Schöpfung, Paradies und Sündenfall

Schöpfung[1], Paradies und Sündenfall (J[2])

(1. Mose II 4) Zu der Zeit, als Gott[3] Himmel und Erde machte (5) – noch war auf Erden kein Strauch und kein Kraut gesprossen; denn Gott hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, den Acker zu bauen –, (7) da bildete Gott den Menschen aus der Erde des Ackers und blies ihm ein den Lebensodem in seine Nase; so ward der Mensch ein lebendes Wesen. (8) Dann pflanzte Gott einen Garten in Eden im Osten (9) ließ aufwachsen aus dem Acker allerlei Bäume, lieblich anzusehen und gut davon zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. (15) Und Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu pflegen und zu bewachen, (16) und gebot ihm: „Von allen Bäumen im Garten darfst du essen soviel du willst; (17) nur von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen darfst du nicht essen; wenn du davon ißt, mußt du sterben.“

(18) Gott dachte aber: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die zu ihm paßt.“ (19) Und er bildete aus dem Acker alle Tiere des Feldes und alle Vögel unterm Himmel und brachte sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennte; denn wie der Mensch sie nennen würde, so sollten sie heißen. (20) Da gab der Mensch jedem Tier und jedem Vogel seinen Namen; doch fand sich keine Hilfe für den Menschen, die zu ihm paßte. (21) Nun ließ Gott einen tiefen Schlaf auf ihn fallen, nahm eine seiner Rippen, verschloß die Stelle mit Fleisch, (22) baute ein Weib aus der Rippe und brachte sie zu ihm. (23) Da rief der Mensch: „Das Bein ist endlich von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch!“ (24) Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und hängt an seinem Weibe, und werden die beiden ein Leib. (25) Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.

(III 1) Die Schlange aber war listiger als alle Tiere, die Gott gemacht hatte; und sie sprach zu dem Weibe: „Sollte Gott wirklich gesagt haben: Ihr dürft nicht essen von all den Bäumen des Gartens?“ Das Weib antwortete: „Wir dürfen essen von den Früchten aller Bäume im Garten; (3) nur von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Eßt nicht davon, rührt sie auch nicht an! sonst müßt ihr sterben.“ (4) Da sprach die Schlange zum Weibe: „Ihr werdet gewiß nicht sterben; (5) sondern Gott weiß, daß, wenn ihr davon eßt, euch die Augen aufgehn und ihr wie Gott wissen werdet was gut und böse ist.“ (6) Da nun das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen und er lieblich anzusehen war, nahm sie von seinen Früchten und aß und gab ihrem Manne auch davon, und er aß. (7) Alsbald gingen ihnen beiden die Augen auf, und sie wurden gewahr, – daß sie nackt waren. So hefteten sie denn Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.

(8) Da hörten sie wie Gott in der Abendkühle sich im Garten erging und der Mensch versteckte sich mit seinem Weibe mitten unter die Bäume des Gartens. (9) Aber Gott rief ihm zu: „Wo bist du?“ (10) Er antwortete: „Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackt; darum versteckte ich mich.“ (11) Da fragte ihn Gott: „Wer hat dirs gesagt, daß du nackt bist? Hast du etwa von dem Baume gegessen, von dem ich dir verbot zu essen?“ (12) Der Mensch erwiderte: „Das Weib, das du mir zugesellt, gab mit von dem Baum, und ich aß.“ (13) Da fragte Gott das Weib: „Warum hast du das getan?“ Das Weib erwiderte: „Die Schlange verführte mich, daß ich aß.“

(14) Da sprach Gott zu der Schlange: „Weil du das getan, seist du verflucht vor allen Tieren! Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. (15) Und Feindschaft setz ich zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten und du wirst ihn in die Ferse beißen.“

(16) Zu dem Weibe aber sprach er: „Viel Not sollst du haben durch Schwangerschaft; mit Schmerzen Kinder gebären und doch verlangen nach deinem Manne; und er soll dein Herr sein.“

(17) Und zu dem Menschen sprach er: „Weil deinem Weibe du gehorcht und gegessen von dem Baume, von dem ich dir verbot zu essen, – verflucht sei der Acker um deinetwillen! mühselig sollst du dich davon nähren dein Leben lang; (18) Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut des Feldes essen. (19) Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zum Acker zurückkehrst, von dem du genommen; denn Staub bist du, und zum Staube mußt du zurück.“

(22) Und Gott sprach weiter: „Der Mensch ist ja geworden wie unsereiner und weiß was gut und böse ist. Daß er jetzt nur nicht seine Hand ausstrecke und auch von dem Baume des Lebens nehme und esse und ewig lebe!“ (23) So trieb ihn Gott hinaus aus dem Garten von Eden, den Acker zu bauen, von dem er genommen; (24) und ließ östlich des Gartens von Eden die Cherube sich lagern und die Flamme des zuckenden Schwerts, zu bewachen den Weg zum Baume des Lebens.

Erklärungen

[1] Der Geschichte von Paradies und Sündenfall geht eine Schöpfungsgeschichte voraus, die sich durchaus von der des Priesterkodex in I 1 – II 3 unterscheidet: Am Anfang kann nichts gedeihen, weil Gott noch nicht hat regnen lassen. Das Klima Kanaans, dessen Fruchtbarkeit ganz vom Regen abhängt, ist vorausgesetzt. Auch die Reihenfolge der Schöpfungswerke ist ganz anders: Mensch – Garten in Eden – Bäume – Landtiere – Vögel (die Fische fehlen!) – Weib.

