fry, britischer Schauspieler sowie Autor, auf die Spuren von Richard Wagner, nach wie vor umstrittener Komponist aus Deutschland, und weiß zu entzücken

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Richard Wagner, 1813 in Leipzig geboren und 1883 in Venedig verstorben, hat die europäische Musik im 19. Jahrhundert revolutioniert, ihr damit den Weg Richtung Moderne geebnet. Die Oper gestaltete er zum Musikdrama um, indem er Handlung, Musik, Inszenierung und Darstellung als formale Einheit, nämlich als Gesamtkunstwerk begriff. Darüberhinaus wurde nach seinen Entwürfen das Bayreuther Festspielhaus gebaut, wo er 1876 die ersten Festspiele veranstaltete. Wagners Biografie beziehungsweise Nachleben zeichnen sich aber ebenfalls durch Unrühmliches aus, teils selbstverschuldet aufgrund antisemitischer Haltung, teils fremdverschuldet, weil sowohl er als auch seine Musik während des Nationalsozialismus propagandistisch vereinnahmt wurden.

So weit die Fakten. Doch was sagen sie uns? Eigentlich nichts, außer, dass Wagner ein bedeutender Künstler mit heikler Historie war, und dass es Deutschen folglich (noch?) verwehrt ist, sich mit ihm unvoreingenommen oder gar euphorisch zu befassen. Dafür bedarf es schon eines Externen, hier eines hochgebildeten, wundervoll geistreichen Mannes von der Insel, der Mut für wahre Leidenschaft besitzt. Als Brite mit jüdischen Wurzeln, der Angehörige im Holocaust verloren hat, ist Stephen Fry über jeden Ideologieverdacht erhaben, weshalb er voll sympathischen Überschwangs seine glühende Verehrung für Wagner bekennen darf.

Seit Kindertagen liebt Stephen Fry die Musik von Wagner, steht jedoch dessen Mythos kritisch gegenüber. Weil das für ihn zwar kein Widerspruch sein muss, aber für viele andere, besucht er die europäischen Wagner-Hotspots, um die eigene Faszination zu hinterfragen. Er will herausfinden, ob große Kunst der politischen Geschichte standhält, ob Musik oder Makel triumphieren. Im Herzen des Wagner-Kults, nämlich im Bayreuther Theater, beginnt die Odyssee eines Aficionados. Wie ein Kind freut sich Stephen Fry, die heiligen Hallen zu betreten, den aktuellen Proben beiwohnen zu dürfen, backstage durch das Festspielhaus zu stromern. Wenn er den dortigen Angestellten über die Schulter schaut oder sich mit deutschen Worten probiert, wirkt er selig.

Und der Zuschauer kann sich ein ebensolches Grinsen kaum verkneifen. Wann darf man schließlich schon einmal Zeuge sein von echter, rein persönlich motivierter Begeisterung? Keine Schwärmerei, die mediengesteuert ist; kein Genuss, der dem Lifestyle dient; kein PR-Jubel, der Marketingstrategien verfolgt. Stattdessen intensive Bewunderung, ebenso fundiert wie vital, ebenso klug wie affektiv. Stephen Fry hat sich etwas bewahrt, das in Zeiten des kurzfristigen Konsums fast die Qualität einer Tugend annimmt: Enthusiasmus in seiner ursprünglichen Form als Inspiration durch etwas Göttliches. Dies kann zweifelsohne auch Musik sein.

Stephen Frys höchst erfrischende „Forschungsexpedition“ führt ihn weiter in die Schweiz, wo Wagner im Exil lebte und seinen Traum von einem neuen musikalischen Kunstwerk entwickelte. Fry wandelt durch das märchenhafte Schloss Neuschwanstein, gebaut für Wagners Mäzen Bayern-König Ludwig II., und reist bis nach St. Petersburg zum Mariinski-Theater, einst Station von Wagners osteuropäischer Konzerttour 1863. Doch nicht allein die authentische Atmosphäre will Fry schnuppern; vor Ort trifft er sich mit Künstlern und Wissenschaftlern, die über Wagner, dessen Musik beziehungsweise Vita ebenso akzentuiert im Detail wie aufschlussreich in der Gesamtschau Auskunft geben.

Dem problematischsten Teil von Wagners Biografie, nämlich dessen manipulativ-weihevolle Rezeption während des Dritten Reiches, nähert sich Fry während seines Besuchs des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Hier, wo Fanatismus genährt wurde, bewegt Fry durch Nachdenklichkeit, die ebenso wie sein musikalischer Elan völlig ungekünstelt ist und sich billiger Betroffenheit verwehrt. Vielmehr bewahrt er sich einen klaren Blick, den andere offenbar weniger pflegen, etwa der Autor Joachim Köhler. Naiv erklärt dieser Hitlers Ideologie monokausal durch Wagners Werk, wozu Fry bemerkt, jene Sichtweise wäre eine durch „Hitlers Lupe“ – wie schlau und zutreffend!

Weil es in „Wagner & Me“ weder um Apotheose noch Ächtung geht, kommt dieser undogmatische, von Regisseur Patrick McGrady geradezu unspektakulär inszenierte Dokumentarfilm so leichtfüßig daher – ein Novum bei vom direkten oder wie bei Wagner indirekten Kontakt mit dem Nationalsozialismus ‚kontaminierten‘ Themen. Gleichwohl wird Ernsthaftigkeit gewahrt, was Gesprächspartner wie Anita Lasker-Wallfisch unterstreichen. Die einst im Auschwitzer Orchester spielende Holocaust-Überlebende würde zwar selbst nie nach Bayreuth reisen, hegt jedoch keinerlei musikalische Ressentiments. Musik ist für sie unantastbar, existiert jenseits historischer und politischer Laster.

Solch weise Worte hallen nach in einem Film, der Wagner selbst Klassik-Ignoranten nahebringt, aber nicht zwingend aufdrängt. Wenn man Stephen Fry allerdings auf Wagner’s Steinway in Bayreuth den berühmten „Tristan-Akkord“ spielen sieht – und er vor lauter Aufregung zuletzt die falsche Klaviertaste anschlägt –, glaubt man irgendwie daran, dass diese Musik zur Passion werden kann. Für Fry jedenfalls besitzt sie Leidenschaft, Schönheit, Kraft, ist trotz allem „fundamentally good“ und bleibt ewig „on the side of the angels“. Glücklich, wer so hören, besser: so fühlen kann.

Wagner & Me (Großbritannien 2012). Regie: Patrick McGrady. Laufzeit: 92 Min.

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Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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