Hippias maior

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[…]

Sokrates: Das soll geschehen so Gott will, Hippias. Jetzt aber beantworte mit nur ein weniges hiervon, was du mir gar zur schönen Stunde in Erinnerung gebracht hast. Denn neulich bester Mann hat mich Einer recht in Verlegenheit gesetzt, als ich an gewissen Reden einiges tadelte als schlecht, anderes lobte als schön, indem er mich, und das ganz spöttisch, so etwa fragte, Aber woher Sokrates, weißt du mir denn was schön ist und was schlecht? Denn sprich, könntest du wohl sagen was das Schöne ist? Da ward ich mit meiner Unfähigkeit verlegen, und wußte nicht gehörigerweise zu antworten. Wie ich nun weggegangen war aus der Versammlung schmähte und zürnte ich mir selbst und drohte, daß wo ich zuerst einem von euch Weisen begegnete, den wollte ich hierüber hören, und wenn ich es wohl aufgefaßt und durchgedacht hätte, wollte ich wieder zu dem Frager hingehn um die Rede durchzufechten. Nun kamst du mir also, wie gesagt, ganz gelegen, und belehre mich nur gründlich über das Schöne selbst was es ist, und suche es mir so genau als möglich zu beantworten, damit ich nicht, wenn ich das zweite Mal wieder zu Schanden werde, mir Gelächter bereite. Denn du weißt es gewiß genau, und es ist wohl nur etwas geringes unter den vielen Kenntnissen die du besitzest.

Hippias: Etwas gar geringes, o Sokrates, und nichts wert muß ich dir sagen.

Sokrates: Also werde ich es leicht lernen, und niemand wird mich mehr widerlegen.

Hippias: Niemand gewiß, sonst bestände ich mit meiner Sache schlecht, und es wäre gar nichts damit.

[287] Sokrates: Herrlich bei der Hera, Hippias, wenn wir den Mann bezwängen. Aber hindert es dich wohl nicht, wenn ich es jenem nachtue, und wenn du mir geantwortet hast, der Rede etwas anzuhaben suche, damit du es mir desto gründlicher beibringest? Denn vielleicht verstehe ich mich etwas auf Einwendungen; wenn es dir also keinen Unterschied macht, so will ich dir Einwendungen machen, damit ich desto fester und sicherer werde in der Sache.

Hippias: Tue das nur. Denn wie ich schon sagte, diese Frage ist gar nichts großes, und ich wollte dich viel schwereres als dieses beantworten lehren, so daß dich kein Mensch sollte widerlegen können.

Sokrates: O welche herrliche Verheißung! Wohlan denn weil du es so willst, so laß mich so gut als möglich jenen vorstellen und versuchen dich zu fragen. Wenn du ihm also jene Rede vorgetragen hättest, deren du erwähnst, die von den schönen Übungen und Kenntnissen; so würde er dich, wenn du geendiget hättest, nach nichts anderem eher fragen als eben nach dem Schönen, denn das ist so seine Art, und würde sagen, o Fremdling aus Elis, sind nicht die Gerechten durch die Gerechtigkeit gerecht? Antworte also Hippias, als ob jener dich fragte.

Hippias: Ich werde antworten, Allerdings durch die Gerechtigkeit.

Sokrates: Also ist dieses doch etwas, die Gerechtigkeit?

Hippias: Freilich.

Sokrates: Und die Weisen sind durch die Weisheit weise, und alles gute durch das Gute gut?

Hippias: Wie anders?

Sokrates: So nämlich daß dieses alles etwas ist, und keinesweges doch daß es nichts wäre?

Hippias: Freilich, daß es etwas ist!

Sokrates: Ist also nicht auch alles schöne durch das Schöne schön?

Hippias: Ja durch das Schöne.

Sokrates: Welches also doch auch etwas ist?

Hippias: Allerdings etwas. Aber was will er nur?

Sokrates: So sage mir denn, Fremdling, wird er sprechen, was ist denn dieses, das Schöne?

Hippias: Will der nun nicht wissen, wer dieses fragt, Sokrates, was schön ist?

Sokrates: Nein dünkt mich; sondern was das Schöne ist, Hippias.

Hippias: Und wie ist denn dies verschieden von jenem?

Sokrates: Dünkt es dich etwa gar nicht verschieden?

Hippias: Nein gar nicht.

Sokrates: Du weißt es freilich gewiß besser. Indes sieh nur Guter, er fragt dich ja nicht was schön ist, sondern was das Schöne ist.

Hippias: Ich verstehe Guter, und ich will ihm beantworten was das Schöne ist, und er soll gewiß nichts dagegen haben. Nämlich wisse nur, Sokrates, wenn ich es dir recht sagen soll, ein schönes Mädchen ist schön.

Sokrates: Herrlich, o Hippias, beim Zeus, und sehr annehmlich hast du geantwortet. Also nicht wahr, wenn ich dies antworte, werde ich die Frage beantwortet haben, und zwar richtig, und werde nicht widerlegt werden?

[288] Hippias: Wie sollte dir wohl widerlegt werden, o Sokrates, was Alle eben so meinen, und wovon dir alle die es hören einzeugen werden, daß es recht ist?

Sokrates: Wohl! Freilich auch! Aber laß mich doch, Hippias, noch einmal für mich selbst überdenken was du sagst. Jener wird mich so ohngefähr fragen, Komm Sokrates, und antworte mir. Alles das was du schön nennst, wird wenn das Schöne selbst was doch ist schön sein? Und darauf werde ich antworten, wenn eine schöne Jungfrau schön ist wodurch alles jenes schön ist.

Hippias: Glaubst du also, er werde wagen dich zu widerlegen, daß das nicht schön ist was du anführst, oder wenn er es wagte, werde er sich nicht lächerlich machen?

