Verkündung der Geburt Johannes des Täufers

JUDENCHRISTLICHE LEGENDEN

a) von der Geburt Johannes des Täufers und Jesu von Nazaret[1]

I (nach Lukas)[2]

Verkündung der Geburt Johannes des Täufers

(Lk I 5) Zur Zeit des Königs Herodes lebte ein Priester namens Zacharias; der hatte eine Frau aus Aarons Geschlecht mit Namen Elisabet. (6) Beide waren fromm und wandelten untadelig in allen Geboten und Satzungen des Herrn. (7) Sie hatten aber kein Kind (denn Elisabet war unfruchtbar) und beide waren hochbetagt[3]. (8) Als Zacharias nun einmal an der Reihe war, das Priesteramt zu versehen (9) und das Rauchopfer darzubringen, und er in den Tempel gegangen war, (10) während die Menge draußen stand und betete, (11) da erschien ihm ein Engel des Herrn zur Rechten des Altars stehend. (12) Zacharias erschrak. (13) Der Engel aber sprach zu ihm: „Fürchte dich nicht, Zacharias! Dein Gebet ist erhört: deine Frau Elisabet wird dir einen Sohn gebären; den sollst du Johannes nennen. (14) Er wird deine Freude und Wonne sein; und viele werden sich seiner Geburt freuen; (15) denn er wird groß sein vor dem Herrn. Wein und Bier soll er nicht trinken[4], und mit heiligem Geiste wird er erfüllt sein von Mutterleibe; (16) viele Söhne Israels wird er zum Herrn ihrem Gott bekehren (17) und vor ihm hergehn in Geist und Kraft des Elias, dem Herrn zu bereiten ein gerüstetes Volk.“ (18) Zacharias erwiderte: „Wie kann ich das glauben? Ich bin ein Greis, und meine Frau hochbetagt.“ (19) Der Engel antwortete: „Ich bin Gabriel der vor Gott steht[5] und gesandt dir diese Botschaft zu bringen. (20) Weil du aber meinen Worten nicht geglaubt hast, so sollst du verstummen und nicht reden können bis zu dem Tage wo sich dies erfüllt.“ (21) Währenddem wartete das Volk auf Zacharias und wunderte sich daß er so lange im Tempel blieb. (22) Als er nun herauskam, konnte er nicht mit ihnen reden. Da merkten sie daß er im Tempel eine Erscheinung gehabt hatte. Er konnte ihnen nur zuwinken, blieb aber stumm. (23) Als die Tage seines Dienstes beendet waren, kehrte er nach Hause zurück. (24) Darauf wurde Elisabet schwanger und verbarg sich fünf Monate. Sie dachte: (25) „So hat mir der Herr getan zu der Zeit die er ersehen hat um meine Schmach bei den Menschen von mir zu nehmen.“

