Kaer Makesi und Makesi Weibo

Konjunkturzyklen der Rezeption von Karl Marx und Max Weber in China und Deutschland

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler

Es war der umfangreiche Beitrag des Pekinger Kulturkorrespondenten der „F.A.Z.“, Mark Siemons, der mein Interesse fesselte. Unter der Überschrift „Der wandlungsfähige Herr Ma in Peking“ berichtete Siemons davon, dass das Gedankengut des Karl Marx in der heutigen real-kapitalistischen Volksrepublik China derzeit in einem großangelegten „Marx-Projekt“ – in China kurz Ma Gongcheng, „Ma-Projekt“, genannt – aktualisiert wird. In den vergangenen fünf Jahren wurden bislang zweihundert Millionen Yuan (gut zehn Millionen Euro) und fünfhundert Forscher von hundert Universitäten aufgeboten, um den Marxismus im Licht der heutigen chinesischen Praxis zu erneuern.

Außerdem sollen zeitgemäße Lehrbücher erarbeitet werden sowie eine neue Übersetzung von Marx und Friedrich Engels aus dem Deutschen, nachdem sich die bisherige, 1987 vollendete chinesische Gesamtausgabe auf russische Übersetzungen stützte. Ein von Siemons befragter chinesischer Philosophieprofessor meinte, dass es eine derart umfassende Marx-Forschung in der bisherigen Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas noch nicht gegeben habe. Der derzeitige Direktor des Marxismus-Instituts an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, Professor Cheng Enfu, wurde im Bericht zitiert, der ebenfalls „gewaltige Aufschwünge“ der Marx-Forschung vermeldete. Seitdem sein Institut im Jahr 2005 umbenannt wurde – zuvor hieß es „Institut für Marxismus, Leninismus und Mao-Tse-Tung-Ideen“ – vergrößerte sich der Mitarbeiterstamm von ursprünglich fünfzig auf hundert und heute hundertdreißig, davon hundertzwanzig Wissenschaftler. Keine andere marxistische Einrichtung der Volksrepublik China habe derart große Forschungskapazitäten. Während früher vor allem Texte chinesischer Marx-Interpreten studiert worden seien, gehe es aktuell mehr um Marx selbst und seine ausländischen Interpretationen. Neben der eigenen sozialwissenschaftlichen Forschungsarbeit sei das Institut auch mit der Durchsetzung des „Ma-Projektes“ innerhalb der Akademie befasst. So sei es allmählich gelungen, dass nun in allen Abteilungen des Instituts wieder Marx studiert werde. Beispielsweise auch am Soziologischen Institut, „wo man sonst immer nur Max Weber lese“.




Aus der Sonderausgabe von Dirk Kaesler: Über Max Weber. Beiträge in literaturkritik.de 2006 – 2020 (Verlag LiteraturWissenschaft.de)