Kritik der Urteilskraft

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§ 1. Das Geschmacksurteil ist ästhetisch

[115] Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekt zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstande verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben. Das Geschmacksurteil ist also kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann. Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen, aber kann objektiv sein (und da bedeutet sie das Reale einer empirischen Vorstellung); nur nicht die auf das Gefühl der Lust und Unlust, wodurch gar nichts im Objekte bezeichnet wird, sondern in der das Subjekt, wie es durch die Vorstellung affiziert wird, sich selbst fühlt.

Ein regelmäßiges, zweckmäßiges Gebäude mit seinem Erkenntnisvermögen (es sei in deutlicher oder verworrener Vorstellungsart) zu befassen, ist ganz etwas anders, als sich dieser Vorstellung mit der Empfindung des Wohlgefallens bewußt zu sein. Hier wird die Vorstellung gänzlich auf das Subjekt, und zwar auf das Lebensgefühl desselben, unter dem Namen des Gefühls der Lust oder Unlust, bezogen: welches [116] ein ganz besonderes Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen gründet, das zum Erkenntnis nichts beiträgt, sondern nur die gegebene Vorstellung im Subjekte gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen hält, dessen sich das Gemüt im Gefühl seines Zustandes bewußt wird. Gegebene Vorstellungen in einem Urteile können empirisch (mithin ästhetisch) sein; das Urteil aber, das durch sie gefällt wird, ist logisch, wenn jene nur im Urteile auf das Objekt bezogen werden. Umgekehrt aber, wenn die gegebenen Vorstellungen gar rational wären, würden aber in einem Urteile lediglich auf das Subjekt (sein Gefühl) bezogen, so sind sie sofern jederzeit ästhetisch.

§ 2. Das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, ist ohne alles Interesse

[116] Interesse wird das Wohlgefallen genannt, was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden. Ein solches hat daher immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen, entweder als Bestimmungsgrund desselben, oder doch als mit dem Bestimmungsgrunde desselben notwendig zusammenhängend. Nun will man aber, wenn die Frage ist, ob etwas schön sei, nicht wissen, ob uns, oder irgend jemand, an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sei, oder auch nur gelegen sein könne; sondern, wie wir sie in der bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurteilen. Wenn mich jemand fragt, ob ich den Palast, den ich vor mir sehe, schön finde: so mag ich zwar sagen: ich liebe dergleichen Dinge nicht, die bloß für das Angaffen gemacht sind, oder, wie jener irokesische Sachem, ihm gefalle in Paris nichts besser als die Garküchen; ich kann noch überdem auf die Eitelkeit der Großen auf gut Rousseauisch schmälen, welche den Schweiß des Volks auf so entbehrliche Dinge verwenden; ich kann mich endlich gar leicht überzeugen, daß, wenn ich mich auf einem unbewohnten Eilande, ohne Hoffnung, jemals wieder zu Menschen zu kommen, befände, und ich durch meinen bloßen [117] Wunsch ein solches Prachtgebäude hinzaubern könnte, ich mir auch nicht einmal diese Mühe darum geben würde, wenn ich schon eine Hütte hätte, die mir bequem genug wäre. Man kann mir alles dieses einräumen und gutheißen; nur davon ist jetzt nicht die Rede. Man will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sei, so gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung sein mag. Man sieht leicht, daß es auf dem, was ich aus dieser Vorstellung in mir selbst mache, nicht auf dem, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sei schön, und zu beweisen, ich habe Geschmack. Ein jeder muß eingestehen, daß dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich das mindeste Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil sei. Man muß nicht im mindesten für die Existenz der Sache eingenommen, sondern in diesem Betracht ganz gleichgültig sein, um in Sachen des Geschmacks den Richter zu spielen.

Wir können aber diesen Satz, der von vorzüglicher Erheblichkeit ist, nicht besser erläutern, als wenn wir dem reinen uninteressierten[5] Wohlgefallen im Geschmacksurteile dasjenige, was mit Interesse verbunden ist, entgegensetzen: vornehmlich wenn wir zugleich gewiß sein können, daß es nicht mehr Arten des Interesse gebe, als die eben jetzt namhaft gemacht werden sollen.

§ 5. Vergleichung der drei spezifisch verschiedenen Arten des Wohlgefallens

[122] Das Angenehme und Gute haben beide eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen, und führen sofern, jenes ein pathologisch-bedingtes (durch Anreize, stimulos), dieses ein reines praktisches Wohlgefallen bei sich, welches nicht bloß durch die Vorstellung des Gegenstandes, sondern zugleich durch die vorgestellte Verknüpfung des Subjekts mit der Existenz desselben bestimmt wird. Nicht bloß der Gegenstand, sondern auch die Existenz desselben gefällt. Daher ist das Geschmacksurteil bloß kontemplativ, d.i. ein Urteil, welches, indifferent in Ansehung des Daseins eines Gegenstandes, nur seine Beschaffenheit mit dem Gefühl der Lust und Unlust zusammenhält. Aber diese Kontemplation selbst ist auch nicht auf Begriffe gerichtet; denn das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil (weder ein theoretisches noch praktisches), und daher auch nicht auf Begriffe gegründet, oder auch auf solche abgezweckt.

Das Angenehme, das Schöne, das Gute bezeichnen also drei verschiedene Verhältnisse der Vorstellungen zum Gefühl der Lust und Unlust, in Beziehung auf welches wir Gegenstände, oder Vorstellungsarten, von einander unterscheiden. Auch sind die jedem angemessenen Ausdrücke, [123] womit man die Komplazenz in denselben bezeichnet, nicht einerlei. Angenehm heißt jemandem das, was ihn vergnügt; schön, was ihm bloß gefällt; gut, was geschätzt, gebilligt, d.i. worin von ihm ein objektiver Wert gesetzt wird. Annehmlichkeit gilt auch für vernunftlose Tiere; Schönheit nur für Menschen, d.i. tierische, aber doch vernünftige Wesen, aber auch nicht bloß als solche (z.B. Geister) sondern zugleich als tierische; das Gute aber für jedes vernünftige Wesen überhaupt. Ein Satz, der nur in der Folge seine vollständige Rechtfertigung und Erklärung bekommen kann. Man kann sagen: daß, unter allen diesen drei Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressiertes und freies Wohlgefallen sei; denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beifall ab. Daher könnte man von dem Wohlgefallen sagen: es beziehe sich in den drei genannten Fällen auf Neigung, oder Gunst, oder Achtung. Denn Gunst ist das einzige freie Wohlgefallen. Ein Gegenstand der Neigung, und einer, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freiheit, uns selbst irgendworaus einen Gegenstand der Lust zu machen. Alles Interesse setzt Bedürfnis voraus, oder bringt eines hervor; und, als Bestimmungsgrund des Beifalls, läßt es das Urteil über den Gegenstand nicht mehr frei sein.

Was das Interesse der Neigung beim Angenehmen betrifft, so sagt jedermann: Hunger ist der beste Koch, und Leuten von gesundem Appetit schmeckt alles, was nur eßbar ist; mithin beweiset ein solches Wohlgefallen keine Wahl nach Geschmack. Nur wenn das Bedürfnis befriedigt ist, kann man unterscheiden, wer unter vielen Geschmack habe, oder nicht. Eben so gibt es Sitten (Konduite) ohne Tugend, Höflichkeit ohne Wohlwollen, Anständigkeit ohne Ehrbarkeit u.s.w. Denn wo das sittliche Gesetz spricht, da gibt es, objektiv, weiter keine freie Wahl in Ansehung dessen, was zu tun sei; und Geschmack in seiner Aufführung (oder in [124] Beurteilung anderer ihrer) zeigen ist etwas ganz anderes, als seine moralische Denkungsart äußern: denn diese enthält ein Gebot und bringt ein Bedürfnis hervor, da hingegen der sittliche Geschmack mit den Gegenständen des Wohlgefallens nur spielt, ohne sich an eines zu hängen.

Aus dem ersten Momente gefolgerte Erklärung des Schönen

Geschmack ist das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Mißfallen, ohne alles Interesse. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön.

§ 6. Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird

[124] Diese Erklärung des Schönen kann aus der vorigen Erklärung desselben, als eines Gegenstandes des Wohlgefallens ohne alles Interesse, gefolgert werden. Denn das, wovon jemand sich bewußt ist, daß das Wohlgefallen an demselben bei ihm selbst ohne alles Interesse sei, das kann derselbe nicht anders als so beurteilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten müsse. Denn da es sich nicht auf irgend eine Neigung des Subjekts (noch auf irgend ein anderes überlegtes Interesse) gründet, sondern da der Urteilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstande widmet, völlig frei fühlt: so kann er keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die sich sein Subjekt allein hinge, und muß es daher als in demjenigen begründet ansehen, was er auch bei jedem andern voraussetzen kann; folglich muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuten. Er wird daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das [125] Urteil logisch (durch Begriffe vom Objekte eine Erkenntnis desselben ausmache) wäre; ob es gleich nur ästhetisch ist und bloß eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subjekt enthält: darum, weil es doch mit dem logischen die Ähnlichkeit hat, daß man die Gültigkeit desselben für jedermann daran voraussetzen kann. Aber aus Begriffen kann diese Allgemeinheit auch nicht entspringen. Denn von Begriffen gibt es keinen Übergang zum Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen praktischen Gesetzen, die aber ein Interesse bei sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurteile nicht verbunden ist). Folglich muß dem Geschmacksurteile, mit dem Bewußtsein der Absonderung in demselben von allem Interesse, ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann, ohne auf Objekte gestellte Allgemeinheit anhängen, d.i. es muß damit ein Anspruch auf subjektive Allgemeinheit verbunden sein.

§ 7. Vergleichung des Schönen mit dem Angenehmen und Guten durch obiges Merkmal

[125] In Ansehung des Angenehmen bescheidet sich ein jeder: daß sein Urteil, welches er auf ein Privatgefühl gründet, und wodurch er von einem Gegenstande sagt, daß er ihm gefalle, sich auch bloß auf seine Person einschränke. Daher ist er es gern zufrieden, daß, wenn er sagt: der Kanariensekt ist angenehm, ihm ein anderer den Ausdruck verbessere und ihn erinnere, er solle sagen: er ist mir angenehm; und so nicht allein im Geschmack der Zunge, des Gaumens und des Schlundes, sondern auch in dem, was für Augen und Ohren jedem angenehm sein mag. Dem einen ist die violette Farbe sanft und lieblich, dem andern tot und erstorben. Einer liebt den Ton der Blasinstrumente, der andre den von den Saiteninstrumenten. Darüber in der Absicht zu streiten, um das Urteil anderer, welches von dem unsrigen verschieden ist, gleich als ob es diesem logisch entgegen gesetzt wäre, für unrichtig zu schelten, wäre Torheit; [126] in Ansehung des Angenehmen gilt also der Grundsatz: ein jeder hat seinen eigenen Geschmack (der Sinne).

Mit dem Schönen ist es ganz anders bewandt. Es wäre (gerade umgekehrt) lächerlich, wenn jemand, der sich auf seinen Geschmack etwas einbildete, sich damit zu rechtfertigen gedächte: dieser Gegenstand (das Gebäude, was wir sehen, das Kleid, was jener trägt, das Konzert, was wir hören, das Gedicht, welches zur Beurteilung aufgestellt ist) ist für mich schön. Denn er muß es nicht schön nennen, wenn es bloß ihm gefällt. Reiz und Annehmlichkeit mag für ihn vieles haben, darum bekümmert sich niemand; wenn er aber etwas für schön ausgibt, so mutet er andern eben dasselbe Wohlgefallen zu: er urteilt nicht bloß für sich, sondern für jedermann, und spricht alsdann von der Schönheit, als wäre sie eine Eigenschaft der Dinge. Er sagt daher, die Sache ist schön; und rechnet nicht etwa darum auf anderer Einstimmung in sein Urteil des Wohlgefallens, weil er sie mehrmalen mit dem seinigen einstimmig befunden hat, sondern fordert es von ihnen. Er tadelt sie, wenn sie anders urteilen, und spricht ihnen den Geschmack ab, von dem er doch verlangt, daß sie ihn haben sollen; und sofern kann man nicht sagen: ein jeder hat seinen besondern Geschmack. Dieses würde so viel heißen, als: es gibt gar keinen Geschmack, d.i. kein ästhetisches Urteil, welches auf jedermanns Beistimmung rechtmäßigen Anspruch machen könnte.

Gleichwohl findet man auch in Ansehung des Angenehmen, daß in der Beurteilung desselben sich Einhelligkeit unter Menschen antreffen lasse, in Absicht auf welche man doch einigen den Geschmack abspricht, andern ihn zugesteht, und zwar nicht in der Bedeutung als Organsinn, sondern als Beurteilungsvermögen in Ansehung des Angenehmen überhaupt. So sägt man von jemanden, der seine Gäste mit Annehmlichkeiten (des Genusses durch alle Sinne) so zu unterhalten weiß, daß es ihnen insgesamt gefällt: er habe Geschmack. Aber hier wird die Allgemeinheit nur komparativ genommen; und da gibt es nur generale (wie die empirischen [127] alle sind), nicht universale Regeln, welche letzteren das Geschmacksurteil über das Schöne sich unternimmt oder darauf Anspruch macht. Es ist ein Urteil in Beziehung auf die Geselligkeit, sofern sie auf empirischen Regeln beruht. In Ansehung des Guten machen die Urteile zwar auch mit Recht auf Gültigkeit für jedermann Anspruch; allein das Gute wird nur durch einen Begriff als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt, welches weder beim Angenehmen noch beim Schönen der Fall ist.

