Nötige Kritik oder Hinrichtung? SPIEGEL-Gespräch mit Günter Grass über die Debatte Christa Wolf und die DDR-Literatur

SPIEGEL: Herr Grass, Sie und Walter Jens haben schweres Geschütz gegen die Kritiker des neuen Buches von Christa Wolf, „Was bleibt“, aufgefahren. Sie sprechen von „Stricken“, die westdeutsche Zeitungen Christa Wolf drehen, von einer „Hinrichtung“. Das Präsidium des Pen ermahnt die Feuilletons, urbaner und toleranter zu werden, und sieht das Gespenst eines „postmodernen McCarthyismus“ – was immer das sein mag. Wie kommt es zu dieser heftigen Reaktion auf Kritiken?

GRASS: Ich lasse zur Antwort erst mal die Autorin sprechen. Nachdem vor vielen Jahren ihr Buch „Nachdenken über Christa T.“ in Westdeutschland als Anti-DDR-Buch interpretiert worden war, distanzierte sich der Mitteldeutsche Verlag von ihr, es gab eine Kampagne im Neuen Deutschland. In diesem Zusammenhang schrieb Christa Wolf: „Aber jedenfalls war ich nun nicht mehr abzubringen von dem, was ich machen mußte. Ich erwartete nicht mehr hier (das heißt in der DDR), öffentlich akzeptiert zu werden. Ich erfuhr später auch, wie es ist, ausgegrenzt zu werden, eine nützliche, wenn auch sehr schmerzliche Erfahrung.“

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Aus Thomas Anz (Hg.): „Es geht nicht um Christa Wolf“. Der Literaturstreit im vereinten Deutschland. Marburg 2019 (siehe Verlagsseite)