Hinrichtung der Söhne Mariames

Hinrichtung der Söhne Mariames

(XVI 1) Nach der Erbauung des Tempels unternahm Herodes eine Reise nach Rom, teils um dem Kaiser seine Aufwartung zu machen, teils um seine beiden Söhne, Alexander und Aristobul, zu besuchen, die ihm Mariame geboren hatte und die sich seit einiger Zeit Studien halber dort aufhielten. Der Kaiser nahm ihn sehr freundlich auf, erlaubte ihm, die Prinzen, die ihre Studien beendet hatten, wieder mit nach Hause zu nehmen. Als sie nun in Judäa angelangt waren, empfing das Volk die beiden Jünglinge mit großer Begeisterung. Um so verhaßter wurden sie Salome, der Schwester des Königs, und den anderen, die durch ihre Verleumdungen Mariame den Tod bereitet hatten. Diese glaubten nämlich, die beiden würden, wenn sie zur Macht kämen, sie selbst für den gegen ihre Mutter begangenen Frevel bestrafen. So nahmen sie denn ihre Zuflucht zu Verleumdungen, indem sie ausstreuten, die jungen Leute hätten keine Lust, mit ihrem Vater zusammenzuleben, weil sie mit dem Mörder ihrer Mutter keine Gemeinschaft haben wollten. Dem Könige kam dies zu Ohren; aber vorläufig war bei ihm die Liebe des Vaters zu seinen Kindern noch mächtiger als alle Verleumdung.

(2) Als Herodes hörte, sein Gönner Markus Agrippa[1] sei nach Kleinasien gekommen, begab er sich schleunigst zu ihm und lud ihn ein, sein Reich zu besuchen. Agrippa willfahrte; Herodes aber bewirtete ihn und sein Gefolge aufs prächtigste und zeigte ihm seine Bauten in Sebaste und Cäsares und die mit großem Aufwand erbauten Burgen. Auch nach Jerusalem nahm er ihn mit, wo ihm das Volk in festlichem Aufzuge entgegenkam und ihn mit Segenswünschen empfing. Agrippa opferte Gott hundert Stiere und gab dem Volk ein Festmahl.

Im nächsten Frühjahr fuhr Herodes mit einer Flotte zum Schwarzen Meer, um Agrippa bei einem Kriegszuge zu unterstützen. Als die beiden auf dem Heimwege nach Jonien kamen, strömte eine Menge Juden, die in den jonischen Städten wohnten, zu Agrippa und beklagte sich über allerhand Ungerechtigkeiten: Man hindere sie, nach ihren Gesetzen zu leben, lade sie an heiligen Tagen nach Willkür der Behörden vor Gericht, raube ihnen das Geld, das sie nach Jerusalem für den Tempel senden wollten, zwinge sie zum Heeresdienst und zu öffentlichen Arbeiten, obwohl sie doch von alledem befreit seien und die Römer ihnen ausdrücklich erlaubt hätten, nach ihren heimischen Gebräuchen zu leben. In der Verhandlung, die Agrippa auf Herodes’ Bitte ansetzte, hatten die Griechen nichts Stichhaltiges vorzubringen; sie versteckten sich hinter der Ausflucht, die Juden bewohnten griechisches Gebiet und scheuten vor keinem Unrecht zurück. Da aber Agrippa einsah, daß den Juden Gewalt angetan war, so erkannte er wegen der freundschaftlichen Gesinnung des Herodes alle ihre Forderungen als gerecht an und bestimmte, daß ihnen niemand etwas bei der Befolgung ihrer Gesetze in den Weg legen dürfe.

(3) Kaum war Herodes nach Jerusalem zurückgekehrt, so stellten ihm seine Geschwister Feroras und Salome sogleich vor, wie große Gefahr ihm von seiten der Mariamesöhne drohe; diese hätten nämlich offen erklärt, sie würden die Ermordung ihrer Mutter nicht ungerächt lassen. Herodes beschloß deshalb, seinen Sohn Antipater zu bevorzugen, der ihm vor seiner Erhebung zum König geboren war, um so den Söhnen der Mariame eine Warnung zukommen zu lassen. Denn er glaubte, sie würden sich weniger dreist benehmen, wenn sie sich überzeugten, daß sie nicht die einzigen wären, die für die Thronfolge in Betracht kämen. Aber dies hatte eine ganz andere Wirkung, als Herodes geglaubt hatte. Denn die beiden empfanden das Verhalten ihres Vaters als schwere Beleidigung und beschuldigten ihn offen der Ungerechtigkeit; Antipater aber benutzte seine neue Stellung, seinen Vater auch seinerseits gegen seine Brüder aufzuhetzen. Schließlich entschloß sich Herodes, Antipater mit vielen Geschenken nach Rom zu schicken, damit er sich dort des Kaisers Gunst erwürbe. So gewann es den Anschein, als ob Mariames Söhnen gar keine Hoffnung auf den Thron mehr bliebe.

