Samstag, 25.4., bis Donnerstag, 30.4.

Und täglich grüßt nicht das Murmeltier, sondern Corona. Aber ich lasse mich von der Routine nicht unterkriegen, sondern setze ihr Rituale entgegen. Sie geben Halt und strukturieren den endlosen Tag. Um 13:30 Uhr, wenn meine innere Uhr am langsamsten tickt, mache ich mich bei Wind und Wetter auf den Weg zu meiner täglichen Kugel Eis. Die kleine Eisdiele in einer Seitenstrasse habe ich erst in der Quarantäne entdeckt, wie ich überhaupt das ganze Viertel erst jetzt so richtig erkunde. Und dabei haben sie das beste Pistazieneis der Stadt, noch dazu eine riesige Portion. Irgendwann kam ich darauf, dass Waffelbecher hervorragend schmecken und das Eisvergnügen verlängern. Jeden Tag eine Kugel, nicht mehr, das ist so, wenn man wie ich Kalorien zählt. Die Besitzerin von „gelato italiano“ kennt mich schon, und sie macht meine Kugel extra groß. Ich freue mich wie ein Kind und schlendere zurück in meine Wohnung.

Maskenpflicht! In Bussen, Bahnen und Geschäften gilt ein Vermummungsgebot. Ob die Maske überhaupt schützt, ist unklar. Fest steht: Sie nervt! Atemprobleme, die Brille beschlägt, das Material macht Pickel. Mit dem Ding auf der Nase fühle ich mich wie Alf kurz vor der Notschlachtung einer Katze. Manche bekommen Panikattacken unter dem Mundschutz. Tipp einer treudoofen Expertin: „Denken Sie an Ihre Oma!“

Demenzkranke reagieren aggressiv auf das Besuchsverbot in Heimen. Auch wenn sie sich nicht mehr artikulieren können, so kommunizieren sie doch über Mimik. Und diese verbirgt die Maske. Nur die Augen sind noch sichtbar. Mit den Augen lächeln – gar nicht so einfach. Der Kabarettist Puff-Paff nennt den Fetzen Stoff einfach „Mu-nas-ke“ und schlägt vor, sie als Kippa zu tragen. Humor hat er...  Gestern habe ich im Fernsehen Aufnahmen von einem Gottesdienst in Erfurt gesehen. Ein älterer Mann sang inbrünstig mit; sein Mundschutz hing irgendwo unten am Kinn. Wie lächerlich!

158.000 Infizierte bundesweit. In Italien sind 27.000 Menschen an COVID-19 gestorben. In einer kleinen Stadt bei Düsseldorf gibt es die größte Quarantäne Deutschlands: Ein Hochhaus-Komplex ist völlig abgeriegelt, 450 Menschen sind betroffen. Zwei infizierte Familien hatten sich nicht an die Kontaktsperre gehalten, ihre Wohnungen verlassen. Massentests unter den Bewohnern, endloses Warten auf die Ergebnisse. Die Emotionen kochen hoch, eine Mischung aus Panik und Wut.

Es regnet ein wenig, endlich. Kein Druck, stundenlang in der Sonne spazierenzugehen. Da die Cafés immer noch geschlossen sind, bleibt als Aufenthaltsort außerhalb der eigenen vier Wände nur der wunderbare Waschsalon.

Gestern bin ich die Flaniermeile meines Viertels entlanggeschlendert. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus: Kleine Läden war geöffnet, Bücher, Blumen, Kleider. Doch ich registrierte, dass mein Interesse am Konsum während der Quarantäne deutlich nachgelassen hat. Warum soll ich etwas kaufen, was ich nicht wirklich brauche? Man kommt mit wenig aus, wenn man den ganzen Tag im Homeoffice verbringt... Und außerdem: Ist Konsumieren nicht immer eine Ersatzhandlung?

26.000 Tote in England. Erstmals fehlt in der „Tagesschau“ die Zahl der Infizierten in Deutschland. In der U-Bahn vermeiden es die meisten Fahrgäste immer noch, zu zweit nebeneinander zu sitzen – trotz Mundschutz.

Aus Eva Strasser: Splitter aus der Quarantäne. Ein Corona-Tagebuch. Sonderausgabe literaturkritik.de. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2020