Der ganze Abschnitt gehört dem Jahwisten an, der ältesten, wohl im 10. Jh. v. Chr. entstandenen Quellschrift der fünf Bücher Mose. Und so herrscht hier nicht die stark vergeistigte Gottesvorstellung des viel jüngeren Priesterkodex, sondern eine kindlich-sinnliche: Nicht durch ein bloßes Wort, sondern Ackerrede (adamá) formend macht Gott den Menschen (adâm), die Tiere und Vögel und aus einer Rippe des Menschen das Weib; in der Abendkühle ergeht er sich in seinem Garten, und der Mensch und sein Weib hören seine Schritte; seine Wächter, die Cherube, stellt er auf, um zu verhindern, daß der Mensch auch noch vom Baum des Lebens esse und unsterblich werde, nachdem er schon durch die List der Schlange gegen Gottes Willen die „Erkenntnis“ erlangt hat.

Die Geschichte von Paradies und Sündenfall ist ein Mythus von großer psychologischer Wahrheit, eine tief pessimistische Lebensphilosophie des israelitischen Bauern: Mit dem Eintritt der (geschlechtlichen) Erkenntnis ist das Paradies der Kindheit zu Ende und beginnt der Ernst des Lebens; das Mädchen muß die Mühsale der Mutterschaft und die Herrschaft des Mannes erdulden, der Mann in mühseliger Arbeit dem Acker die Früchte abringen; und am Ende dieses Lebens voll Mühsal steht für beide der Tod.

In den Fluch über die Schlange, der einfach die Todfeindschaft von Mensch und Schlange erklären will, hat die christliche Theologie viel hineingeheimnist und den „Samen des Weibes“ auf Christus gedeutet, der sterbend den Teufel besiegt. Allerdings beweist das übernatürliche Wissen der Schlange und die Rolle, die sie spielt, daß sie ursprünglich mehr war als eins der Tiere, die Gott für den Menschen gemacht hatte, nämlich ein Gott und den Menschen feindlicher Dämon.

Hinter II 9 findet sich folgender, durch seine Nüchternheit von der übrigen Erzählung abstechender Zusatz über die Paradiesströme (von mir gekürzt): „(10) Ein Strom kommt aus Eden, den Garten zu wässern; und von da teilt er sich in vier Arme: (11) der erste heißt Pison, (13) der zweite Gihon, (14) der dritte Hiddékel (= Tigris) und der vierte Prât (= Eufrat).“ Vgl. XIII 10!

Auch andere Völker haben den Traum einer glücklichen Urzeit geträumt. Zur Paradiesgeschichte vergleiche man die griechische Sage von dem Göttergarten im fernen Westen, wo die Hesperiden mit einem Drachen die goldenen Äpfel bewachen, und zum Sündenfall die Sage von Prometheus!

[2] In den 5 Büchern Mose habe ich hinter den Überschriften die jeweilige Quellschrift (J = Jahwist, E = Elohist; JE = Jehovist, D = Deuteronomium, P = Priesterkodex) angegeben, der der Abschnitt angehört. Näheres zu diesen Quellschriften in den Namen- und Sacherklärungen.

[3] In der Benennung des Gottes Israels, seiner Stammväter und der Urväter gehen Jahwist, Elohist und Priesterkodex folgendermaßen auseinander: J braucht den Namen Jahwe von der Schöpfung an. E braucht bis zu der Offenbarung im brennenden Busch (2. Mose III 15) immer nur Elohîm (= Gott), von da an Jahwe und Elohîm durcheinander. Nach P hat sich Gott dem Abram, Isaak und Jakob als El Schaddaj offenbart (vgl. 1. Mose XVII 1!), als Jahwe aber erst Mose in Ägypten; und so braucht P bis 2. Mose VI 2 die Gottesbezeichnung Elohîm und bei wenigen feierlichen Gelegenheiten El Schaddaj, dann aber Jahwe. Ich habe auch beim Jahwisten vor 2. Mose III 15 immer die Bezeichnung „Gott“ gebraucht und dann „Jahwe“, solange dieser als Nationalgott Israels empfunden wird; in manchen späteren Schriften aber (im Hiob immer, in den Psalmen meist), wo der Nationalgott als der Weltgott erscheint, entsprechend dem Gebrauch der Septuaginta, der Vulgata und Luthers, „der Herr“. Jahwe und nicht Jehova lautet der Name des Gottes Israels. Das Hebräische wurde zunächst ohne Vokale geschrieben. Als die Juden diese vom 6. christlichen Jahrhundert an zu den Konsonanten hinzufügten, hatten sie sich längst daran gewöhnt, den Namen ihres Gottes aus heiliger Scheu durch „der Herr“ zu ersetzen, und fügten nun die Vokale ihres Wortes „der Herr“, nämlich o und a, zu den Konsonanten h und w von Jahwe, um anzudeuten, daß „der Herr“ zu lesen sei. Die Christen aber, die im 16. Jahrhundert wieder anfingen, sich mit dem Hebräischen zu beschäftigen, wußten das nicht und lasen einfach so, wie es geschrieben stand, nämlich Jehova.

Israel und Juda. Sage und Geschichte, Weisheit und Hoffnung eines Volkes in Selbstzeugnissen. Hg. u. kommentiert von August Möhle (seit 2017 auch als E-Book)