Ein wissenschaftsgeschichtliches Projekt zur 68er-Zeit

Von Sabine KolochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Koloch

Wie verlief das Protestjahr 1968 im Fach Germanistik und worin äußerten sich die Folgen? Welche angestauten Probleme und berechtigten Bedürfnisse verlagerten sich mit den 1965 anhebenden studentischen Protestwellen an die Oberfläche und welche Konflikte spitzten sich um 1968 zu polarisierenden Machtkämpfen zu? Wie reagierten die Führungsspitzen der einzelnen germanistischen Institute auf die studentischen und assistentischen Forderungen? Was machte den Berliner Germanistentag so legendär?

Auf diese und weitere Fragen suchten die Beiträger*innen zu diesem Sammelwerk Antworten. Ein besonderes Augenmerk lag auf unbekannten oder schwer zugänglichen Dokumenten und dem Aufspüren vergessener Achtundsechziger*innen. Eines der Hauptergebnisse lautet: „1968“ war ein deutlich wahrnehmbarer Einschnitt in der Fachentwicklung.

Für diese Einordnung sprechen die alles bis dahin Bekannte in den Schatten stellenden massenhaften Proteste der Studierenden der Germanistik, ihr Ausprobieren neuer und auch härterer Protestformen, die Gründung neuartiger Zusammenschlüsse wie etwa der Ad-hoc-Gruppe Germanistik der Freien Universität Berlin, das demonstrative Zusammenrücken von Studierenden und Vertreter*innen aus dem Mittelbau, ihre offene Kritik an bestehenden Missständen, überlebten Strukturen und überholten Traditionen, ihr Hinwirken auf eine modernisierte, am Demokratie- und Rationalitätsgedanken ausgerichtete Germanistik, eine Germanistik, die um ihre gesellschaftliche Funktion weiß, auf dieser Basis ihr Selbstverständnis und ihre Zuständigkeiten neu bestimmt und ihre Zukunft aktiv mitgestaltet, eine Germanistik, die Klarheit herstellt in Bezug auf ihre Geschichte, ihre Lehrgegenstände, ihre wissenschaftlichen Standards und nach welchen überprüfbaren Kriterien der wissenschaftliche Nachwuchs auszuwählen ist. Für diese Einordnung spricht auch deren Opponieren gegen asymmetrische institutsinterne Machtverhältnisse und gegen einen autoritären Führungsstil wie auch die beispiellose Demontage und Schwächung der Autorität des 1968 amtierenden Vorstands des Deutschen Germanistenverbandes. Hinzu kommt die einen Höhepunkt an institutioneller Selbstreflexion sichtbar machende Bibliografie Topographie der Germanistik. Standortbestimmungen 1966‒1971 (Berlin: Erich Schmidt 1971). Mit Nachdruck hinzuweisen ist zudem auf den teilweise maßgeblichen Beitrag der Studierenden zur Verbesserung der Studienbedingungen und damit zusammenhängend den kometenhaften Aufstieg der Hochschuldidaktik und der Didaktik des Literatur- und Sprachunterrichts, das neue Seminarformat „Tutorium“, die neue Planungshilfe „Kommentierte Vorlesungsverzeichnisse“, der erste von zwei Studenten verfasste und im Berliner Verlag Elwert und Meurer veröffentlichte Studienführer, die erste von einem Studenten geschriebene und in der überregionalen Wochenzeitung Die Zeit veröffentlichte Germanistentagbesprechung, studentische Vorlesungsrezensionen, ferner die Einrichtung von Kritischen Universitäten und das in diesem Rahmen praktizierte Leitbild „selbstbestimmtes Studieren und Forschen“. Eine herausragende Bedeutung kommt darüber hinaus dem Thematisieren von Machtmissbräuchen, Unterdrückungsmechanismen, Willkürakten sowie von Kommunikationsdefiziten und -hemmnissen in den Kontexten Unterricht, Betreuung und Forschung zu.

Für die Entstehungsgeschichte und die konzeptionellen Grundlagen des Forschungsprojektes verweise ich auf den Schlussbeitrag Ein Stück nachgeholter germanistischer Fachgeschichte. An diesem Ort erfolgt auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand anhand ausgewählter paradigmatischer Beispiele. Außerdem wird dort ein Fazit gezogen.

 

I.

Die erste Rubrik dieses Bandes versammelt unter der Überschrift „Nachkriegsgermanistik in der Kritik“ Beiträge zu Positionen, Praktiken und Kontroversen, die trotz ihrer zum Teil erheblichen Relevanz entweder keine oder keine breitere Beachtung in der Fachgeschichtsforschung gefunden haben oder nur randständig behandelt wurden. Ziel war es, die Frage, was war 1968 neu und was war schon da, auf einer verbreiterten Quellen- und Faktengrundlage und so präzise wie möglich beantworten zu können.

Die auf den 20. Dezember 1945 datierten maschinengeschriebenen „Vorschläge zur weltanschaulich-politischen Aktivierung der Universitätsarbeit“ von Klaus Ziegler stehen beispielhaft für eine Textquelle, die neu in die Forschung eingeführt wird und auf fast schon beklemmende Art und Weise vor Augen führt, worüber unmittelbar nach dem Krieg Diskussionsbedarf bestand.[1] In dem 6-seitigen Exposé wird „Sachlichkeit“ als Wert an sich und Diskursmodus von Wissenschaft gewürdigt und es ist von der „Parteiendemokratie“ und vom „demokratischen Geist“ die Rede,[2] bevor die Themen „Objektivität als Lebenswert“, „Die Geistesgeschichtlichen Grundlagen der nationalsozialistischen Welt- und Geschichtsanschauung“, „Der metaphysisch-religiöse Sinn des NS“, „Biologie und Weltanschauung“, „Idee und Wirklichkeit der Rasse“ und „Sinn und Grenzen der soldatischen Lebensform“ zu Gegenständen erklärt werden, über die zu diskutieren wäre.

Von der 1944 aufgelösten „Reichsuniversität“ Straßburg, wo er seit 1942 bei dem vormaligen Göttinger Mitstudenten Gerhard Fricke wissenschaftlicher Assistent war, an die Universität Göttingen versetzt, rät Ziegler, damals Dozent für Deutsche Philologie, mit Blick auf die Germanistik zu einem „Arbeitskreis für Gegenwartsfragen“ und einer „Sammelvorlesung“ nach Art eines Studium generale oder einer Ringvorlesung. Eine Vorlesungsreihe war es denn auch, die mich veranlasste, Jürgen Babendreier mit der Aufgabe zu betrauen, die Person Ziegler und dessen Vortrag, gehalten an der Tübinger Universität im Rahmen der im Wintersemester 1964/65 durchgeführten neuartigen Ringvorlesung „Das deutsche Geistesleben und der Nationalsozialismus“, vorzustellen.[3] Der Verfasser gelangt zu einem zwiespältigen Ergebnis: Ziegler war ohne Zweifel ein erklärter Gegner des NS-Regimes und hatte unter Repressalien zu leiden. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich von Gerhard Fricke protegieren zu lassen, der den symbolischen Akt der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Göttingen mit einer prophetisch beschwörenden Rede bekräftigt hatte.

Das kommunikative Beschweigen von Unrechtshandlungen hat in der Germanistik eine lange Tradition. Zwar verdient ohne Abstriche Anerkennung, dass Ziegler in der Druckfassung seines Tübinger Vortrages die problematische Rolle der Germanistik als Wegbereiterin der NS-Diktatur und das Fortbestehen von Elementen der NS-Ideologie in der Germanistik seiner Zeit offen artikulierte. Andererseits bürdete er, dem Zeitgeist folgend, die gründliche und ausgewogene Untersuchung des Unrechts, das an seinen Fachkolleg*innen zwischen 1933 und 1945 verübt wurde, unausgesprochen den „unbelasteten“ nachfolgenden Generationen auf.[4] Doch hier fehlte es in der Regel an der Bereitschaft, „die ganze Geschichte, die ganze Wahrheit“ (Fritz Bauer) erfahren zu wollen und auf systematischen, verlässlichen Studien basierend ein mehr als rudimentäres Unrechts- und Verantwortungsbewusstsein zu einem festen Bestandteil der Fachkultur zu machen. Beispiele aus der Nachkriegszeit, die offene oder versteckte Diskriminierungen eindrucksvoll belegen, sind Hildegard Emmel[5] und Paul-Gerhard Völker.[6]

Dass Fälle wie Emmel und Völker bis heute kein Diskussionsthema sind, hat tiefliegende Gründe. In der Germanistik hat sich nach Kriegsende stillschweigend die Ansicht durchgesetzt, berufliche Professionalisierung dürfe als Grund für Moralverzicht und für Gefühlskälte (sogar bis zu Sadismus) herhalten.[7] Das eine wie das andere wurde zu Sachlichkeit und Angemessenheit hochstilisiert. Als Motto seines Protestbuches Die Revolte der Studenten (Hamburg: Christian Wegner Verlag 1967) wählte der Journalist und Autor Kai Hermann bewusst zwei Zitate, deren Verfasser ethische Maßstäbe an Hochschulen anlegten. Das eine stammt von Jacob Grimm, das andere von Rudolf Walter Leonhardt:

Die deutschen hohen Schulen, solange ihre bewährte und treffliche Einrichtung stehen bleiben wird, sind nicht bloß der zu- und abströmenden Menge der Jünglinge, sondern auch der genau darauf berechneten Eigenheiten der Lehrer wegen höchst reizbar und empfindlich für alles, was im Land Gutes oder Böses geschieht. Wäre dem anders, sie würden aufhören, ihren Zweck so wie bisher, zu erfüllen. Der offne, unverdorbene Sinn der Jugend fordert, daß auch die Lehrenden, bei aller Gelegenheit, jede Frage über wichtige Lebens- und Staatsverhältnisse auf ihren reinsten und sittlichsten Gehalt zurückführen und mit redlicher Wahrheit beantworten.[8]

Wie sehr sich die Geschichte Deutschlands in den deutschen Hochschulen spiegelt, hat etwas Erschreckendes.[9]

Beide Gewährspersonen sind im vorliegenden Sammelband präsent, Grimm im Beitrag zu Klaus Ziegler, Leonhardt, von dem die Reform- und Streitschrift Der Sündenfall der deutschen Germanistik. Vorschläge zur Wiederbelebung des literarischen Bewußtseins in der Bundesrepublik (Zürich, Stuttgart: Artemis-Verlag 1959) stammt, in den dazu verfassten Beiträgen von Roger Paulin und Jürgen Babendreier. Der Tod des bekannten Hamburger Ordinarius Hans Pyritz am 3. März 1958 setzte eine kontroverse Debatte in Gang, an deren Ende eine schmale Buchpublikation stand, deren Haupttitel plakativ auf den moralischen Verfall der Germanistik vor und in der NS-Zeit anspielt. Den Part des langjährigen Feuilleton-Chefs der Zeit in dieser Auseinandersetzung beschreibt und kommentiert Paulin in seinem Aufsatz Antizipierend, aber ZEITgemäß. Rudolf Walter Leonhardts „Sündenfall der deutschen Germanistik“ (1959). Die Recherchen von Paulin weitertreibend, weist Babendreier in seinem Aufsatz Deutsche Nachkriegsgermanistik ohne Nullpunkt. Ein Sündenfall wird rezensiert auf das Phänomen der Vermeidung der Worte „Jude/jüdisch“ durch die von ihm untersuchten Verfasser ohne jüdischen Hintergrund hin.[10] In seiner Wirkung kommt dieser von Unsicherheit und Unwissen beherrschte Umgang mit dem Jüdischsein von Fachkollegen faktisch einer Zensur nahe. Auf der gleichen Linie liegt die Beobachtung von Roger Paulin, Leonhardt habe im Sündenfall der deutschen Germanistik das Phänomen der Männerdominanz im Universitätsbetrieb nicht bedauert, obschon er während seiner Zeit als Dozent an der Universität Cambridge eine Frau, Eliza Marian Butler, zur Chefin hatte.[11]

Unsere gemeinsamen Forschungsbemühungen waren von dem Gedanken geleitet, auch solche Germanist*innen in die Fachhistorie einzubürgern, die keine, nur für eine begrenzte Zeit oder erst in späteren Jahren eine Hochschullaufbahn ergriffen haben, sich mit dem Fach Germanistik aber so stark identifizierten, dass sie es günstig zu beeinflussen suchten oder Veränderungen tatsächlich anstießen. Dazu zählt an prominenter Stelle Hildegard Brenner, Jahrgang 1927, bis zum Fall der Berliner Mauer eine der großen deutschen Intellektuellen der Nachkriegs-BRD, seit 1964 Herausgeberin der Zeitschrift Alternative und von 1971 bis 1978 ordentliche Professorin für Literaturtheorie und -soziologie an der Universität Bremen.[12] Dazu zählt der 1954 ins Londoner Exil zurückgekehrte deutsch-jüdische Germanist Albert Malte Wagner; mit ihm und seinen einflussreichen Gegenspielern Ulrich Pretzel und Erik Lunding beschäftigt sich Kai Köhlers Beitrag mit dem Titel Der Ärger der Ertappten. Eine Leserzuschrift Albert Malte Wagners an DIE ZEIT löste 1958 eine vergangenheitspolitische Kontroverse über die Germanistik aus. Dazu zählen Rudolf Walter Leonhardt, Walter Boehlich (Der deutsche Germanistentag. Oder: Lehren aus einem unfreiwilligen Lernprozeß[13]) und Sibylle Wirsing (Die Unruhe, einmal ausgebrochen, wird weiterwirken. Germanistik geht alle an[14]). Dazu zählen der Luchterhand-Verlagsleiter Eduard Reifferscheid, der Hanser-Lektor Jürgen Kolbe und andere mehr.