§ 9. Untersuchung der Frage: Ob im Geschmacksurteile das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe

[131] Die Auflösung dieser Aufgabe ist der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks, und daher aller Aufmerksamkeit würdig.

Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vorher, und nur die allgemeine Mitteilbarkeit derselben sollte im Geschmacksurteile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, so würde ein solches Verfahren mit sich selbst im Widerspruche stehen. Denn dergleichen Lust würde keine andere, als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung sein, und daher ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhinge.

Also ist es die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes in der gegebenen Vorstellung, welche, als subjektive Bedingung des Geschmacksurteils, demselben zum Grunde liegen, und die Lust an dem Gegenstande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts allgemein mitgeteilt werden, als Erkenntnis, und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört. Denn sofern ist die letztere nur allein objektiv, und hat nur dadurch einen allgemeinen Beziehungspunkt, womit die Vorstellungskraft aller zusammenzustimmen genötiget wird. Soll nun der Bestimmungsgrund des Urteils über diese allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellung bloß subjektiv, nämlich ohne einen Begriff vom Gegenstande gedacht werden, so kann er kein anderer als der Gemütszustand [132] sein, der im Verhältnisse der Vorstellungskräfte zu einander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen.

Die Erkenntniskräfte, die durch diese Vorstellung ins Spiel gesetzt werden, sind hiebei in einem freien Spiele, weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt. Also muß der Gemütszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühls des freien Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einem Erkenntnisse überhaupt sein. Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntnis werde, Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand für die Einheit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt. Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen, bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, muß sich allgemein mitteilen lassen: weil Erkenntnis, als Bestimmung des Objekts, womit gegebene Vorstellungen (in welchem Subjekte es auch sei) zusammen stimmen sollen, die einzige Vorstellungsart ist, die für jedermann gilt.

Die subjektive allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellungsart in einem Geschmacksurteile, da sie, ohne einen bestimmten Begriff vorauszusetzen. Statt finden soll, kann nichts anders als der Gemütszustand in dem freien Spiele der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern sie unter einander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammen stimmen) sein, indem wir uns bewußt sind, daß dieses zum Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis eben so wohl für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar sein müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntnis ist, die doch immer auf jenem Verhältnis als subjektiver Bedingung beruht.

Diese bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes, oder der Vorstellung, wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen; auf jener Allgemeinheit [133] aber der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände gründet sich allein diese allgemeine subjektive Gültigkeit des Wohlgefallens, welches wir mit der Vorstellung des Gegenstandes, den wir schön nennen, verbinden.

Daß, seinen Gemütszustand, selbst auch nur in Ansehung der Erkenntnisvermögen, mitteilen zu können, eine Lust bei sich führe: könnte man aus dem natürlichen Hange des Menschen zur Geselligkeit (empirisch und psychologisch) leichtlich dartun. Das ist aber zu unserer Absicht nicht genug. Die Lust, die wir fühlen, muten wir jedem andern im Geschmacksurteile als notwendig zu, gleich als ob es für eine Beschaffenheit des Gegenstandes, die an ihm nach Begriffen bestimmt ist, anzusehen wäre, wenn wir etwas schön nennen; da doch Schönheit ohne Beziehung auf das Gefühl des Subjekts für sich nichts ist. Die Erörterung dieser Frage aber müssen wir uns bis zur Beantwortung derjenigen: ob und wie ästhetische Urteile a priori möglich sind, vorbehalten.

Jetzt beschäftigen wir uns noch mit der mindern Frage: auf welche Art wir uns einer wechselseitigen subjektiven Übereinstimmung der Erkenntniskräfte unter einander im Geschmacksurteile bewußt werden, ob ästhetisch durch den bloßen innern Sinn und Empfindung, oder intellektuell durch das Bewußtsein unserer absichtlichen Tätigkeit, womit wir jene ins Spiel setzen.

Wäre die gegebene Vorstellung, welche das Geschmacksurteil veranlaßt, ein Begriff, welcher Verstand und Einbildungskraft in der Beurteilung des Gegenstandes zu einem Erkenntnisse des. Objekts vereinigte, so wäre das Bewußtsein dieses Verhältnisses intellektuell (wie im objektiven Schematism der Urteilskraft, wovon die Kritik handelt). Aber das Urteil wäre auch alsdenn nicht in Beziehung auf Lust und Unlust gefället, mithin kein Geschmacksurteil. Nun bestimmt aber das Geschmacksurteil, unabhängig von Begriffen, das Objekt in Ansehung des Wohlgefallens und des Prädikats der Schönheit. Also kann jene subjektive Einheit des Verhältnisses sich nur durch Empfindung kenntlich machen. Die Belebung beider Vermögen (der Einbildungskraft [134] und des Verstandes) zu unbestimmter, aber doch, vermittelst des Anlasses der gegebenen Vorstellung, einhelliger Tätigkeit, derjenigen nämlich, die zu einem Erkenntnis überhaupt gehört, ist die Empfindung, deren allgemeine Mitteilbarkeit das Geschmacksurteil postuliert. Ein objektives Verhältnis kann zwar nur gedacht, aber, so fern es seinen Bedingungen nach subjektiv ist, doch in der Wirkung auf das Gemüt empfunden werden; und bei einem Verhältnisse, welches keinen Begriff zum Grunde legt (wie das der Vorstellungskräfte zu einem Erkenntnisvermögen überhaupt), ist auch kein anderes Bewußtsein desselben, als durch Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung belebten Gemütskräfte (der Einbildungskraft und des Verstandes) besteht, möglich. Eine Vorstellung, die, als einzeln und ohne Vergleichung mit andern, dennoch eine Zusammenstimmung zu den Bedingungen der Allgemeinheit hat, welche das Geschäft des Verstandes überhaupt ausmacht, bringt die Erkenntnisvermögen in die proportionierte Stimmung, die wir zu allem Erkenntnisse fordern, und daher auch für jedermann, der durch Verstand und Sinne in Verbindung zu urteilen bestimmt ist (für jeden Menschen), gültig halten.

Aus dem zweiten Moment gefolgerte Erklärung des Schönen

Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.

§ 13. Das reine Geschmacksurteil ist von Reiz und Rührung unabhängig

[138] Alles Interesse verdirbt das Geschmacksurteil und nimmt ihm seine Unparteilichkeit, vornehmlich, wenn es nicht, so wie das Interesse der Vernunft, die Zweckmäßigkeit vor dem Gefühle der Lust voranschickt, sondern sie auf diese gründet; welches letztere allemal im ästhetischen Urteile über etwas, sofern es vergnügt oder schmerzt, geschieht. Daher Urteile, die so affiziert sind, auf allgemeingültiges Wohlgefallen entweder gar keinen, oder so viel weniger Anspruch machen können, als sich von der gedachten Art Empfindungen unter den Bestimmungsgründen des Geschmacks befinden. Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf, ja wohl gar diese zum Maßstabe seines Beifalls macht.

[139] Indessen werden Reize doch öfter nicht allein zur Schönheit (die doch eigentlich bloß die Form betreffen sollte) als Beitrag zum ästhetischen allgemeinen Wohlgefallen gezählt, sondern sie werden wohl gar an sich selbst für Schönheiten, mithin die Materie des Wohlgefallens für die Form ausgegeben: ein Mißverstand, der sich, so wie mancher andere, welcher doch noch immer etwas Wahres zum Grunde hat, durch sorgfältige Bestimmung dieser Begriffe heben läßt.

Ein Geschmacksurteil, auf welches Reiz und Rührung keinen Einfluß haben (ob sie sich gleich mit dem Wohlgefallen am Schönen verbinden lassen), welches also bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde hat, ist ein reines Geschmacksurteil.

§ 15. Das Geschmacksurteil ist von dem Begriffe der Vollkommenheit gänzlich unabhängig

[142] Die objektive Zweckmäßigkeit kann nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begriff erkannt werden. Hieraus [143] allein schon erhellet: daß das Schöne, dessen Beurteilung eine bloß formale Zweckmäßigkeit, d.i. eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zum Grunde hat, von der Vorstellung des Guten ganz unabhängig sei, weil das letztere eine objektive Zweckmäßigkeit, d.i. die Beziehung des Gegenstandes auf einen bestimmten Zweck, voraussetzt.

Die objektive Zweckmäßigkeit ist entweder die äußere, d.i. die Nützlichkeit, oder die innere, d.i. die Vollkommenheit des Gegenstandes. Daß das Wohlgefallen an einem Gegenstande, weshalb wir ihn schön nennen, nicht auf der Vorstellung seiner Nützlichkeit beruhen könne, ist aus beiden vorigen Hauptstücken hinreichend zu ersehen: weil es alsdann nicht ein unmittelbares Wohlgefallen an dem Gegenstande sein würde, welches letztere die wesentliche Bedingung des Urteils über Schönheit ist. Aber eine objektive innere Zweckmäßigkeit, d.i. Vollkommenheit, kommt dem Prädikate der Schönheit schon näher, und ist daher auch von namhaften Philosophen, doch mit dem Beisatze, wenn sie verworren gedacht wird, für einerlei mit der Schönheit gehalten worden. Es ist von der größten Wichtigkeit, in einer Kritik des Geschmacks zu entscheiden, ob sich auch die Schönheit wirklich in den Begriff der Vollkommenheit auflösen lasse.

Die objektive Zweckmäßigkeit zu beurteilen, bedürfen wir jederzeit den Begriff eines Zwecks, und (wenn jene Zweckmäßigkeit nicht eine äußere (Nützlichkeit), sondern eine innere sein soll) den Begriff eines Innern Zwecks, der den Grund der innern Möglichkeit des Gegenstandes enthalte. So wie nun Zweck überhaupt dasjenige ist, dessen Begriff als der Grund der Möglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann: so wird, um sich eine objektive Zweckmäßigkeit an einem Dinge vorzustellen, der Begriff von diesem, was es für ein Ding sein solle, voran gehen; und die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben zu diesem Begriffe (welcher die Regel der Verbindung desselben an ihm gibt) ist die qualitative Vollkommenheit eines Dinges. Hiervon ist die quantitative, als die Vollständigkeit eines jeden Dinges in seiner Art, [144] gänzlich unterschieden, und ein bloßer Größenbegriff (der Allheit); bei welchem, was das Ding sein solle, schon zum voraus als bestimmt gedacht, und nur, ob alles dazu Erforderliche an ihm sei, gefragt wird. Das Formale in der Vorstellung eines Dinges, d.i. die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt was es sein solle) gibt, für sich, ganz und gar keine objektive Zweckmäßigkeit zu erkennen; weil, da von diesem Einem, als Zweck (was das Ding sein solle) abstrahiert wird, nichts als die subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellungen im Gemüte des Anschauenden übrig bleibt, welche wohl eine gewisse Zweckmäßigkeit des Vorstellungszustandes im Subjekt, und in diesem eine Behaglichkeit desselben, eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen, aber keine Vollkommenheit irgend eines Objekts, das hier durch keinen Begriff eines Zwecks gedacht wird, angibt. Wie z.B., wenn ich im Walde einen Rasenplatz antreffe, um welchen die Bäume im Zirkel stehen, und ich mir dabei nicht einen Zweck, nämlich daß er etwa zum ländlichen Tanze dienen solle, vorstelle, nicht der mindeste Begriff von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben wird. Eine formale objektive Zweckmäßigkeit aber ohne Zweck, d.i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne alle Materie und Begriff von dem wozu zusammengestimmt wird, wenn es auch bloß die Idee einer Gesetzmäßigkeit überhaupt wäre), sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch.

Nun ist das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil, d.i. ein solches, was auf subjektiven Gründen beruht, und dessen Bestimmungsgrund kein Begriff, mithin auch nicht der eines bestimmten Zwecks sein kann. Also wird durch die Schönheit, als eine formale subjektive Zweckmäßigkeit, keinesweges eine Vollkommenheit des Gegenstandes, als vorgeblich-formale, gleichwohl aber doch objektive Zweckmäßigkeit gedacht; und der Unterschied zwischen den Begriffen des Schönen und Guten, als ob beide nur der logischen [145] Form nach unterschieden, die erste bloß ein verworrener, die zweite ein deutlicher Begriff der Vollkommenheit, sonst aber dem Inhalte und Ursprunge nach einerlei wären, ist nichtig: weil alsdann zwischen ihnen kein spezifischer Unterschied, sondern ein Geschmacksurteil eben so wohl ein Erkenntnisurteil wäre, als das Urteil, wodurch etwas für gut erklärt wird; so wie etwa der gemeine Mann, wenn er sagt: daß der Betrug unrecht sei, sein Urteil auf verworrene, der Philosoph auf deutliche, im Grunde aber beide auf einerlei Vernunft-Prinzipien gründen. Ich habe aber schon angeführt, daß ein ästhetisches Urteil einig in seiner Art sei, und schlechterdings kein Erkenntnis (auch nicht ein verworrenes) vom Objekt gebe: welches letztere nur durch ein logisches Urteil geschieht; da jenes hingegen die Vorstellung, wodurch ein Objekt gegeben wird, lediglich auf das Subjekt bezieht, und keine Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern nur die zweckmäßige Form in der Bestimmung der Vorstellungskräfte, die sich mit jenem beschäftigen, zu bemerken gibt. Das Urteil heißt auch eben darum ästhetisch, weil der Bestimmungsgrund desselben kein Begriff, sondern das Gefühl (des innern Sinnes) jener Einhelligkeit im Spiele der Gemütskräfte ist, sofern sie nur empfunden werden kann. Dagegen, wenn man verworrene Begriffe und das objektive Urteil, das sie zum Grunde hat, wollte ästhetisch nennen, man einen Verstand haben würde, der sinnlich urteilt, oder einen Sinn, der durch Begriffe seine Objekte vorstellte, welches beides sich widerspricht. Das Vermögen der Begriffe, sie mögen verworren oder deutlich sein, ist der Verstand; und, obgleich zum Geschmacksurteil, als ästhetischem Urteile, auch (wie zu allen Urteilen) Verstand gehört, so gehört er zu demselben doch nicht als Vermögen der Erkenntnis eines Gegenstandes, sondern der Bestimmung desselben und seiner Vorstellung (ohne Begriff) nach dem Verhältnis derselben auf das Subjekt [146] und dessen inneres Gefühl, und zwar sofern dieses Urteil nach einer allgemeinen Regel möglich ist.

