Die Dichter und ihre Richter

Literaturstreit im Namen der Moral: Warum die Schriftsteller aus der DDR als Sündenböcke herhalten müssen

Von Uwe WittstockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Uwe Wittstock

Wir neigen seit je zur Selbstbespiegelung; „Was deutsch und echt, wüßt keiner mehr, / lebt’s nicht in deutscher Ehr‘“, so Hans Sachs in der Schlußszene von Wagners „Meisterstersingern“. Zur Zeit fällt es uns besonders schwer, den Blick von unserem neuerdings wieder gesamtdeutschen Nabel zu heben. Raffen wir uns dennoch dazu auf, wird schnell deutlich, daß der Vereinigung von Bundesrepublik und DDR Perspektiven abzugewinnen sind, die weit übers Nationale hinausreichen, daß es dabei um mehr gehen kann als nur um weitere Episode der an Spaltungen, Bruderzwisten und abrupten Wiederverschmelzungen so reichen deutschen Geschichte. Das gilt auch für die deutsche Literaturgeschichte.

Noch nie ist die Belletristik eines Landes so gescholten worden wie seit dem November 1989 die der DDR. Dagegen ist, nebenbei bemerkt, nichts einzuwenden – wenn sie es verdient hat; wenn sie nichts Nennenswertes hervorgebracht haben sollte, außer einem neuen Nachweis für die alte Erkenntnis, daß auch Schriftsteller Menschen und also korrumpierbar sind. Allerdings stellt der Versuch, vier Jahrzehnte zeitgenössischer Literatur zu beurteilen, an die Kritiker erhebliche Anforderungen. Nicht wenige von denen, die sich nun laut und entschieden zu Wort melden, lassen bald erkennen, daß sie nur schemenhaft wissen, wovon sie reden.

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