Sokrates: Daß er es wagen wird, Bester, weiß ich gewiß; ob er sich aber wenn er es wagt lächerlich machen wird, das muß die Sache zeigen. Was er indes sprechen wird, will ich dir wohl sagen.

Hippias: So sage es denn.

Sokrates: Wie sinnreich du bist, Sokrates! wird er sagen. Eine schöne Stutte aber, ist die nicht schön, die doch der Gott selbst im Orakel gelobt hat? Was sollen wir sagen, Hippias? Müssen wir nicht sagen auch eine Stutte sei schön, eine schöne nämlich? Denn wie wollten wir es wagen zu läugnen, daß etwas schönes nicht schön sei?

Hippias: Du hast Recht, Sokrates, und ganz richtig hat auch der Gott dieses gesagt. Denn sehr schöne Stutten gibt es bei uns.

Sokrates: Wohl, wird er also sagen. Aber wie eine schöne Leier, ist die nicht schön? Sollen wird es bejahen, Hippias?

Hippias: Ja.

Sokrates: Darauf, ich kann es mir recht denken, denn ich kenne seine Weise, wird er sagen, Aber du Bester: wie? eine schöne Kanne ist die nicht schön?

Hippias: O Sokrates, wer ist der Mensch? Wie ungeschliffen muß er sein, daß er so gemeine Dinge vorzubringen wagt bei einer ernsthaften Sache?

Sokrates: Es ist eben so einer, Hippias, gar kein feiner Mann, sondern so aus dem Haufen, der sich um nichts kümmert als um das Wahre. Aber antworten müssen wir ihm doch schon, und also trage ich vor, Wenn die Kanne von einem guten Töpfer gedreht ist hübsch glatt und rund und dann schön gebrannt, wie es solche schöne Kannen gibt zweihenklige von denen die sechs Maß halten, welche sehr schön sind, wenn er eine solche Kanne meint, werden wir wohl gestehen müssen, daß sie schön ist. Denn wie sollten wir sagen, daß etwas schönes nicht schön sei?

Hippias: Das wollen wir auch nicht, Sokrates.

Sokrates: Also, wird er sagen, auch eine schöne Kanne ist schön? Antworte.

Hippias: Allein, o Sokrates, es verhält sich glaube ich so. Auch ein solches Gefäß ist freilich schön, wenn es schön gearbeitet ist; aber die ganze Sache verdient nicht mit gerechnet zu werden als etwas schönes im Vergleich mit Pferden, Mädchen und allem sonstigem schönen.

[289] Sokrates: Wohl! Nun verstehe ich, Hippias, daß wir dem welcher dergleichen fragt so entgegnen müssen. Weißt du denn nicht Mensch, daß Herakleitos Recht hat, daß der schönste Affe häßlich ist mit dem menschlichen Geschlecht verglichen? und so ist auch die schönste Kanne häßlich mit Mädchen verglichen, wie der weise Hippias sagt. Nicht so, Hippias?

Hippias: Ganz vortrefflich, o Sokrates, hast du da geantwortet.

Sokrates: Höre nur. Hierauf nämlich weiß ich gewiß wird er sagen, Wie aber, Sokrates, wenn Jemand nun die Mädchen im Allgemeinen mit den Göttinnen vergliche, wird es ihnen nicht eben so ergehen, wie den Kannen im Vergleich mit den Mädchen? Wird nicht das schönste Mädchen häßlich erscheinen? Oder sagt nicht Herakleitos, den du selbst angeführt hast, ganz dasselbige, daß der weiseste Mensch gegen Gott nur als ein Affe erscheinen wird, sowohl an Weisheit als Schönheit und allem übrigen? Sollen wir das zugeben, Hippias, daß das schönste Mädchen mit Göttinnen verglichen häßlich ist?

Hippias: Wer könnte dem wohl widersprechen, Sokrates?

Sokrates: Wenn wir ihm nun das zugeben, wird er lachen und sagen, Besinnst du dich wohl, Sokrates, was du bist gefragt worden? – Freilich werde ich sagen, was nämlich das Schöne selbst eigentlich ist. – Und also, wird er sagen, nach dem Schönen gefragt antwortest du etwas, was wie du selbst sagst um nichts mehr schön ist als häßlich? – Das scheint freilich, werde ich sagen. Oder was rätst du mir, Lieber, daß ich sagen soll?

Hippias: Dasselbe, rate ich. Denn daß das menschliche Geschlecht im Vergleich mit den Göttern nicht schön ist, darin hat er ganz recht.

Sokrates: Wenn ich dich nun von Anfang an gefragt hätte, wird er sagen, was ist wohl schön und auch häßlich, und du hättest mir eben so geantwortet: hättest du dann nicht recht geantwortet? Und dünkt dich noch immer das Schöne selbst, wodurch alles andere geschmückt wird und als schön erscheint, wenn jener Begriff ihm zukommt, dünkt dich das noch immer ein Mädchen zu sein oder ein Pferd oder eine Leier?

Hippias: Aber Sokrates, wenn er darnach fragt, das ist ja am allerleichtesten zu beantworten, was das Schöne ist wodurch alles geschmückt wird, und wenn jenes ihm zukommt als schön erscheint. Der Mensch ist gewiß ganz einfältig und versteht nichts von schönen Sachen. Denn wenn du ihm antwortest, Dieses Schöne, wonach du fragst, ist nichts anders als das Gold: so wird er in die Enge gebracht sein und nicht weiter versuchen dich zu widerlegen. Denn das wissen wir ja Alle, daß wo dieses nur hinkommt, alles wenn es auch vorher noch so häßlich war, schön erscheint, wenn es durch Gold geschmückt ist.