(4) Antipater wurde in Rom höchst wohlwollend aufgenommen und fuhr fort, von dort aus seine Brüder zu verdächtigen. So entschloß sich Herodes, persönlich mit den beiden nach Italien zu fahren und sie beim Kaiser zu verklagen. Sie zeigten, sagte er, ihren Haß gegen ihn auf alle mögliche Weise; ja, sie wollten ihn sogar umbringen, um den Thron an sich zu reißen. In der Gerichtsverhandlung gelang es aber dem älteren der beiden Brüder, den Kaiser von ihrer Unschuld zu überzeugen. Und so kam es auf Empfehlung des Kaisers zu einer vollen Aussöhnung, worüber Antipater größte Freude heuchelte. Der Kaiser gab nun Herodes die Vollmacht, irgend einen von seinen Söhnen zu seinem Nachfolger zu ernennen oder die Herrschaft unter sie alle zu verteilen. Doch als Herodes dies auf der Stelle tun wollte, erklärte der Kaiser, er werde nicht zulassen, daß er sich bei Lebzeiten der Macht über sein Reich und seine Söhne begebe. Hierauf trat Herodes die Rückreise an.

In Jerusalem angekommen, ernannte er seine Söhne zu Thronfolgern, zunächst Antipater und dann auch die Söhne der Mariame, Alexander und Aristobul. Doch ermahnte er alle, einstweilen noch ihn als ihren Herrn und König anzuerkennen, da er das das höhere Alter habe, das ja von allen Lebenszeiten am meisten zur Herrschaft befähige, und auch die übrigen Eigenschaften, die erforderlich seien, um ein Reich zu beherrschen und Söhne im Zaum zu halten.

(7) Bald aber entbrannte der Streit im Palaste des Herodes aufs neue mit größter Heftigkeit. Und zwar war es jetzt besonders Antipater, der immer neue Anschläge gegen seine Brüder ersann und eine verbrecherische Verschlagenheit darin bewies, daß er andere anstiftete, die beiden zu verleumden, während er selbst sie heuchlerisch verteidigte. So umgarnte er seinen Vater immer mehr. Salome aber verleitete in ihrem unerbittlichen Hasse gegen die Söhne der Mariame sogar die eigene Tochter, die mit Aristobul, dem jüngeren der beiden, vermählt war, die ihr geziemende Verschwiegenheit zu brechen und ihr, der Mutter, alle Geheimnisse zu verraten, die ihr Mann ihr anvertraute. So erzählte ihr diese denn, daß Alexander und Aristobul, wenn sie unter sich seien, oft ihrer Mutter gedächten, dem Haß gegen ihren Vater Ausdruck gäben und verlauten ließen, sie würden, wenn sie erst einmal im Besitz der Macht wären, die Söhne, die Herodes von seinen anderen Frauen hätte, zu Dorfschulzen machen, wozu sie sich nach ihrem Bildungseifer am besten eigneten; die Frauen aber, wenn sie diese mit den Schmucksachen ihrer Mutterprunken sähen, in Lumpen kleiden und so einsperren lassen, daß sie das Licht des Tages nicht mehr erblickten. Das alles hinterbrachte Salome sogleich dem Könige.

