Reiß:Wolf

Zu einem Eil-Verfahren beim Umgang mit der DDR-Literatur

Von Wolfram SchütteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfram Schütte

Wie den tonangebenden Politikern der Bundesrepublik, die möglichst schnell und restlos den bedrohlichen Stein des An­stoßes, die DDR, aus dem Weg zu ihrem Deutschland geräumt sehen wollen, gibt es Literaturkritiker, die möglichst früh den Ton angeben wollen, mit dem die Hinterlassenschaft der in der DDR entstandenen Literatur entsorgt wird. Noch bevor das jüngste Buch von Christa Wolf zur Stelle und potentiellen Lesern vor Augen lag, wurde es schon – in der „Zeit“ v. 1.6. und in der FAZ v. 2.6. – in den Reißwolf geworfen. Der Verriß vor Erscheinen: das nenne ich jüngstes deutsches Tempo.

Selbstverständlich findet alles, was derzeit von DDR-Künstlern gesagt und getan wird – nachdem man ihnen eine Zeitlang vorgeworfen hatte, sie unterließen sträflicherweise beides –, eine gereizte Aufmerksamkeit; und selbstverständlich wird nach den Tagen und Monaten des vergangenen Jahres, die die Welt des „Realsozialismus“ bis in die Grundfesten erschütterten (und das Beben dauert ja noch unübersehbar an!), nicht nur die Literatur und die Kunst, sondern das ganze Leben, das nun in kürzester Zeit „historisch“ geworden ist, mit ande­rem Blick, mit veränderter Wahrnehmung und neuer Erfahrung „durchforstet“ (Brecht) werden.

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