Wer für die zeitgeschichtliche Forschung brachliegendes Quellenmaterial nutzbar zu machen sucht, weiß um dieses Problem: Das Urheberrecht an Archivalien kann zur unüberwindlichen Hürde werden. Ein bitterer Beweis ist das WDR-Sendemanuskript „Germanen und Germanisten. Nationalismus in der Germanistik – Ausschnitte vom Germanistentag 1966 mit Kommentaren und Diskussionen“, lediglich in Auszügen wiedergegeben im Anhang des Beitrages Germanistik, Politik und das generationsübergreifende Projekt. „Vergangenheitsbewältigung“. Peter Schütts Diskussionsbeitrag für „Die Welt“ 1966. Wegen der nicht zu klärenden Frage, wer die Maschinenschrift seinerzeit anfertigte, durfte ich dieses einzigartige Zeitzeugnis nicht im Volltext veröffentlichen, auch wenn das Studiogespräch, zu dem Karl Otto Conrady und Walter Boehlich eingeladen waren und das Gerhard Reitschert moderierte, meine Ausführungen zu Peter Schütts Impulsbeitrag in der Welt und den Abschnitt „Theorie, Politik, Wissenschaft: begriffliche Präzisierungen und Abgrenzungen“ im Beitrag Diskussionsplattform der undogmatischen Linken: Die Zeitschrift „Alternative“ und ihre Herausgeberin Hildegard Brenner inhaltlich außerordentlich gut ergänzt hätte.

Peter Schütts Artikel für die Welt vom 5. November 1966 trägt den programmatischen Titel Für die Öffnung nach links. Auf der gleichen Zeitungsseite meldeten sich die Ordinarien Hugo Kuhn und Benno von Wiese mit Stellungnahmen zu Wort.[15] Zu dieser Zeit saß der „junge Frondeur“, wie Schütt von der Welt-Redaktion genannt wurde, an seiner Dissertation, die er Ende 1967 an der Universität Hamburg einreichen würde (abgeschlossen wurde das Verfahren aber erst 1971). 1966 war Schütt bereits wissenschaftlicher Assistent, das heißt er gehörte zum Zeitpunkt der Entstehung seines Welt-Artikels zwei Statusgruppen an. Hintergrund des Artikels war der Germanistentag in München, der im Oktober zwar dissonant, aber ohne die Gefahr außer Kontrolle geratender Konflikte über die Bühne gegangen war. Im gleichen Monat wie dieser historische Germanistentag erschien im Germanistik-Studium, herausgegeben von der Institutsvertretung des Germanischen Seminars der Freien Universität (FU) Berlin, dessen Aufsatz Philologie oder Wesenskunde. Das Selbstverständnis der westdeutschen Germanistik. Am 12. Dezember 1967 hielt Schütt als Vertreter der Kritischen Universität Hamburg an der FU Berlin den Vortrag „Bildnis eines Doyen. Zur Rolle Benno von Wieses in der deutschen Germanistik“,[16] worin er die NS-belastete Vergangenheit des Bonner Professors für neuere deutsche Philologie und Literatur aufrollte und mit seiner aktuellen Stellung als Repräsentant der Germanistik in Beziehung setzte. Die Kritik an der Person wurde auf den Fachverband, dessen Vorsitzender Wiese von 1964 bis 1966 war, ausgedehnt:

Die Hamburger Germanisten, die seit einigen Semestern zusammen mit ihren Berliner Kollegen eine studenteneigene kritische Zeitschrift „Germanistikstudium“ herausgeben, verstärkten ihre überregionalen Kontakte, sie leiteten zusammen mit Berliner und Bonner Kommilitonen eine kritische Auseinandersetzung mit den Monopoltendenzen des „Germanistenpapstes“ Benno von Wiese ein und unterstützen die Vorbereitungen zu einem studentischen „Gegen-Germanistentag“, mit dem während der nächsten Tagung des deutschen Germanistenverbandes in Westberlin gegen die Unterdrückung jeglicher Kritik durch die autoritäre Verbandsleitung protestiert werden soll.[17]

Das Bemerkenswerte an Peter Schütt scheint mir, dass er sich, ohne einen Doktortitel und ohne eine gesicherte berufliche Perspektive aufgebaut zu haben, mit gedruckten Beiträgen in den wissenschaftlichen Diskurs über die NS-Germanistik, ihre Entstehungsgeschichte und ihre Nachwirkung, einschaltete, und überdies keine Rücksicht darauf nahm, dass der von ihm ins Visier genommene Ordinarius noch aktiv im Dienst war.

Die während der Feier des Rektorwechsels an der Universität Hamburg am 9. November 1967 ausgegebene Parole „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ spielt auf die NS-Formel „Tausendjähriges Reich“ und die Verstrickung eines großen Teils der Professorenschaft in das NS-Regime an. Der auf schwarzer Kunstseide aufgebrachte Spruch die weißen Buchstaben bestehen aus Leukoplaststreifen avancierte zum Symbol der Studentenbewegung und für akademische Freiheit.[18] Das Transparent wird im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrt. Foto: Fotoagentur Conti-Press

Der den Bochum-Beitrag von Klaus-Michael Bogdal ergänzende Aufsatz „Einführungen in die Literaturwissenschaft“ als didaktische Hilfestellung, Lernwerkstatt, Selbstdarstellungsbühne und Karrierevehikel. Die Neugermanistik Bochum 1965 bis 1991 und 2020 kam dadurch zustande, dass Volker Wild mich auf eine dpa-Meldung zum Germanistentag 1968 aufmerksam machte, die im ersten Band der Reihe „Grundstudium Literaturwissenschaft. Hochschuldidaktische Arbeitsmaterialien“ (Bd. 1‒10, 1971‒1978) abgedruckt ist und den Anhang zum Projektbeitrag Das Gedächtnis der Bilder. Der legendäre Berliner Germanistentag in einer Filmsequenz bildet. Nachdem ich Band 1 (Literatur und Literaturwissenschaft ‒ Materialien zur Einführung) eingesehen hatte, begann ich mich für die ganze Buchreihe zu interessieren. Geplant war zunächst ein Beitrag zu der Rubik „Exemplarische Innenansichten: Die Germanistik an einzelnen Hochschulinstituten“. Doch je mehr ich mich einarbeitete, je mehr begann ich das mir vorliegende publizierte Lehrmaterial zu hinterfragen, bis irgendwann klar war, dass ich fragwürdige Praktiken der Nachkriegsgermanistik zur Diskussion stellen möchte. Damit dieses Signal wahrgenommen werden kann, ordnete ich den Aufsatz der Themengruppe „Nachkriegsgermanistik in der Kritik“ zu.

Ähnliche Gedanken gingen Brita Eckert durch den Kopf, als sie ihren Beitrag Die Anfänge der Exilforschung in der Bundesrepublik Deutschland bis 1975. Ein Überblick zum Abschluss gebracht hatte, den man gerechtfertigtermaßen auch der Rubrik „Themen und Tendenzen im Jahrzehnt vor und nach 1968“ hätte zuordnen können. Sie wollte mit der Aufnahme in die Gruppe „Nachkriegsgermanistik in der Kritik“ auf das Problem aufmerksam machen, dass es nach dem Krieg vor allem motivierte Vertreter außeruniversitärer Einrichtungen wie der Bibliothekar Hanns Wilhelm Eppelsheimer waren, die die Exilforschung in Westdeutschland anregten und für sie die Grundlagen bereitstellten. Erst in den 1970er-Jahren öffneten sich die Universitäten kontinuierlich für den Fragenkomplex „Erzwungene Emigration, Exil und Literatur“. Wenn auch spät, waren 1975 immerhin alle Institute und Einzelpersonen, die an DFG-Projekten arbeiteten, in der von Eberhard Lämmert geleiteten Arbeitsgemeinschaft Exilforschung vertreten.

 

II.

Der Themenbereich „Debattenkontexte“, aufgegliedert in formelle und informelle Organisationsstrukturen, enthält allein sechs Beiträge zum Berliner Germanistentag, der für den 7. bis 12. Oktober 1968 anberaumt war und nicht wie ursprünglich geplant im Henry-Ford-Bau der Freien Universität, sondern in der Aula der Staatlichen Ingenieurakademie Gauß im Bezirk Berlin-Wedding stattfand. Auf dieser vom Deutschen Germanistenverband ausgerichteten Großveranstaltung war thesenhaft gesprochen alles andere wichtiger als die Referate. Die Berliner Morgenpost titelte am 10. Oktober: „Germanisten sagten mehrere Referate ab“. Im Artikel selbst ist davon die Rede, die studentischen Aktionen hätten zu einer einschneidenden Änderung des Tagungsprogramms geführt. Laut dpa habe der Vorsitzende des Deutschen Germanistenverbandes, der Hamburger Professor Karlheinz Borck, mitgeteilt, wegen der Proteste oppositioneller Kommilitonen seien mehrere Referate abgesagt worden. Des Weiteren wird in der Berliner Morgenpost berichtet:

Um schärfere Konfrontationen zu vermeiden, wurde am Nachmittag statt der vorgesehenen Vorträge eine von den Studenten geforderte allgemeine Generaldebatte angesetzt. Dabei konnten die Studenten ihre Kritik vortragen und mit Professoren und Studenten über praktische Fragen wie Verbandspolitik und die Gestaltung von Germanisten-Tagungen diskutieren. In der Debatte hieß es, daß Lehrer keine kritischen Äußerungen machten aus Angst vor späteren „Repressionen“ der Schulbehörde. Die Mehrheit der Versammelten stimmte deshalb einer Resolution zur Unterstützung gefährdeter Kollegen zu.

Mit anderen Worten: Zeit für institutionelle Selbstreflexion in Verbindung mit schonungslosen Ist-/Soll-Analysen, das Zuwortkommen aller Interessengruppen, auch der Deutschlehrer*innen, sowie Repressionsfreiheit standen ganz oben auf der Dringlichkeitsliste der Generaldebattenbefürworter*innen.[19]

Die im wahrsten Sinne filmreife Infragestellung der Verbandsspitze und ihrer autokratischen Politik nach innen und nach außen lässt es ein weiteres Mal gerechtfertigt erscheinen, bezogen auf das Jahr „1968“ von einer Zäsur in der Fachgeschichte zu sprechen. Würde man den aufsehenerregenden Berliner Germanistentag als Störfall kategorisieren,[20] erschienen die Programmänderungen aus dieser Perspektive als von außen herangetragener Ausnahmezustand, der die friedlichen und konstruktiven Absichten der Tagungsleitung zunichtemachte. Dem widersprechen die Erinnerungen der Zeitzeugin Eva D. Becker,[21] dem widersprechen auch die mir bekannten dpa-Meldungen, die sämtlich das Narrativ „Störfall“ in den Bereich der Mythen und Legenden verweisen. Die aufgestauten Aggressionen, die der Veranstaltung vorausgegangen waren und sich in zivilisierter Weise auf ihr entluden, waren gegen einen Fachverband gerichtet, dessen Vorsitzendem die Kontrolle zu entgleiten drohte, weil er die Art und Summe der realen Erfahrungen und der grundlegenden Bedürfnisse der von Germanistik hautnah Betroffenen jenseits der maßgeblichen Entscheidungsträger im Verband viel zu lange hartnäckig ignoriert hatte, was von den sich selbst überlassenen Empörten als Realitätsflucht und anrüchige Eigennutzpolitik aufgefasst wurde. Für den Verband begann nach 1968 eine von Ratlosigkeit geprägte Phase. Zwischen dem Deutschen Germanistentag in Berlin 1968 und dem nächstfolgenden Deutschen Germanistentag in Trier 1973 lag ein Abstand von fünf Jahren. Nach Trier dauerte es dann ganze neun Jahre, bis sich der Gesamtverband 1982 in Aachen endlich zum 11. Kongress zusammenfand.

