Sauberer Rock’n’Roll statt dreckiger Jazz

Über den Film zu „On the Road“ von Walter Salles

Von Gunnar KaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunnar Kaiser

Man kennt das ja. Roadmovies.  Viel Landschaft, viele Autos, Highways, Motels, viel Stadt, am besten bei Nacht. Überhaupt: Nächte. Schräge Vögel. Che Guevara. Little Miss Sunshine. Dennis Hopper, Peter Fonda. Motorräder, VW-Busse. Das Roadmovie ist das Filmgenre des authentischen Lebens. Denn wo lebt man authentischer als auf der Straße? Und wollte Thelma nicht einfach nur mal raus aus ihrem biederen Alltag mit ihrem despotischen Mann? Aber wie gesagt: Man kennt es eben. Irgendwann sagt man sich: Hast du einen gesehen, hast du alle gesehen. Und irgendwie ist das Roadmovie ja auch ein Filmgenre der Vergangenheit. Heute sind wir sowieso so mobil und authentisch jede Minute, und origineller könnte unser Alltag gar nicht mehr sein. Früher aber, ja, da musste, da konnte man noch ausbrechen. Zum Beispiel in den 1950er-Jahren. Wann war Amerika je wieder so weit, so voller Möglichkeiten?

Heute also ein Roadmovie drehen? Und dann noch als Buchverfilmung? Und dann noch als Verfilmung eines Beat-Romas? Des Beat-Romans: Jack Kerouacs „Unterwegs“, in dem die Straße die Hauptfigur ist und der uns Spätgeborene das Lebensgefühl des jungen wilden Amerika nachleben lässt: Jazz, Frauen, Autos, Alkohol, Schreibmaschinen, HOWL! und noch kein Rock‘n‘Roll!

Wer diesen Roman, der selber schon mehr Film ist als Literatur, verfilmen will, der muss etwas wollen. Was aber will Walter Salles,  der brasilianische Regisseur des Films? Zumindest erstmal der Vorlage folgen, und das muss nicht die schlechteste Absicht für eine Literaturverfilmung sein.

Er schickt uns mit Dean und Sal mehrfach quer durch die USA, von Ost nach West und zurück, schließlich bis Mexico City – in Zügen, Bussen, Autos, mal mit Frauen, mal ohne, mal zusammen, mal alleine.

Und während wir dem bunten Treiben so zusehen, fragen wir uns: Ist „Unterwegs“ wirklich der Roman, der eine Verfilmung braucht? Er benötigt zumindest keine, die ihn „einfach nur“ bebildert. Kerouacs Roman, 2007 erstmals in seiner Urfassung auf Deutsch erschienen (da heißt er dann natürlich „On the Road“, weil sich deutsche Verlage auch schon immer weniger trauen, einen deutschen Titel zu finden – bei Filmen ist das ja längst gang und gäbe), ist der Roman der ständigen Grenzüberschreitung. Der fast religiösen Suche nach dem endgültigen Jetzt, nach Intensität um jeden Preis. Und diese Intensität des Lebens zeigt Salles auch, in vielen schön anzusehenden Einstellungen, mit beeindruckenden Schauspielerleistungen.

Doch ein intensiver Film will es, kann es nicht sein. Nicht mal ein Film, der nach dem Intensiven sucht. Salles‘ „On the Road“ ist ein Film geworden, der Leute aus einer längst vergangenen Zeit zeigt, die Intensität suchen. Wo das Buch herrlich unausgegoren, hektisch ist, bleibt der Film in der Ferne. Er distanziert sich. Die Kamera ist dabei, statt mittendrin. Die Fünfziger müssen wohl in Sepia gewesen sein. Der Plot bleibt, trotz der berührenden Schlussszene, ohne richtige Reibung, fast gleichgültig seinen Figuren gegenüber. Die Straße ist zu stilvoll, zu sauber. Eher Rock‘n‘ Roll als Free Jazz.

On the Road (On the road)
USA 2012
Regie: Walter Salles
Drehbuch: Jose Rivera
Darsteller: Sam Riley, Garrett Hedlund, Kristen Stewart, Amy Adams

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