Stille Filme sind tief

Roman Mauer liefert mit „Jim Jarmusch – Filme zum anderen Amerika“ eine eindringliche Werkschau des amerikanischen Independent-Regisseurs

Von Andreas KirchnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Kirchner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Jarmusch-Fan ein Jarmusch-Buch zu rezensieren ist gar nicht so angenehm, wie es auf den ersten Blick scheint. Zur Hoffnung auf eine Erweiterung des eigenen Wissens gesellt sich unweigerlich die Gefahr der Hypersensibilität gegenüber den Ausführungen des vermeintlich Gleichgesinnten. Gut, wenn diese so überzeugend sind, dass man gar nicht erst in Versuchung gerät, sich in Haarspaltereien zu verlieren.

Roman Mauer ist keineswegs der erste, der sich hierzulande ausführlich mit dem New Yorker Filmemacher auseinandersetzt. Mit Oliver Schindlers Band „Jim Jarmusch. Independent-auteur der achtziger Jahre“ (2000) und der von Rolf Aurich und Stefan Reinecke herausgegebenen Essay-Sammlung „Jim Jarmusch“ (2001) existieren bereits zwei deutschsprachige Publikationen zum Thema. Dennoch handelt es sich bei Mauers „Jim Jarmusch – Filme zum anderen Amerika“ um die erste umfassende Analyse von des Gesamtwerks: Während sich Schindler auf die Jarmusch-typische, unabhängige Produktionsweise (und deren Einwirkung auf seine ersten vier Spielfilme) konzentriert, widmen sich die Beiträge im Sammelband von Aurich und Reinecke vor allem Jarmuschs Person und seiner Verortung im künstlerischen Feld (vor allem dem New Yorker Underground der frühen 1980er-Jahre).

Auch deshalb ist nicht verwunderlich, dass das Buch, das aus einer Dissertation hervorging, wie eine klassische Autorenanalyse aufgebaut ist und chronologisch Film für Film untersucht. Allerdings nimmt Roman Mauer einige wohltuende und keineswegs unwichtige Perspektivverschiebungen vor.

Zunächst sticht seine kulturwissenschaftliche Perspektive ins Auge, die sich in Bezug auf Jarmuschs Œuvre als besonders fruchtbar erweist und weit über die sonst übliche Einordnung der Filme in die Filmgeschichte hinausreicht. So skizziert Mauer nicht nur den soziokulturellen Background ihrer Entstehung, sondern spürt auch mit akribischer Genauigkeit den zahlreichen Anspielungen und Verweisen nach, von denen Jarmuschs Filme nur so strotzen. Dadurch wird der Leser gleichsam in die Subkultur des Hip Hops à la Wu-Tang Clan („Ghost Dog“) und in die Lyrik Robert Frosts oder Walt Whitmans („Down By Law“) eingeführt. So unterschiedliche Phänomene wie der Kult um Elvis („Mystery Train“) werden ebenso beleuchtet wie die Bedeutung von Fred Perry, dem ersten Wimbledonsieger aus der Arbeiterklasse, und der von ihm gegründeten Sporttextilmarke („Broken Flowers“). Auf diese Weise ergibt sich ein vielschichtiges Bild des schier unendlichen (sub)kulturellen Kosmos dieser „Filme zum anderen Amerika“.

Auffällig ist weiterhin, dass Mauer die in vergleichbaren Büchern notorisch unterschätzten Leistungen der Mitarbeiter des Regisseurs, die maßgeblich zur Qualität der Filme beitragen, differenziert aufzeigt. Zu Recht besonders hervorgehoben ist der Einfluss des langjährigen Kameramanns Robby Müller, der den ästhetischen Stil zahlreicher Filme entscheidend mitgeprägt hat. Aber auch die Bedeutung der hochkarätigen (Film-)Musiker (wie etwa Tom Waits oder Neil Young) stellt Mauer eindrucksvoll heraus.

Die dritte große Stärke der Analyse liegt in den detaillierten und kreativen Herausarbeitungen der Erzählstrategien. Um deren Komplexität veranschaulichen zu können, greift Mauer auf Strukturgrafiken zurück, die erheblich zur Veranschaulichung der Plot-Geflechte beitragen. Ob es sich nun um den symmetrischen, von Rache und Ritual geprägten Aufbau von „Ghost Dog“, die an Chaucers „Canterbury Tales“ angelehnte Struktur von „Mystery Train“ oder den spiegelbildlichen Aufbau von „Dead Man“ handelt: Die Ergebnisse der Strukturanalysen werden mit den in den Filmen verhandelten Themen und Motiven in Bezug gesetzt und führen zu Lesarten, die auch Insidern völlig neue Bereiche erschließen dürften.

Gibt es bei so viel Lob überhaupt etwas zu beanstanden? Kaum – allenfalls in Bezug auf die Struktur des Buchs selbst. Dass Mauers Ausführungen zu den behandelten Filmen dem immer gleichen Schema folgen – auf ein Einleitungskapitel folgen jeweils die Unterkapitel „Erzählstrategien“, „Themen und Motive“, „Ästhetik“ und „Pressestimmen“ –, hat sicherlich den Vorteil der Übersichtlichkeit und bietet die Möglichkeit, den Band nicht nur sukzessive, sondern auch quer zu lesen. Der Nachteil dieses wohl auch den Ansprüchen einer Doktorarbeit geschuldeten Aufbaus liegt in seiner Vorhersehbarkeit, durch die im Verlauf der Lektüre vor allem die etwas isolierte Auflistung der Filmkritiken leicht ritualisiert erscheint.

Dieser nur geringfügig ins Gewicht fallende Kritikpunkt mindert allerdings keineswegs die Qualität dieses trotz des hohen inhaltlichen und sprachlichen Niveaus leichtfüßig wirkenden und dementsprechend durchweg sehr gut lesbaren Buchs. „Jim Jarmusch. Filme zum anderen Amerika“ stellt zweifelsohne das neue Maß der Dinge in der Jarmusch-Forschung dar. Nicht zuletzt, weil es dazu anregt, sich die Filme noch einmal – nun mit erweitertem Horizont und nochmals gesteigertem Lustgewinn – anzusehen. Natürlich bleibt davon auch das Fan-Dasein nicht unberührt: Ich bin jetzt ein noch größerer Jarmusch-Verehrer als vorher.

 

Titelbild

Roman Mauer: Jim Jarmusch. Filme zum anderen Amerika.
Ventil Verlag, Mainz 2006.
414 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783936497090

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