Das im Telegrammstil abgefasste Protokoll von Eva D. Becker zum 9. Deutschen Germanistentag bot Helmut Schanze den Anlass zu seinem Erinnerungsversuch Mein Berlin 1968. Der Germanist und Medienwissenschaftler richtet seine Aufmerksamkeit auf den Konflikt zwischen der publizierten Programmatik der Veranstalter, welche über neue interdisziplinäre Methoden der linguistischen und literaturwissenschaftlichen Forschung informieren wollten, und dem politisch motivierten Anspruch von „Lehrern, Schülern und Studenten“[22] auf Gehörtwerden durch den Verband. Zur Kennzeichnung dieser Situation zog er nicht die Deutungsklassiker „Generationenkonflikt“ und „Machtkampf“ und auch nicht die Diagnose „Vertrauenskrise“ heran, sondern das dehnbare Schlagwort „clash of cultures“.[23] Auf der Tagung selbst saß der aufs Podium gebetene Teilnehmer aus dem Mittelbau der RWTH Aachen „zwischen den Stühlen“. Als Medienexperte rekonstruiert Schanze die, wie er es nennt, „kulturelle Konstellation 1968“ im Kontext der damals laufenden Debatte um die „two cultures“, der „szientifischen, naturwissenschaftlichen“ und der „literarischen“ Kultur. Die Protestbekundungen und öffentlichen Aussprachen auf dem Berliner Germanistentag, ausschnitthaft dokumentiert in Presse und Fernsehen (der Verbleib des Tonbandmitschnitts der Tagung war nicht zu klären), deutet er als Vorstufe und frühes Anzeichen der in den 1970er-Jahren einsetzenden Mediendebatten.

 

III.

Die „Aktionsgemeinschaft“ gegen eine autoritäre und manipulative Verbandspolitik auf und nach dem Germanistentag 1968, einem informellen Zusammenschluss von sieben Mitgliedern der Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten (Gerhard Bauer, Gerhard W. Baur, Eva D. Becker, Hans Peter Herrmann, Hans-Wolf Jäger, Karl Richter, Werner Weiland), steht in enger Verbindung mit dem hohe Wellen schlagenden Münchener „Assistenten-Flugblatt Wi.-Sem. 1968/69“, verfasst und verantwortet von Marie Luise Gansberg, Hans-Wolf Jäger, Werner Weiland und Paul-Gerhard Völker. Diesem Zeitzeugnis ist, weil es sich um ein Schlüsseldokument der Fachgeschichte handelt, eine eigene Rubrik gewidmet. Die Flugblattaktion stellt einen spektakulären Fall der Auflehnung von Vertreter*innen des Mittelbaus dar[24] und ist in den Kontext der Außerparlamentarischen Opposition, der Assistentenbewegung, der germanistischen Fachgeschichte und der Frauengeschichte einzureihen.[25] Aber auch noch aus einem anderen Grund markiert dieses Ereignis eine Zäsur. Die Auseinandersetzungen rund um das Assistenten-Flugblatt standen im Zeichen eines offenen Machtkampfes ohne offenen Ausgang. Um zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt, wurde beispielshalber Paul-Gerhard Völkers Lehrauftrag nicht erneuert ‒ ein apodiktisches Statement in Bezug darauf, welcher Kurs im Umgang mit sozialen Mut und Reformwillen zeigenden Intellektuellen und noch genereller mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs einzuschlagen ist. Im zwischenmenschlich-kommunikativen Bereich verursachten die Münchener Ordinarien, so mein vorläufiges Resümee, einen anhaltenden Flurschaden.[26] Ich schätze die Quellenlage wohl realistisch genug ein, wenn ich davon ausgehe, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses mit ungleichen Mitteln geführten Machtkampfes noch lange nicht abgeschlossen sein wird.

Anhand der Vorgänge rund um das Assistenten-Flugblatt lässt sich paradigmatisch aufzeigen, dass eine offene Reflexion und Darstellung von Machtaspekten von der Fachcommunity nach wie vor vermieden wird, weil die Offenlegung von Interessenverflechtungen, Abhängigkeiten und fehlenden oder extrem ungleich verteilten Mitbestimmungsrechten immer auch die bestehenden Machtkonstellationen zutage treten lässt, darunter eventuell auch solche, durch die sich die Verantwortlichen angreifbar machen. Um uneingeschränkt verstehen zu können, wo die deutsche Literaturwissenschaft heute steht und wohin sie steuert, wird man freilich nicht umhinkönnen, missbrauchsanfällige Strukturen, dysfunktionale Ausleseprozesse und berufsunwürdige Egoismen[27] in Betracht zu ziehen und das hierzu quellenmäßig Belegbare lückenlos und methodisch einwandfrei zu erforschen.

Auf einem, was Aufbau, Klarheit und Haltung anbetrifft, ähnlich hohen Niveau wie das Assistenten-Flugblatt bewegt sich meines Erachtens ein mit der Überschrift „Programmentwurf“ versehenes Informationsblatt eines Arbeitskreises, der sich, wie es wörtlich heißt, aus Studenten und Assistenten der Münchener Hochschulgermanistik zusammensetzte. Dieser Arbeitskreis, von dem sich unter anderem Vorlesungsrezensionen[28] erhalten haben,[29] stammt ebenso wie das zweiseitige hektografierte Informationsblatt, das aus ihm hervorging, aus dem Jahr 1967.[30] Teil der schriftlich fixierten Argumentation sind vier „handgreifliche Mängel“: (1) die hohe Studienabbruchquote, (2) der, wie es wörtlich heißt, „repressive Lehrbetrieb“, (3) die „Hilflosigkeit der Mehrzahl der Studenten gegenüber der Geschichte der Germanistik und dem angebotenen Methoden-Pluralismus“, (4) „Traditionell vernachlässigte Methoden und Stoffgebiete, die gerade für eine sich am Maßstab der Demokratie orientierende Lehrerschaft von Wichtigkeit sind.“ Der zuletzt genannte Mangel wird wie folgt ausdifferenziert: „a) Methoden: Verhältnis von Literatur- und Sozialgeschichte; Sozialpsychologie; Ideologiekritik. b) Stoffgebiete: Kritische Tradition vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Zweck- und Trivialliteratur; Sprache der Massenmedien, der Werbung, der Parteien, der Technik usw.“ Um zu verhindern, dass sich die beklagte Ausbildungspraxis weiter fortschleppt, wurde im Rückgriff auf die Kritische Theorie „ein umfassender Prozeß der ‚Selbstreflexion‘ (Habermas)“ aller Beteiligten gefordert.[31] (Hervorhebung im Original.) Das heißt konkret:

Die Germanistik muß sich als Faktor in der modernen Industriegesellschaft begreifen lernen ‒ die soziale Bedingtheit des Gegenstandes, der Methoden, des Lehr- und Lernpersonals, sowie die gesellschaftlichen Folgen germanistischer Forschung und Lehre muß in die Reflexion aufgenommen werden und im Sinne kritischer Rationalität in der für alle Teile optimalen Weise gelöst werden.

In den Schlusszeilen wird die gemeinsame Utopie als machbar dargestellt: „Er [= der Arbeitskreis] ist ein Experiment realer Demokratie, eine Selbsthilfeinstitution.“ Es ist nicht ganz einfach, zu ermitteln, wer an der Abfassung des „Programmentwurfs“ beteiligt war. Holger Ambrosius, der mir sein Exemplar des Informationsblatts vermachte, war lediglich Teilnehmer des Arbeitskreises, sein Kommilitone Georg Grill könnte Mitverfasser gewesen sein. Paul-Gerhard Völker arbeitete der Erinnerung von Ambrosius nach anfangs in der Elemente einer Basisgruppe aufweisenden Arbeitsgemeinschaft mit. In seiner Funktion als Lehrbeauftragter hatte dieser im Sommersemester 1966 ein Kolloquium zum Thema „Germanistik im Dritten Reich. Zeitbedingtheit literaturwissenschaftlicher Methodik“ angeboten. Kai Köhler wertet das obige Zitat als Beleg für eine systemstützende und somit antirevolutionäre Haltung, da nicht nach dem Muster „Wem gehören die Hochschulen und wer kassiert den Profit?“ nach den Eigentumsverhältnissen gefragt werde. Auf dem Hintergrund dieser Einschätzung wirkt der 1969 von den Vorständen der Münchener Seminare für Deutsche Philologie öffentlich gemachte Vorwurf, Völker wolle mit seiner Aktivität die Institution Universität destruieren, als überzogene und diffamierende Reaktion. Gegen den erhobenen Vorwurf spricht auch die Tatsache, dass Völker zum Wintersemester 1971/72 eine Stelle als Assistenzprofessor an der FU Berlin annahm und hier an einer Reformkonzeption für die Altgermanistik mitwirkte, die 1972 an gleich drei verschiedenen Orten publiziert wurde, darunter in der Schriftenreihe „Texte zur Studienreform“ der Bundesassistentenkonferenz, einer wegweisenden und einflussreichen Gründung aus dem Jahr 1968.[32] Wie das Beispiel Völker zeigt, entfaltete das Kollektivsubjekt Assistenten-Flugblatt-Gruppe eine weitaus größere und nachhaltigere Wirkung, als bisher für möglich gehalten wurde.

Zu Jürgen Habermas ist anzumerken: Er habilitierte sich 1961 bei dem Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth in Marburg und lehrte von 1961 bis 1964 Philosophie in Heidelberg und seit 1964 Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main. Er war Mitglied des Gründungsvorstands des Bunds demokratischer Wissenschaftler, der sich am 26. Oktober 1968 konstituiert hatte.[33] Marie Luise Gansberg las nach ihrer Promotion, so Roger Paulin, intensiv Hegel, dann Habermas. Sie war 1962 von Friedrich Sengle in Heidelberg promoviert worden und hörte Habermas auf der Heidelberger Max-Weber-Tagung 1964.[34] Weilands Interesse an Habermas bekundet sein Pflichtlebenslauf für die Dissertation.[35] Das im Informationsblatt angeführte Habermas-Zitat geht entweder auf einen Vortrag desselben zurück oder es entstammt möglicherweise dessen Band Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien (Neuwied am Rhein, Berlin-Spandau: Luchterhand 1963, eingliedert in die Reihe „Politica“). Habermas und der Luchterhand-Verlag werden uns weiter unten nochmals beschäftigen.

Im Jahr 2017 gab Kai Hermann im Zeit-Interview auf die Frage, was der Erfolg von 68 sei, zur Antwort: „Die Studenten haben mit den faschistischen Restbeständen an den Unis aufgeräumt und Westdeutschland nachhaltig demokratisiert.“[36] Die Aussagen dieser zweigliedrigen Antwort sind, wählt man die Germanistik als Bezugsrahmen, in dieser einseitigen Zuspitzung auf die Studierenden wie auch in ihrer Pauschalität nicht haltbar.