§ 16. Das Geschmacksurteil, wodurch ein Gegenstand unter der Bedingung eines bestimmten Begriffs für schön erklärt wird, ist nicht rein

[146] Es gibt zweierlei Arten von Schönheit: freie Schönheit (pulchritudo vaga), oder die bloß anhängende Schönheit (pulchritudo adhaerens). Die erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll; die zweite setzt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach demselben voraus. Die erstern heißen (für sich bestehende) Schönheiten dieses oder jenes Dinges; die andere wird, als einem Begriffe anhängend (bedingte Schönheit), Objekten, die unter dem Begriffe eines besondern Zwecks stehen, beigelegt.

Blumen sind freie Naturschönheiten. Was eine Blume für ein Ding sein soll, weiß, außer dem Botaniker, schwerlich sonst jemand; und selbst dieser, der daran das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt, wenn er darüber durch Geschmack urteilt, auf diesen Naturzweck keine Rücksicht. Es wird also keine Vollkommenheit von irgend einer Art, keine innere Zweckmäßigkeit, auf welche sich die Zusammensetzung des Mannigfaltigen beziehe, diesem Urteile zum Grunde gelegt. Viele Vögel (der Papagei, der Kolibrit, der Paradiesvogel), eine Menge Schaltiere des Meeres sind für sich Schönheiten, die gar keinem nach Begriffen in Ansehung seines Zwecks bestimmten Gegenstände zukommen, sondern frei und für sich gefallen. So bedeuten die Zeichnungen à la grecque, das Laubwerk zu Einfassungen, oder auf Papiertapeten u.s.w. für sich nichts: sie stellen nichts vor, kein Objekt unter einem bestimmten Begriffe, und sind freie Schönheiten. Man kann auch das, was man in der Musik Phantasien (ohne Thema) nennt, ja die ganze Musik ohne Text, zu derselben Art zählen.

[147] In der Beurteilung einer freien Schönheit (der bloßen Form nach) ist das Geschmacksurteil rein. Es ist kein Begriff von irgend einem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekte dienen, und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt; wodurch die Freiheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde.

Allein die Schönheit eines Menschen (und unter dieser Art die eines Mannes, oder Weibes, oder Kindes), die Schönheit eines Pferdes, eines Gebäudes (als Kirche, Palast, Arsenal, oder Gartenhaus) setzt einen Begriff vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding sein soll, mithin einen Begriff seiner Vollkommenheit; und ist also bloß adhärierende Schönheit. So wie nun die Verbindung des Angenehmen (der Empfindung) mit der Schönheit, die eigentlich nur die Form betrifft, die Reinigkeit des Geschmacksurteils verhinderte: so tut die Verbindung des Guten (wozu nämlich das Mannigfaltige dem Dinge selbst, nach seinem Zwecke, gut ist) mit der Schönheit der Reinigkeit desselben Abbruch.

Man würde vieles unmittelbar in der Anschauung Gefallende an einem Gebäude anbringen können, wenn es nur nicht eine Kirche sein sollte; eine Gestalt mit allerlei Schnörkeln und leichten doch regelmäßigen Zügen, wie die Neuseeländer mit ihrem Tätowieren tun, verschönern können, wenn es nur nicht ein Mensch wäre; und dieser könnte viel feinere Züge und einen gefälligeren sanftem Umriß der Gesichtsbildung haben, wenn er nur nicht einen Mann, oder gar einen kriegerischen vorstellen sollte.

Nun ist das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge in Beziehung auf den innern Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt, auf einem Begriffe gegründetes Wohlgefallen; das an der Schönheit aber ist ein solches, welches keinen Begriff voraussetzt, sondern mit der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben (nicht wodurch er gedacht) wird, unmittelbar verbunden ist. Wenn nun das Geschmacksurteil, [148] in Ansehung des letzteren, vom Zwecke in dem ersteren, als Vernunfturteile, abhängig gemacht und dadurch eingeschränkt wird, so ist jenes nicht mehr ein freies und reines Geschmacksurteil.

Zwar gewinnt der Geschmack durch diese Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellektuellen darin, daß er fixiert wird, und zwar nicht allgemein ist, ihm aber doch in Ansehung gewisser zweckmäßig bestimmten Objekte Regeln vorgeschrieben werden können. Diese sind aber alsdann auch keine Regeln des Geschmacks, sondern bloß der Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft, d.i. des Schönen mit dem Guten, durch welche jenes zum Instrument der Absicht in Ansehung des letztern brauchbar wird, um diejenige Gemütsstimmung, die sich selbst erhält und von subjektiver allgemeiner Gültigkeit ist, derjenigen Denkungsart unterzulegen, die nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objektiv allgemein gültig ist. Eigentlich aber gewinnt weder die Vollkommenheit durch die Schönheit, noch die Schönheit durch die Vollkommenheit; sondern, weil es nicht vermieden werden kann, wenn wir die Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird, mit dem Objekte (in Ansehung dessen was es sein soll) durch einen Begriff vergleichen, sie zugleich mit der Empfindung im Subjekte zusammen zu halten, so gewinnt das gesamte Vermögen der Vorstellungskraft, wenn beide Gemütszustände zusammen stimmen.

Ein Geschmacksurteil würde in Ansehung eines Gegenstandes von bestimmtem innern Zwecke nur alsdann rein sein, wenn der Urteilende entweder von diesem Zwecke keinen Begriff hätte, oder in seinem Urteile davon abstrahierte. Aber alsdann würde dieser, ob er gleich ein richtiges Geschmacksurteil fällete, indem er den Gegenstand als freie Schönheit beurteilete, dennoch von dem andern, welcher die Schönheit an ihm nur als anhängende Beschaffenheit betrachtet (auf den Zweck des Gegenstandes sieht), getadelt [149] und eines falschen Geschmacks beschuldigt werden, obgleich beide in ihrer Art richtig urteilen: der eine nach dem, was er vor den Sinnen, der andere nach dem, was er in Gedanken hat. Durch diese Unterscheidung kann man manchen Zwist der Geschmacksrichter über Schönheit beilegen, indem man ihnen zeigt, daß der eine sich an die freie, der andere an die anhängende Schönheit halte, der erstere ein reines, der zweite ein angewandtes Geschmacksurteil fälle.

§ 17. Vom Ideale der Schönheit

[149] Es kann keine objektive Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sei, geben. Denn alles Urteil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d.i. das Gefühl des Subjekts, und kein Begriff eines Objekts, ist sein Bestimmungsgrund. Ein Prinzip des Geschmacks, welches das allgemeine Kriterium des Schönen durch bestimmte Begriffe angäbe, zu suchen, ist eine fruchtlose Bemühung, weil, was gesucht wird, unmöglich und an sich selbst widersprechend ist. Die allgemeine Mitteilbarkeit der Empfindung (des Wohlgefallens oder Mißfallens), und zwar eine solche, die ohne Begriff Statt findet; die Einhelligkeit, so viel möglich, aller Zeiten und Völker in Ansehung dieses Gefühls in der Vorstellung gewisser Gegenstände: ist das empirische, wiewohl schwache und kaum zur Vermutung zureichende, empirische Kriterium der Abstammung eines so durch Beispiele bewährten Geschmacks von dem tief verborgenen allen Menschen gemeinschaftlichen Grunde der Einhelligkeit in Beurteilung der Formen, unter denen ihnen Gegenstände gegeben werden.

Daher sieht man einige Produkte des Geschmacks als exemplarisch an: nicht als ob Geschmack könne erworben werden, indem er anderen nachahmt. Denn der Geschmack muß ein selbst eigenes Vermögen sein; wer aber ein Muster nachahmt, zeigt, sofern als er es trifft, zwar Geschicklichkeit, aber nur Geschmack, sofern er dieses Muster [150] selbst beurteilen kann.[7] Hieraus folgt aber, daß das höchste Muster, das Urbild des Geschmacks, eine bloße Idee sei, die jeder in sich selbst hervorbringen muß, und wonach er alles, was Objekt des Geschmacks, was Beispiel der Beurteilung durch Geschmack sei, und selbst den Geschmack von jedermann, beurteilen muß. Idee bedeutet eigentlich einen Vernunftbegriff, und Ideal die Vorstellung eines einzelnen als einer Idee adäquaten Wesens. Daher kann jenes Urbild des Geschmacks, welches freilich auf der unbestimmten Idee der Vernunft von einem Maximum beruht, aber doch nicht durch Begriffe, sondern nur in einzelner Darstellung kann vorgestellt werden, besser das Ideal des Schönen genannt werden, dergleichen wir, wenn wir gleich nicht im Besitze desselben sind, doch in uns hervorzubringen streben. Es wird aber bloß ein Ideal der Einbildungskraft sein, eben darum, weil es nicht auf Begriffen, sondern auf der Darstellung beruht; das Vermögen der Darstellung aber ist die Einbildungskraft. – Wie gelangen wir nun zu einem solchen Ideale der Schönheit? A priori oder empirisch? Imgleichen: welche Gattung des Schönen ist eines Ideals fähig?

Zuerst ist wohl zu bemerken, daß die Schönheit, zu welcher ein Ideal gesucht werden soll, keine vage, sondern durch einen Begriff von objektiver Zweckmäßigkeit fixierte Schönheit sein, folglich keinem Objekte eines ganz reinen, sondern zum Teil intellektuierten Geschmacksurteils angehören müsse. D. i. in welcher Art von Gründen der Beurteilung ein Ideal Statt finden soll, da muß irgend eine Idee der Vernunft nach bestimmten Begriffen zum Grunde liegen, die a priori den Zweck bestimmet, worauf die innere Möglichkeit des Gegenstandes beruhet. Ein Ideal schöner [151] Blumen, eines schönen Ameublements, einer schönen Aussicht läßt sich nicht denken. Aber auch von einer bestimmten Zwecken anhängenden Schönheit, z.B. einem schönen Wohnhause, einem schönen Baume, schönen Garten u.s.w. läßt sich kein Ideal vorstellen; vermutlich weil die Zwecke durch ihren Begriff nicht genug bestimmt und fixiert sind, folglich die Zweckmäßigkeit beinahe so frei ist, als bei der vagen Schönheit. Nur das, was den Zweck seiner Existenz in sich selbst hat, der Mensch, der sich durch Vernunft seine Zwecke selbst bestimmen, oder, wo er sie von der äußern Wahrnehmung hernehmen muß, doch mit wesentlichen und allgemeinen Zwecken zusammenhalten, und die Zusammenstimmung mit jenen alsdann auch ästhetisch beurteilen kann: dieser Mensch ist also eines Ideals der Schönheit, so wie die Menschheit in seiner Person, als Intelligenz, des Ideals der Vollkommenheit, unter allen Gegenständen in der Welt allein fähig.

Hiezu gehören aber zwei Stücke: erstlich die ästhetische Normalidee, welche eine einzelne Anschauung (der Einbildungskraft) ist, die das Richtmaß seiner Beurteilung, als eines zu einer besonderen Tierspezies gehörigen Dinges, vorstellt; zweitens die Vernunftidee welche die Zwecke der Menschheit, sofern sie nicht sinnlich vorgestellt werden können, zum Prinzip der Beurteilung einer Gestalt macht, durch welche, als ihre Wirkung in der Erscheinung, sich jene offenbaren. Die Normalidee muß ihre Elemente zur Gestalt eines Tiers von besonderer Gattung aus der Erfahrung nehmen; aber die größte Zweckmäßigkeit in der Konstruktion der Gestalt, die zum allgemeinen Richtmaß der ästhetischen Beurteilung jedes einzelnen dieser Spezies tauglich wäre, das Bild, was gleichsam absichtlich der Technik der Natur zum Grunde gelegen hat, dem nur die Gattung im ganzen, aber kein einzelnes abgesondert adäquat ist, liegt doch bloß in der Idee der Beurteilenden, welche aber, mit ihren Proportionen, als ästhetische Idee, in einem Musterbilde völlig in concreto dargestellt werden kann. Um, wie [152] dieses zugehe, einigermaßen begreiflich zu machen (denn wer kann der Natur ihr Geheimnis gänzlich ablocken?), wollen wir eine psychologische Erklärung versuchen.

