Wohl dem, der aus der Reihe tanzt

Dem Schriftsteller Ludwig Harig zum achtzigsten Geburtstag (2007)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Auf der Tagung der Gruppe 47 im November 1960 in Aschaffenburg habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Noch wusste ich nicht, wie er heißt, noch wusste ich nicht, ob er schreiben kann. Aber ich war sicher, dass er aus der Provinz kam, und er war mir, ich weiß nicht, warum, gleich sympathisch. Provinz? Das klingt ironisch, kritisch, hochmütig. Nichts davon habe ich empfunden. Der stille Mann aus dem Saarland schien mir auffallend bescheiden. Und er wusste genau, was er wollte. Kurz: Ludwig Harig gefiel mir von Anfang an, aber zunächst gab es Kummer mit ihm.

Die experimentellen Texte, die er auf der Tagung der Gruppe 47 vorlas, waren nicht gut. Einige der Anwesenden sagten dies, wie es bei der Gruppe 47 üblich war, sehr deutlich. Auch ich war, wenn ich mich recht erinnere, nicht gerade zurückhaltend. Nachher nickte mir der Chef der Gruppe, Hans Werner Richter, zustimmend zu und meinte: „Das war nichts wert, aber aus dem Harig wird noch etwas werden.“

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