Im Fach Germanistik entstand im Laufe der 1960er-Jahre eine Reformbewegung, die von Studierenden, aber auch von Einzelpersonen und Personengruppen aus dem Mittelbau und aus der Führungsebene getragen wurde und gleichzeitig mit partikularen und radikalen Demokratisierungsbestrebungen auftrat. Die Zeit der Auseinanderentwicklung begann ab etwa 1968, als die Anhänger der illegalen KPD im Gefolge der ČSSR-Invasion ausschieden und sich bald in der DKP und deren Studentenorganisation Marxistischer Studentenbund (MSB) Spartakus organisierten, während der restliche Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) sich in zahllosen Basisgruppen und Roten Zellen auflöste, die meist verschiedenen Linien nahestanden oder in denen verschiedene Fraktionen arbeiteten. Nachdem der SDS 1970 auch offiziell aufgelöst wurde, gingen aus seinen örtlichen Verbänden vor allem maoistische und trotzkistische, teils auch sogenannte operaistische Gruppen hervor, aber auch hauptsächlich theoretisch arbeitende wie die Arbeitskonferenz-Fraktion der Roten Zellen München, aus denen später die Marxistische Gruppe entstand. Neben diesen politischen Gruppen arbeiteten ehemalige SDS-Mitglieder in Projekten wie Betriebszellen, Kinderläden, Jugend- und Obdachlosenhilfe, Kampf gegen § 218, Hausbesetzungen.

Die „radikalisierten Linken“ waren nicht gegen Demokratie eingestellt, sondern gegen das, was in der BRD als Demokratie galt und forderten eine basisorientierte Demokratie, die es den Betroffenen ermöglichen sollte, tatsächlich Einfluss auf ihre Geschicke zu nehmen. Die Geschichte gab ihnen, was die Germanistik anbelangt, insofern Recht, als dass ohne grundsätzliche gesellschaftliche Änderungen Demokratiegewinne im Fach teils rückgängig gemacht wurden, teils durch neue demokratiefeindliche Strukturen („unternehmerische Hochschule“) verdrängt wurden. Unrecht hatten diejenigen, die 1968 eine revolutionäre Lage sahen.[37]

Die Erforschung der 68er-Germanistik leidet nach meinen Erfahrungen unter dem Problem der Berührungsängste mit Personen, die sich politisch radikalisiert haben. Ein typischer Fall ist Paul-Gerhard Völker. Er war am Aufbau der 1971 gegründeten Marxistischen Gruppe beteiligt, wie genau, war nicht zu ermitteln. Dieser schwer greifbare und dennoch wichtige Aspekt seiner Biografie ist Teil meines auf seine Person bezogenen Wikipedia-Artikels. Völker war Pazifist und soweit zu erfahren war, behielt er diese Überzeugung bis zu seinem Tod 2011 bei. Die Marxistische Gruppe ist nie durch gewalttätige Aktionen in die Schlagzeilen geraten. Und selbst wenn sie es wäre, hätte ich Völker nicht „eliminiert“, will heißen zum Verschwinden gebracht.[38] Nur nicht seriöse Forscher*innen nehmen sich das Recht heraus, „politische Säuberungen“ und andere zensurähnliche Eigenmächtigkeiten vorzunehmen.

Die Politisierung der Germanistik und ihre Linksverschiebung fanden ihren medienwirksamsten Ausdruck in den studentischen Protestaktionen 1967/68, im Assistenten-Flugblatt 1968/69 und in der 1971 ihren Lehrbetrieb aufnehmenden Universität Bremen, von ihren Gegnern „rote Kaderschmiede“ apostrophiert.[39] 1978 lehrten im Studiengang Kommunikation/Ästhetik der Universität Bremen fünf Frauen: Hildegard Brenner, Wendula Dahle, Helga Gallas, Antje-Katrin Menk und Liese-Lotte Streckert, unter den 17 Männern sind Peter Bürger und Hans-Wolf Jäger hervorzuheben. Wie weitgehend und nachhaltig demokratische Reformvorstellungen in die wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsstätten Einzug hielten, lässt sich im Fall der Germanistik abschließend erst dann beurteilen, wenn zu den einschlägigen Hochschulinstituten und außeruniversitären Einrichtungen der alten und neuen Bundesrepublik harte, belastbare Fakten vorliegen. Zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zählt zum Beispiel das Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, bei dem es sich um ein Konkurrenzunternehmen zu Graduiertenkollegs zu handeln scheint, da in diesem Rahmen keine großdimensionierten, arbeitsintensiven Forschungsunternehmungen anvisiert werden, von denen alle Germanist*innen oder zumindest sehr viele etwas haben,[40] ich erinnere an dieser Stelle an das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, nach Umfang und Bedeutung ein sprachgeschichtliches Jahrhundertwerk, und an das Germanistenlexikon, ein Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte, erarbeitet von der Arbeitsstelle für die Erforschung der Geschichte der Germanistik im Deutschen Literaturarchiv Marbach.[41]

In seinem Artikel für die Welt aus dem Jahr 1966 warf Peter Schütt dem Fachverband vor, Marxisten und marxistische Literaturwissenschaft mit einem Anathema zu belegen. Selbst im Westen lebende Sozialisten wie Ernst Bloch, Georg Lukács,[42] Alfred Kantorowicz oder Hans Mayer seien bisher zu keinem Germanistenforum geladen worden. Passend dazu schrieb Klaus Petzold in einer E-Mail an mich, die in dem Sammelbeitrag Stellungnahmen und Überlegungen zum Thema und zum folgenden Projekt nachgelesen werden kann:

Als Aspekt am Rande ist darüber hinaus eventuell interessant, dass nach 1968 aus dem Kreis von westdeutschen Germanistikstudenten Aktivitäten unternommen wurden, Hochschulgermanisten aus der DDR zu Vorträgen und Diskussionen einzuladen. Von Mai bis Juli 1969 zum Beispiel hatte der SDS Bonn drei Professoren der Leipziger Karl-Marx-Universität, Walter Dietze, Horst Haase und Claus Träger, zu Veranstaltungen an die Bonner Universität eingeladen, welche damals ziemlichen Zuspruch fanden. Ich war Zeuge davon, da ich als Assistent mit der Organisation der Reisen betraut gewesen bin. Partner vom SDS war damals Rutger Booß, der Gründer des Grafit Verlags. Wahrscheinlich hat es ähnliche Begegnungen auch an anderen Universitäten gegeben.

Viele SDS-Mitglieder lasen die Frühschriften von Karl Marx (1818‒1883), darunter Rudi Dutschke und der Projektbeiträger Ulrich Harsch (Unter Linken. Vom SDS-Mitglied zum Grafiker der Zeitschrift „Alternative“). Wissenschaftsverlage mit germanistischem Programmbereich öffneten sich erst nach 1968 verstärkt für die marxistische Linke. Paul-Gerhard Völkers Wandlung zum Marxisten äußert sich im Titel seines Aufsatzes Skizze einer marxistischen Literaturwissenschaft für den in Verbindung mit Gansberg konzipierten und realisierten Band Methodenkritik der Germanistik. Materialistische Literaturtheorie und bürgerliche Praxis (1970, 4., teilw. überarb. Aufl. 1973), erschienen in der Reihe „Texte Metzler“ (Laufzeit 1970‒1981), welche insbesondere der 68er-Kohorte ein Forum für ihre Vorstellungen von einer zeitgemäßen Germanistik eröffnete. Seit 1972/73 geriet marxistische Literaturwissenschaft zunehmend in die Kritik. 1977 widmete Hildegard Brenner Nummer 116 der Alternative dem Teilthema „Die Austreibung des Marxismus aus den Köpfen“. Inzwischen habilitiert, bewarb Völker sich 1976 auf eine Hochschullehrerstelle auf Lebenszeit an der Universität Bremen und wurde auf den ersten Listenplatz gewählt.[43] Die Nichtbesetzung der Stelle kam im Ergebnis einem Berufsverbot gegen Völker gleich.

Gerne würde man wissen, was Völker auf die Frage „Warum wird so einer Marxist?“ ‒ als Zitat gekennzeichnet, bildet diese Frage den ersten Teil eines Aufsatztitels von Helmut Peitsch[44] ‒ geantwortet hätte. Peitschs Ansatz, veröffentlichte Texte zu konsultieren, lieferte mir nicht die erhofften Antworten, daher richtete ich dieselbe Frage ganz direkt einerseits an Helmut Lethen, Jahrgang 1939, andererseits an den fünf Jahre älteren Anglisten Thomas Metscher. Lethen übermittelte mir seine Antwort am 25.8.2018: „Weil der Marxismus eine Desillusionierungswissenschaft ist. Er zerstört die Selbstgewissheit des Menschen, autonom zu handeln, und zeigt ihn als Spielball von Kräften, die er kaum beeinflussen kann. Er ist eine Kränkung wie der Darwinismus oder die Psychoanalyse. Das ist die analytische Verführung des Marxismus, die bleibt; während seine Geschichtsphilosophie, die das ‚Proletariat‘ zum Subjekt der Geschichte erklärt, verblasst ist oder sich in den Experimenten der sozialistischen Staaten verlor.“ Wenige Stunden später erreichte mich die Antwort von Metscher:

1. Ich wurde Marxist aus der Einsicht heraus, dass die Menschheit im Kapitalismus langfristig keine Chance hat, menschwürdig zu überleben oder überhaupt zu überleben. 2. Von allen vorhandenen kapitalismuskritischen Theorien ist der Marxismus in seinen Potentialen die theoretisch reifste. Er vereinigt politische Theorie und Praxis, Philosophie und die Künste ‒ dies tut keine mit ihm konkurrierende Theorie. 3. In Ansätzen war diese Einsicht bei mir schon 1968 vorhanden. Im Verbund mit einer konsequent antifaschistischen Erziehung, die ich durch meinen Vater erhielt, führte dies zu meiner kommunistischen Entscheidung.

 

IV.

Man muss keinen Schwerpunkt Marxismus-Forschung haben, um zu wissen, dass Habermas aus der Lektüre von Lukács’ Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik (1923) die Anregung schöpfte, sich näher mit dem Marxismus zu beschäftigen. In seinem Beitrag für die Rubrik „Themen und Tendenzen im Jahrzehnt vor und nach 1968“ fasst der Historiker Kristof Niese die Forschungsliteratur zu der Fragestellung zusammen, wie die etablierten größeren Verlage auf das Interesse des intellektuellen Spektrums am Marxismus reagierten. Die Verlage Hanser, Luchterhand, Rowohlt, S. Fischer, Suhrkamp und Ullstein seien in den von einem Aufschwung erfassten „Markt für Marx“[45] eingetreten, bis Mitte der 1970er-Jahre eine Glaubwürdigkeitskrise einen Kurswechsel einläutete.

Im Hermann Luchterhand Verlag sind mehrere Buchpublikationen von und mit Habermas erschienen. Noch vor der oben angeführten Aufsatzsammlung Theorie und Praxis (1963) und vor seiner Habilitationsschrift Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (1962, eingliedert in die Reihe „Politica“) kam bei Luchterhand die zusammen mit Ludwig von Friedeburg, Christoph Oehler und Friedrich Weltz erarbeitete, ein neues Thema erschließende empirische Studie Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein (1961, 3. Aufl. 1969) heraus. Die vier Verfasser erbrachten den Nachweis, dass das Verhältnis von Student und Politik im Erhebungszeitraum „gekennzeichnet war von träger Anpassung oder Gleichgültigkeit gegenüber bestehenden Herrschaftsstrukturen und möglichen Gesellschaftsmodellen“.[46] Im gleichen Jahr begann die hochwichtige Denkschrift des SDS zu zirkulieren, um den Reformstau in den Hochschulen demokratisch legitimiert aufzulösen.[47] Nach den Worten von Wolfgang Nitsch kollidierte diese Spitze eines Eisberges mit dem Großtanker namens Ordinarienuniversität:

Dieses 180-Seiten-Programm wurde von einem AutorInnenteam (Uta Gerhardt, Wolfgang Nitsch, Claus Offe und Ulrich K.Preuß) in einem Buchband unter dem Titel Hochschule in der Demokratie. Kritische Beiträge zur Erbschaft und Reform der deutschen Universität mit einem Vorwort von Jürgen Habermas (erschienen 1965 im Luchterhand Verlag, Neuauflage Arno Press New York) weiter ausdifferenziert und wissenschaftlich begründet.[48]

Die hochkarätig besetzte wissenschaftliche Reihe „Soziologische Texte“, in die der Band Student und Politik aufgenommen wurde, galt lange Zeit als Vorzeige-Reihe der westdeutschen Soziologie. Sie wurde von Heinz Maus und Friedrich Fürstenberg gemeinsam mit dem später hinzugetretenen Frank Benseler von 1959 bis 1977 herausgegeben. Benseler, der bei Luchterhand eine Ausgabe der Werke von Georg Lukács besorgte,[49] war Initiator des ambitionierten Zeitschriftenprojektes Ethik und Sozialwissenschaften – Streitforum für Erwägungskultur (1990‒2015), das sich laut Wikipedia „als Forum für Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Schulen und Richtungen sowie zugleich als Forum zum Erfinden, Erproben und Verbessern von Regeln für einen klärungsorientierten erwägenden Umgang mit unterschiedlichen Positionen“ verstand. Der Historiker Berthold Petzinna führt in seinem Projektbeitrag Der Luchterhand Verlag: Marktkalkül und politisches Engagement im westdeutschen Nachkriegsboom der 1950er bis 70er Jahre den geradezu sagenhaften Erfolg der Reihe „Soziologische Texte“ darauf zurück, dass diese an das Renommee von Helmut Schelsky, einem der führenden Köpfe der Familiensoziologie und Verfasser der Jugendstudie Die skeptische Generation (Düsseldorf: Diederichs 1957), anknüpfen konnte. An diesen Marketingerfolg und Nimbus ragen um 1968 wohl nur die Reihen Rowohlts deutsche Enzyklopädie (Bd. 1, 1955), Edition Suhrkamp (Bd. 1, 1963) und Reihe Theorie (Bd. 1, 1966)[50] heran.