Es ist anzumerken: daß, auf eine uns gänzlich unbegreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen für Begriffe gelegentlich, selbst von langer Zeit her, zurückzurufen; sondern auch das Bild und die Gestalt des Gegenstandes aus einer unaussprechlichen Zahl von Gegenständen verschiedener Arten, oder auch einer und derselben Art, zu reproduzieren; ja auch, wenn das Gemüt es auf Vergleichungen anlegt, allem Vermuten nach wirklich, wenn gleich nicht hinreichend zum Bewußtsein, ein Bild gleichsam auf das andere fallen zu lassen, und, durch die Kongruenz der mehrern von derselben Art, ein Mittleres herauszubekommen wisse, welches allen zum gemeinschaftlichen Maße dient. Jemand hat tausend erwachsene Mannspersonen gesehen. Will er nun über die vergleichungsweise zu schätzende Normalgröße urteilen, so läßt (meiner Meinung nach) die Einbildungskraft eine große Zahl der Bilder (vielleicht alle jene tausend) auf einander fallen; und, wenn es mir erlaubt ist, hiebei die Analogie der optischen Darstellung anzuwenden, in dem Raum, wo die meisten sich vereinigen, und innerhalb dem Umrisse, wo der Platz mit der um stärksten aufgetragenen Farbe illuminiert ist, da wird die mittlere Größe kenntlich, die sowohl der Höhe als Breite nach von den äußersten Grenzen der größten und kleinsten Staturen gleich weit entfernt ist; und dies ist die Statur für einen schönen? Mann. (Man könnte ebendasselbe mechanisch heraus bekommen, wenn man alle tausend mäße, ihre Höhen unter sich und Breiten (und Dicken) für sich zusammen addierte, und die Summe durch tausend dividierte. Allein die Einbildungskraft tut eben dieses durch einen dynamischen Effekt, der aus der vielfältigen Auffassung solcher Gestalten auf das Organ des innern Sinnes entspringt.) Wenn nun auf ähnliche Art für diesen mittlern Mann der mittlere Kopf, für diesen die mittlere Nase u.s.w. gesucht wird, so [153] liegt diese Gestalt der Normalidee des schönen Mannes, in dem Lande, wo diese Vergleichung angestellt wird, zum Grunde; daher ein Neger notwendig unter diesen empirischen Bedingungen eine andere Normalidee der Schönheit der Gestalt haben muß, als ein Weißer, der Chinese eine andere, als der Europäer. Mit dem Muster eines schönen Pferdes oder Hundes (von gewisser Rasse) würde es eben so gehen. – Diese Normalidee ist nicht aus von der Erfahrung hergenommenen Proportionen, als bestimmten Regeln, abgeleitet; sondern nach ihr werden allererst Regeln der Beurteilung möglich. Sie ist das zwischen allen einzelnen, auf mancherlei Weise verschiedenen, Anschauungen der Individuen schwebende Bild für die ganze Gattung, welches die Natur zum Urbilde ihren Erzeugungen in derselben Spezies unterlegte, aber in keinem einzelnen völlig er reicht zu haben scheint. Sie ist keinesweges das ganze Urbild der Schönheit in dieser Gattung, sondern nur die Form, welche die unnachlaßliche Bedingung aller Schönheit ausmacht, mithin bloß die Richtigkeit in Darstellung der Gattung. Sie ist, wie man Polyklets berühmten Doryphorus nannte, die Regel (eben dazu konnte auch Myrons Kuh in ihrer Gattung gebraucht werden). Sie kann eben darum auch nichts Spezifisch-Charakteristisches enthalten; denn sonst wäre sie nicht Normalidee für die Gattung. Ihre Darstellung gefällt auch nicht durch Schönheit, sondern bloß, weil sie keiner Bedingung, unter welcher allein ein Ding dieser Gattung schön sein kann, widerspricht. Die Darstellung ist bloß schulgerecht.[8]

[154] Von der Normalidee des Schönen ist doch noch das Ideal desselben unterschieden, welches man lediglich an der menschlichen Gestalt aus schon angeführten Gründen erwarten darf. An dieser nun besteht das Ideal in dem Ausdrucke des Sittlichen, ohne welches der Gegenstand nicht allgemein, und dazu positiv (nicht bloß negativ in einer schulgerechten Darstellung), gefallen würde. Der sichtbare Ausdruck sittlicher Ideen, die den Menschen innerlich beherrschen, kann zwar nur aus der Erfahrung genommen werden; aber ihre Verbindung mit allem dem, was unsere Vernunft mit dem Sittlich-Guten in der Idee der höchsten Zweckmäßigkeit verknüpft, die Seelengüte, oder Reinigkeit, oder Stärke, oder Ruhe u.s.w. in körperlicher Äußerung (als Wirkung des Innern) gleichsam sichtbar zu machen: dazu gehören reine Ideen der Vernunft und große Macht der Einbildungskraft in demjenigen vereinigt, welcher sie nur beurteilen, vielmehr noch, wer sie darstellen will. Die Richtigkeit eines solchen Ideals der Schönheit beweiset sich darin: daß es keinem Sinnenreiz sich in das Wohlgefallen an seinem Objekte zu mischen erlaubt, und dennoch ein großes Interesse daran nehmen läßt; welches dann beweiset, daß die Beurteilung nach einem solchen Maßstabe niemals rein ästhetisch sein könne, und die Beurteilung nach einem Ideale der Schönheit kein bloßes Urteil des Geschmacks sei.

Aus diesem dritten Momente geschlossene Erklärung des Schönen

[155] Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie, ohne Vorstellung eines Zwecks, an ihm wahrgenommen wird.[9]

§ 18. Was die Modalität eines Geschmacksurteils sei

[155] Von einer jeden Vorstellung kann ich sagen: wenigstens es sei möglich, daß sie (als Erkenntnis) mit einer Lust verbunden sei. Von dem, was ich angenehm nenne, sage ich, daß es in mir wirklich Lust bewirke. Vom Schönen aber denkt man sich, daß es eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen habe. Diese Notwendigkeit nun ist von besonderer Art: nicht eine theoretische objektive Notwendigkeit, wo a priori erkannt werden kann, daß jedermann dieses Wohlgefallen an dem von mir schön genannten Gegenstande fühlen werde; auch nicht eine praktische, wo durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freihandelnden Wesen zur Regel dient, dieses Wohlgefallen die [156] notwendige Folge eines objektiven Gesetzes ist, und nichts anders bedeutet, als daß man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln solle. Sondern sie kann als Notwendigkeit, die in einem ästhetischen Urteile gedacht wird, nur exemplarisch genannt werden, d.i. eine Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil, was wie Beispiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird. Da ein ästhetisches Urteil kein objektives und Erkenntnisurteil ist, so kann diese Notwendigkeit nicht aus bestimmten Begriffen abgeleitet werden, und ist also nicht apodiktisch. Viel weniger kann sie aus der Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urteile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) geschlossen werden. Denn nicht allein, daß die Erfahrung hiezu schwerlich hinreichend viele Belege schaffen würde, so läßt sich auf empirische Urteile kein Begriff der Notwendigkeit dieser Urteile gründen.

§ 19. Die subjektive Notwendigkeit, die wir dem Geschmacksurteile beilegen, ist bedingt

[156] Das Geschmacksurteil sinnet jedermann Beistimmung an; und, wer etwas für schön erklärt, will, daß jedermann dem vorliegenden Gegenstande Beifall geben und ihn gleichfalls für schön erklären solle. Das Sollen im ästhetischen Urteile wird also selbst nach allen Datis, die zur Beurteilung erfordert werden, doch nur bedingt ausgesprochen. Man wirbt um jedes andern Beistimmung, weil man dazu einen Grund hat, der allen gemein ist; auf welche Beistimmung man auch rechnen könnte, wenn man nur immer sicher wäre, daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beifalls richtig subsumiert wäre.

§ 20. Die Bedingung der Notwendigkeit, die ein Geschmacksurteil vorgibt, ist die Idee eines Gemeinsinnes

[157] Wenn Geschmacksurteile (gleich den Erkenntnisurteilen) ein bestimmtes objektives Prinzip hätten, so würde der, welcher sie nach dem letztern fället, auf unbedingte Notwendigkeit seines Urteils Anspruch machen. Wären sie ohne alles Prinzip, wie die des bloßen Sinnengeschmacks, so würde man sich gar keine Notwendigkeit derselben in die Gedanken kommen lassen. Also müssen sie ein subjektives Prinzip haben, welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle. Ein solches Prinzip aber könnte nur als ein Gemeinsinn angesehen werden; welcher vom gemeinen Verstande, den man bisweilen auch Gemeinsinn (sensus communis) nennt, wesentlich unterschieden ist: indem letzterer nicht nach Gefühl, sondern jederzeit nach Begriffen, wiewohl gemeiniglich nur als nach dunkel vorgestellten Prinzipien, urteilt.

Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe (wodurch wir aber keinen äußern Sinn, sondern die Wirkung aus dem freien Spiel unsrer Erkenntniskräfte, verstehen), nur unter Voraussetzung, sage ich, eines solchen Gemeinsinns kann das Geschmacksurteil gefällt werden.

§ 22. Die Notwendigkeit der allgemeinen Beistimmung, die in einem Geschmacksurteil gedacht wird, ist eine subjektive Notwendigkeit, die unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objektiv vorgestellt wird

[158] In allen Urteilen, wodurch wir etwas für schön erklären, verstatten wir keinem, anderer Meinung zu sein; ohne gleichwohl unser Urteil auf Begriffe, sondern nur auf unser [159] Gefühl zu gründen: welches wir also nicht als Privatgefühl, sondern als ein gemeinschaftliches zum Grunde legen. Nun kann dieser Gemeinsinn zu diesem Behuf nicht auf der Erfahrung gegründet werden; denn er will zu Urteilen berechtigen, die ein Sollen enthalten: er sagt nicht, daß jedermann mit unserm Urteile übereinstimmen werde, sondern damit zusammenstimmen solle. Also ist der Gemeinsinn, von dessen Urteil ich mein Geschmacksurteil hier als ein Beispiel angebe und weswegen ich ihm exemplarische Gültigkeit beilege, eine bloße idealische Norm, unter deren Voraussetzung man ein Urteil, welches mit ihr zusammenstimmte, und das in demselben ausgedrückte Wohlgefallen an einem Objekt, für jedermann mit Recht zur Regel machen könnte: weil zwar das Prinzip nur subjektiv, dennoch aber, für subjektiv-allgemein (eine jedermann notwendige Idee) angenommen, was die Einhelligkeit verschiedener Urteilenden betrifft, gleich einem objektiven, allgemeine Beistimmung fordern könnte; wenn man nur sicher wäre, darunter richtig subsumiert zu haben.

Diese unbestimmte Norm eines Gemeinsinns wird von uns wirklich vorausgesetzt: das beweiset unsere Anmaßung, Geschmacksurteile zu fällen. Ob es in der Tat einen solchen Gemeinsinn, als konstitutives Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung gebe, oder ein noch höheres Prinzip der Vernunft es uns nur zum regulativen Prinzip mache, allererst einen Gemeinsinn zu höhern Zwecken in uns hervorzubringen; ob also Geschmack ein ursprüngliches und natürliches, oder nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen sei, so daß ein Geschmacksurteil, mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung, in der Tat nur eine Vernunftforderung sei, eine solche Einhelligkeit der Sinnesart hervorzubringen, und das Sollen, d.i. die objektive Notwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besondern, nur die Möglichkeit, hierin einträchtig zu werden, bedeute, und das Geschmacksurteil nur von Anwendung dieses Prinzips ein Beispiel aufstelle: das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen, [160] sondern haben vor jetzt nur das Geschmacksvermögen in seine Elemente aufzulösen, und sie zu letzt in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen.

Aus dem vierten Moment gefolgerte Erklärung vom Schönen

Schön ist, was ohne Begriff als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens erkannt wird.

§ 32. Erste Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils

[210] Das Geschmacksurteil bestimmt seinen Gegenstand in Ansehung des Wohlgefallens (als Schönheit) mit einem Anspruche auf jedermanns Beistimmung, als ob es objektiv wäre.

Sagen: diese Blume ist schön, heißt eben so viel, als ihren eigenen Anspruch auf jedermanns Wohlgefallen ihr nur nachsagen. Durch die Annehmlichkeit ihres Geruchs hat sie [211] gar keine Ansprüche. Den einen ergötzt dieser Geruch, dem andern benimmt er den Kopf. Was sollte man nun anders daraus vermuten, als daß die Schönheit für eine Eigenschaft der Blume selbst gehalten werden müsse, die sich nicht nach der Verschiedenheit der Köpfe und so vieler Sinne richtet, sondern wornach sich diese richten müssen, wenn sie darüber urteilen wollen? Und doch verhält es sich nicht so. Denn darin besteht eben das Geschmacksurteil, daß es eine Sache nur nach derjenigen Beschaffenheit schön nennt, in welcher sie sich nach unserer Art sie aufzunehmen richtet.

Überdies wird von jedem Urteil, welches den Geschmack des Subjekts beweisen soll, verlangt: daß das Subjekt für sich, ohne nötig zu haben, durch Erfahrung unter den Urteilen anderer herumzutappen, und sich von ihrem Wohlgefallen oder Mißfallen an demselben Gegenstande vorher zu belehren, urteilen, mithin sein Urteil nicht als Nachahmung, weil ein Ding etwa wirklich allgemein gefällt, sondern a priori absprechen solle. Man sollte aber denken, daß ein Urteil a priori einen Begriff vom Objekt enthalten müsse, zu dessen Erkenntnis es das Prinzip enthält; das Geschmacksurteil aber gründet sich gar nicht auf Begriffe, und ist überall nicht Erkenntnis, sondern nur ein ästhetisches Urteil.

Daher läßt sich ein junger Dichter von der Überredung, daß sein Gedicht schön sei, nicht durch das Urteil des Publikums, noch seiner Freunde abbringen; und, wenn er ihnen Gehör gibt, so geschieht es nicht darum, weil er es nun anders beurteilt, sondern weil er, wenn gleich (wenigstens in Absicht seiner) das ganze Publikum einen falschen Geschmack hätte, sich doch (selbst wider sein Urteil) dem gemeinen Wahne zu bequemen, in seiner Begierde nach Beifall Ursache findet. Nur späterhin, wenn seine Urteilskraft durch Ausübung mehr geschärft worden, geht er freiwillig von seinem vorigen Urteile ab; so wie er es auch mit seinen [212] Urteilen hält, die ganz auf der Vernunft beruhen. Der Geschmack macht bloß auf Autonomie Anspruch. Fremde Urteile sich zum Bestimmungsgrunde des seinigen zu machen, wäre Heteronomie.