(8) Dieser ging nun in der Folge immer mehr dazu über, vermutliche Mitwisser der Absichten der beiden Brüder durch grausame Folterungen zu Geständnissen zu zwingen. So gaben denn drei Eunuchen des Königs: sein Mundschenk, sein Truchseß und sein Kammerherr, in ihrer Not an, Alexander habe sie zu bereden versucht, sich von seinem Vater loszusagen, da dieser sich überlebt habe und sein hohes Alter dadurch zu vertuschen trachte, daß er sich das Haar schwärze; wenn er, Alexander auf den Thron käme, so werde er sie bald zu hohen Ehrenstellen berufen; die Herrschaft aber sei schon gewiß, nicht nur wegen seiner Abstammung, sondern auch viele der obersten Offziere und Beamten bereit seien, für ihn durch dick und dünn zu gehen. Einer von den vielen anderen Gefolterten sagte aus, er habe Alexander sagen hören, bei Spaziergängen mit seinem Vater pfelge er sich zu bücken, um nicht größer zu erscheinen als dieser, und bei Jagden, die er mit dem Vater unternehme, absichtlich das Wild zu fehlen, da er dessen Ehrgeiz kenne, der andern keinen Ruhm gönne; gemeinsam mit Artistobul habe Alexander beschlossen, den Vater auf der Jagd aus dem Hinterhalt zu töten, nach vollbrachter Tat aber nach Rom zu fliehen und dort um Verleihung der Königswürde zu bitten. (10) Schließlich sagten auch zwei ehemalige Leibwächter des Herodes, die bei diesem in Ungnade gefallen und nun in Alexanders Dienst getreten waren, auf der Folter aus, Alexander habe sie bereden wollen, Herodes auf der Jagd zu töten; man könne hinterher leicht glaubhaft machen, er sei vom Pferde gestürzt und habe sich mit seinen Jagdspießen verletzt. Als dann noch ein an einen Festungskommandanten gerichteter Brief in Alexanders Handschrift Herodes übergeben wurde, der lautete: „Wenn wir mit Gottes Hilfe alles, was wir beabsichtigen, ausgeführt haben, so wollen wir zu euch kommen. Sorgt dafür, daß ihr uns dann in die Festung aufnehmen könnt!“, da hatte Herodes keinen Zweifel mehr, daß seine Söhne ihm nach dem Leben trachteten. Er ließ sie einkerkern, den Zutritt zu ihnen verbieten und sie wie gemeine Verbrecher behandeln. Darauf schickte er einen Bericht über die Anschläge seiner Söhne mitsamt den Beweisstücken an den Kaiser. (11) Dieser antwortete: Er bedaure, daß er solche Söhne habe. Falls sie sich ein Verbrechen hätten zu schulden kommen lassen, müsse man gegen sie wie gegen Vatermörder einschreiten, wozu er ihm hiermit die Vollmacht gebe; wenn sie aber nur vorgehabt hätten zu fliehen, müsse man sie milder behandeln. Er rate ihm, einen Gerichtstag wegen dieser Sache nach Berytus anzusagen, dorthin die Statthalter, Alexanders Schwiegervater und andre angesehene Männer einzuladen und nach deren Rat das Urteil zu fällen. Herodes tat so, setzte aber die Beisitzer durch die Leidenschaftlichkeit seiner Anklagen so unter Druck, daß sie ohne Prüfung der Belege ihm das Recht gaben, seine Macht auszuüben. Auf der Heimreise doch wurde Herodes wieder schwankend, als sein aus Rom zurückgekehrter Ratgeber Nikolaus von Damaskus ihm berichtete, Herodes’ dortige Freunde seien gegen einen übereilten Vollzug der Todesstrafe. Auch einer seiner früheren Offiziere namens Tiron kam zu ihm und sagte frei heraus, was viele andere auch dachten, aber ängstlich verschwiegen: „Bist du von Sinnen? Zwei mit allen Vorzügen geschmückte junge Männer, die eine aus königlichem Geschlecht stammende Gattin dir geboren, willst du morden und dich im Alter dem andern Sohn, der die auf ihn gesetzte Hoffnung schwer enttäuschen wird, anvertrauen? Das ganze Volk wird, wenn es auch schweigt, dennoch deinen Frevel verabscheuen; das Heer aber die Unglücklichen bemitleiden und die Urheber ihres Unglücks hassen.“ Diese mit soldatischem Freimut gesprochenen Worte verfehlten aber völlig ihren Zweck. Herodes nahm sie nicht als gut gemeinte Ratschläge, sondern als grobe Schmähungen hin und befahl in höchster Erregung, Tiron zu verhaften. Und als nun der Barbier des Königs ihm sagte, Tiron habe ihn oft überreden wollen, ihm mit dem Rasiermesser den Hals abzuschneiden, da ließ Herodes kurzerhand dreihundert verdächtige Offiziere verhaften und samt Tiron in öffentlicher Verhandlung richten und vom Volk zu Tode werfen. Dann wurden Alexander und Aristobul nach Samaria geführt und dort auf Befehl ihres Vaters erdrosselt. Ihre Leichen brachte man in der Nacht nach Alexandrium, wo ihr Oheim mütterlicherseits und viele ihrer Vorfahren begraben lagen.

Fragt man nach den Ursachen dieser furchtbaren Tat, so wird man antworten: Jugendliche Überhebung und Pochen auf ihre königliche Abstammung haben die hoch begabten und allgemein beliebten Söhne der Mariame verleitet, alle Handlungen ihres Vaters ungerecht zu beurteilen und immer das Schlimmste anzunehmen; auch wußten sie ihre Zunge nicht im Zaum zu halten und gaben dadurch ihren Feinden willkommenen Anlaß, sie bei Herodes anzuschwärzen. Gleichwohl konnte dieser keine stichhaltige Entschuldigung für seine Grausamkeit beibringen; wollte er sie nun einmal verurteilen, so hätte es sicher genügt, sie gefangen zu halten oder aus dem Reiche zu verbannen, besonders da ihm die römische Oberherrschaft hinreichenden Schutz gewährte.

Erklärungen

[1] Den Freund und Schwiegersohn des Augustus.