In Rowohlts deutscher Enzyklopädie erschien 1966 Karl Otto Conradys Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft (insgesamt vier Auflagen, letzte Auflage 1968), die am Anfang eines gesteigerten Interesses an Studienführern und germanistischen Einführungen steht. Volker Wild erinnert sich, zusammen mit Rudi Schmidt den ersten studentischen Studienführer im Fach Germanistik auf den Markt gebracht zu haben.[51] Das Buch sei ein Akt der Selbsthilfe in einer aus dem Ruder laufenden Massenuniversität gewesen. So wie Hochschulführer, etwa jener des Verbands Deutscher Studentenschaften, kein Ersatz für einen germanistischen Studienführer hätten sein können, so seien auch die Nachschlagewerke von Gero von Wilpert, Lektor im Körner Verlag Stuttgart in den Jahren 1957 bis 1972, die zweite Auflage des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte (Berlin: Walter de Gruyter 1958‒1988) und das zweiteilige Fischer Lexikon Literatur in drei Bänden (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1964/65) kein Ersatz für allgemeine und spezielle Einführungsliteratur gewesen. Den Auftakt der „Sammlung Metzler“ bildet die in vielen Auflagen publizierte Einführung in die Bücherkunde zur deutschen Literaturwissenschaft (1961, 10. Aufl. 1994) von Paul Raabe, zu jener Zeit Leiter der Bibliothek des dem Schiller-Nationalmuseum 1955 angegliederten Deutschen Literaturarchivs.[51b] Über einen noch längeren Zeitraum als Raabes kurz gefasstes Lehrbuch erschien im Berliner Verlag Erich Schmidt die sehr viel umfangreichere Bücherkunde für Germanisten (1959, 10. Aufl. 2003) von Johannes Hansel. Ebenfalls in der „Sammlung Metzler“ kam 1962 unter dem Titel Die schriftliche Form germanistischer Arbeiten eine von Georg Bangen ausgearbeitete Einführung in die Technik wissenschaftlichen Arbeitens heraus.[52] Mit dem Namen dieses lange an der FU tätigen Germanisten ist auch der Aufbau der Bibliothek des Germanischen Seminars der FU und die bereits 1957 auf dem Deutschen Germanistentag in Marburg beschlossene Einrichtung einer zentralen Kartei germanistischer Dissertationsvorhaben verbunden.

Die Idee zu dieser Kartei geht auf Richard Alewyn zurück. 1949 aus dem US-amerikanischen Exil in seine Heimat zurückgekehrt, bildete sich um den Bonner Professor 1965 der Stimbekhof-Kreis.[53] Auf dem Deutschen Germanistentag in Berlin 1968 sollte Alewyn im Kontext der vorletzten Themengruppe „Germanistik und Soziologie“ über „Dichter und Leser im Zeitalter Klopstocks“ sprechen. Eine entwickelte empirische Publikumsforschung lag zum damaligen Zeitpunkt noch in einigermaßen weiter Ferne.

Im Gegensatz zu Alewyn, der auf dem besagten Germanistentag sein Referat hielt, sagten der Professor für Politische Wissenschaft Dolf Sternberger und der in der Emigration Germanist gewordene Londoner Professor Siegbert Salomon Prawer ihre Referate für die abschließende Themengruppe „Germanistik und Politologie“ ab. Beide wollten zu Heinrich Heine (1797‒1856) referieren („Heine ‒ ein politischer Denker“, „Heines satirische Versdichtung“). Nur wenig früher, in der Woche vom 19. bis 24. September 1968, waren auf der Frankfurter Buchmesse die von Helmut Schanze herausgegebenen Schriften über Deutschland vorgestellt worden, Teil des von Adorno[54] angestoßenen vierbändigen „Insel-Heine“, versehen mit einer Einleitung von Hans Mayer („Die Ausnahme Heine“),[55] wie Adorno ein Remigrant, der von 1948 bis 1963 an der Karl-Marx-Universität in Leipzig lehrte, bevor er in den Westen ging. Das Nachwort des damals 29-jährigen Herausgebers ist überschrieben „Heinrich Heine oder Der Dichter im Exil“.[56] Der ursprünglich in Leipzig ansässige Insel Verlag gehörte seit 1963 zum Frankfurter Verlagshaus Suhrkamp. Ebenfalls 1968 veröffentlichte der 36-jährige Klaus Briegleb den ersten Band seiner 1963 vertraglich besiegelten Leseausgabe für Heine-Interessierte und Studierende, die sich der Initiative des Cheflektors des Carl Hanser Verlages, Herbert G. Göpfert, verdankte.[57] Göpfert sprach auch Manfred Windfuhr an, als dieser eine Vertretung für Sengle in München wahrnahm, dessen Interesse galt aber bereits einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke Heines. Diesem war an einer Edition frei von Tendenzen zur Hagiographie und zur Entkontextualisierung ‒ gesellschaftlich, kulturell, politisch ‒ der zu veröffentlichenden Werke gelegen.[58] Mehr noch: Die erschütterte Glaubwürdigkeit des von ihm vertretenen Faches wollte Windfuhr durch die Wahl von Forschungsgegenständen, die die Beschränkung und politische Indienstnahme der Germanistik durch den NS-Staat offenkundig machen, wiederherstellen:

Ich selbst war immer der Ansicht, dass die Erneuerung der Germanistik nach dem Ende der NS-Diktatur am besten durch die praktische Beschäftigung mit den eliminierten oder vernachlässigen Schriftstellern und Themen zu erreichen sei.[59]

 

V.

Mit den Beiträgen des Soziologen und studierten Germanisten Rudi Schmidt kommen wir zur Rubrik „Exemplarische Innenansichten: Die Germanistik an einzelnen Hochschulinstituten“. In Politisierung zwischen Studienreform und Imperialismuskritik stellt Schmidt die in Form von komplexen Bewusstseinsprozessen ablaufende studentische Politisierung in den Mittelpunkt seiner detailgenauen Darstellung der Studienreformen an der FU Berlin, die den Zeitraum von 1960 (Empfehlungen des Wissenschaftsrates) bis 1967 abschreitet. Nicht verwirklichen konnte der Verfasser den Plan, seine eigene Politisierung in den 1950er-Jahren, die eines literarisch Interessierten, in einem ergänzenden Text nachzuzeichnen. Ausgeführt werden konnte dagegen ein Beitrag zur Situation der Doktorand/innen am Germanischen Seminar der FU im Jahr 1968. Der saloppe Ausspruch „eine Doktorarbeit ist dafür da, damit man sich hinterher davon distanziert“, ist alles andere als amüsant, wenn er aus dem Munde eines betreuenden Professors kommt (wie bei mir mitten in der Promotionsphase geschehen), da er unter Umständen auf unzuverlässige, wenn nicht ungenügende Betreuungszustände hinweist. Die unveröffentlichten „Ergebnisse der Fragebogenaktion unter Doktoranden und zuletzt Promovierten des Instituts für Germanistik/FU Berlin Herbst 1968“, auf die Schmidt sich stützen kann, decken in der Tat erhebliche Betreuungs- und andere Mängel auf. Die genannte studentische Vorarbeit und ein zum gleichen Thema erstellter Reader dienen dem Verfasser als Beleg dafür, dass die allgemeine Wissenschaftskritik der Studentenbewegung in sämtliche Bereiche der Ausbildung vorstieß und ein Katalysator für die Aktivierung und Selbstorganisation derer war, von denen diese Bewegung ausging und die sie trugen.

1965 wurden im Bundesland Nordrhein-Westfalen gleich zwei Universitäten eröffnet, die Ruhr-Universität Bochum und die Universität Düsseldorf[60] (in den 1960er-Jahren kam im Fach Germanistik zur älteren und neueren Abteilung die Linguistik hinzu).[61] In Düsseldorf lehrte seit 1969 Manfred Windfuhr. Seine Reformansätze und die Denktraditionen, in die er sich stellte, werden im Projektbeitrag Germanistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: Revolution oder Reform? Ein Jahrzehnt ab 1969 von Gertrude Cepl-Kaufmann[62] breit gefächert ausgeleuchtet. Windfuhr hat sich als Herausgeber der 1973 bis 1997 bei Hoffmann und Campe in Hamburg erschienenen Düsseldorfer Heine-Ausgabe (DHA)[63] einen Namen gemacht und veröffentlichte aus diesem Grund im Bereich der Exilliteraturforschung. Von 1957 bis 1962 hatte er eine wissenschaftliche Assistentenstelle bei Sengle inne, dem er von Marburg nach Heidelberg gefolgt war.[64] Dass Gansberg ihm zum Wintersemester 1962/63 nachfolgen konnte, war der Zwangslage geschuldet, dass Sengle für die frei gewordene Stelle keinen männlichen Nachfolger fand.[65] Noch während seiner ersten Professur in Bonn (1967‒1969)[66] führte der gebürtige Remscheider 1968 eine Umfrage durch und warb für die Benennung der Düsseldorfer Universität nach Heinrich Heine. Zwanzig Jahre später erhielt die Universität der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt einen, wie Windfuhr es, mit Heines Ironie den Benennungsskandal markierend, nennt, „jüdischen Patron“, der obendrein in tiefer Freundschaft mit Karl Marx, einem deutlich jüngeren, entfernten Verwandten des Schriftstellers, verbunden war. Den Anstoß für seine Utopieforschungen[67] erhielt Windfuhr, wie er mir persönlich mitteilte, von der 68er-Bewegung, der er eine ausgeprägte Imaginationskraft, die Veränderung der Zukunft betreffend, attestiert. Utopieforschung sei ein Musterbeispiel für das Weiterwirken von 1968 in der Wissenschaft, ein Aspekt, der mehr Aufmerksamkeit verdiene.[68]

Klaus Theweleit, Jahrgang 1942, Kulturtheoretiker, Literaturwissenschaftler[69] und Schriftsteller, kann als Achtundsechziger bezeichnet werden. Er studierte in den 1960er-Jahren Germanistik, Anglistik und Musikwissenschaft in Kiel und Freiburg, gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Freiburger SDS und war Mitinitiator des linksorientierten Reformprogramms aus Studierenden und Lehrenden am Deutschen Seminar Freiburg, genannt „koordinierte Lehrveranstaltungen (KLv)“ (1971‒1978), das unter anderem die Einbeziehung von Trivialliteratur und Journalistik in Forschung und Unterricht, die Einbeziehung der politischen und vor allem der Sozialgeschichte in die Literaturinterpretation wie auch die Einbeziehung von Psychoanalyse und Marxismus in die methodische Auseinandersetzung zum Ziel hatte und die Freiburger Psychoanalytische Deutsche Literaturwissenschaft begründete. Von Hans Peter Herrmann wird dieses Reformprogramm zusammen mit dem zugehörigen Planungszentrum, der Arbeitsgruppe „Rosa“ („rosa“ gemeint als Abschwächung zu „rot“), die sich konstituiert hatte, um den „Rückstand an Wissen und Politikverständnis gegenüber ‚den Studenten‘ aufzuholen“, in seinem Projektbeitrag Textdokumente zur Freiburger Neugermanistik 1968‒1993 vorgestellt. Mit eingebunden in diese Lehrprogramm-Aktivitäten war Wolf Wucherpfennig, der seine Erfahrungen mit Gruppenunterricht in einem Papier niederlegte.