[…]

Sokrates: Nun sage mir also was du eben sagen wolltest. Denn aus dieser Antwort die ich geben soll, daß das Schöne Gold sei, kommt mir wie es scheint heraus, daß Gold um nichts schöner ist als ein Stück Feigenholz. Jetzt aber, was willst du wiederum erklären, daß das Schöne sei?

Hippias: Das will ich dir sagen. Denn du dünkst mich darauf auszugehn, ein solches Schönes zu antworten, was niemals irgendwo irgend jemanden häßlich erscheinen kann.

Sokrates: Eben das, Hippias, und itzt hast du es recht getroffen.

Hippias: So höre denn. Und merke dir, daß wenn hiegegen Jemand noch etwas einzuwenden hat, ich dann sagen will, daß ich gar nichts verstehe.

Sokrates: Sage es nur geschwind bei den Göttern.

Hippias: Ich sage also, daß es immer für Jeden und überall das schönste ist wenn ein Mann, reich gesund geehrt unter den Hellenen in einem hohen Alter, und nachdem er seine verstorbenen Eltern ansehnlich bestattet, selbst wiederum von seinen Kindern schön und prachtvoll begraben wird.

Sokrates: Ho ho! Hippias, wahrlich wunderbar und herrlich und deiner würdig hast du da gesprochen! Und, bei der Hera, ich freue mich über dich. Denn du scheinst mit dem besten Willen soviel du nur vermagst mir zu Hülfe zu kommen. Allein den Mann treffen wir doch nicht; sondern nun wird er uns erst am ärgsten auslachen, das wisse nur.

Hippias: Das wäre doch ein schlechtes Lachen, Sokrates. [292] Denn wenn er hiegegen zwar nichts zu sagen weiß, aber doch lacht: so lacht er sich selbst aus, und wird von Allen die zugegen sind belacht werden.

Sokrates: Vielleicht steht es so; vielleicht aber wird er mich, wie mir ahndet, über diese Antwort am Ende nicht nur auslachen –

[…]

Sokrates: Also meinst du nun, wird er sagen, was du eben vorhin nicht meintest, daß die Voreltern begraben zu haben und von den Kindern begraben zu werden manchmal und für Manche schlecht ist; ja was noch mehr ist, wie mir scheint, daß dies unmöglich für Alle könne schön sein und gewesen sein. So daß es diesem ja ergangen ist gerade wie vorher dem Mädchen und der Kanne, und noch lächerlicher ist dies für Einige schön, für Andere nicht schön. Und, wird er sagen, du wirst wohl auch heute noch nicht im Stande sein, Sokrates, die Frage wegen des Schönen, was es ist, zu beantworten. Diese Vorwürfe und dergleichen mehr wird er mir mit Recht machen, wenn ich ihm so antworte. Meistenteils freilich, Hippias, spricht er auf diese Weise mit mir; bisweilen aber erbarmt er sich gleichsam meiner Ungeschicktheit und Unwissenheit, so daß er mir selbst etwas vorlegt und fragt, ob mich etwa dies dünkte das Schöne zu sein, oder wonach eben sonst geforscht wird und wovon die Rede ist.

Hippias: Wie meinst du das, Sokrates?

Sokrates: Das will ich dir erzählen. Du wunderlicher Sokrates, spricht er dann, dergleichen und auf diese Weise zu antworten höre nur auf; denn das ist gar zu einfältig und gar zu leicht zu widerlegen. Sondern so etwas überlege dir, ob du etwa meinst schön sei das, worauf wir auch gestoßen sind bei unsern Antworten, als wir nämlich sagten das Gold sei da schön wo es sich hin schicke, wohin aber nicht, da nicht, und so auch alles Andere dem dieses zukomme. Eben dieses also betrachte dir, das Schickliche, und das Wesen des Schicklichen, ob etwa dieses das Schöne ist. Ich nun pflege ihm dergleichen immer beizustimmen, denn ich weiß nicht was ich sonst sagen soll. Dir aber, däucht das Schickliche schön zu sein?

Hippias: Auf alle Weise, Sokrates.

Sokrates: So laß uns zusehn, daß wir nicht auch wieder damit betrogen werden.

Hippias: Das müssen wir freilich sehn.

[294] Sokrates: Sieh also zu. Sollen wir nun von dem Schicklichen sagen, es sei das, was Alles und jedes bei dem es sich findet schön scheinen macht, oder auch schön sein, oder keines von beiden?

Hippias: Das dünkt mich.

Sokrates: Aber welches doch? das was schön scheinen macht? wie zum Beispiel wenn einer angemessene Kleider und Schuhe antäte, würde er dann, wenn er auch eine Fratze ist doch schöner erscheinen? Und nicht wahr, wenn das Schickliche etwas schöner scheinen macht als es ist, so wäre das Schickliche eine Täuschung in Bezug auf das Schöne, und nicht das was wir suchen, Hippias? Denn wir suchen ja wohl jenes, wodurch alle schöne Sachen schön sind, so wie alle große Dinge groß sind durch Überragung. Denn dadurch ist alles groß, auch wenn es nicht so erscheint, ragt aber über anderes, so ist es notwendig groß. Dasselbe wollen wir nun auch von dem Schönen sagen, wodurch alles schön ist, es mag nun so erscheinen oder nicht, was das wohl sein mag. Denn das Schickliche kann es nicht sein, da ja dies nach deiner Rede etwas schöner erscheinen macht als es ist, und es nicht so wie es ist auch erscheinen läßt. Sondern das schön sein machende, wie ich eben sagte, mag etwas nun so erscheinen oder nicht, das wollen wir versuchen zu beschreiben was es wohl ist. Denn dies suchen wir, wenn wir das Schöne suchen.

