Kulturjournal

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Betreff Literatur, Kindheitshölle und sexueller Missbrauch
Autor Thomas Anz
Datum 21.03.2010 23:56
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Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 20./21. März 2010 vergleicht Andreas Zielcke die derzeitigen Berichte über sexuellen Missbrauch von Kindern mit gegenwärtig gehäuften Darstellungen unglücklicher Kindheit und Jugend in Romanen (Georg Kleins, Jan Faktors, Helene Hegemanns) und Filmen (Michael Hanekes "Das weiße Band"). Zielcke macht hier zwei bemerkenswerte und überfällige Beobachtungen:

1. "Alle Enthüllungen von sexuellem Missbrauch durch Lehrer und Betreuer können nicht vergessen machen, dass nicht nur damals, als sich die meisten Vorfälle ereigneten, sondern heute Kinder vor allem in den Familien und Nachbarschaften missbraucht werden. Geschätzte Dunkelziffern schwanken zwischen jedem zehnten bis zu jedem fünften Kind, das solchen Akten ausgesetzt wird. Die sexuelle Hölle, das sind trotz allem nicht die Institutionen, es ist das Zuhause."

2. Der "serielle Kindsmissbrauch in Internaten und Klosterschulen [...] ist nicht das Thema der Fiktionen".

Auch sexueller Missbrauch in Eltern-Kind-Beziehungen, so ließe ich ergänzen, ist in der Literatur kein Thema. Es könnte sich lohnen, weiter darüber zu reflektieren, was die Enthüllungen über kirchliche und pädagogische Institutionen und was literarische Kindheitsdarstellungen ignorieren, meiden oder verhüllen. Und warum sie es tun.

 

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