Freitag, 27.3.

Die Politik ist im Kontrollzwang. Als könnte man ein Virus eindämmen. Dafür wird alles in Kauf genommen: der Zusammenbruch der Wirtschaft, die Eliminierung der Lebensfreude. Life cancelled by Corona.
In der Corona-Krise herrscht political correctness. Söder, der Superman aus Franken, regiert mit strenger Hand: „Die Lage ist ernst!“ Doch es gibt sie trotzdem, die Witze zur Lage. Gott und Petrus unterhalten sich im Himmel. „Die von der Erde lassen wir aber nicht mehr rein!“ sagt Gott. Ist das respektlos, dem Corona-Drama nicht angemessen? Ich sehe Humor als Überlebensmittel: Juden haben Judenwitze erfunden, Schwarze machen sich über Nigger lustig.

Eine Zahl von 18:30 Uhr: 186 Tote in Deutschland. Der Nachrichtensprecher kommt mir vor wie ein Pappkamerad im Dienste der Katastrophe. Die neuesten Infos vom „Virus-Kampfeinsatz“ (O-Ton ARD). Ein feierlicher Ernst legt sich über das Land: Endlich Existenzielles erleben! Oder ist das mein Zynismus?

Das Thema der Woche bei „Maischberger“: Corona. Was sonst. Genauer: social distancing. Kaum erfunden, ist das Wort in aller Munde. Der vorgeschlagene Weg aus der Pandemie: Alte und Kranke isolieren, nur noch die Jungen und Gesunden dürfen nach draußen. Ich denke an meine 95jährige Tante und frage mich, was sie noch erleben wird.
Margot Käsmann kommt erstaunlich technokratisch daher: „Es wird völlig neue Formen von sozialen Kontakten geben, ohne körperliche Nähe.“ Der Shutdown aller persönlichen Beziehungen – soll jede Form von Berührung abgeschafft werden? Was wird mit der Liebe passieren?
Die Sprache der Diskussionsteilnehmer macht mir Angst. Der Tonfall ist eiskalt. Schöne neue Welt: die Schwachen outsourcen. Ich denke an Euthanasie.

In Spanien sind 14 Prozent aller Infizierten Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger. Die Armee wird zur Desinfektion eingesetzt. Im Zimmer eines Altenheimes werden acht Tote gefunden, die wohl schon länger da liegen. Das Personal war aus Angst geflüchtet. Man will sich nicht vorstellen, welch qualvollen Tod diese Menschen erleiden mussten.
Was wird mit den Behinderten und psychisch Kranken passieren? Werden sie an den Rändern der Städte angesiedelt, vom sozialen Leben ausgeschlossen? Und was ist mit den Obdachlosen? Wohin werden sie verschwinden, vertrieben aus dem öffentlichen Raum?

Viele meiner Freunde stecken den Kopf in den Sand. Ich häufe Wissen an. Nur wenn ich die Ereignisse verstehe und begreife, bin ich Corona nicht hilflos ausgeliefert.

Aus Eva Strasser: Splitter aus der Quarantäne. Ein Corona-Tagebuch. Sonderausgabe literaturkritik.de. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2020