Hippias: Aber das Schickliche, Sokrates, macht wo es ist sowohl schön sein als schön scheinen.

Sokrates: Also wäre es unmöglich daß etwas was in der Tat schön ist nicht auch schön zu sein scheine, wenn es doch das scheinen machende an sich hat?

Hippias: Unmöglich.

Sokrates: Wollen wir das also zugeben, Hippias, daß alle in Wahrheit schönen Einrichtungen und Handlungsweisen auch immer von Allen dafür gehalten werden und so erscheinen? Oder vielmehr ganz im Gegenteil, daß sie verkannt werden, und daß mehr als über irgend etwas über sie Streit und Zank ist sowohl zwischen den Einzelnen als auch öffentlich zwischen den Staaten?

Hippias: Das letztere vielmehr, Sokrates, daß sie verkannt werden.

Sokrates: Das könnten sie aber nicht, wenn sie auch das Scheinen an sich hätten, und das hätten sie, wenn das Schickliche das Schöne wäre, und nicht nur schön sein machte sondern auch scheinen. So daß das Schickliche, wenn es das schön sein machende ist, allerdings das Schöne sein wird was wir suchen, dann jedoch nicht zugleich auch das schön scheinen machende. Wenn aber wiederum das Schickliche das schön scheinen machende ist: so wird es nicht das Schöne sein welches wir suchen; denn das soll schön sein machen. Beides aber das Scheinen und das Sein zugleich kann weder wenn vom Schönen die Rede ist eins und dasselbige bewirken, noch auch wenn von irgend etwas Anderem. So laß uns demnach wählen, welches von beiden das Schickliche uns zu sein dünkt, das schön scheinen machende oder das schön sein?

Hippias: Das scheinen machende, wie mich dünkt, Sokrates.

Sokrates: O weh! so ist es uns ja schon wieder entschlüpft, Hippias, zu erfahren was das Schöne ist, nun sich ja gezeigt hat, daß das Schickliche etwas Anderes ist als das Schöne.

[295] Hippias: Ja beim Zeus, Sokrates, und das zu meinem großen Erstaunen.

Sokrates: Dennoch wollen wir es noch nicht fahren lassen, Freund. Denn ich habe einige Hoffnung daß es doch noch zum Vorschein kommen wird was das Schöne denn ist.

Hippias: Ganz gewiß, Sokrates! Es ist ja auch gar nicht schwer zu finden. Denn das weiß ich sicher, wenn ich nur auf kurze Zeit allein gehn, und es bei mir selbst überlegen könnte, so wollte ich es dir auf ein Haar genau sagen.

Sokrates: Sprich ja nicht groß, Hippias! Du siehst ja, wieviel es uns schon hat zu schaffen gemacht, daß es uns nicht gar böse wird und uns noch weiter entflieht. Doch das ist nichts gesagt. Denn du, das glaube ich wohl, wirst es leicht finden wenn du allein bist. Aber um der Götter willen finde es doch in meiner Gegenwart, oder suche es wie bis jetzt mit mir. Finden wir es dann, so ist das ganz vortrefflich; wo nicht, so werde ich mich wohl in mein Schicksal fügen müssen, du aber wirst fortgehn und es sehr leicht herausbringen. Und finden wir es jetzt, so werde ich dir offenbar hernach nicht beschwerlich fallen, und dich fragen was doch das gewesen ist, was du für dich selbst herausgebracht hast. Nun betrachte also einmal dieses, ob du meinst es sei das Schöne. Ich behaupte also es sei – aber überlege es ja und gib sehr wohl Achtung, daß ich nicht etwas törichtes vorbringe. Nämlich das soll uns das Schöne sein, was brauchbar ist. Ich sagte das aber hierauf sehend. Schön sind doch, sagen wir, nicht die Augen, die uns so aussehn als ob sie nicht sehn könnten, sondern die welche es können und brauchbar sind zum sehen. Nicht wahr?

Hippias: Ja.

Sokrates: Nicht auch vom ganzen Leibe sagen wir so daß er schön sei, der eine im Laufen, der andere im Ringen, und so auch alle Tiere nennen wir schön, Pferde und Hühner und Wachteln und alle Gefäße und Fahrzeuge zu Lande und zur See, Frachtschiffe und Kriegesschiffe, und alle Werkzeuge die für die Tonkunst und die für andere Künste, ja wenn du willst auch alle Beschäftigungen und Einrichtungen, dies eben alles nennen wir schön in demselben Sinne; darauf sehend bei jedem, wie es geartet, wie es ausgearbeitet ist, in welchem Zustande es sich befindet, sagen wir das Brauchbare, in wiefern es brauchbar ist, und wozu und wann, sei schön; was aber so überall unbrauchbar ist, auch häßlich. Dünkt dich das nun nicht auch so, Hippias?

Hippias: O ja.

Sokrates: Richtig also erklären wir es nun, daß ganz gewiß das Brauchbare das Schöne ist.

Hippias: Ganz richtig sicherlich, Sokrates.

Sokrates: Und nicht wahr, was etwas zu verrichten vermag, das ist dazu was es vermag auch brauchbar, das unvermögende aber unbrauchbar?

Hippias: Freilich.

Sokrates: Vermögen also ist schön, Unvermögen aber häßlich.

Hippias: Gar sehr auch in andern Dingen, o Sokrates; vorzüglich [296] aber beweiset uns, daß es sich wirklich so verhält, auch das bürgerliche Leben. Denn in öffentlichen Dingen in seinem eigenen Staat vermögend sein, das ist das schönste von allem, unvermögend aber bei weitem das schlechteste.