 

VI.

Die Begegnung mit Marxist*innen konnte sehr unterschiedlich ausfallen. Die Rubrik „Globale Außenansichten: Der Blickwinkel der Auslandsgermanistik“ enthält zwei Beiträge mit in dieser Beziehung aussagekräftigen Angaben. Marc Silberman fuhr während seiner Studienzeit an der FU 1967/68 regelmäßig in die Friedrichstraße, um sich dort in der Kneipe 116, Ostberlins beliebtester Studentenkneipe, mit Gleichaltigen zu treffen, woraus sich lebenslange freundschaftliche Beziehungen entwickelten. An seine Heimatuniversität, die University of Minnesota, zurückgekehrt,[70] probte er zusammen mit gleichgesinnten Kommilitonen den Aufstand, und das durchaus erfolgreich: „Wir hängten Wandzeitungen mit Sprüchen wie ‚Professoren sind Papiertiger‘ und ‚Studenten an die Macht‘ im German Department auf und forderten von der Fakultät, studentische Vertreter zu Fachratssitzungen zuzulassen.“ Roger Paulin wiederum schildert in seinem Projektbeitrag Die Vorkommnisse in Deutschland wurden in Großbritannien mit einer Mischung aus Faszination, Besorgnis und Schrecken verfolgt einen denkbar gegensätzlichen Fall:

Die im Zeichen von mehr „Öffnung nach links“ stehende bundesrepublikanische studentische Protestbewegung war aber nicht ganz folgenlos: Das germanistische Institut in Birmingham wurde über die Volkswagen-Stiftung von Marxisten aus der BRD unterwandert und war für mehrere Jahre ein ideologischer Kampfplatz. Zwei ehemalige Marxisten (Abkehr vom Marxismus 1956), darunter der bekannte Germanist Roy Pascal, wurden damit nicht fertig: Sie räumten das Feld bzw. ließen sich frühzeitig pensionieren. Für einen dritten (nicht-marxistischen) Beteiligten hatte das Ganze gesundheitliche Folgen.

Ähnlich auch die Erfahrungen des Marburger Dozenten Hartmut Rosshoff, dem die im MSB Spartakus organisierten Studierenden, die seine Seminare besuchten, wie eine Heimsuchung vorkamen.

 

VII.

Biografieforschung, fokussiert auf die eigenen Achtundsechziger*innen, war, als ich 2016 damit begann, zu dieser Thematik Material zu sammeln, ein überfälliges Desiderat der germanistischen Forschung. Im Sammelband bilden die Achtundsechziger*innen Gansberg[71], Schütt und Völker, nach Geburtsdaten geordnet und zu einer Großgruppe zusammengefasst, den Schlussteil, dem Hartmut Rosshoff, Verfasser des sechsteiligen Briefes Politisch ist auch das Private! Subjektiver Rückblick auf ’68, zugeordnet wurde, wenngleich dieser nicht als Achtundsechziger gelten kann. Als Teilnehmer der Anti-Schah-Demonstration 1967 war er ein Opfer polizeilicher Gewalt und, soweit es die Erschließung von Benno Ohnesorg angeht, ein eminent wichtiger Augenzeuge (von Ohnesorg handelt der fünfte Abschnitt im Schlussbeitrag Ein Stück nachgeholter germanistischer Fachgeschichte, wo das Thema Gewalt breiten Raum einnimmt). Ungeachtet dieser erschreckenden Erfahrungen und obwohl er 1965 für kurze Zeit Redaktionsmitglied der Zeitschrift Alternative war, trat Rosshoff nicht in den SDS ein und schloss sich auch nicht der Studentenbewegung an. Anfang 1970 promovierte er an der FU Berlin „Zur Form des Gegenstandsbegriffs bei Emil Lask und dem frühen Georg Lukács“.[72]

Ursprünglich war von mir geplant, eine eigene Rubrik zu Gert Mattenklott (1942–2009) einzurichten, der kurze Zeit Marxist war, lange in Marburg lehrte und in den 1970er-Jahren Seminare zur Historizität von Empfindungen abhielt, doch als ich den in Aussicht gestellten Beitrag seiner Witwe nicht erhielt und von den zugesagten Erfahrungsberichten von Peter Kleiß und Peter Schütze, beide wurden von Mattenklott promoviert, nur einer und außerdem unvollständig bei mir eintraf, verfolgte ich die Idee nicht weiter. Dasselbe gilt in abgewandelter Form für Christa Bürger, Jahrgang 1935, die in ihrer im Suhrkamp-Verlag erschienenen Autobiografie das Jahr 1968 thematisiert. In meinem Bochum-Beitrag finden alle zwei Berücksichtigung.

Mit der steigenden Zahl genauer betrachteter Einzelbiografien von Germanist*innen festigte sich bei mir der Eindruck, dass von den nach 1930 Geborenen viele weit mehr von der 68er-Bewegung und/oder der Studentenrevolte im eigenen Fach beeinflusst waren, als ihnen vielleicht selbst bewusst war und deutlich wird, wenn man die fachgeschichtliche Literatur daraufhin durchgeht. Hier sehe ich weiteren Forschungsbedarf.

Anmerkungen

[1] Dazu eingehend Nina Verheyen: Diskussionslust. Eine Kulturgeschichte des „besseren Arguments“ in Westdeutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 193), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010.

[2] Grundlegend: Bernhard Asmuth: Sachlichkeit, in: Gert Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 8, Tübingen: Niemeyer 2007, Sp. 369‒393.

[3] Klaus Ziegler: Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft im Dritten Reich, in: Andreas Flitner (Hrsg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus. Eine Vortagsreihe der Universität Tübingen mit einem Nachwort von Hermann Diem, Tübingen: Wunderlich 1965, S. 144‒159. Siehe auch Uwe Grund: Bibliographie Klaus Ziegler. Chronologisch geordnet, in: Eckehard Catholy, Winfried Hellman (Hrsg.), Festschrift für Klaus Ziegler, Tübingen: Niemeyer 1968, S. 469‒473. Zu den Beiträger*innen der Festschrift Ziegler gehören des Weiteren Hermann Bausinger, Otto Friedrich Bollnow, Richard Brinkmann, Eckehard Catholy, Hanns Fischer, Kurt Herbert Halbach, Winfried Hellmann, Walter Hinck, Hugo Kuhn, Gerhard Kaiser, Winfried Malsch, Peter Michelsen, Robert Minder, Wolfgang Mohr, Ludolf Müller, Helmuth Plessner, Paul Raabe, Hans Rothfels, Lawrence Ryan, Pierre-Paul Savage, Walter Müller-Seidel und Hanna Weischedel (Ernennung zur Professorin 1973).

[4] Das Problem der Weitergabe von Kriegstraumatisierungen an die nachfolgende Generation gelangte erst mit der Entstehung der Psychotraumatologie in den 1990er-Jahren allmählich ins öffentliche Bewusstsein. Vgl. Sabine Bode: Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen, Stuttgart: Klett-Cotta 2004. Bettina Alberti: Seelische Trümmer. Geboren in den 50er- und 60er-Jahren. Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas, München: Kosel 2010.

[5] Petra Boden danke ich für die Erlaubnis, ihren Nachruf auf die erste deutsche Ordinaria für Neuere deutsche Literaturgeschichte erneut veröffentlichen zu dürfen.

[6] Julian Klüttmann spricht in seinem Projektbeitrag Die Leserzuschrift „Mißbrauch mit dem Andenken der Weißen Rose“ des Ehepaares Völker in der Süddeutschen Zeitung vom 16. März 1965 und die Erwiderung des Rektors der Ludwig-Maximilians-Universität München in Bezug auf Gerhard Weber, Rektor der LMU von 1963 bis 1965, von „Feindseligkeit gegenüber intellektuellen Frauen“ und vom „Schuldvorwurf, […] diskriminiert zu haben“.

[7] Wie unterentwickelt das Unrechtsbewusstsein auch in anderen Bereichen war, zeigt die Studie der Pharmazeutin Sylvia Wagner: Arzneimittelversuche an Heimkindern zwischen 1949 und 1975, Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2020. Die Kinder waren teilweise im Säuglingsalter, die Eltern wurden über die Testungen nicht informiert. Behörden und Pharmaindustrie waren ebenso involviert wie ehemalige KZ-Ärzte.

[8] Jacob Grimm über seine Entlassung, Basel: Schweighauser 1838, S. 11f.

[9] Rudolf Walter Leonhardt: Die deutschen Universitäten 1945‒1962, in: Hans Werner Richter (Hrsg.), Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962. Sechsunddreißig Beiträge deutscher Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten, München, Wien, Basel: Desch 1962, S. 351‒359, hier S. 351.

[10] Ich befragte dazu Brita Eckert, die mir am 6.3.2021 schriftlich mitteilte: „Ihr Problem könnte man vielleicht individuell lösen, wenn man z.B. schreibt, er/sie kam aus einer jüdischen Familie, wenn er/sie nicht mehr selbst der jüdischen Gemeinde angehörte. Das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration spricht dann meistens von ‚Jewish background‘. Erwähnen muss man es auf jeden Fall, weil es ‒ nach den Definitionen der ‚Nürnberger Gesetze‘ ‒ Anlass der Verfolgung und der Emigration (und später der Deportation und Ermordung) war; oft kamen noch politische Gründe hinzu. Man müsste also in jedem Einzelfall nachsehen, wie die Lage ist.“

[11] Vgl. Eliza Marian Butler: Heinrich Heine: A Biography, London: Hogarth Press 1956. Rudolf Walter Leonhardt: Heinrich Heine ‒ der erste Jude in der deutschen Literatur, in: Thilo Koch (Hrsg.), Porträts zur deutsch-jüdischen Geistesgeschichte. Mit Beiträgen von Heinrich Böll, Jürgen Habermas, Rudolf Hagelstange, Max Horkheimer, Walter Jens, Joachim Kaiser, Walther Kiaulehn, Wolfgang Koeppen, Rudolf Walter Leonhardt, Alexander Mitscherlich und Paul Schallück, Köln: DuMont 1961, S. 47‒65.

[12] Vgl. Der Fall Brenner ‒ Geschichte einer verhinderten Berufung, Universität Hamburg 1972 (ungedruckter Reader mit AStA-Materialien zur Kontroverse um den Hamburger Lehrstuhl für marxistische Literaturtheorie, Literatursoziologie und Hermeneutik).

[13] Die Zeit Nr. 43, 25.10.1968, S. 22‒23.

[14] Der Tagesspiegel Nr. 7021, 13.10.1968, S. 4.

[15] Der in München lehrende germanistische Mediävist Hugo Kuhn hatte Paul-Gerhard Völker promoviert: Die deutschen Schriften des Franziskaners Konrad Bömlin, Tl. I: Überlieferung und Untersuchung [mehr nicht erschienen] (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters; 8), München: Beck 1964. Peter Schütt kannte Benno von Wiese aus seiner Bonner Studienzeit.

[16] Peter Schütt: Benno v. Wiese, Porträt eines Doyens, in: Karlheinz Deschner (Hrsg.), Wer lehrt an deutschen Universitäten, Wiesbaden: Limes-Verlag 1968, S. 143‒170. ‒ Siehe auch folgende Arbeiten von Peter Schütt aus dem Jahr 1968: Eiffe [= Ernst Peter Eiffe] for President, Frühling für Europa. Surrealismen zum Mai 1968. Herausgeber und Information: Uwe Wandrey. Politkritische Vorbemerkungen: Peter Schütt, Hamburg: Quer-Verlag 1968. Ders.: Untergrund-Literatur: Agitation durch Aktion, in: Rolf-Ulrich Kaiser (Hrsg.), Protestfibel. Formen einer neuen Kultur, Bern, München, Wien: Scherz 1968, S. 112–127.

[17] Peter Schütt: Entwicklung der demokratischen Bewegung an der Universität Hamburg im Wintersemester 1967/68, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 13, 1968, S. 380‒389, hier 388f. Der Aufsatz ist verzeichnet in: Philipp Gassert, Pavel A. Richter: 1968 in West Germany: A Guide to Sources and Literature of the Extra-Parliamentarian Opposition (Reference Guide; 9), Washington/DC: German Historical Institute 1998.