Erklärungen

[1] Diese Erzählungen sind das Schönste, was über diese beiden Männer und ihre Eltern gesagt ist. Fast zwei Jahrtausende hindurch haben sie bis heute mit unverminderter Kraft unzählige Menschen erfreut und Dichter und Tonkünstler, Maler und Bildhauer zu immer neuen Darstellungen angeregt. Daß diese Erzählungen aber Legenden und nicht Geschichte sind, ergibt sich erstens aus ihrem Charakter (Welt des Wunders usw.) und zweitens aus ihrer Unvereinbarkeit mit der Geschichte. Es mag z. B. sein, daß Jesus noch unter König Herodes dem Großen, etwa sechs Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung, geboren ist; aber die Schätzung des Quirinius, mit der Lukas die Geburt Jesu zusammenbringt, fand erst i. J. 6 nach Chr. statt, als Herodes Sohn und Nachfolger Archelaus abgesetzt und sein Land unter unmittelbare römische Verwaltung gestellt war (vgl. Josefus Altertümer XVII 13!). Unser ältestes Evangelium, das Markusevangelium, weiß nichts von diesen Geburtslegenden; es beginnt gleich mit dem öffentlichen Auftreten Johannes des Täufers und Jesu und weiß von Jesu Herkunft nur, daß er einer galiläischen Handwerkerfamilie in Nazaret entstammte (VI 1-5). Als Jesus dann aber im Glauben seiner Anhänger zum Messias geworden war, musste er, den messianischen Erwartungen entsprechend, ein Nachkomme Davids werden und (nach Micha V 1.3) in Bethlehem geboren sein. Diesem dogmatischen Zwang tragen Matthäus und Lukas in verschiedener Weise Rechnung: Einerseits durch entsprechende Stammbäume, indem der Judenchrist Matthäus in I 1-17 die Abstammung Jesu durch 3 x 14 Vorfahren von Abraham über David und die Babylonische Gefangenschaft ableitet, der Heidenchrist Lukas in III 23-30 aber sie – ebenfalls über David und Abraham, sonst aber meist ganz andre, insgesamt etwa 76 – auf Adam den Sohn Gottes zurückführt. Diese,  geschichtlich wertlosen, Stammbäume haben natürlich nur dann Sinn, wenn Jesus der Sohn Josefs war; und so lautet auch in einer im Sinaikloster gefundenen, um 400 geschriebenen Handschrift, die wohl den ursprünglichen Text der im 2. Jahrhundert entstandenen syrischen Übersetzung wiedergibt, Kt I 16: „Jakob zeugte Josef, und Josef zeugte Jesus der der Gesalbte genannt wird.“ Das wird der Text des alten Stammbaums sein, den schon Matthäus so geändert haben wird, wie wir ihn heute in den besten griechischen Handschriften lesen: „Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von der geboren wurde Jesus der der Gesalbte genannt wird.“ Lukas bietet in III 23: „Jesus war, als er anfing, etwa dreißig Jahr alt, ein Sohn, wie man glaubte, Josef’s.“ Beide Versuche, die geschichtliche Überlieferung mit dem neuen Dogmas der Erzeugung Jesu durch den heiligen Geist auszugleichen. Anderseits haben Matthäus und Lukas die Schwierigkeit, die darin lag, daß Jesus aus Nazaret stammte, der Messias aber aus Betlehem stammen mußte, in verschiedener Weise zu lösen versucht: Matthäus, indem er Josef in Bethlehem ansässig sein, aber nach seiner Flucht nach Ägypten aus Furcht vor Archelaus nicht nach Bethlehem zurückkehren, sondern nach Nazaret, das zum Reiche des Herodes Antipas gehörte,  zurückziehen läßt; Lukas, indem er an Nazaret als der Heimat Josefs festhält, die Geburt Jesu aber gelegentlich eines vorübergehnden, durch die Schätzung die Quirinius veranlaßten Aufenthaltes der Eltern in Betlehem geschehen läßt.

[2] Die Erzählungen des Lukas sind ganz im Stil der alttestamentlichen gehalten und ganz aus jüdischen Verhältnissen und Vorstellungen erwachsen, wahrscheinlich im Gebirge Juda, worauf I 65 zu deuten scheint. Man darf vermuten daß Lukas sie während der zweijährigen Gefangenschaft des Paulus in Cäsarea kennen lernte. Damals wird Lukas hier in enger Verbindung mit dem Evangelisten Filippus gestanden haben, bei dem er kurz vorher im Gefolge des Paulus auf der Reise nach Jerusalem mehrere Tage zu Gast gewesen war (Apg XXI 8-10). Und wenn schon große Wahrscheinlichkeit dafür spricht daß Lukas von Filippus das erfahren, besser: bereits niedergeschrieben übernommen hat was er in Apg VI-VIII berichtet, so möchte ich vermuten daß an der Gestaltung der Geburtslegenden und noch manchen anderen Sondergute des Lukasevangeliums die Töchter des Filippus maßgebend beteiligt gewesen sind, die Lukas in Apg XXI 9 ohne erkennbaren Grund erwähnt und als Künderinnen bezeichnet. Für diese Vermutung spricht sehr der Umstand daß, während die Geburtslegenden des Matthäus einen eindeutig männlichen Charakter tragen (erwähnt wird nur was Josef denkt beschließt tut, nur ihm erscheint der Engel; Maria dagegen spielt eine rein passive Rolle; die Darstellungsweise ist nüchtern sachlich schriftgelehrt), in den Geburtslegenden und in dem sonstigen Sondergut des Lukas ein starkes Mitfühlen mit weiblichem Empfinden und großes Interesse für weibliches Erleben hervortritt. Man vergleiche dazu I 24/25 28/29.34.38.39-48.58.60  II 6/7.19.34/35.36-38.48.51  VII 12.36-47 VIII 2/3  X 38-42   XI 27  XV  8-10   XVII 32   XVIII 2-7   XXIII 27-29! Aus X 38-42 und XV 8-10 könnten sich gar bei einiger Fantasie reizvolle Bilder von Vorgängen im Hause Filippus ergeben. Auf jeden Fall haben sich in den Geburtslegenden des Lukas Judenchristen Palästinas ein ewiges Denkmal gesetzt.

[3] Wie Abraham und Sara nach 1. Mose XVIII 11.

[4] Er soll ein Gottgeweihter (Nasir) sein. Vgl. Mt XI 18 !

[5] Einer der vier oder sieben Erzengel die sich Gottes Thron nahen dürfen.