[…]

Sokrates: Wie also? Dieses Vermögen und dieses Brauchbare, was brauchbar ist um etwas schlechtes zu verrichten, sollen wir sagen das sei schön? oder nichts weniger?

Hippias: Nichts weniger freilich, dünkt mich.

Sokrates: Also nicht das Vermögende, Hippias, und das Brauchbare ist uns das Schöne.

Hippias: Doch wenn es Gutes vermag und dazu brauchbar ist.

Sokrates: Das ist also doch fort, daß das Vermögende und Brauchbare schlechthin schön ist; sondern das war es wohl eigentlich, Hippias, was unsere Seele sagen wollte, daß das Brauchbare und Vermögende um Gutes zu verrichten das Schöne sei.

Hippias: Das glaube ich auch.

Sokrates: Das ist aber doch das nützliche. Oder nicht?

Hippias: Freilich.

Sokrates: So sind wohl auch die schönen Körper und die schönen Einrichtungen und die Weisheit und alles was wir jetzt erwähnten, schön, weil nützlich.

Hippias: Offenbar.

Sokrates: Das Nützliche also zeigt sich uns nun das Schöne zu sein, o Hippias.

Hippias: Auf alle Weise, Sokrates.

Sokrates: Aber das nützliche ist doch das Gutes hervorbringende.

Hippias: Das ist es.

Sokrates: Das hervorbringende aber ist doch wohl nichts anders als die Ursache. Nicht wahr?

Hippias: Richtig.

Sokrates: Die Ursach des Guten also ist das Schöne.

Hippias: So ist es.

[297] Sokrates: Aber die Ursache, Hippias, und dasjenige wovon eine Ursache Ursache ist, sind zweierlei. Denn die Ursache ist doch wohl nicht der Ursache Ursache. Überlege es so. Zeigte sich die Ursache nicht offenbar als ein wirkendes?

Hippias: Allerdings.

Sokrates: Von dem wirkenden wird aber doch offenbar das Werdende bewirkt, nicht aber das wirkende?

Hippias: So ist es.

Sokrates: Also ein anderes ist das Werdende ein anderes das Wirkende.

Hippias: Ja.

Sokrates: Also ist die Ursache nicht der Ursache Ursache, sondern des durch sie werdenden.

Hippias: Freilich.

Sokrates: Wenn also das Schöne die Ursache des Guten ist, so entstände aus dem Schönen das Gute, und wir bemühen uns deshalb wie es scheint um Einsicht und um alles andere Schöne, weil desselben Werk und Erzeugnis, nämlich das Gute, der Mühe wert ist, und so mag am Ende nach dem was wir gefunden haben das Schöne gleichsam den Vater des Guten vorstellen.

Hippias: Allerdings sehr richtig, Sokrates.

Sokrates: So ist auch wohl das sehr richtig, daß der Vater nicht Sohn ist, noch auch der Sohn Vater?

Hippias: Richtig freilich.

Sokrates: Eben so wenig also ist auch die Ursache Bewirktes noch das Bewirkte die Ursache.

Hippias: Wahr gesprochen.

Sokrates: Beim Zeus, Bester, so ist also auch das Schöne nicht gut noch das Gute schön. Oder dünkt es dich möglich zufolge des Gesagten?

Hippias: Nein, beim Zeus, mir scheint es nicht.

Sokrates: Kann uns nun wohl das gefallen, und möchten wir es behaupten, daß das Schöne nicht gut ist noch auch das Gute schön?

Hippias: Nein, beim Zeus, mir gefällt es gar nicht.

Sokrates: Wahrlich, beim Zeus, Hippias, mir gefällt es am wenigsten unter allem was wir gesagt haben.

Hippias: So scheint es freilich.

Sokrates: Also mag wohl keinesweges, wie uns eben dies die schönste Erklärung schien, daß das Nützliche und das um etwas Gutes zu bewirken brauchbare und vermögende das Schöne sei, keinesweges mag es sich so verhalten, sondern diese noch lächerlicher sein wo möglich als die vorigen, da wir glaubten ein Mädchen wäre das Schöne und was wir vorher nach einander gesagt haben.

Hippias: So scheint es.

Sokrates: Und ich meines Teils weiß nicht mehr, Hippias, wohin ich mich wenden soll, sondern bin ratlos. Hast du aber etwas zu sagen?

Hippias: Jetzt im Augenblick wohl nicht; aber wie ich eben sagte, wenn ich darüber nachdenke weiß ich wohl daß ich es finden werde.

Sokrates: Ich aber glaube, daß ich aus Begierde es zu wissen gar nicht im Stande bin dein Zaudern abzuwarten. So glaube ich jetzt gleich auch schon wieder etwas ausgesonnen zu haben. Sieh nur, wenn wir sagten, das was uns Vergnügen macht, nicht jede Art von Lust meine ich, sondern vermöge des Gehörs [298] und des Gesichtes, das wäre das Schöne; wie würden wir dann wohl kämpfen? Weil doch schöne Menschen, o Hippias, und so auch alle Kunstwerke, Gemälde und Bildnereien wenn sie schön sind uns ergötzen wenn wir sie sehen; so auch schöne Töne, die gesamte Musik und Reden und Dichtungen bewirken eben dasselbe. So daß wenn wir jenem verwegenen Menschen antworten, Teuerster, das Schöne ist das durch Augen und Ohren uns zukommende Angenehme, meinst du nicht daß wir dann seiner Verwegenheit etwas Einhalt tun würden?

Hippias: Mir wenigstens scheint jetzt das Schöne ganz vortrefflich erklärt zu sein, was es ist.

Sokrates: Aber wie? sollen wir sagen daß schöne Handlungsweisen und Einrichtungen, weil sie uns durch Gehör oder Gesicht vergnügen, schön sind, oder daß die unter einen andern Begriff gehören?