[18] Geplant und durchgeführt hatten die Störaktion die beiden Jura-Studenten Detlev Albers (1943‒2008) und Gert Hinnerk Behlmer (* 1943). Als Benno Ohnesorg in Hannover beerdigt wurde, fand eine Trauerkundgebung in der Stadt mit mehreren tausend Teilnehmer*innen statt, darunter auch Albers und Behlmer aus Hamburg. Die Veranstalter hatten einen Ballen schwarze Kunstseide besorgt und die Anwesenden schnitten sich jeweils ein (größeres) Stück als Trauerfahne ab. Albers und Behlmer nahmen dieses Stück schwarzen, sehr dünnen Stoffs mit nach Hamburg, ohne zu ahnen, wofür sie es dann ein paar Monate später verwenden würden. Vgl. Rainer Nicolaysen: „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“. Ein Hamburger Studentenprotest trifft den Nerv der Ordinarienuniversität, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren [Redaktion: Christoph Strupp], München, Hamburg: Dölling und Galitz 2012, S. 111‒126. Marc-Simon Lengowski: Von der „pragmatischen Variante der Studentenbewegung“ zum „1. befreiten Institut“. „1968“ an der Universität Hamburg und seine lokalen Besonderheiten, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 99, 2013, S. 73‒103.

[19] Kein Streitthema war der Sachverhalt, dass ausschließlich männliche Referenten geladen waren, die zudem Inhaber einer Professur sein mussten, was einem Ausschluss anderer Statusgruppen gleichkam.

[20] Am 9.11.1968 gab Werner Weiland brieflich eine Äußerung von Gerhard Bauer wieder, der befürchtete, dass eine Publikation zur Berliner Tagung die ursprünglich vorgesehenen vierzehn Referate zusammen mit einer Erklärung bringen könnte, welche die eingetretenen Änderungen des Programms lediglich als Störung erscheinen ließen. Zweiseitiger maschinenschriftlicher Briefentwurf (Durchschlag), verfasst von Werner Weiland, Starnberg, 9.11.1968, Blatt 1 (Privatbesitz Eva D. Becker, St. Ingbert). Vgl. Klaus R. Scherpe: Störfall 1968. Krise der Legitimation ‒ Antiautorität ‒ Authentizität, in: Rainer Rosenberg, Inge Münz-Koenen, Petra Boden (Hrsg.), Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich. Wissenschaft – Literatur – Medien, Berlin: Akademie Verlag 2000, S. 97‒108.

[21] Vgl. Eva D. Becker, Manfred Dehn: Literarisches Leben. Eine Bibliographie. Auswahlverzeichnis von Literatur zum deutschsprachigen literarischen Leben von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Schriften zur Buchmarkt-Forschung; 13), Hamburg: Verlag für Buchmarkt-Forschung 1968.

[22] Das Zitat stammt aus dem Flugblatt „Auf der Flucht“, datiert auf den 7.10.1968, unterzeichnet von der Ad-hoc-Gruppe Germanistik (einer der Mitverfasser war Helmut Lethen), aus der die Rote Zelle Germanistik (kurz: Rotzeg) hervorging. Mir ist nicht bekannt, dass Schüler*innen auf der Berliner Tagung anwesend waren.

[23] Der von Samuel P. Huntington geprägte Ausdruck „clash of cultures“ bezeichnet laut Wikipedia Bruchlinienkonflikte zwischen Gemeinschaften, Staaten oder Gruppen, die unterschiedlichen Kulturkreisen angehören. Vgl. Simone Dietz: Kampf der Kulturen? Über Huntingtons These, in: Information Philosophie 35, 2007, 3, S. 20‒26.

[24] Die einleitenden Sätze des Flugblatts gaben den Rahmen vor für Lösungen, die aus „einer veralteten Universitätsstruktur“ herausführen sollten: „Eine demokratische Praxis innerhalb eines Universitäts-Instituts hat zur Voraussetzung, daß vorhandene Interessen-Gegensätze öffentlich und rational ausgetragen werden. Nur auf diese Weise wird verhindert, daß an die Stelle überprüfbarer Kriterien persönliche und ideologische Differenzen als Gründe für Machtausübung treten.“

[25] Jörg Schönert gebührt das Verdienst, das Flugblatt ins Fachgedächtnis zurückgerufen zu haben: Walter Müller-Seidel in Konfliktkonstellationen an den Seminaren für Deutsche Philologie der LMU München in den Jahren um 1970 (erstmals veröffentlicht im Jahr 2011 auf der Website „Walter Müller-Seidel. Dokumente ‒ Informationen ‒ Meinungen ‒ Analysen“ (https://www.walter-mueller-seidel.de/). Schönert ist Mitherausgeber zweier Festschriften für Walter Müller-Seidel: Karl Richter, Jörg Schönert (Hrsg.): Klassik und Moderne. Die Weimarer Klassik als historisches Ereignis und Herausforderung im kulturgeschichtlichen Prozeß. Walter Müller-Seidel zum 65. Geburtstag, Stuttgart: Metzler 1983. Karl Richter, Jörg Schönert, Michael Titzmann (Hrsg.): Die Literatur und die Wissenschaften 1770‒1930 [Walter Müller-Seidel zum 75. Geburtstag], Stuttgart: M & P Verlag für Wissenschaft und Forschung 1997.

[26] Mein Bewertungsmaßstab: Personen, die gegenüber Andersdenkenden Ausgrenzungs- und Abstrafungsmaßnahmen ergreifen, wenn diese unter Berufung auf demokratische und menschenrechtliche Grundwerte Anspruch auf einen rationalen Diskurs über sinnvolle und machbare Änderungen erheben, handeln repressiv.

[27] Wenn die Geschichte etwas lehrt, dann dies: Wissenschaft muss bei der Gewinnung von Wissen der Wahrheit verpflichtet sein oder sie ist keine Wissenschaft und sie hat in einer Demokratie in letzter Konsequenz dem höchsten Wohl aller zu dienen oder sie wirkt an der Aushebelung demokratischer Ziele und Kontrollinstanzen mit.

[28] Vgl. Wolfgang Nitsch: Vorlesungsrezensionen als Hochschulkritik. Zur Problematik studentischer Rezension von Lehrveranstaltungen mit einem Vorwort von Ernst Elitz sowie Literaturhinweisen, in: Stephan Leibfried (Hrsg.), Wider die Untertanenfabrik. Handbuch zur Demokratisierung der Hochschule (Stimmen zur Zeit; 6), Köln: Pahl-Rugenstein 1967, S. 220‒245.

[29] Anne Rohstock: Von der „Ordinarienuniversität“ zur „Revolutionszentrale“? Hochschulreform und Hochschulrevolte in Bayern und Hessen 1957‒1976 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; 78), München: Oldenbourg 2016, S. 61, Anm. 321.

[30] Eine genauere Datierung ist mangels Datumsangabe auf den zwei Blättern nicht möglich. Vgl. die Textpassage: „4. Auswertung des ,alternative‘-Heftes ,Germanistik ‒ Reform oder Politisierung‘ (Nr. 55, 1967) und der empirisch-soziologischen Studie zum Germanistik-Studium, die vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Westberlin angefertigte ist (erscheint Januar 1968).“

[31] Der Passus lautet in voller Länge: „Soll sich die bisherige Ausbildungspraxis nicht ‒ von Oberflächenkorrekturen abgesehen ‒ weiter fortschleppen, und will man sich auch nicht der reinen Effektivitätsforderung im Sinne der Empfehlungen des Wissenschaftsrats unterwerfen, die der Mehrzahl der Studenten zwar ein kürzeres Studium präsentiert, aber keinen Zuwachs an fachlicher Fundierung, kritischen Überblick, Freiheit von repressiver Didaktik ‒ so muß ein umfassender Prozeß der ‚Selbstreflexion‘ (Habermas) aller am Lehr- und Lernbetrieb beteiligten Personen ‒ Studenten, Mittelbau, Professoren ‒ einsetzen, als dessen Ziel eine Veränderung der inneren Strukturen stehen wird.“

[32] Wolfgang Dittmann, Hubertus Fischer, Dieter Kartschoke, Erika Kartschoke, Irmela von der Lühe, Werner Röcke, Paul Gerhard Völker, Sabine Zurmühl: Reformierte Altgermanistik. Bericht über ein Grundstudienmodell am Germanistischen Seminar der FU Berlin, Berlin: Presse- und Informationsamt der FU 1972; erneut abgedruckt in: Bundesassistentenkonferenz [Hrsg.], Zum Beispiel Altgermanistik. Historische Wissenschaft und Lehrerausbildung (Texte zur Studienreform; 3), Bonn: Bundesassistentenkonferenz 1972, S. 16‒95, sowie in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 4, 1972, 1, S. 108‒157.

[33] Werner Weiland war seit 1974 Mitglied der BdWi-Sektion Marburg. Vgl. [Jutta von Freyberg:] Protokoll des Kongresses „Wissenschaft und Demokratie“. Veranstaltet vom Bund Demokratischer Wissenschaftler, von der Bundesassistentenkonferenz, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie dem Verband Deutscher Studentenschaften am 1. und 2. Juli in Marburg, Köln: Pahl-Rugenstein 1973.

[34] Brief von Marie Luise Gansberg an Eva D. Becker, Heidelberg, 1.5.1964 (Privatbesitz Eva D. Becker, St. Ingbert).

[35] Werner Weiland: Die Revolution in der deutschen Frühromantik. Der junge Friedrich Schlegel, Heidelberg, Philosophische Fakultät, Dissertation vom 24. Febr. 1964, ungezählte Seite nach S. 60. Universitäts- und Staatsbibliothek Köln: U67/7951.

[36] Kai Hermann im Interview mit Christian Staas: „Ich galt als liberaler Scheißer“, URL: https://www.zeit.de/2017/25/68-interview-kai-hermann (18.6.2017).

[37] Ich danke an dieser Stelle Kai Köhler, Jürgen Schröder und Jochen Staadt für ihre vielen hilfreichen Kommentare, Ergänzungen und Anregungen.

[38] Vgl. Rosario Figari Layús, Estela Schindel: Verschwindenlassen, in: Christian Gudehus, Michaela Christ (Hrsg.), Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart, Weimar: Metzler 2013, S. 170‒175.

[39] Bemd Zymek: Historisch beispiellos einflußreich? Schul- und hochschulstrukturelle Eckdaten einer Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in der Bundesrepublik Deutschland während der siebziger Jahre, in: Silvio Vietta, Dirk Kemper (Hrsg.), Germanistik der siebziger Jahre. Zwischen Innovation und Ideologie, München: Fink 2000, S. 101‒128.

[40] Laut Marc Silberman war das 1996 gegründete Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) anfangs, von Eberhard Lämmert protegiert, ein Auffangbecken für Wissenschaftler*innen aus der DDR. Am ZfL entstand in den 1990er-Jahren unter der Leitung des Romanisten Karlheinz Barck das Wörterbuch „Ästhetische Grundbegriffe“ (Stuttgart, Weimar: Metzler 2000‒2005). Er selbst sei im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends Gastwissenschaftler bei einem mehrjährigen Projekt über Avantgarde gewesen. Es könnte sein, dass das heutige Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, so genannt seit 2019, tatsächlich eine Art Heimat/Parkplatz für Postdoktorand*innen sei.

[41] Christoph König (Hrsg.): Internationales Germanistenlexikon 1800‒1950, 3 Bde., Berlin, New York/NY: De Gruyter 2003.

[42] Lukács ist ‒ anders als die drei anderen Genannten ‒ nicht in den Westen gewechselt, sondern lebte bis zu seinem Tod in Ungarn.

[43] Völkers Habilitationsvortrag, gehalten im Sommersemester 1975, trug den Titel: „Dukus Horant. Höfische Selbstdarstellung im heldischen Gewand“.

[44] Helmut Peitsch: „Warum wird so einer Marxist?“. Zur Entdeckung des Marxismus durch bundesrepublikanische Nachwuchswissenschaftler, in: Rainer Rosenberg, Inge Münz-Koenen, Petra Boden (Hrsg.), Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich. Wissenschaft ‒ Literatur ‒ Medien, Berlin: Akademie Verlag 2000, S. 125‒152 (im Mittelpunkt stehen Thomas Metscher, Helmut Lethen und Gert Mattenklott).