Daß man die Werke der Alten mit Recht zu Mustern anpreiset, und die Verfasser derselben klassisch nennt, gleich einem gewissen Adel unter den Schriftstellern, der dem Volke durch seinen Vorgang Gesetze gibt: scheint Quellen des Geschmacks a posteriori anzuzeigen, und die Autonomie desselben in jedem Subjekte zu widerlegen. Allein man könnte eben so gut sagen, daß die alten Mathematiker, die bis jetzt für nicht wohl zu entbehrende Muster der höchsten Gründlichkeit und Eleganz der synthetischen Methode gehalten werden, auch eine nachahmende Vernunft auf unserer Seite bewiesen, und ein Unvermögen derselben, aus sich selbst strenge Beweise mit der größten Intuition, durch Konstruktion der Begriffe, hervorzubringen. Es gibt gar keinen Gebrauch unserer Kräfte, so frei er auch sein mag, und selbst der Vernunft (die alle ihre Urteile aus der gemeinschaftlichen Quelle a priori schöpfen muß), welcher, wenn jedes Subjekt immer gänzlich von der rohen Anlage seines Naturells anfangen sollte, nicht in fehlerhafte Versuche geraten würde, wenn nicht andere mit den ihrigen ihm vorgegangen wären, nicht um die Nachfolgenden zu bloßen Nachahmern zu machen, sondern durch ihr Verfahren andere auf die Spur zu bringen, um die Prinzipien in sich selbst zu suchen, und so ihren eigenen, oft besseren, Gang zu nehmen. Selbst in der Religion, wo gewiß ein jeder die Regel seines Verhaltens aus sich selbst hernehmen muß, weil er dafür auch selbst verantwortlich bleibt, und die Schuld seiner Vergehungen nicht auf andre, als Lehrer oder Vorgänger, schieben kann, wird doch nie durch allgemeine Vorschriften, die man entweder von Priestern oder Philosophen bekommen, oder auch aus sich selbst genommen haben mag, so viel ausgerichtet werden, als durch ein Beispiel der Tugend oder Heiligkeit, welches, in der Geschichte aufgestellt, die Autonomie [213] der Tugend, aus der eigenen und ursprünglichen Idee der Sittlichkeit (a priori), nicht entbehrlich macht, oder diese in einen Mechanism der Nachahmung verwandelt. Nachfolge, die sich auf einen Vorgang bezieht, nicht Nachahmung, ist der rechte Ausdruck für allen Einfluß, welchen Produkte eines exemplarischen Urhebers auf andere haben können; welches nur so viel bedeutet, als: aus denselben Quellen schöpfen, woraus jener selbst schöpfte, und seinem Vorgänger nur die Art, sich dabei zu benehmen, ablernen. Aber unter allen Vermögen und Talenten ist der Geschmack gerade dasjenige, welches, weil sein Urteil nicht durch Begriffe und Vorschriften bestimmbar ist, am meisten der Beispiele dessen, was sich im Fortgange der Kultur am längsten in Beifall erhalten hat, bedürftig ist, um nicht bald wieder ungeschlacht zu werden, und in die Rohigkeit der ersten Versuche zurückzufallen.

§ 33. Zweite Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils

[213] Das Geschmacksurteil ist gar nicht durch Beweisgründe bestimmbar, gleich als ob es bloß subjektiv wäre.

Wenn jemand ein Gebäude, eine Aussicht, ein Gedicht nicht schön findet, so läßt er sich erstlich den Beifall nicht durch hundert Stimmen, die es alle hoch preisen, innerlich aufdringen. Er mag sich zwar stellen falsches ihm auch gefalle, um nicht für geschmacklos angesehen zu werden; er kann sogar zu zweifeln anfangen, ob er seinen Geschmack, durch Kenntnis einer genugsamen Menge von Gegenständen einer gewissen Art, auch genug gebildet habe (wie einer, der in der Entfernung etwas für einen Wald zu erkennen glaubt, was alle andere für eine Stadt ansehen, an dem Urteile seines eigenen Gesichts zweifelt). Das sieht er aber doch klar ein: daß der Beifall anderer gar keinen für die Beurteilung der Schönheit gültigen Beweis abgebe; daß andere [214] allenfalls für ihn sehen und beobachten mögen, und, was viele auf einerlei Art gesehen haben, als ein hinreichender Beweisgrund für ihn, der es anders gesehen zu haben glaubt, zum theoretischen, mithin logischen, niemals aber das, was andern gefallen hat, zum Grunde eines ästhetischen Urteils dienen könne. Das uns ungünstige Urteil anderer kann uns zwar mit Recht in Ansehung des unsrigen bedenklich machen, niemals aber von der Unrichtigkeit desselben überzeugen. Also gibt es keinen empirischen Beweisgrund, das Geschmacksurteil jemanden abzunötigen.

Zweitens kann noch weniger ein Beweis a priori nach bestimmten Regeln das Urteil über Schönheit bestimmen. Wenn mir jemand sein Gedicht vorliest, oder mich in ein Schauspiel führt, welches am Ende meinem Geschmacke nicht behagen will, so mager den Batteux oder Lessing, oder noch ältere und berühmtere Kritiker des Geschmacks, und alle von ihnen aufgestellte Regeln zum Beweise anführen, daß sein Gedicht schön sei; auch mögen gewisse Stellen, die mir eben mißfallen, mit Regeln der Schönheit (so wie sie dort gegeben und allgemein anerkannt sind) gar wohl zusammenstimmen: ich stopfe mir die Ohren zu, mag keine Gründe und kein Vernünfteln hören, und werde eher annehmen, daß jene Regeln der Kritiker falsch sein, oder wenigstens hier nicht der Fall ihrer Anwendung sei, als daß ich mein Urteil durch Beweisgründe a priori sollte beistimmen lassen, da es ein Urteil des Geschmacks und nicht des Verstandes oder der Vernunft sein soll.

Es scheint, daß dieses eine der Hauptursachen sei, weswegen man dieses ästhetische Beurteilungsvermögen gerade mit dem Namen des Geschmacks belegt hat. Denn, es mag mir jemand alle Ingredienzien eines Gerichts herzählen, und von jedem bemerken, daß jedes derselben mir sonst angenehm sei, auch oben ein die Gesundheit dieses Essens mit Recht rühmen: so bin ich gegen alle diese Gründe taub, versuche das [215] Gericht an meiner Zunge und meinem Gaumen: und darnach (nicht nach allgemeinen Prinzipien) fälle ich mein Urteil.

In der Tat wird das Geschmacksurteil durchaus immer, als ein einzelnes Urteil vom Objekt, gefällt. Der Verstand kann durch die Vergleichung des Objekts im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urteile anderer ein allgemeines Urteil machen: z.B. alle Tulpen sind schön; aber das ist alsdann kein Geschmacks- sondern ein logisches Urteil, welches die Beziehung eines Objekts auf den Geschmack zum Prädikate der Dinge von einer gewissen Art überhaupt macht, dasjenige aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe schön, d.i. mein Wohlgefallen an derselben allgemeingültig finde, ist allein das Geschmacksurteil. Dessen Eigentümlichkeit besteht aber darin: daß, ob es gleich bloß subjektive Gültigkeit hat, es dennoch alle Subjekte so in Anspruch nimmt, als es nur immer geschehen könnte, wenn es ein objektives Urteil wäre, das auf Erkenntnisgründen beruht, und durch einen Beweis könnte erzwungen werden.

§ 35. Das Prinzip des Geschmacks ist das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt

[216] Das Geschmacksurteil unterscheidet sich darin von dem logischen: daß das letztere eine Vorstellung unter Begriffe [217] vom Objekt, das erstere aber gar nicht unter einen Begriff subsumiert, weil sonst der notwendige allgemeine Beifall durch Beweise würde erzwungen werden können. Gleichwohl aber ist es darin dem letztern ähnlich, daß es eine Allgemeinheit und Notwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Objekt, folglich eine bloß subjektive vorgibt. Weil nun die Begriffe in einem Urteile den Inhalt desselben (das zum Erkenntnis des Objekts Gehörige) ausmachen, das Geschmacksurteil aber nicht durch Begriffe bestimmbar ist, so gründet es sich nur auf der subjektiven formalen Bedingung eines Urteils überhaupt. Die subjektive Bedingung aller Urteile ist das Vermögen zu urteilen selbst, oder die Urteilskraft. Diese, in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweier Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben), und des Verstandes (für den Begriff als Vorstellung der Einheit dieser Zusammensetzung). Weil nun dem Urteile hier kein Begriff vom Objekte zum Grunde liegt, so kann es nur in der Subsumtion der Einbildungskraft selbst (bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter die Bedingungen, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt, bestehen. D. i. weil eben darin, daß die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit derselben besteht: so muß das Geschmacksurteil auf einer bloßen Empfindung der sich wechselseitig belebenden Einbildungskraft in ihrer Freiheit, und des Verstandes mit seiner Gesetzmäßigkeit, also auf einem Gefühle beruhen, das den Gegenstand nach der Zweckmäßigkeit der Vorstellung (wodurch ein Gegenstand gegeben wird) auf die Beförderung des Erkenntnisvermögens in ihrem freien Spiele beurteilen läßt; und der Geschmack, als subjektive Urteilskraft, enthält ein Prinzip der Subsumtion, aber nicht der Anschauungen unter Begriffe, sondern des Vermögens der Anschauungen [218] oder Darstellungen (d.i. der Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (d.i. den Verstand), sofern das erstere in seiner Freiheit zum letzteren in seiner Gesetzmäßigkeit zusammenstimmt.

Um diesen Rechtsgrund nun durch eine Deduktion der Geschmacksurteile ausfindig zu machen, können nur die formalen Eigentümlichkeiten dieser Art Urteile, mithin sofern an ihnen bloß die logische Form betrachtet wird, uns zum Leitfaden dienen.

§ 40. Vom Geschmacke als einer Art von sensus communis

[224] Man gibt oft der Urteilskraft, wenn nicht sowohl ihre Reflexion als vielmehr bloß das Resultat derselben bemerklich ist, den Namen eines Sinnes, und redet von einem Wahrheitssinne, [225] von einem Sinne für Anständigkeit, Gerechtigkeit u.s.w.; ob man zwar weiß, wenigstens billig wissen sollte, daß es nicht ein Sinn ist, in welchem diese Begriffe ihren Sitz haben können, noch weniger, daß dieser zu einem Ausspruche allgemeiner Regeln die mindeste Fähigkeit habe: sondern daß uns von Wahrheit, Schicklichkeit, Schönheit oder Gerechtigkeit nie eine Vorstellung dieser Art in Gedanken kommen könnte, wenn wir uns nicht über die Sinne zu höhern Erkenntnisvermögen erheben könnten. Der gemeine Menschenverstand, den man, als bloß gesunden (noch nicht kultivierten) Verstand, für das geringste ansieht, dessen man nur immer sich von dem, welcher auf den Namen eines Menschen Anspruch macht, gewärtigen kann, hat daher auch die kränkende Ehre, mit dem Namen des Gemeinsinnes (sensus communis) belegt zu werden; und zwar so, daß man unter dem Worte gemein (nicht bloß in unserer Sprache, die hierin wirklich eine Zweideutigkeit enthält, sondern auch in mancher andern) so viel als das vulgäre, was man allenthalben antrifft, versteht, welches zu besitzen schlechterdings kein Verdienst oder Vorzug ist.

Unter dem sensus communis aber muß man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines Beurteilungsvermögens verstehen, welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluß haben würde. Dieses geschieht nun dadurch, daß man sein Urteil an anderer, nicht sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mögliche Urteile hält, und sich in die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert: welches wiederum dadurch bewirkt wird, daß man das, was in dem Vorstellungszustande Materie, d.i. Empfindung ist, so viel möglich wegläßt, [226] und lediglich auf die formalen Eigentümlichkeiten seiner Vorstellung, oder seines Vorstellungszustandes, Acht hat. Nun scheint diese Operation der Reflexion vielleicht allzukünstlich zu sein, um sie dem Vermögen, welches wir den gemeinen Sinn nennen, beizulegen; allein sie sieht auch nur so aus, wenn man sie in abstrakten Formeln ausdrückt; an sich ist nichts natürlicher, als von Reiz und Rührung zu abstrahieren, wenn man ein Urteil sucht, welches zur allgemeinen Regel dienen soll.