Hippias: Vielleicht denkt der Mensch daran gar nicht, Sokrates.

Sokrates: Beim Hunde, Hippias, von dem ist das nicht zu erwarten, vor dem ich mich am meisten scheuen würde, wenn ich albern wäre und mir einbildete etwas zu sagen, da ich doch nichts sagte.

Hippias: Wer ist denn das?

Sokrates: Sokrates der Sohn des Sophroniskos, der mir eben so wenig verstattet etwas ohne daß ich es gründlich erforscht habe oben hin zu sagen, als was ich nicht weiß als wüßte ich es.

Hippias: Mir scheint selbst dieses, nachdem du es gesagt hast, etwas anderes zu sein mit den Gesetzen.

Sokrates: Sachte, Hippias. Denn ich besorge wir sind mit dem Schönen in dieselben schlechten Umstände geraten wie vorher, und glauben nur uns in andern guten zu befinden.

Hippias: Wie meinst du das, Sokrates?

Sokrates: Ich will dir sagen wie es mir vorkommt ob ich vielleicht Recht habe. Denn dieses mit den Handlungsweisen und Gesetzen könnte vielleicht scheinen gar nicht außerhalb der Wahrnehmung zu liegen, die uns durch das Gehör und das Gesicht kommt. Sondern laß uns die Erklärung fest halten, daß das auf diese Weise entstehende angenehme schön sei, ohne etwas von Gesetzen dabei vorzubringen. Aber wenn uns nun sei es dieser, den ich meine, oder irgend ein Anderer fragte, Woher aber, o Hippias und Sokrates, habt Ihr doch von dem Angenehmen überhaupt diese bestimmte Weise desAngenehmen abgesondert, welche euch nun das Schöne sein soll, was aber durch andere Empfindungen entsteht bei Speise und Trank und der Geschlechtslust und alles andere dieser Art sagt ihr soll nicht schön sein? Sagt ihr denn auch, daß dies nicht angenehm ist, und daß überall keine Lust in dergleichen ist, und überhaupt in nichts anderm als dem Sehen und Hören? Was sollen wir sagen, Hippias?

Hippias: Auf alle Weise müssen wir sagen, daß es auch in diesem andern sehr große Lust gibt.

Sokrates: Warum also, wird er sagen, wenn sie eben so gut Lust sind als jene, beraubt ihr sie dieses Namens, und sprecht [299] ihnen ab daß sie nicht schön sind? – Weil uns, wollen wir sagen, Jedermann ohne Ausnahme auslachen würde, wenn wir sagten, Essen wäre nicht angenehm sondern schön, und Wohlgeruch wäre nicht angenehm sondern schön. Was aber die Liebes Sachen betrifft: so würden Alle dafür streiten, daß diese das allerangenehmste sei, wenn aber jemand dergleichen tut, muß er es doch so tun daß es Niemand sieht, weil es das schändlichste ist dabei gesehen zu werden. – Wenn wir dies sagen, wird er vielleicht sprechen, Ich merke wohl, Hippias, daß ihr euch schon lange schämt zu sagen solche Genüsse wären schön, weil die Menschen es nicht dafür halten; aber ich fragte danach gar nicht, was die meisten Menschen für schön halten, sondern was schön ist. Dann werden wir wohl sagen, meine ich, was wir schon aufgestellt haben, daß wir behaupten, dieser Teil des Angenehmen, welcher durch Gesicht und Gehör entsteht sei das Schöne. Aber weißt du hiemit etwas zu machen, oder sollen wir etwa auch sonst etwas sagen, Hippias?

Hippias: Wir dürfen, wenigstens dem bisherigen gemäß, nichts anderes reden als dieses.

Sokrates: Schön! wird er dann sagen, wenn also das durch Gesicht und Gehör entstehende Angenehme schön ist, so muß das nicht hiezu gehörige Angenehme offenbar nicht schön sein. Wollen wir das zugeben?

Hippias: Ja.

Sokrates: Ist also wohl das dem Gesicht zugehörige Angenehme durch das Gesicht und Gehör zugleich angenehm? oder das dem Gehör zugehörige durch das Gehör und Gesicht zugleich? – Wir werden sagen, keinesweges entstehe ja das, was aus dem Einen entsteht, aus beiden, denn das scheinst du zu sagen; sondern wir sagten, daß jedes einzelne von diesen für sich schön sei und also auch beide. Wollen wir nicht so antworten?

Hippias: Freilich.

Sokrates: Dann wird er sagen, Ist denn ein Angenehmes vom Andern dadurch unterschieden, daß es angenehm ist? Ich frage nicht, ob eine Lust wohl größer oder kleiner, stärker oder schwächer ist als die andere, sondern ob eine eben dadurch von der andern unterschieden ist, daß die eine Lust Lust ist, die andere aber nicht Lust? – Das dünkt uns wohl nicht, nicht wahr?

Hippias: Nein, das dünkt mich freilich nicht.

Sokrates: Also, wird er sagen, habt ihr aus einem andern Grunde als weil sie Lust sind diese Arten der Lust aus den andern herausgehoben, weil ihr etwas an beiden entdeckt habt, was sie unterscheidendes von den übrigen an sich haben, in Beziehung worauf ihr eben sagt, sie wären schön. Denn nicht deshalb ist die durch das Gesicht entstehende Lust schön, weil sie durch das Gesicht entsteht. Denn wenn dies die Ursache wäre, weshalb sie schön ist: so wäre ja die andere aus dem Gehör entstehende nicht schön; denn die ist ja nicht mehr die Lust durch das Gesicht. – Da hast du Recht, werden wir sagen müssen.

Hippias: Das werden wir müssen.