[45] Adelheid von Saldern: Markt für Marx. Literaturbetrieb und Lesebewegungen in der Bundesrepublik in den Sechziger- und Siebzigerjahren, in: Archiv für Sozialgeschichte 44, 2004, S. 149‒180. Das Archiv für Sozialgeschichte war 1961 ins Leben gerufen worden, um die Erforschung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung voranzutreiben. Dass das 1976 von Georg Jäger, Alberto Martino und Friedrich Sengle auf die Beine gestellte Internationale Archiv für Sozialgeschichte der Literatur sich das Archiv für Sozialgeschichte titelmäßig zum Vorbild nahm, ist stark zu vermuten.

[46] Karl Theodor Schuon, Hanne Wiedner: Politisch-soziologische Analyse historischer Kausalität und politische Bildung in der BRD, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 13, 1968, S. 1288‒1299, und 14, 1969, S. 399‒412, hier S. 1288.

[47] Hochschule in der Demokratie. Denkschrift des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes zur Hochschulreform, Frankfurt am Main: SDS, Bundesvorstand [1961]. Vgl. Uwe Rohwedder: SDS-Hochschuldenkschrift und VDS-Neugründungsgutachten. Zwei studentische Beiträge zum Reformdiskurs der 1960er Jahre, in: Rainer Pöppinghege, Dietmar Klenke (Hrsg.), Hochschulreformen früher und heute ‒ zwischen Autonomie und gesellschaftlichem Gestaltungsanspruch, Köln: SH-Verlag 2011, S. 158‒172.

[48] Wolfgang Nitsch: Hochschule in der Demokratie ‒ Demokratie in der Hochschule: Zwischenbilanz eines uneingelösten Vermächtnisses, in: Andreas Keller, Sonja Staack (Hrsg.), Innovation durch Partizipation. Steuerung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen im 21. Jahrhundert (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. GEW-Materialien aus Hochschule und Forschung; 115), Bielefeld: Bertelsmann 2009, S. 19‒25, hier S. 20.

[49] Frank Benseler (Hrsg.): Georg Lukács Werke, 18 Bde., Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1960‒1984, Bielefeld: Aisthesis 2005.

[50] Die Reihe wurde von Hans Blumenberg, Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Jacob Taubes herausgegeben.

[51] Germanistikführer der Freien Universität Berlin. Hrsg. von der Institutsvertretung des Germanischen Seminars, Berlin: Elwert und Meurer 1967.

[51b] Jochen Meyer: Literaturarchive. Ein deutscher Sonderweg?, in: Heinz Ludwig Arnold, Matthias Beilein (Hrsg.), Literaturbetrieb in Deutschland, 3., neugefasste Aufl. München: Edition Text + Kritik 2009, S. 141‒150, hier S. 145.

[52] Georg Bangen, mit einem Geleitwort von Hans-Egon Hass: Die schriftliche Form germanistischer Arbeiten. Empfehlungen für die Anlage und die äußere Gestaltung wissenschaftlicher Manuskripte unter besonderer Berücksichtigung der Titelangaben von Schrifttum, Stuttgart: Metzler 1962.

[53] Der regelmäßige Treffen abhaltende Arbeitskreis verfolgte das Nahziel einer „Erneuerung des Faches und seiner Studienbedingungen“ in Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte und den Nachwirkungen des Nationalsozialismus seit Kriegsende. Zu diesem reinen Männerkreis zählten auch Karl Heinz Borck, Karl Otto Conrady, Eberhard Lämmert, Karl Ludwig Schneider, Albrecht Schöne, Peter Szondi, Peter Wapnewski und andere mehr. Ob Ingrid Strohschneider-Kohrs zur Teilnahme eingeladen war, ließ sich nicht klären. Vgl. Petra Boden: Probleme mit der Praxis. Hochschulgermanistik zwischen Wissenschaft, Bildung/Erziehung und Politik, in: Rainer Rosenberg, Inge Münz-Koenen, Petra Boden (Hrsg.), Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich. Wissenschaft ‒ Literatur ‒ Medien, Berlin 2000, S. 181‒225, hier S. 180, Anm. 29.

[54] Siehe die im Todesjahr des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno erschienene Festschrift: Wilfried F. Schoeller (Hrsg.): Die neue Linke nach Adorno. Mit Beiträgen von Johannes Agnoli, Achim Bergmann, Frank Böckelmann, Konrad Boehmer, Hildegard Brenner, Peter Brückner, Herbert L. Fertl, Otto F. Gmelin, Hans Heinz Holz, Hartmut Lück, Hans N. Schmidt, Otto Karl Werckmeister und einer Erklärung der Frankfurter Schüler, München: Kindler 1969.

[55] Der Text geht auf eine Rede im Jahr 1949 zurück und ist wiederabgedruckt in: Hans Mayer: Von Lessing bis Thomas Mann. Wandlungen der bürgerlichen Literatur in Deutschland, Pfullingen: Neske 1959, S. 273‒296.

[56] Der Titel des Nachworts stellt offenbar eine Anspielung auf Heines Die Götter im Exil dar. Ich erinnere an dieser Stelle an den frühen Versuch des deutschen Widerstandskämpfers, Marxisten, Bibliothekars und Germanisten Bruno Kaiser, Exilautoren zu reintegrieren (die alleinige Konzentration auf Männer war wohl dem Zeitgeist geschuldet). Oswald Mohr [Pseudonym für Bruno Kaiser]: Das Wort der Verfolgten. Gedichte und Prosa, Briefe und Aufrufe deutscher Flüchtlinge von Heinrich Heine und Georg Herwegh bis Bertolt Brecht und Thomas Mann (Erbe und Gegenwart; 5), Basel: Mundus-Verlag 1945.

[57] Klaus Briegleb (Hrsg.): Heinrich Heine. Sämtliche Schriften, 6 Bde., München: Hanser 1968–1976. Die Publikation erschien in der Verlagsreihe „Hanser Werkausgaben“. Vgl. auch Klaus Briegleb: 1968, Literatur in der antiautoritären Bewegung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993.

[58] Freundliche Auskunft Ariane Neuhaus-Koch, Neuss.

[59] Andreas Rossmann: Heines Hüter. Zum Neuzigsten von Manfred Windfuhr, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 248, 24.10.2020, S. 11.

[60] Uwe Meves: Zum Institutionalisierungsprozeß der Deutschen Philologie. Die Periode der Lehrstuhlerrichtung von ca. 1810 bis zum Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts, in: Jürgen Fohrmann, Wilhelm Voßkamp (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart, Weimar: Metzler 1994, S. 115‒203. Ders.: Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Germanistik und des Deutschunterrichts im 19. und 20. Jahrhundert (Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit; 24), Hildesheim: Weidmann 2004. Klaus-Michael Bogdal, Oliver Müller (Hrsg.): Innovation und Modernisierung. Germanistik von 1965 bis 1980 (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte; 8), Heidelberg: Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren 2005. Moritz Mälzer: Auf der Suche nach der neuen Universität. Die Entstehung der „Reformuniversitäten“ Konstanz und Bielefeld in den 1960er Jahren, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016.

[61] Vgl. zu ausgewählten Reformmodellen Jürgen Kolbe (Hrsg.): Ansichten einer künftigen Germanistik [Kritik, Aussichten, Modelle], München: Hanser 1969 (5. Aufl. 1971, Lizenzausgabe Ullstein Verlag 1973). Weiterführung unter dem Titel: Neue Ansichten einer künftigen Germanistik [Probleme einer Sozial- und Rezeptionsgeschichte der Literatur, Kritik der Linguistik, Literatur- und Kommunikationswissenschaft], München: Hanser 1973.

[62] Cepl-Kaufmann ist Mitherausgeberin zweier Festschriften für Windfuhr: Gertrude Cepl-Kaufmann, Winfried Hartkopf, Ariane Neuhaus-Koch, Hildegard Stauch (Hrsg.): „Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen“ [handschriftlich]. Festschrift für Manfred Windfuhr zum 60. Geburtstag, Köln, Wien: Böhlau 1990. Gertrude Cepl-Kaufmann, Ariane Neuhaus-Koch (Hrsg.): Literarische Fundstücke. Wiederentdeckungen und Neuentdeckungen. Festschrift für Manfred Windfuhr (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte; 188), Heidelberg: Winter 2002.

[63] Für die DHA wurde bereits 1963 in Düsseldorf eine Arbeitsstelle eingerichtet; eine zweite historisch-kritische Heine-Edition, die Heine-Säkularausgabe, erscheint seit 1970 und ist noch nicht abgeschlossen. Windfuhrs spätere Frau (Heirat 1957) hatte bei Sengle über Heine promoviert: Erika Schmohl: Der Streit um Heinrich Heine. Darstellung und Kritik der bisherigen Heine-Wertung, Marburg, Philosophische Fakultät, Dissertation vom 16. Mai 1956 (die Arbeit sollte als Band 2 der von Manfred Windfuhr von 1971 bis 1976 herausgegebenen Reihe „Heine Studien“ erscheinen, familiäre Gründe verhinderten aber die für die Drucklegung gebotenen Überarbeitungen). Von vormaligen Sengle-Doktorand*innen stammen die folgenden drei Heine-Arbeiten: Eva D. Becker: Heinrich Heine. Ein Forschungsbericht 1945‒1965, in: Der Deutschunterricht 18, 1966, Beilage zu Heft 4, S. 1‒18; erneut abgedruckt in: Helmut Koopmann (Hrsg.), Heinrich Heine, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975, S. 377‒403. Jost Hermand: Streitobjekt Heine. Ein Forschungsbericht 1945–1975, Frankfurt am Main: Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag 1975. Roger Paulin: Heine und Shakespeare, in: T. J. Reed, Alexander Stillmark (Hrsg.), Heine und die Weltliteratur, Oxford: Legenda 2000, S. 51–63.

[64] Vgl. Jost Hermand, Manfred Windfuhr (Hrsg.): Zur Literatur der Restaurationsepoche 1815‒1848. Forschungsreferate und Aufsätze. Friedrich Sengle zum 60. Geburtstag von seinen Schülern, Stuttgart: Metzler 1970.

[65] „Mir ist völlig klar, daß S. mich lieber nicht genommen hätte (da Dame!), aber zZ ist buchstäblich niemand sonst da, er steckt sozusagen im Zwang der Umstände.“ Briefkarte von Marie Luise Gansberg an Eva D. Becker, Heidelberg, 7.5.1962 (Privatbesitz Eva D. Becker, St. Ingbert).

[66] Nach dem Tod von Günther Müller (1890‒1957) lehrten hier Richard Alewyn, Hugo Kuhn und Benno von Wiese.

[67] Manfred Windfuhr: Zukunftsvisionen. Von christlichen, grünen und sozialistischen Paradiesen und Apokalypsen, Bielefeld: Aisthesis 2018.

[68] Siehe neuerdings auch Jost Hermand: Schriften deutscher Vordenker und Vordenkerinnen, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2021.

[69] Theweleit promovierte summa cum laude 1976 bei Hans Peter Hermann mit einer Arbeit zum Thema „Freikorpsliteratur: Vom deutschen Nachkrieg 1918‒1923“, die unter dem neuen Titel Männerphantasien (2 Bde., 1976/77) eine lang anhaltende Wirkung entfaltete und zu den Gründungstexten einer „männliches Heldentum“ und „männliche Gewalt“ entmystifizierenden Männerforschung und der neuen Kulturtheorien gehört (Hinweise auf Pressereaktionen enthält der Eintrag „Theweleit, Klaus“ vom 3.1.2017 in: Munzinger Online/Personen Internationales Biographisches Archiv, URL: https://www.munzinger.de). ‒ Den Hinweis auf Klaus Theweleit verdanke ich Berthold Petzinna, der mir auch in anderen Hinsichten weiterführende Informationen und Inspirationen vermittelte.

[70] Laut Auskunft von Marc Silberman war Benno von Wiese im Frühjahr 1969 Gastprofessor an der University of Minnesota.

[71] Manfred Windfuhr ließ mich nach der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses von „1968 in der deutschen Literaturwissenschaft“ wissen, in der „Namenliste“ am Ende des Bandes (Gansberg, Völker, Rosshoff, Schütt) fehle die Ebene der Ordinarien. Man braucht Hintergrundwissen, um zu verstehen, was gemeint ist: Gansberg war nicht zur Professorin berufen, sie war dazu ernannt worden, man sprach deshalb auch von Hessen- oder despektierlich von Discount-Professur.

[72] Die Buchhandelsausgabe trägt den Titel: Emil Lask als Lehrer von Georg Lukács. Zur Form ihres Gegenstandsbegriffs (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik; 101), Bonn: Bouvier 1975.