Folgende Maximen des gemeinen Menschenverstandes gehören zwar nicht hieher, als Teile der Geschmackskritik, können aber doch zur Erläuterung ihrer Grundsätze dienen. Es sind folgende: 1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. Die erste ist die Maxime der vorurteilfreien, die zweite der erweiterten, die dritte der konsequenten Denkungsart. Die erste ist die Maxime einer niemals passiven Vernunft. Der Hang zur letztern, mithin zur Heteronomie der Vernunft, heißt das Vorurteil; und das größte unter allen ist, sich die Naturregeln, welche der Verstand ihr durch ihr eigenes wesentliches Gesetz zum Grunde legt, als nicht unterworfen vorzustellen: d.i. der Aberglaube. Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung[13]; weil, obschon diese Benennung auch der Befreiung von Vorurteilen überhaupt zukommt, jener doch vorzugsweise (in sensu eminenti) ein Vorurteil genannt zu werden verdient, indem [227] die Blindheit, worin der Aberglaube versetzt, ja sie wohl gar als Obliegenheit fordert, das Bedürfnis, von andern geleitet zu werden, mithin den Zustand einer passiven Vernunft vorzüglich kenntlich macht. Was die zweite Maxime der Denkungsart betrifft, so sind wir sonst wohl gewohnt, denjenigen eingeschränkt (borniert, das Gegenteil von erweitert) zu nennen, dessen Talente zu keinem großen Gebrauche (vornehmlich dem intensiven) zulangen. Allein hier ist nicht die Rede vom Vermögen des Erkenntnisses, sondern von der Denkungsart, einen zweckmäßigen Gebrauch davon zu machen: welche, so klein auch der Umfang und der Grad sei, wohin die Naturgabe des Menschen reicht, dennoch einen Mann von erweiterter Denkungsart anzeigt, wenn er sich über die subjektiven Privatbedingungen des Urteils, wo zwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzen, und aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urteil reflektiert. Die dritte Maxime, nämlich die der konsequenten Denkungsart, ist am schwersten zu erreichen, und kann auch nur durch die Verbindung beider ersten, und nach einer zur Fertigkeit gewordenen öfteren Befolgung derselben, erreicht werden. Man kann sagen: die erste dieser Maximen ist die Maxime des Verstandes; die zweite der Urteilskraft, die dritte der Vernunft. –

Ich nehme den durch diese Episode verlassenen Faden wieder auf, und sage: daß der Geschmack mit mehrerem Rechte sensus communis genannt werden könne, als der gesunde Verstand; und daß die ästhetische Urteilskraft eher als die intellektuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes[14] führen könne, wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüt brauchen will: denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust. [228] Man könnte sogar den Geschmack durch das Beurteilungsvermögen desjenigen, was unser Gefühl an einer gegebenen Vorstellung ohne Vermittelung eines Begriffs allgemein mitteilbar macht, definieren.

Die Geschicklichkeit der Menschen, sich ihre Gedanken mitzuteilen, erfordert auch ein Verhältnis der Einbildungskraft und des Verstandes, um den Begriffen Anschauungen und diesen wiederum Begriffe zuzugesellen, die in ein Erkenntnis zusammenfließen; aber alsdann ist die Zusammenstimmung beider Gemütskräfte gesetzlich, unter dem Zwange bestimmter Begriffe. Nur da, wo Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt: da teilt sich die Vorstellung, nicht als Gedanke, sondern als inneres Gefühl eines zweckmäßigen Zustandes des Gemüts, mit.

Der Geschmack ist also das Vermögen, die Mitteilbarkeit der Gefühle, welche mit gegebener Vorstellung (ohne Vermittelung eines Begriffs) verbunden sind, a priori zu beurteilen. Wenn man annehmen dürfte, daß die bloße allgemeine Mitteilbarkeit seines Gefühls an sich schon ein Interesse für uns bei sich führen müsse (welches man aber aus der Beschaffenheit einer bloß reflektierenden Urteilskraft zu schließen nicht berechtigt ist): so würde man sich erklären können, woher das Gefühl im Geschmacksurteile gleichsam als Pflicht jedermann zugemutet werde.

§ 41. Vom empirischen Interesse am Schönen

[228] Daß das Geschmacksurteil, wodurch etwas für schön erklärt wird, kein Interesse zum Bestimmungsgrunde haben müsse, ist oben hinreichend dargetan worden. Aber daraus folgt nicht, daß, nachdem es, als reines ästhetisches Urteil, gegeben worden, kein Interesse damit verbunden werden könne. Diese Verbindung wird aber immer nur indirekt [229] sein können, d.i. der Geschmack muß allererst mit etwas anderem verbunden vorgestellt werden, um mit dem Wohlgefallen der bloßen Reflexion über einen Gegenstand noch eine Lust an der Existenz desselben (als worin alles Interesse besteht) verknüpfen zu können. Denn es gilt hier im ästhetischen Urteile, was im Erkenntnisurteile (von Dingen überhaupt) gesagt wird: a posse ad esse non valet consequentia. Dieses andere kann nun etwas Empirisches sein, nämlich eine Neigung, die der menschlichen Natur eigen ist; oder etwas Intellektuelles, als Eigenschaft des Willens, a priori durch Vernunft bestimmt werden zu können: welche beide ein Wohlgefallen am Dasein eines Objekts enthalten, und so den Grund zu einem Interesse an demjenigen legen können, was schon für sich und ohne Rücksicht auf irgend ein Interesse gefallen hat.

Empirisch interessiert das Schöne nur in der Gesellschaft; und, wenn man den Trieb zur Gesellschaft als dem Menschen natürlich, die Tauglichkeit aber und den Hang dazu, d.i. die Geselligkeit, zur Erfordernis des Menschen, als für die Gesellschaft bestimmten Geschöpfs, also als zur Humanität gehörige Eigenschaft einräumt: so kann es nicht fehlen, daß man nicht auch den Geschmack als ein Beurteilungsvermögen alles dessen, wodurch man sogar sein Gefühl jedem andern mitteilen kann, mithin als Beförderungsmittel dessen, was eines jeden natürliche Neigung verlangt, ansehen sollte.

Für sich allein würde ein verlassener Mensch auf einer wüsten Insel weder seine Hütte, noch sich selbst ausputzen, oder Blumen aufsuchen, noch weniger sie pflanzen, um sich damit auszuschmücken; sondern nur in Gesellschaft kommt es ihm ein, nicht bloß Mensch, sondern auch nach seiner Art ein feiner Mensch zu sein (der Anfang der Zivilisierung): denn als einen solchen beurteilt man denjenigen, welcher seine Lust andern mitzuteilen geneigt und geschickt ist, und den ein Objekt nicht befriedigt, wenn er das Wohlgefallen an demselben nicht in Gemeinschaft mit andern fühlen kann. Auch erwartet und fordert ein jeder die Rücksicht auf [230] allgemeine Mitteilung von jedermann, gleichsam als aus einem ursprünglichen Vertrage, der durch die Menschheit selbst diktiert ist; und so werden freilich anfangs nur Reize, z.B. Farben, um sich zu bemalen (Rocou bei den Karaiben und Zinnober bei den Irokesen), oder Blumen, Muschelschalen, schönfarbige Vogelfedern, mit der Zeit aber auch schöne Formen (als an Kanots, Kleidern, u.s.w.), die gar kein Vergnügen, d.i. Wohlgefallen des Genusses bei sich führen, in der Gesellschaft wichtig und mit großem Interesse verbunden: bis endlich die auf den höchsten Punkt gekommene Zivilisierung daraus beinahe das Hauptwerk der verfeinerten Neigung macht, und Empfindungen nur so viel wert gehalten werden, als sie sich allgemein mitteilen lassen; wo denn, wenn gleich die Lust, die jeder an einem solchen Gegenstande hat, nur unbeträchtlich und für sich ohne merkliches Interesse ist, doch die Idee von ihrer allgemeinen Mitteilbarkeit ihren Wert beinahe unendlich vergrößert.

Dieses indirekt dem Schönen, durch Neigung zur Gesellschaft, angehängte, mithin empirische Interesse ist aber für uns hier von keiner Wichtigkeit, die wir nur darauf zu sehen haben, was auf das Geschmacksurteil a priori, wenn gleich nur indirekt, Beziehung haben mag. Denn, wenn auch in dieser Form sich ein damit verbundenes Interesse entdecken sollte, so würde Geschmack einen Übergang unseres Beurteilungsvermögens von dem Sinnengenuß zum Sittengefühl entdecken; und nicht allein, daß man dadurch den Geschmack zweckmäßig zu beschäftigen besser geleitet werden würde, es würde auch ein Mittelglied der Kette der menschlichen Vermögen a priori, von denen alle Gesetzgebung abhängen muß, als ein solches dargestellt werden. So viel kann man von dem empirischen Interesse an Gegenständen des Geschmacks und am Geschmack selbst wohl sagen, daß es, da dieser der Neigung frönt, obgleich sie noch so verfeinert sein mag, sich doch auch mit allen Neigungen und Leidenschaften, die in der Gesellschaft ihre größte Mannigfaltigkeit und höchste Stufe erreichen, gern zusammenschmelzen läßt, und das Interesse am Schönen, wenn es darauf gegründet [231] ist, einen nur sehr zweideutigen Übergang vom Angenehmen zum Guten abgeben könne. Ob aber dieser nicht etwa doch durch den Geschmack, wenn er in seiner Reinigkeit genommen wird, befördert werden könne, haben wir zu untersuchen Ursache.

§ 42. Vom intellektuellen Interesse am Schönen

[231] Es geschah in gutmütiger Absicht, daß diejenigen, welche alle Beschäftigungen der Menschen, wozu diese die innere Naturanlage antreibt, gerne auf den letzten Zweck der Menschheit, nämlich das Moralisch-Gute richten wollten, es für ein Zeichen eines guten moralischen Charakters hielten, am Schönen überhaupt ein Interesse zu nehmen. Ihnen ist aber nicht ohne Grund von andern widersprochen worden, die sich auf die Erfahrung berufen, daß Virtuosen des Geschmacks, nicht allein öfter, sondern wohl gar gewöhnlich, eitel, eigensinnig, und verderblichen Leidenschaften ergeben, vielleicht noch weniger wie andere auf den Vorzug der Anhänglichkeit an sittliche Grundsätze Anspruch machen könnten; und so scheint es, daß das Gefühl für das Schöne nicht allein (wie es auch wirklich ist) vom moralischen Gefühl spezifisch unterschieden, sondern auch das Interesse, welches man damit verbinden kann, mit dem moralischen schwer, keinesweges aber durch innere Affinität, vereinbar sei.

Ich räume nun zwar gerne ein, daß das Interesse am Schönen der Kunst (wozu ich auch den künstlichen Gebrauch der Naturschönheiten zum Putze, mithin zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Moralischguten anhänglichen, oder auch nur dazu geneigten Denkungsart abgebe. Dagegen aber behaupte ich, daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack haben, um sie zu beurteilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sei; und daß, wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es [232] sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet. Man muß sich aber wohl erinnern, daß ich hier eigentlich die schönen Formen der Natur meine, die Reize dagegen, welche sie so reichlich auch mit jenen zu verbinden pflegt, noch zur Seite setze, weil das Interesse daran zwar auch unmittelbar, aber doch empirisch ist.

Der, welcher einsam (und ohne Absicht, seine Bemerkungen andern mitteilen zu wollen) die schöne Gestalt einer wilden Blume, eines Vogels, eines Insekts u.s.w. betrachtet, um sie zu bewundern, zu lieben, und sie nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geschähe, viel weniger ein Nutzen daraus für ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellektuelles Interesse an der Schönheit der Natur. D. i. nicht allein ihr Produkt der Form nach, sondern auch das Dasein desselben gefällt ihm, ohne daß ein Sinnenreiz daran Anteil hätte, oder er auch irgend einen Zweck damit verbände.

Es ist aber hiebei merkwürdig, daß, wenn man diesen Liebhaber des Schönen insgeheim hintergangen, und künstliche Blumen (die man den natürlichen ganz ähnlich verfertigen kann) in die Erde gesteckt, oder künstlich geschnitzte Vögel auf Zweige von Bäumen gesetzt hätte, und er darauf den Betrug entdeckte, das unmittelbare Interesse, was er vorher daran nahm, alsbald verschwinden, vielleicht aber ein anderes, nämlich das Interesse der Eitelkeit, sein Zimmer für fremde Augen damit auszuschmücken, an dessen Stelle sich einfinden würde. Daß die Natur jene Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muß die Anschauung und Reflexion begleiten; und auf diesem gründet sich allein das unmittelbare Interesse, was man daran nimmt. Sonst bleibt entweder ein bloßes Geschmacksurteil ohne alles Interesse, oder nur ein mit einem mittelbaren, nämlich auf die Gesellschaft bezogenen verbundenes übrig: welches letztere keine sichere Anzeige auf moralisch-gute Denkungsart abgibt.

[233] Dieser Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit, wenn jene gleich durch diese der Form nach sogar übertroffen würde, dennoch allein ein unmittelbares Interesse zu erwecken, stimmt mit der geläuterten und gründlichen Denkungsart aller Menschen überein, die ihr sittliches Gefühl kultiviert haben. Wenn ein Mann, der Geschmack genug hat, um über Produkte der schönen Kunst mit der größten Richtigkeit und Feinheit zu urteilen, das Zimmer gern verläßt, in welchem jene, die Eitelkeit und allenfalls gesellschaftlichen Freuden unterhaltenden, Schönheiten anzutreffen sind, und sich zum Schönen der Natur wendet, um hier gleichsam Wollust für seinen Geist in einem Gedankengange zu finden, den er sich nie völlig entwickeln kann: so werden wir diese seine Wahl selber mit Hochachtung betrachten, und in ihm eine schöne Seele voraussetzen, auf die kein Kunstkenner und Liebhaber, um des Interesse willen, das er an seinen Gegenständen nimmt, Anspruch machen kann. – Was ist nun der Unterschied der so verschiedenen Schätzung zweierlei Objekte, die im Urteile des bloßen Geschmacks einander kaum den Vorzug streitig machen würden?

Wir haben ein Vermögen der bloß ästhetischen Urteilskraft, ohne Begriffe über Formen zu urteilen, und an der bloßen Beurteilung derselben ein Wohlgefallen zu finden, welches wir zugleich jedermann zur Regel machen, ohne daß dieses Urteil sich auf einem Interesse gründet, noch ein solches hervorbringt. – Andererseits haben wir auch ein Vermögen einer intellektuellen Urteilskraft, für bloße Formen praktischer Maximen (sofern sie sich zur allgemeinen Gesetzgebung von selbst qualifizieren) ein Wohlgefallen a priori zu bestimmen, welches wir jedermann zum Gesetze ma chen, ohne daß unser Urteil sich auf irgend einem Interesse gründet, aber doch ein solches hervorbringt. Die Lust oder Unlust im ersteren Urteile heißt die des Geschmacks, die zweite des moralischen Gefühls.

