Donnerstag, 19.3.

31.370 Infizierte. Die Menschen hamstern Klopapier. Desinfektionsmittel ist ausverkauft. Aus Italien kommen erschreckende Nachrichten: In Bergamo transportieren Militärfahrzeuge im Schutz der Dunkelheit die Toten ab, für die in den Leichenhallen kein Platz mehr ist.
Letzte Nacht vor dem Einschlafen habe ich am ganzen Körper gezittert. Dann hatte ich einen seltsamen Traum: Ich war in einem Krankenhaus, verirrte mich in einen riesigen Saal am Ende eines langen Ganges. Menschen mit gebeugten Rücken schlurften durch den Raum. Sie zogen mobile Beatmungsgeräte hinter sich her… Als ich aufwachte mitten in der Nacht, bekam ich keine Luft mehr. Die erschütternden Bilder aus den Intensivstationen in Bergamo haben einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Noch mehr als sonst lebe ich nach dem Eisberg-Modell: 20 % rational, 80 % unbewusst. Es beruht auf dem Persönlichkeitsmodell von Sigmund Freud. Freud teilte die Psyche in drei Instanzen ein: „Ich“ (Realitätsprinzip), „Es“ (Lustprinzip) und „Über-Ich“ (Moralitätsprinzip). Nach seinen Beobachtungen an Patienten bestimmen unbewusste Ängste, verdrängte Konflikte, traumatische Erlebnisse, Triebe und Instinkte unser Handeln. Der sichtbare Teil des Eisbergs, das „Ich“, macht nur 20 % aus, während der Rest („Es“ und „Über-Ich“) unter der Wasseroberfläche liegt.
In meinen (Alp-)Träumen taucht das Unbewusste auf, um dann wieder unter Wasser zu verschwinden. Übrig bleibt ein dumpfes Unbehagen, eine Verwirrung des Herzens, Kraftlosigkeit. Das „Ich“ setzt sich ans Laptop und schreibt auf.

Aus Eva Strasser: Splitter aus der Quarantäne. Ein Corona-Tagebuch. Sonderausgabe literaturkritik.de. Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg 2020