[300] Sokrates: Eben so ist auch die Lust durch das Gehör nicht deshalb, weil sie durch das Gehör entsteht, schön; denn sonst wäre die durch das Gesicht nicht schön, weil diese doch nicht mehr die Lust durch das Gehör ist. Sollen wir nun sagen, Hippias, der Mann habe Recht wenn er dies sagt?

Hippias: Gewiß.

Sokrates: Aber beide sind doch schön wie ihr sagt? Denn das sagen wir doch.

Hippias: Ja.

Sokrates: Es ist also etwas einerlei in beiden, was eben macht, daß sie schön sind, dies gemeinsame, was ihnen beiden gemeinschaftlich zukommt und jeder einzelnen für sich. Denn sonst wären sie nicht beide schön, und auch jede einzeln. Antworte mir nun wie jenem.

Hippias: Ich antworte, es dünkt mich auch so zu sein wie du sagst.

Sokrates: Wenn also diesen Arten der Lust beiden etwas zukäme, jeder einzelnen aber nicht: so wären sie vermöge dieser Eigenschaft nicht schön.

Hippias: Wie sollte das aber wohl zugehn, daß keiner von beiden einzeln irgend was es auch sei zukäme, und dann docheben dasselbe, was keiner von beiden zukommt, beiden zukäme?

Sokrates: Das glaubst du nicht?

Hippias: Ich müßte denn gar nichts verstehn weder von der Natur dieser Dinge, noch von den Ausdrücken unserer jetzigen Reden.

Sokrates: Das kann gern sein, Hippias, und vielleicht bilde ich mir nur ein etwas zu sehn, womit es sich so verhält, wie du erklärst es sei unmöglich, sehe es aber doch wirklich nicht.

Hippias: Nicht nur vielleicht, sondern ganz offenbar mußt du übersichtig sein.

Sokrates: Und doch schwebt mir gar viel dergleichen vor der Seele, aber ich traue ihnen allen zusammen nicht, weil du es nicht auch siehst, der Mann der unter allen jetztlebenden am meisten Geld mit der Weisheit verdient hat, sondern nur ich der ich nie das mindeste verdient habe. Nur besinne ich mich ob du nicht Spott mit mir treibst und mich wissentlich hintergehst, so deutlich und so zahlreich erscheint es mir.

[…]

Sokrates: Zu welchem von beiden, o Hippias, dünkt dich nun das Schöne zu gehören? Zu denen welche du anführtest, wie wenn ich und du stark sind wir es auch beide sind, und wenn ich und du gerecht, auch beide, und wenn beide, dann auch jeder einzeln, ist es so auch wenn ich und du jeder schön sind, daß wir es dann auch beide sind, und wenn beide, dann auch jeder von beiden? oder hindert nichts, daß sowie wenn zwei Dinge zusammen gerade sind doch jedes von ihnen sowohl ungerade sein kann als gerade, und wenn von zwei Dingen jedes einzeln unbestimmbar ist, doch beide zusammen sowohl bestimmbar sein können als auch ebenfalls unbestimmbar, und viel anderes dergleichen was mir wie ich dir sagte vorschwebte. Zu welchen von beiden willst du nun das Schöne rechnen? Kommt es dir etwa eben so vor wie mir? Denn mir scheint es sehr unvernünftig, daß wir beide sollten schön sein können und doch jeder von uns einzeln nicht, oder jeder von uns einzeln wohl, beide zusammen aber nicht. Wählst du also dieselbe Seite wie ich oder die andere?

Hippias: Ich gewiß dieselbe, Sokrates.

Sokrates: Daran tust du sehr wohl, damit wir noch von einer weiteren Untersuchung los kommen. Denn wenn das Schöne zu diesen Dingen gehört, so kann nicht das durch Auge und Ohr kommende Angenehme schön sein. Denn dieses durch Auge und Ohr macht nur beides schön, jedes für sich aber nicht. Dies war aber unmöglich wie wir beide übereingekommen sind, Hippias.

Hippias: Darin sind wir übereingekommen.

Sokrates: Unmöglich also ist das durch Auge und Ohr kommende Angenehme schön, weil wenn dies schön sein soll, etwas unmögliches folgt.

Hippias: So ist es.

Sokrates: So sagt denn, wird er sprechen, noch einmal von Anfang, weil ihr doch dies verfehlt habt, was behauptet ihr denn daß dieses schöne sei in den beiden Arten der Lust, weshalb ihr diese vor andern ehret und sie schön nennt? – Mich dünkt, Hippias, wir müssen sagen, daß sie die unschädlichsten und besten Arten der Lust sind, sowohl beide als jede für sich. Oder weißt du etwas anderes zu sagen wodurch sie sich von den übrigen unterscheiden?

Hippias: Gar nicht, denn sie sind in der Tat die Besten.

Sokrates: Das also, wird er sprechen, sagt ihr sei das Schöne, die nützliche Lust? – So scheint es, würde ich sagen. Und du?

Hippias: Auch ich.

Sokrates: Aber das Nützliche wird er sagen ist das Gutes bewirkende, und das bewirkende und bewirkte hatte sich uns als verschieden gezeigt, und so kommt uns die Rede wieder auf die vorige zurück. Denn weder das Gute kann schön sein [304] noch das Schöne gut, wenn jedes von ihnen etwas anderes ist. – Das werden wir auf alle Weise zugeben müssen, Hippias, wenn wir vernünftig sind. Denn es ist unerlaubt was einer richtig sagt ihm nicht einzuräumen.