Da es aber die Vernunft auch interessiert, daß die Ideen (für die sie im moralischen Gefühle ein unmittelbares Interesse bewirkt) auch objektive Realität haben, d.i. daß die [234] Natur wenigstens eine Spur zeige, oder einen Wink gebe, sie enthalte in sich irgend einen Grund, eine gesetzmäßige Übereinstimmung ihrer Produkte zu unserm von allem Interesse unabhängigen Wohlgefallen (welches wir a priori für jedermann als Gesetz erkennen, ohne dieses auf Beweisen gründen zu können) anzunehmen: so muß die Vernunft an jeder Äußerung der Natur von einer dieser ähnlichen Übereinstimmung ein Interesse nehmen; folglich kann das Gemüt über die Schönheit der Natur nicht nachdenken, ohne sich dabei zugleich interessiert zu finden. Dieses Interesse aber ist der Verwandtschaft nach moralisch; und der, welcher es am Schönen der Natur nimmt, kann es nur sofern an demselben nehmen, als er vorher schon sein Interesse am Sittlichguten wohlgegründet hat. Wen also die Schönheit der Natur unmittelbar interessiert, bei dem hat man Ursache, wenigstens eine Anlage zu guter moralischer Gesinnung zu vermuten.

Man wird sagen: diese Deutung ästhetischer Urteile auf Verwandtschaft mit dem moralischen Gefühl sehe gar zu studiert aus, um sie für die wahre Auslegung der Chiffreschrift zu halten, wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht. Allein erstlich ist dieses unmittelbare Interesse am Schönen der Natur wirklich nicht gemein, sondern nur denen eigen, deren Denkungsart entweder zum Guten schon ausgebildet, oder dieser Ausbildung vorzüglich empfänglich ist, und dann führt die Analogie zwischen dem reinen Geschmacksurteile, welches, ohne von irgend einem Interesse abzuhängen, ein Wohlgefallen fühlen läßt, und es zugleich a priori als der Menschheit überhaupt anständig vorstellt, mit dem moralischen Urteile, welches eben dasselbe aus Begriffen tut, auch ohne deutliches, subtiles und vorsätzliches Nachdenken, auf ein gleichmäßiges unmittelbares Interesse an dem Gegenstande des ersteren, so wie an dem des letzteren: nur daß jenes ein freies, dieses ein auf objektive Gesetze gegründetes Interesse ist. Dazu kommt noch die Bewunderung der Natur, die sich an ihren [235] schönen Produkten als Kunst, nicht bloß durch Zufall, sondern gleichsam absichtlich, nach gesetzmäßiger Anordnung und als Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zeigt: welchen letzteren, da wir ihn äußerlich nirgend antreffen, wir natürlicher Weise in uns selbst, und zwar in demjenigen, was den letzten Zweck unseres Daseins ausmacht, nämlich der moralischen Bestimmung, suchen (von welcher Nachfrage nach dem Grunde der Möglichkeit einer solchen Naturzweckmäßigkeit aber allererst in der Teleologie die Rede sein wird).

Daß das Wohlgefallen an der schönen Kunst im reinen Geschmacksurteile nicht eben so mit einem unmittelbaren Interesse verbunden ist, als das an der schönen Natur, ist auch leicht zu erklären. Denn jene ist entweder eine solche Nachahmung von dieser, die bis zur Täuschung geht: und alsdann tut sie die Wirkung als (dafür gehaltene) Naturschönheit; oder sie ist eine absichtlich auf unser Wohlgefallen sichtbarlich gerichtete Kunst: alsdann aber würde das Wohlgefallen an diesem Produkte zwar unmittelbar durch Geschmack Statt finden, aber kein anderes als mittelbares Interesse an der zum Grunde liegenden Ursache, nämlich einer Kunst, welche nur durch ihren Zweck, niemals an sich selbst, interessieren kann. Man wird vielleicht sagen, daß dieses auch der Fall sei, wenn ein Objekt der Natur durch seine Schönheit nur in sofern interessiert, als ihr eine moralische Idee beigesellet wird; aber nicht dieses, sondern die Beschaffenheit derselben an sich selbst, daß sie sich zu einer solchen Beigesellung qualifiziert, die ihr also innerlich zukommt, interessiert unmittelbar.

Die Reize in der schönen Natur, welche so häufig mit der schönen Form gleichsam zusammenschmelzend angetroffen werden, sind entweder zu den Modifikationen des Lichts (in der Farbengebung) oder des Schalles (in Tönen) gehörig. Denn diese sind die einzigen Empfindungen, welche nicht bloß Sinnengefühl, sondern auch Reflexion über die Form dieser Modifikationen der Sinne verstatten, und so gleichsam eine Sprache, die die Natur zu uns führt, und die einen höhern Sinn zu haben scheint, in sich enthalten. So [236] scheint die weiße Farbe der Lilie das Gemüt zu Ideen der Unschuld, und nach der Ordnung der sieben Färben, von der roten an bis zur violetten, 1) zur Idee der Erhabenheit, 2) der Kühnheit, 3) der Freimütigkeit, 4) der Freundlichkeit, 5) der Bescheidenheit, 6) der Standhaftigkeit, und 7) der Zärtlichkeit zu stimmen. Der Gesang der Vögel verkündigt Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit seiner Existenz. Wenigstens so deuten wir die Natur aus, es mag dergleichen ihre Absicht sein oder nicht. Aber dieses Interesse, welches wir hier an Schönheit nehmen, bedarf durchaus, daß es Schönheit der Natur sei; und es verschwindet ganz, sobald man bemerkt, man sei getäuscht, und es sei nur Kunst: sogar, daß auch der Geschmack alsdann nichts Schönes, oder das Gesicht etwas Reizendes mehr daran finden kann. Was wird von Dichtern höher gepriesen, als der bezaubernd schöne Schlag der Nachtigall, in einsamen Gebüschen, an einem stillen Sommerabende, bei dem sanften Lichte des Mon des? Indessen hat man Beispiele, daß, wo kein solcher Sänger angetroffen wird, irgend ein lustiger Wirt seine zum Genuß der Landluft bei ihm eingekehrten Gäste dadurch zu ihrer größten Zufriedenheit hintergangen hatte, daß er einen mutwilligen Burschen, welcher diesen Schlag (mit Schilf oder Rohr im Munde) ganz der Natur ähnlich nachzumachen wußte, in einem Gebüsche verbarg. Sobald man aber inne wird, daß es Betrug sei, so wird niemand es lange aushalten, diesem vorher für so reizend gehaltenen Gesänge zuzuhören; und so ist es mit jedem anderen Singvogel beschaffen. Es muß Natur sein, oder von uns dafür gehalten werden, damit wir an dem Schönen als einem solchen ein unmittelbares Interesse nehmen können; noch mehr aber, wenn wir gar andern zumuten dürfen, daß sie es daran nehmen sollen, welches in der Tat geschieht, indem wir die Denkungsart derer für grob und unedel halten, die kein Gefühl für die schöne Natur haben (denn so nennen wir die Empfänglichkeit eines Interesse an ihrer Betrachtung), und sich bei der Mahlzeit oder der Bouteille am Genüsse bloßer Sinnesempfindungen halten.

§ 45. Schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint

[240] An einem Produkte der schönen Kunst muß man sich bewußt werden, daß es Kunst sei, und nicht Natur; aber doch muß die Zweckmäßigkeit in der Form desselben von allem Zwange willkürlicher Regeln so frei scheinen, als ob es ein Produkt der bloßen Natur sei. Auf diesem Gefühle der Freiheit im Spiele unserer Erkenntnisvermögen, welches doch zugleich zweckmäßig sein muß, beruht diejenige Lust, [241] welche allein allgemein mitteilbar ist, ohne sich doch auf Begriffe zu gründen. Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah; und die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Kunst, und sie uns doch als Natur aussieht.

Denn wir können allgemein sagen, es mag die Natur oder die Kunstschönheit betreffen: schön ist das, was in der bloßen Beurteilung (nicht in der Sinnenempfindung, noch durch einen Begriff) gefällt. Nun hat Kunst jederzeit eine bestimmte Absicht, etwas hervorzubringen. Wenn dieses aber bloße Empfindung (etwas bloß Subjektives) wäre, die mit Lust begleitet sein sollte, so würde dies Produkt, in der Beurteilung, nur vermittelst des Sinnengefühls gefallen. Wäre die Absicht auf die Hervorbringung eines bestimmten Objekts gerichtet, so würde, wenn sie durch die Kunst erreicht wird, das Objekt nur durch Begriffe gefallen. In beiden Fällen aber würde die Kunst nicht in der bloßen Beurteilung, d.i. nicht als schöne, sondern mechanische Kunst gefallen.

Also muß die Zweckmäßigkeit im Produkte der schönen Kunst, ob sie zwar absichtlich ist, doch nicht absichtlich scheinen; d.i. schöne Kunst muß als Natur anzusehen sein, ob man sich ihrer zwar als Kunst bewußt ist. Als Natur aber erscheint ein Produkt der Kunst dadurch, daß zwar alle Pünktlichkeit in der Übereinkunft mit Regeln, nach denen allein das Produkt das werden kann, was es sein soll, angetroffen wird; aber ohne Peinlichkeit, ohne daß die Schulform durchblickt, d.i. ohne eine Spur zu zeigen, daß die Regel dem Künstler vor Augen geschwebt, und seinen Gemütskräften Fesseln angelegt habe.

§ 46. Schöne Kunst ist Kunst des Genies

[241] Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. Da das Talent, als angebornes produktives Vermögen des Künstlers, selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: Genie ist die angeborne [242] Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt.

Was es auch mit dieser Definition für eine Bewandtnis habe, und ob sie bloß willkürlich, oder dem Begriffe, welchen man mit dem Worte Genie zu verbinden gewohnt ist, angemessen sei, oder nicht (welches in dem folgenden § erörtert werden soll): so kann man doch schon zum voraus beweisen, daß, nach der hier angenommenen Bedeutung des Worts, schöne Künste notwendig als Künste des Genies betrachtet werden müssen.

Denn eine jede Kunst setzt Regeln voraus, durch deren Grundlegung allererst ein Produkt, wenn es künstlich heißen soll, als möglich vorgestellt wird. Der Begriff der schönen Kunst aber verstattet nicht, daß das Urteil über die Schönheit ihres Produkts von irgend einer Regel abgeleitet werde, die einen Begriff zum Bestimmungsgrunde habe, mithin einen Begriff von der Art, wie es möglich sei, zum Grunde lege. Also kann die schöne Kunst sich selbst nicht die Regel ausdenken, nach der sie ihr Produkt zu Stande bringen soll. Da nun gleichwohl ohne vorhergehende Regel ein Produkt niemals Kunst heißen kann, so muß die Natur im Subjekte (und durch die Stimmung der Vermögen desselben) der Kunst die Regel geben, d.i. die schöne Kunst ist nur als Produkt des Genies möglich.

Man sieht hieraus, daß Genie 1) ein Talent sei, dasjenige, wozu sich keine bestimmte Regel geben läßt, hervorzubringen: nicht Geschicklichkeitsanlage zu dem, was nach irgend einer Regel gelernt werden kann; folglich daß Originalität seine erste Eigenschaft sein müsse. 2) Daß, da es auch originalen Unsinn geben kann, seine Produkte zugleich Muster, d.i. exemplarisch sein müssen; mithin, selbst nicht durch Nachahmung entsprungen, anderen doch dazu, d.i. zum Richtmaße oder Regel der Beurteilung, dienen müssen. 3) Daß es, wie es sein Produkt zu Stande bringe, selbst nicht beschreiben, oder wissenschaftlich anzeigen könne, sondern daß es als Natur die Regel gebe; und daher [243] der Urheber eines Produkts, welches er seinem Genie verdankt, selbst nicht weiß, wie sich in ihm die Ideen dazu herbeifinden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmäßig auszudenken, und anderen in solchen Vorschriften mitzuteilen, die sie in Stand setzen, gleichmäßige Produkte hervorzubringen. (Daher denn auch vermutlich das Wort Genie von genius, dem eigentümlichen einem Menschen bei der Geburt mitgegebenen schützenden und leitenden Geist, von dessen Eingebung jene originale Ideen herrührten, abgeleitet ist.) 4) Daß die Natur durch das Genie nicht der Wissenschaft, sondern der Kunst die Regel vorschreibe; und auch dieses nur, in sofern diese letztere schöne Kunst sein soll.

§ 59. Von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit

[294] Die Realität unserer Begriffe darzutun werden immer Anschauungen erfordert. Sind es empirische Begriffe, so heißen die letzteren Beispiele. Sind jene reine Verstandesbegriffe, so werden die letzteren Schemate genannt. Verlangt [295] man gar, daß die objektive Realität der Vernunftbegriffe, d.i. der Ideen, und zwar zum Behuf des theoretischen Erkenntnisses derselben dargetan werde, so begehrt man etwas Unmögliches, weil ihnen schlechterdings keine Anschauung angemessen gegeben werden kann.

Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum), als Versinnlichung, ist zwiefach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch, d.i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach, übereinkommt.

Es ist ein von den neuem Logikern zwar angenommener, aber sinnverkehrender, unrechter Gebrauch des Worts symbolisch, wenn man es der intuitiven Vorstellungsart entgegensetzt; denn die symbolische ist nur eine Art der intuitiven. Die letztere (die intuitive) kann nämlich in die schematische und in die symbolische Vorstellungsart eingeteilt werden. Beide sind Hypotyposen, d.i. Darstellungen (exhibitiones): nicht bloße Charakterismen, d.i. Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen, die gar nichts zu der Anschauung des Objekts Gehöriges enthalten, sondern nur jenen, nach dem Gesetze der Assoziation der Einbildungskraft, mithin in subjektiver Absicht, zum Mittel der Reproduktion dienen; dergleichen sind entweder Worte, oder sichtbare (algebraische, selbst mimische) Zeichen, als bloße Ausdrücke für Begriffe.[23]

Alle Anschauungen, die man Begriffen a priori unterlegt, sind also entweder Schemate oder Symbole, wovon [296] die erstern direkte, die zweiten indirekte Darstellungen des Begriffs enthalten. Die erstern tun dieses demonstrativ, die zweiten vermittelst einer Analogie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedient), in welcher die Urteilskraft ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden. So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur symbolisch vorgestellt. Denn, zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren. Dies Geschäft ist bis jetzt noch wenig auseinander gesetzt worden, so sehr es auch eine tiefere Untersuchung verdient; allein hier ist nicht der Ort, sich dabei aufzuhalten. Unsere Sprache ist voll von dergleichen indirekten Darstellungen, nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält. So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), abhängen (von oben gehalten werden), woraus fließen (statt folgen), Substanz (wie Locke sich ausdrückt: der Träger der Akzidenzen), und unzählige andere nicht schematische, sondern symbolische Hypotyposen, und Ausdrücke für Begriffe nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben, d.i. der Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann. Wenn man eine bloße Vorstellungsart schon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn sie ein Prinzip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes ist, was er an sich, sondern der praktischen, [297] was die Idee von ihm für uns und den zweckmäßigen Gebrauch derselben werden soll, wohl erlaubt ist): so ist alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch; und der, welcher sie mit den Eigenschaften Verstand, Wille, u.s.w., die allein an Weltwesen ihre objektive Realität beweisen, für schematisch nimmt, gerät in den Anthropomorphism, so wie, wenn er alles Intuitive wegläßt, in den Deism, wodurch überall nichts, auch nicht in praktischer Absicht, erkannt wird.

Nun sage ich: das Schöne ist das Symbol des Sittlichguten; und auch nur in dieser Rücksicht (einer Beziehung, die Jedermann natürlich ist, und die auch jedermann andern als Pflicht zumutet) gefällt es, mit einem Ansprüche auf jedes andern Bestimmung, wobei sich das Gemüt zugleich einer gewissen Veredlung und Erhebung über die bloße Empfänglichkeit einer Lust durch Sinneneindrücke bewußt ist, und anderer Wert auch nach einer ähnlichen Maxime ihrer Urteilskraft schätzet. Das ist das Intelligibele, worauf, wie der vorige Paragraph Anzeige tat, der Geschmack hinaussieht, wozu nämlich selbst unsere oberen Erkenntnisvermögen zusammenstimmen, und ohne welches zwischen ihrer Natur, verglichen mit den Ansprüchen, die der Geschmack macht, lauter Widersprüche erwachsen würden. In diesem Vermögen sieht sich die Urteilskraft nicht, wie sonst in empirischer Beurteilung, einer Heteronomie der Erfahrungsgesetze unterworfen: sie gibt in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz, so wie die Vernunft es in Ansehung des Begehrungsvermögens tut; und sieht sich, sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen verknüpft ist, bezogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen, auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird. Wir wollen einige Stücke dieser Analogie anführen, [298] indem wir zugleich die Verschiedenheit derselben nicht unbemerkt lassen.

1) Das Schöne gefällt unmittelbar (aber nur in der reflektierenden Anschauung, nicht, wie Sittlichkeit, im Begriffe). 2) Es gefällt ohne alles Interesse (das Sittlichgute zwar notwendig mit einem Interesse, aber nicht einem solchen, was vor dem Urteile über das Wohlgefallen vorhergeht, verbunden, sondern was dadurch allererst bewirkt wird). 3) Die Freiheit der Einbildungskraft (also der Sinnlichkeit unseres Vermögens) wird in der Beurteilung des Schönen mit der Gesetzmäßigkeit des Verstandes als einstimmig vorgestellt (im moralischen Urteile wird die Freiheit des Willens als Zusammenstimmung des letzteren mit sich selbst nach allgemeinen Vernunftgesetzen gedacht). 4) Das subjektive Prinzip der Beurteilung des Schönen wird als allgemein, d.i. für jedermann gültig, aber durch keinen allgemeinen Begriff kenntlich, vorgestellt (das objektive Prinzip der Moralität wird auch für allgemein, d.i. für alle Subjekte, zugleich auch für alle Handlungen desselben Subjekts, und dabei durch einen allgemeinen Begriff kenntlich, erklärt). Daher ist das moralische Urteil nicht allein bestimmter konstitutiver Prinzipien fähig, sondern ist nur durch Gründung der Maximen auf dieselben und ihre Allgemeinheit möglich.

Die Rücksicht auf diese Analogie ist auch dem gemeinen Verstande gewöhnlich; und wir benennen schöne Gegenstände der Natur, oder der Kunst, oft mit Namen, die eine sittliche Beurteilung zum Grunde zu legen scheinen. Wir nennen Gebäude oder Bäume majestätisch und prächtig, oder Gefilde lachend und fröhlich; selbst Farben werden unschuldig, bescheiden, zärtlich genannt, weil sie Empfindungen erregen, die etwas mit dem Bewußtsein eines durch moralische Urteile bewirkten Gemütszustandes Analogisches enthalten. Der Geschmack macht gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse, ohne einen zu gewaltsamen Sprung, möglich, indem er die Einbildungskraft auch in ihrer Freiheit als zweckmäßig [299] für den Verstand bestimmbar vorstellt, und sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freies Wohlgefallen finden lehrt.

 

[5] Ein Urteil über einen Gegenstand des Wohlgefallens kann ganz uninteressiert, aber doch sehr interessant sein, d.i. es gründet sich auf keinem Interesse, aber es bringt ein Interesse hervor; dergleichen sind alle reine moralische Urteile. Aber die Geschmacksurteile begründen an sich auch gar kein Interesse. Nur in der Gesellschaft wird es interessant, Geschmack zu haben, wovon der Grund in der Folge angezeigt werden wird.

[7] Muster des Geschmacks in Ansehung der redenden Künste müssen in einer toten und gelehrten Sprache abgefaßt sein: das erste, um nicht die Veränderungen erdulden zu müssen, welche die lebenden unvermeidlicher Weise trifft, daß edle Ausdrücke platt, gewöhnliche veraltet, und neugeschaffene in einen nur kurz daurenden Umlauf gebracht werden; das zweite, damit sie eine Grammatik habe, welche keinem mutwilligen Wechsel der Mode unterworfen sei, sondern ihre unveränderliche Regel hat.

[8] Man wird finden, daß ein vollkommen regelmäßiges Gesicht, welches der Maler ihm zum Modell zu sitzen bitten möchte, gemeiniglich nichts sagt; weil es nichts Charakteristisches enthält, also mehr die Idee der Gattung, als das Spezifische einer Person ausdrückt. Das Charakteristische von dieser Art, was übertrieben ist, d.i. welches der Normalidee (der Zweckmäßigkeit der Gattung) selbst Abbruch tut, heißt Karikatur. Auch zeigt die Erfahrung: daß jene ganz regelmäßigen Gesichter im Innern gemeiniglich auch nur einen mittelmäßigen Menschen verraten; vermutlich (wenn angenommen werden darf, daß die Natur im Äußeren die Proportionen des Inneren ausdrücke) deswegen: weil, wenn keine von den Gemütsanlagen über diejenige Proportion hervorstechend ist, die erfordert wird, bloß einen fehlerfreien Menschen auszumachen, nichts von dem, was man Genie nennt, erwartet werden darf, in welchem die Natur von ihren gewöhnlichen Verhältnissen der Gemütskräfte zum Vorteil einer einzigen abzugehen scheint.

[9] Man könnte wider diese Erklärung als Instanz anführen: daß es Dinge gibt, an denen man eine zweckmäßige Form sieht, ohne an ihnen einen Zweck zu erkennen; z.B. die öfter aus alten Grabhügeln gezogenen, mit einem Loche, als zu einem Hefte, versehenen steinernen Geräte, die, ob sie zwar in ihrer Gestalt eine Zweckmäßigkeit deutlich verraten, für die man den Zweck nicht kennt, darum gleichwohl nicht für schön erklärt werden. Allein, daß man sie für ein Kunstwerk ansieht, ist schon genug, um gestehen zu müssen, daß man ihre Figur auf irgend eine Absicht und einen bestimmten Zweck bezieht. Daher auch gar kein unmittelbares Wohlgefallen an ihrer Anschauung. Eine Blume hingegen, z.B. eine Tulpe, wird für schön gehalten, weil eine gewisse Zweckmäßigkeit, die so, wie wir sie beurteilen, auf gar keinen Zweck bezogen wird, in ihrer Wahrnehmung angetroffen wird.

[13] Man sieht bald, daß Aufklärung zwar in thesi leicht, in hypothesi aber eine schwere und langsam auszuführende Sache sei; weil mit seiner Vernunft nicht passiv, sondern jederzeit sich selbst gesetzgebend zu sein zwar etwas ganz Leichtes für den Menschen ist, der nur seinem wesentlichen Zwecke angemessen sein will, und das, was über seinen Verstand ist, nicht zu wissen verlangt; aber, da die Bestrebung zum letzteren kaum zu verhüten ist, und es an andern, welche diese Wißbegierde befriedigen zu können mit vieler Zuversicht versprechen, nie fehlen wird: so muß das bloß Negative (welches die eigentliche Aufklärung ausmacht) in der Denkungsart (zumal der öffentlichen) zu erhalten, oder herzustellen, sehr schwer sein.

[14] Man könnte den Geschmack durch sensus communis aestheticus, den gemeinen Menschenverstand durch sensus communis logicus, bezeichnen.

[23] Das Intuitive der Erkenntnis muß dem Diskursiven (nicht dem Symbolischen) entgegen gesetzt werden. Das erstere ist nun entweder schematisch, durch Demonstration; oder symbolisch, als Vorstellung nach einer bloßen Analogie.

Editorische Notiz

Publikationsvorlage: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. In: Weischedel, Wilhelm (Hg.): Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band X. Frankfurt a. M., 1977. Die in eckigen Klammern angegebenen Zahlen rekurrieren auf die Paginierung in diesem Band, die nummerischen Fußnoten auf die eigenen Anmerkungen Kants. Dem Druck der Werkausgabe liegt die zweite Auflage der KdU von 1793 zugrunde, die partiell anhand Kants Druckfehlerverzeichnis der ersten Auflage korrigiert wurde. Kants Sprachduktus wurde beibehalten, um interpretatorische Verzerrungen zu vermeiden; Interpunktion und Orthografie wurden teilweise an die Konventionen von 1963 angeglichen. Text in digitalisierter Form auf http://www.zeno.org/Philosophie/M/Kant,+Immanuel/Kritik+der+Urteilskraft. (Stand: 24.05.2011). – Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert, gesperrt gedruckte Hervorhebungen kursiviert. Die nummerierten Fußnoten wurden aus der Publikationsvorlage übernommen.

Kommentar

In seiner Schrift „Kritik der Urteilskraft“, deren erste Auflage 1790 erschien, eruiert Kant (1724-1804) analog zum logischen Verstandesurteil die Möglichkeit eines reflexiven Geschmackurteils, das sich auf dem subjektiven Gefühl der Lust bzw. Unlust des Individuums gründet. Das Wohlgefallen, das es beim Anblick des Schönen empfindet, rührt dabei von einer rein formalen Zweckmäßigkeit her, die sich durch das harmonische Zusammenspiel von Verstand und Einbildungskraft herstellt. Gleichwohl ist das sensualistische Geschmacksurteil frei von allem Interesse, es entsagt der begrifflichen Prädikation des Objektes wie der moralischen Evaluation desselben. Durch diese Unabhängigkeit profiliert sich das Schöne auch von dem Angenehmen sowie dem Guten. Kant konstatiert, dass das subjektive Urteil des einzelnen Individuums immer reduktionistisch und somit defizitär bleiben muss. Daher fügt er dem solipsistischen Zugang zum Schönen mit dem ’sensus communis‘ eine dialogische Komponente hinzu. Erst wenn das Subjekt in Kommunikation mit anderen tritt, wird das eigene Urteil zum intersubjektiv-gültigen Geschmacksurteils sublimiert.
Kants wesentliches Verdienst besteht darin, dass er mit dem Terminus „interessenloses Wohlgefallen“ die Autonomie des Schönen definiert. Er erhält die Dichotomie zwischen dem Schönen und dem sinnlich Attraktiven und versucht zugleich, die Allgemeingültigkeit des begriffslosen, subjektiven Geschmacksurteils zu legitimieren. Seine Überlegungen zur Ästhetik wurden breit rezipiert. So zeigen etwa Schillers Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ deutlich kantianischen Einfluss, und noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts revitaliserte Hannah Arendt die Idee des ’sensus communis‘ in ihrer Lesart der „Kritik der Urteilskraft“ als Kants politische Philosophie.

Literaturhinweise

Arendt, Hannah: Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie. Hrsg. von Ronald Beiner. München 1985.
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Felten, Gundula: Die Funktion des ’senus communis‘ in Kants Theorie des ästhetischen Urteils. Paderborn 2004.
Franke, Ursula (Hg.): Kants Schlüssel zur Kritik des Geschmacks: ästhetische Erfahrung heute – Studien zur Aktualität von Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘. Hamburg 2000.
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Höffe, Otfried (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der Urteilskraft. Berlin 2008.
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Bearbeitet von: Benjamin Puls