Hippias: Aber Sokrates, was soll doch dies alles sein? Das sind ja nur Brocken und Schnitzel von Reden wie ich schon vorher sagte, ganz ins kleine zerpflückt. Aber das ist sowohl schön als viel wert, wenn man im Stande ist eine ganze Rede gut und schön vorzutragen vor Gericht oder im Rat oder vor einer andern öffentlichen Gewalt an welche die Rede sich wendet, und diese so zu überreden, daß man zuletzt nicht etwa unbedeutende, sondern die höchsten Preise davon trägt, nämlich Sicherheit für sich selbst und für sein Eigentum und seine Freunde. Darauf mußt du dich legen, und diese Kleinigkeiten fahren lassen, damit du dich nicht allzu unverständig ausnimmst, wenn du dich wie jetzt immer mit Possen und leerem Geschwätz abgibst.

Sokrates: Ja, lieber Hippias, du bist freilich glücklicher dran, daß du nicht nur weißt worauf ein Mensch Fleiß wenden soll, sondern auch schon Fleiß genug darauf gewendet hast wie du sagst. Mich aber wie es scheint hat ein böses höheres Geschick in seiner Gewalt, so daß ich immer irre und immer verlegen bin, und wenn ich meine Verlegenheit Euch Weisen zeige, wieder von euch mit Worten gemißhandelt werde, wenn ich sie euch gezeigt habe. Denn ihr sagt mir immer, was du mir auch jetzt sagst, daß ich mich mit albernen geringfügigen nichts werten Dingen abgebe. Wenn ich aber von euch überzeugt dasselbe sage wie ihr, daß es bei weitem vortrefflicher ist, wenn man versteht eine gut und schön gesetzte Rede vorzutragen vor Gericht oder sonst einer öffentlichen Versammlung: so habe ich wiederum von einigen Andern hier, vorzüglich aber von diesem Menschen der mich immer züchtiget alles Üble zu hören. Denn er ist mir gar nahe verwandt und wohnt mit mir zusammen. Wenn ich nun zu mir zu Hause komme, und er hört mich so sprechen; so fragt er mich, ob ich mich denn nicht schäme, davon was man schönes lernen und treiben soll zu reden, der ich so offenbar überwiesen worden bin, daß ich eben dieses das Schöne gar nicht einmal weiß was es ist. Wie willst du also wohl wissen, spricht er, ob jemand eine Rede schön ausgeführt hat oder nicht, oder irgend eine andere Handlung, der du von dem Schönen selbst nichts weißt? Und wenn es so um dich steht, meinst du daß es dir besser sei zu leben als tot zu sein? So geht es mir also, wie gesagt, von euch werde ich gescholten und geschimpft, und von jenem auch. Aber ich werde wohl eben das alles ertragen müssen, und es wäre auch nicht so schrecklich, wenn es mir nur nützte. Ich nun, Hippias, glaube allerdings Nutzen zu haben von euer beider Umgang. Was wenigstens das Sprichwort meint, daß das Schöne schwer ist, das glaube ich nun zu verstehen.

Editorische Notiz

Publikationsvorlage: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Platons Werke. Akademie Verlag. Berlin 1984-87. Die hier veröffentlichten Textauszüge aus „Hippias maior“ sind der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher entnommen. Die vollständige Fassung ist  auf den Seiten http://www.opera-platonis.de/Hippias_I.html (Stand: 8.7.11) und http://gutenberg.spiegel.de/buch/2430/99 (Stand: 8.7.11) zugänglich. Die in den eckigen Klammern angegeben Seitenzahlen beziehen sich auf die Paginierung der platonischen Werke von Henri Estienne aus dem Jahr 1578 (Stephanus-Paginierung). Als eBook ist der Text „Hippias maior“ in Form einer digitalen Kopie (S.403- S.456) der zweiten überarbeiteten Auflage der Übersetzung Schleiermachers von 1826 über folgenden Link zu erreichen: http://books.google.com/books?hl=de&id=jXU3AAAAMAAJ&q=hippias#v=snippet&q=hippias&f=false (Stand 8.7.11).

Kommentar

Der antike Philosoph Platon (428/427-348/347 v. Chr.), der vor allem mit seinen Staats- und Gesellschaftslehren bekannt wurde, beschäftigte sich  auch mit Fragen aus dem Bereich der Kunst und der Ästhetik. In dem Dialog „Hippias maior“, in dem die Figuren Sokrates und Hippias über die Frage „Was ist schön?“ in einem Frage-Antwort-Spiel diskutieren, nähern sich die Sprecher dem Problem, was Schönheit eigentlich bedeutet und wie sie begrifflich zu fixieren ist. Typisch für die Texte Platons ist auch im „Hippias maior“, dass keine klare Antwort auf die Fragestellung gegeben wird. Die Antwort bezieht sich in diesem Fall auf eine Reihe skeptischer, blickwinkelabhängiger und verschiedener Auffassungen des Begriffs Schönheit.

Literaturhinweise

Hauskeller, Michael (Hg.): Was ist Kunst? Positionen der Ästhetik von Platon bis Danto. München 2002.

Heitsch, Ernst/ Müller,Carl W./ Ebert, Theodor (Hg.): Platon. Werke. Übersetzung und Kommentar. Platon, Bd.1/4 : Phaidon: Bd. I,4. Göttingen 2004.

Huber, Elfi (Hg.): Platon. Kommentierte Werkausgabe. München 1992.

Lobsien, Verena Olejniczak/ Olk, Claudia (Hg.): Neuplatonismus und Ästhetik.  Zur Transformationsgeschichte des Schönen. (Transformationen der Antike 2) Berlin 2007.

Schmitt, Arbogast: Denken und Sein bei Platon und Descartes. Kritische Anmerkungen zur „Überwindung“ der antiken Seinsphilosophie durch die moderne Philosophie des Subjekts. Heidelberg 2010.

Bearbeitet von: Selina Schindler